Würde in den Medien auch nur ein Fünkchen Wahrheit verbreitet – von Intelligenz ganz zu schweigen –, so würde der zweite „Gipfel für Demokratie“, der von der Biden-Regierung ausgerichtet wird und am Dienstag begonnen hat, als „Gipfel der autoritären und kriegslüsternen Heuchler“ oder als „Gipfel der imperialistischen Handlanger, die sich bereitwillig vor Amerikas Allerwertestem niederwerfen“ bezeichnet werden – oder einen noch unwürdigeren, aber keineswegs weniger treffenden Titel erhalten.
Selbst wenn man die Angelegenheit an den üblichen Maßstäben für Biden misst, der als Hauptsponsor und Gastgeber fungiert, so kommt man trotzdem nicht umhin, diese zynische Zusammenkunft als reine Showveranstaltung zu bezeichnen. Trotz der Behauptungen der seiner Regierung in Richtung Öffentlichkeit, dass die Corona-Pandemie vorbei sei, fand der Gipfel virtuell statt. Kein Staatsoberhaupt musste sein Zuhause verlassen und nach Washington reisen. Es genügte, ein paar Stunden Zeit zu opfern, um sich beim Führer des mächtigsten imperialistischen Staates beliebt zu machen. Mehr als 100 Regierungen waren dazu bereit.
Biden eröffnete das Treffen mit der Zusage, 690 Millionen Dollar für eine Sonderinitiative zur Förderung der Demokratie bereitzustellen. Wie wenig bahnbrechend diese Zusage ist, zeigt ihr Umfang: weniger als ein Hundertstel der Summe, die der US-Imperialismus im vergangenen Jahr für den Krieg in der Ukraine ausgegeben hat. Nimmt man die Planungen für den Militärhaushalt, die von der Regierung Biden Anfang des Monats vorgelegt wurden, so ergibt sich, dass das Pentagon im Rahmen dieser Pläne alle sieben Stunden 690 Millionen Dollar ausgeben würde.
Die Leitmedien, die erkannten, wie sehr es der ganzen Veranstaltung an Inhalt mangelte, berichteten kaum und analysierten auch nicht. Die Devise schien zu lauten: Je weniger über diese jämmerliche Affäre gesprochen wird, desto besser. Das bedeutet jedoch, dass die Medien mit daran beteiligt sind, die plumpe Heuchelei der amerikanischen Außenpolitik zu verbergen. Doch ist das Ereignis einer genaueren Betrachtung wert, ist es doch ein Lehrstück dafür, was für ein Unsinn die Behauptungen der USA sind, den Kampf der „Demokratien“ gegen die „Autoritären“ anzuführen – Behauptungen, die aus dem Kalten Krieg wohlbekannt sind, als die USA als angeblicher Vertreter der „freien Welt“ gegen totalitäre stalinistische Regime vorgingen.
Die Doppelmoral ist natürlich atemberaubend. Einige wichtige Verbündete der USA sind so brutal repressiv, dass es praktisch unmöglich war, sie einzuladen. Die Behauptung, dass Saudi-Arabien oder Ägypten demokratischer sind als der Iran oder Russland oder dass Thailand und Myanmar ihren Völkern mehr Rechte gewähren als China, wäre ein zu großer Spagat.
Tatsächlich war der Gipfel für Demokratie eine durch und durch undemokratische Angelegenheit. Die Regierung Biden entschied allein, welche Regierungen eingeladen wurden. Dieser Entscheidung lag kein demokratisches Kriterium zugrunde – wie sonst hätte man Regimen, die politische Gegner inhaftiert, vertrieben oder deren Organisationen verboten haben, den roten Teppich ausrollen können? Die Regierungen wurden auf Grundlage der Frage eingeladen, ob sie die amerikanische Außenpolitik unterstützen, insbesondere den Stellvertreterkrieg der USA und der Nato gegen Russland in der Ukraine und die Vorbereitung eines Kriegs der USA gegen China.
Wie sonst ließe sich die Teilnahme des indischen Premierministers Narendra Modi erklären, der seit mehr als 20 Jahren Gewalt gegen die muslimische Minderheit in Indien schürt, beginnend mit dem Pogrom in Gujarat, wo er die Regierung des Bundesstaates führte? Seit er 2014 Regierungschef wurde, hat seine hinduchauvinistische Bharatiya Janata Party (BJP) einen autoritären Staat aufgebaut, der die Opposition in der Bevölkerung systematisch unterdrückt, Zeitungen aus dem Verkehr zieht und Oppositionelle ins Gefängnis steckt.
