Im gewalttätigsten Siedlerangriff auf Palästinenser seit Jahrzehnten haben 400 israelische Mitglieder einer Bürgerwehr am Sonntagabend in Huwara, einer Kleinstadt nahe der nördlichen Stadt Nablus im Westjordanland, gewütet. Bei dem pogromartigen Angriff wurde mindestens ein Palästinenser getötet, mehr als 100 wurden verletzt.
Schreckliche Szenen spielten sich ab. Maskierte und bewaffnete Siedler setzten zahlreiche Häuser und Geschäfte in Brand, zerstörten 35 Gebäude und beschädigten mindestens 40 weitere. Über 400 Autos wurden in Brand gesetzt und landwirtschaftliches Gerät zerstört, so dass die Stadt noch Stunden später in Flammen stand. Neun Palästinenserfamilien mussten aus ihren Häusern gerettet werden, wie der staatliche israelische Fernsehsender Channel 12 News berichtete.
Wie die palästinensischen Gesundheitsbehörden mitteilten, wurde ein 37-jähriger Mann durch israelisches Gewehrfeuer erschossen. Zwei Menschen wurden durch Schüsse verwundet, ein dritter wurde niedergestochen und ein vierter mit einer Eisenstange niedergeschlagen. 95 weitere Personen mussten behandelt werden, weil sie Tränengas inhaliert hatten oder durch Messerstiche und Schläge verletzt waren. Siedler griffen auch umliegende Orte und die Städte Ramallah und Salfit an.
Ein israelischer Kommentator zog den Vergleich zur Kristallnacht, dem staatlich orchestrierten Pogrom der deutschen Nationalsozialisten gegen die Juden im Jahr 1938.
Die Absicht der Angreifer ist es, einen größeren Flächenbrand zu provozieren und die Grundlage für eine verstärkte ethnische Säuberung der Palästinenser im Westjordanland und möglicherweise einen totalen Krieg durch Israel zu schaffen.
Der Anschlag ereignete sich, nachdem ein Palästinenser zwei israelische Brüder, die in einer der nahe gelegenen Siedlungen um Huwara lebten, am frühen Sonntagmorgen auf der Durchfahrt durch die Stadt getötet hatte. In den sozialen Medien hatten die Siedler daraufhin eine Kundgebung in der Stadt angekündigt, Flugblätter verteilt und zur Rache aufgerufen.
Trotz der ständigen Militärpatrouillen in der Gegend, und obwohl das Hauptquartiers der Region Samaria nur wenige Minuten entfernt liegt, entsandten weder die Grenzpolizei noch die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) Truppen, um die Männer der Bürgerwehr aufzuhalten. Wie bei allen früheren Siedlerangriffen standen die Soldaten, die vor Ort waren, bloß daneben und schützten die Täter, nicht die Opfer. Am nächsten Tag waren die Straßen leer, abgesehen von den Siedlern, die rassistische Parolen skandierten, den Daumen nach oben zeigten und die Bewohner verhöhnten.
Die Gewalt vom Sonntag ist der Höhepunkt einer wochenlangen Eskalation von Gewalt und Kriminalität durch israelische Sicherheitskräfte, die bei Massenoperationen zur Festnahme mutmaßlicher Terroristen 67 Palästinenser, darunter 13 Kinder, erschossen haben. Auch ein bewaffneter Palästinenser, der in einer Siedlung in Ostjerusalem sieben Israelis getötet hatte, wurde erschossen.
Diese Amokläufe und außergerichtlichen Exekutionen sind Provokationen, mit denen Racheanschläge auf jüdische Israelis provoziert werden sollen. Sie finden nur zwei Monate nach der Rückkehr Benjamin Netanjahus an die Macht statt. Als Premierminister steht er an der Spitze einer Koalition aus faschistischen, rassistischen und ultraorthodox-religiösen nationalistischen Parteien. Sie sind entschlossen, die palästinensischen Gebiete zu annektieren, die Israel seit dem arabisch-israelischen Krieg von 1967 illegal besetzt hält.
Seit Jahrzehnten kommen solche Angriffe der Siedler auf Palästinenser, ihre Häuser, ihr Eigentum und ihr Land in den besetzten Gebieten vor. In letzter Zeit gibt es immer mehr auch Angriffe auf palästinensische Bürger in Israel selbst, unterstützt und gefördert von der modernsten Militärmaschinerie im ganzen Nahen Osten.
Anstatt die Palästinenser zu schützen, wie es das Völkerrecht vorschreibt, feuern israelische Soldaten Tränengasgranaten, Gummigeschosse und scharfe Munition auf Palästinenser, um sie von ihrem eigenen Land zu vertreiben. Zuweilen schließen sich die Soldaten sogar den Siedlern bei ihren Angriffen an.
Im Jahr 2022 verletzten israelische Sicherheitskräfte mehr als 2.000 Palästinenser, mehr als viermal so viel wie in 2021, bei Zwischenfällen mit Siedlern. Die Gewalt der Siedler nahm 2022 im Vergleich zu 2021 um fast 50 Prozent zu. Am letzten Januarwochenende gab es laut Ghassan Daghlas, einem palästinensischen Funktionär, allein im nördlichen Teil des Westjordanlandes 144 Angriffe von Siedlern auf Palästinenser und deren Eigentum.