Zuletzt verhängte das Regime eine zweijährige Haftstrafe gegen Rahul Gandhi, der die Kongresspartei führt und dessen Vater und Großvater jeweils Premierminister waren. Gandhi hatte Modi in einer Rede kritisiert, wurde unter dem Vorwand der Verleumdung angeklagt und am 23. März wegen dieser Beleidigung des Premierministers aus dem Parlament ausgeschlossen, was im Grunde einer Bestrafung wegen Majestätsbeleidigung gleichkommt. Dennoch wird Indien wieder und wieder als die „größte Demokratie der Welt“ bezeichnet.
Zu den anderen „Demokratien“, die den Maßstäben des US-Außenministeriums genügen, gehören die Philippinen, die jetzt von Präsident Ferdinand Marcos jr. geführt werden, der über die brutale Militärdiktatur seines Vaters als das „goldene Zeitalter“ des Landes spricht. Auch Peru gehört dazu, wo eine rechte Mehrheit im Parlament mit Unterstützung des Militärs den gewählten Präsidenten aus dem Amt gejagt und inhaftiert und Massaker an Landarbeitern und Bauern verübt hat, die sich zum Protest erhoben; sowie Kenia, dessen Präsident brutale Polizeiangriffe auf Proteste der Opposition angeordnet hat, weil sie Wahlfälschung monierten. Auch Polen darf hier nicht fehlen, wo die ultrarechte PiS-Regierung Abtreibung verboten, wissenschaftliche Forschung zur Rolle der polnischen Faschisten im Holocaust kriminalisiert und systematisch an der Errichtung eines von der katholischen Kirche dominierten Einparteienstaates gearbeitet hat.
Taiwan wurde eingeladen, obwohl es kein Land ist, sondern zu China gehört. Peking wird von der überwiegenden Mehrheit der Länder der Welt und sogar von den Vereinigten Staaten selbst als rechtmäßige Regierung der Insel anerkannt. Nichtsdestotrotz wurde die Teilnahme der Regierung aus Taipeh in einem weiteren provokativen Akt gegen China willkommen geheißen, der sich in die anderen Provokationen der USA in Ostasien einreiht, die einen Krieg auszulösen drohen.
Außerdem sind da noch zwei der engsten Verbündeten der USA: Israel und die Ukraine. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu nahm an der Veranstaltung teil, nachdem er mit den größten Protesten in der Geschichte seines Landes und einem umfassenden Generalstreik konfrontiert war, die durch seinen Versuch ausgelöst wurden, die Gerichte in eine Zwangsjacke zu stecken und eine de-facto-Diktatur unter maßgeblichem Einfluss ultrarechter Siedler und religiöser Extremisten einzuführen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hielt am Mittwoch eine Rede auf dem Gipfel und wiederholte darin seine altbekannten Appelle für militärische Hilfe im Krieg der USA und der Nato gegen Russland. Seine Regierung steht an der Spitze eines regelrechten Polizeistaats, in dem Nazi-Kollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg wie Stepan Bandera als Gründerväter des Landes verehrt werden und die russische Sprache – die von beinahe der Hälfte der Bevölkerung zu Hause gesprochen wird – praktisch von einem Verbot belegt ist.
In den imperialistischen Zentren ist es um die demokratischen Rechte nicht besser bestellt. Biden erklärte in seinen Ausführungen, dass zum Zeitpunkt des ersten Gipfels im Jahr 2021 „an zu vielen Orten der Welt die Meinung vorherrschte, dass die besten Tage der Demokratie hinter uns liegen“. Nun behauptete er, „dank des Engagements der [globalen] Führer“ und „der Beharrlichkeit der Menschen in allen Regionen der Welt“ gebe es „echte Anzeichen“, dass sich das Blatt wende.
Und das nur wenige Tage, nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron, einer der Hauptredner des Gipfels, Rentenkürzungen mit diktatorischen Mitteln und Polizeigewalt gegen jene „Beharrlichkeit der Menschen“, die es in Massen dagegen auf die Straßen zog, durchgesetzt hatte.
Und wie steht es um den Zustand der Demokratie in den Vereinigten Staaten selbst? Biden behauptete: „Wir demonstrieren auch die Widerstandsfähigkeit der amerikanischen Demokratie“, und verwies auf die Niederlage einiger der extremsten Pro-Trump-Kandidaten bei den Zwischenwahlen 2022. Er ging jedoch nicht auf die Tatsache ein, dass eine der beiden großen Parteien im offiziellen amerikanischen Politikbetrieb – die Republikaner – zu einer in weiten Teilen faschistischen Partei geworden ist, die von Trump selbst als Spitzenkandidat für die republikanische Präsidentschaftskandidatur angeführt wird.