Lior Amihai, geschäftsführender Direktor von Yesh Din, einer israelischen Rechtsberatungsgruppe, die Palästinenser juristisch verteidigt, hat erklärt, dass Palästinenser keine Möglichkeit hätten, Hilfe zu bekommen, wenn sie angegriffen werden. „Sie sind völlig auf sich gestellt“, sagte er. „Es ist der Wilde Westen. Deshalb kommt es uns wie ein Pogrom vor.“ Peace Now und B'Tselem, israelische Nichtregierungsorganisationen, bezeichneten die Angriffe der Siedler ebenfalls von der Regierung unterstütztes „Pogrom“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
In den letzten Wochen ist Itamar Ben-Gvir, Vorsitzender von Otzma Yehudit (Jüdische Stärke) und Minister für Nationale Sicherheit, dazu übergegangen, in israelischen Gefängnissen die Bedingungen für palästinensische Gefangene zu verschärfen. Es gibt schätzungsweise etwa 5.000 solche Gefangene, und seiner Meinung nach werden sie zu sanft angefasst. Zu diesen Maßnahmen gehören der verstärkte Einsatz von Einzelhaft, die Durchsuchung von Zellen, Besuchsverbote, die Schließung von Bäckereien, die von Gefängnissen betrieben werden, die Begrenzung der Duschzeit auf vier Minuten sowie Gesetzesvorschläge zur Einschränkung der medizinischen Versorgung.
Kurz vor dem pogromartigen Überfall auf Huwara hatte der Finanzminister und Parteichef von HaTzionut HaDatit (Der religiöse Zionismus), Bezalel Smotrich, die Streitkräfte (IDF) aufgefordert, „die Terrorstädte und die Anstifter ohne Gnade mit Panzern und Hubschraubern zu schlagen“. Er sagte, Israel müsse „so handeln, als sei der Hausherr verrückt geworden“. Zuvor hatte er den Tweet eines Anführers der Siedler geliked, in dem es heißt: „Das Dorf Huwara muss heute ausradiert werden“. Diesen Tweet hat der Minister erst nach dem Rachefeldzug gelöscht.
Kein einziger Kabinettsminister verurteilte die Selbstjustiz der Siedler oder das Versagen der Sicherheitskräfte, sie zurückzuhalten. Netanjahu reagierte sofort, indem er bekanntgab, dass das israelische Parlament, die Knesset, ein Gesetz verabschiedet habe, welches die Todesstrafe für Personen vorsieht, die wegen terroristischer Straftaten gegen Israelis verurteilt werden. Zu den Pogrom gaben Netanjahu und Ben-Gvir fromme Erklärungen ab und sagten: „Das ist nicht der richtige Weg.“ Doch Ben-Gvir machte seine wahren Absichten deutlich und erklärte: „Die Regierung Israels, der Staat Israel, die IDF, die Sicherheitskräfte – sie sind diejenigen, die unsere Feinde vernichten müssen.“
Der jüdische Abgeordnete Zvika Fogel befürwortete aus voller Kehle das Niederbrennen palästinensischer Dörfer als Rache für Angriffe auf jüdische Israelis. Er sagte am Montag: „Ein geschlossenes, niedergebranntes Huwara – das ist es, was ich sehen will. Das ist der einzige Weg, um Abschreckung zu erreichen. Nach einem Mord wie dem gestrigen müssen die Dörfer brennen, wenn die IDF nicht handelt.“ Er sagte auch: „Wir müssen aufhören, vor kollektiver Bestrafung zurückzuschrecken“, die nach dem humanitären Völkerrecht ein Verbrechen darstellt. Mitglieder von Netanjahus Likud-Partei unterstützten die Siedler.
Die Vereinten Nationen, die Vereinigten Staaten und die europäischen Großmächte haben zwar die Gewalt verurteilt und zu einer „Deeskalation der Spannungen“ aufgerufen. Aber sie unterstützen Israels brutale Unterdrückung der Palästinenser seit Jahrzehnten. Sie alle haben Netanjahus faschistischer Regierung grünes Licht gegeben, die Palästinenser mit immer größerer Gewalt zu terrorisieren. Sie erlauben ihr, ihre Agenda der Annexion der palästinensischen Gebiete und der Einführung der Apartheidherrschaft durchzusetzen. So ist es im „Nationalstaatsgesetz“ verankert, das die jüdische Vorherrschaft als rechtliche Grundlage des Staates festschreibt.
Nur wenige Stunden vor der Razzia in Huwara, die von der Regierung Netanjahu orchestriert und vom israelischen Militär de facto unterstützt wurde, fand ein Treffen von Vertretern Israels, der Palästinensischen Autonomiebehörde, Jordaniens, Ägyptens und der USA in der jordanischen Hafenstadt Akaba statt. Bei den Gesprächen wurde „die Notwendigkeit bekräftigt, sich für eine Deeskalation vor Ort einzusetzen und weitere Gewalt zu verhindern“, um die Spannungen im Westjordanland abzubauen und ein Übergreifen des Konflikts auf die Nachbarländer zu verhindern. Das jordanische Außenministerium veröffentlichte eine abschließende Erklärung, in der es heißt, Israel habe zugestimmt, die Ausweitung der Siedlungen und die Legalisierung von Siedlungsaußenposten, die selbst nach israelischem Recht illegal sind, zu stoppen. Aber Netanjahu hat eine solche Vereinbarung umgehend zurückgewiesen.