Während Hunderte Teilnehmer des gescheiterten Putsches vom 6. Januar 2021 als Bauernopfer vor Gericht gestellt, verurteilt und in einigen Fällen ins Gefängnis gesteckt wurden, sind die Hintermänner und politischen Führer des gewaltsamen Angriffs auf den Kongress, vor allem Trump selbst und sein innerer Kreis, ungeschoren davongekommen und drohen nun mit ähnlichen Aktionen für das Jahr 2024 oder sogar noch früher. Ähnliche Freifahrtscheine erhielten die Vertreter aus den Reihen des Militärs und der Geheimdienste, die den Angriff entweder geschehen ließen oder ihn gar unterstützten.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Zudem sind die Regierung Biden und die Demokratische Partei selbst Feinde der demokratischen Rechte der Arbeiter. Die Behauptungen, dass sie gegen Polizeigewalt vorgehen würden, die sie während der Massenproteste gegen den Polizeimord an George Floyd im Jahr 2020 vor sich her trugen, sind in der Versenkung verschwunden. An ihre Stelle trat Law-and-Order-Politik, zu der auch die Zusage von Biden selbst gehört, weitere Milliarden in die Aufrüstung der Polizei zu stecken.
An der Grenze zwischen den USA und Mexiko herrscht praktisch ein Polizeistaat, in dem Migranten, die vor Unterdrückung und Armut fliehen, zwischen den Schlägern der Border Patrol auf der einen und der mexikanischen Polizei und dem Militär auf der anderen Seite gefangen sind. Die schrecklichen Bedingungen, denen Migranten ausgesetzt sind und für die die Regierung Biden nun die Hauptverantwortung trägt, zeigten sich diese Woche am deutlichsten bei dem Brand eines Flüchtlingslagers in der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez, in unmittelbarer Nähe der texanischen Großstadt El Paso, bei dem 40 Männer ums Leben kamen und 28 weitere schwer verletzt wurden.
Was die Rechte von Arbeitern betrifft, so hat der von den Demokraten kontrollierte Kongress vor weniger als vier Monaten ein Gesetz verabschiedet, mit dem ein Streik von 110.000 Eisenbahnern verboten und ihnen ein Tarifvertrag aufgezwungen wurde, den sie zuvor abgelehnt hatten. Biden unterzeichnete begeistert das Gesetz. Seine Regierung arbeitet mit den Gewerkschaften zusammen, um Streiks von Hafenarbeitern, Lehrern, Autoarbeitern, Beschäftigten im Gesundheitswesen und in diesem Sommer von 350.000 Mitgliedern der Gewerkschaft Teamsters bei UPS zu unterdrücken.
Die jüngste „demokratische“ Initiative, die Biden in seinen Ausführungen und das Weiße Haus in einem Begleitdokument hervorhob, ist die Verabschiedung einer neuen Verordnung, die es Regierungsbeamten verbietet, kommerzielle Spionageprogramme zu verwenden. Biden stellte dies als Maßnahme zur Einschränkung der illegalen Überwachung dar, doch in Wirklichkeit geht es darum sicherzustellen, dass niemand sonst die amerikanische Bevölkerung ausspioniert als die US-Geheimdienste. Die CIA und das FBI verfügen bereits über weitaus größere Überwachungskapazitäten als jedes Privatunternehmen, wie Edward Snowden durch die mutige Veröffentlichung von Geheimdienstdokumenten im Jahr 2013 gezeigt hat.
Die angeblich demokratische Regierung der Vereinigten Staaten setzt alles daran, Personen wie Snowden und insbesondere Julian Assange von WikiLeaks, die die antidemokratischen Verschwörungen der amerikanischen Regierung gegen die gesamte Weltbevölkerung aufgedeckt haben, zu verhaften und ins Gefängnis zu stecken.
Im Mittelpunkt aller Angriffe auf demokratische Rechte steht die Politik der Biden-Regierung, die auf einen Krieg mit Russland und die Vorbereitung eines Krieges mit China setzt. Die amerikanische Bevölkerung hat nicht für diese Kriege gestimmt und sie unterstützt sie auch nicht, doch ihr Leben wird durch diese Konflikte, die sich zu einem nuklearen Holocaust auszuweiten drohen, aufs Äußerste bedroht.
Wie die Geschichte des 20. Jahrhunderts wiederholt gezeigt hat, ist die Demokratie das erste Opfer des Krieges. Es gibt keinen Kampf zur Verteidigung demokratischer Rechte ohne den unnachgiebigsten Kampf gegen den imperialistischen Krieg. Und beide Kämpfe, gegen den Krieg und für demokratische Rechte, erfordern die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.