Am Donnerstag wurde der gewählte Präsident von Peru, Pedro Castillo, nach einer Reihe von außergewöhnlichen Ereignissen während des Vortags verhaftet und eingesperrt. Nachdem die Judikative und die Legislative angedroht hatten, ihn abzusetzen, hatte er verzweifelt versucht, ihnen zuvorzukommen und die Schließung des Kongresses angeordnet sowie einen autoritären Ausnahmezustand ausgerufen.
Castillos Versuch, an der Macht zu bleiben, scheiterte, nachdem die Führungen sowohl der Streitkräfte als auch der Polizei sein Vorgehen in einer Stellungnahme als verfassungswidrig bezeichnet und gewarnt hatten, dass sie es nicht unterstützen würden.
Der Kongress widersetzte sich dem Befehl, sich aufzulösen, und stimmte stattdessen mit überwältigender Mehrheit für ein Amtsenthebungsverfahren. Mehrere seiner Minister traten sofort zurück und verurteilten sein Vorgehen als „Putschversuch“. Nur wenige Stunden später ernannte der Kongress die Vizepräsidentin Dina Boluarte zu Castillos Nachfolgerin.
Der schmachvolle Sturz des ehemaligen Landschullehrers und Gewerkschaftsführers Castillo hat nicht nur den Bankrott seiner eigenen Herrschaft gründlich entlarvt, sondern auch den der Politik breiter Schichten von Pseudolinken, die seinen Wahlsieg als Sieg des „Sozialismus“ gefeiert hatten. Angesichts des unnachgiebigen Widerstands des Militärs und der Rechten erwies er sich als unfähig und unwillig, auch nur den Versuch zu unternehmen, die Bevölkerung zu seiner Verteidigung zu mobilisieren.
Abgesehen von seinem persönlichen Schicksal bedeuten die Ereignisse in Peru auch einen deutlichen Kurswechsel der herrschenden Klassen in ganz Lateinamerika hin zur Diktatur, um den Arbeitern und ländlichen Massen die gesamte Last der ausufernden Wirtschaftskrise aufzubürden.
Die anhaltende Krise der bürgerlichen Herrschaft in Peru, in deren Verlauf das Land in etwas mehr als vier Jahren sechsmal den Präsidenten gewechselt hat und alle überlebenden Staatsoberhäupter wegen Korruption verhaftet und inhaftiert wurden, hat ein neues Stadium an Intensität erreicht.
Boluarte war vor ihrem Eintritt in Castillos Regierung im Jahr 2021 politisch unbekannt, gehörte keiner Partei an und hat keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Sie hatte zwar zuvor erklärt, sie würde im Fall von Castillos Amtsenthebung zurücktreten, änderte ihre Meinung jedoch schnell, nachdem es dazu gekommen war. Die eiligen Glückwünsche des US-Außenministeriums und der Europäischen Union sowie die Bemühungen der Mainstream-Medien, sie als die erste Präsidentin des Landes zu promoten, klingen angesichts der Manöver der Rechten, sie ebenfalls zu stürzen und Neuwahlen zu erzwingen, bereits hohl.
Boluarte ist sich ihrer prekären Lage offenbar bewusst und rief in ihrer Antrittsrede zu einem „politischen Waffenstillstand“ auf, um „eine Regierung der nationalen Einheit einzusetzen“, und zu „einem breiten Dialog zwischen allen politischen Kräften, ob sie im Kongress vertreten sind oder nicht“. Mit anderen Worten, sie bietet ihre Dienste als Galionsfigur einer von der Rechten dominierten Regierung an.
Doch die rechtsextreme Opposition im Kongress wird dieses Angebot wohl kaum annehmen. Sie hat bereits mit der gleichen Brutalität wie bei Castillo versucht, sie abzusetzen und den Vorsitzenden des Kongresses, José Williams, als ihren Nachfolger einzusetzen. Williams, der die nächste Position in der Rangfolge bekleidet, ist ein faschistoider ehemaliger Militär und hetzt ständig gegen die „marxistische Ideologie“. Ihm werden Verbindungen zu Drogenkartellen und Versuche vorgeworfen, das Massaker von Accomarca an 69 Bauern zu vertuschen.
Am Donnerstag im Morgengrauen durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Büros des Präsidenten und der Minister, um Beweise gegen Castillo und möglicherweise auch gegen Boluarte zu finden.
Castillo hat seit seiner Amtsübernahme im Juli 2021 fünf verschiedene Kabinette und 80 Minister ernannt, zwei Amtsenthebungsverfahren des Einkammer-Kongresses überstanden und seine Partei Perú Libre verlassen. Er ist ständig weiter nach rechts gerückt, u.a. durch seine Ernennungen, was die extreme Rechte mit ihren Vorwürfen über Korruption und Vetternwirtschaft nur noch weiter ermutigt hat.
Es ist eine Tatsache, dass das gesamte politische Establishment, einschließlich der Polizei und des Militärs, völlig diskreditiert ist. Die Anschuldigungen gegen Castillo verblassen im Vergleich zu dem immensen Netzwerk aus Korruption, das alle staatlichen Institutionen umgibt.
Laut einer Datum-Umfrage, die nur wenige Stunden vor der Debatte um ein Amtsenthebungsverfahren veröffentlicht wurde, hat Castillo zwar einen Zustimmungswert von lächerlichen 24 Prozent, liegt aber dennoch vor demjenigen des Kongresses mit elf Prozent.
Castillos Versuch, seiner Amtsenthebung zuvorzukommen, scheiterte in dem Moment, in dem die Polizei- und Militärführung sowie ihre Hintermänner in Washington sich weigerten, ihn durchzusetzen. Die US-amerikanische Botschafterin Lisa Kenna verurteilte Castillos Ankündigung vom Mittwoch umgehend und forderte ihn auf, „seinen Versuch, den Kongress aufzulösen, zurückzunehmen“. Sie fügte nervös hinzu: „Wir rufen die peruanische Öffentlichkeit auf, in diesen unsicheren Zeiten Ruhe zu bewahren“.
Castillo reagierte darauf, indem er flüchtete. Nachdem ihm der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Asyl angeboten hatte, fuhren Castillo und seine ganze Familie in einer Limousine zur mexikanischen Botschaft in Lima, bevor der nationale Sicherheitschef Castillos Eskorte anwies, ihn stattdessen zum Polizeipräsidium in Lima zu bringen. Dort wurde er wegen „Rebellion“ und „Verstoßes gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ verhaftet und mit einer Anordnung zur Präventivhaft ins Gefängnis gebracht.
Daraufhin konnte der Kongress die Debatte über ein Amtsenthebungsverfahren fortsetzen und mit einer Mehrheit von 101 der 130 Mitglieder schnell für seine Amtsenthebung wegen „dauerhaften moralischen Unvermögens“ stimmen.
Vor Castillos Versuch, den Kongress aufzulösen, deuteten jedoch alle Berichte darauf hin, dass die rechtsextremen Parteien immer noch weit von den 87 Stimmen entfernt waren, die zu seiner Amtsenthebung notwendig sind. Beim letzten Versuch im März hatten sie nur 55 Stimmen erhalten.
Gleichzeitig haben sich Parteien der offiziellen politischen Mitte wie die Alianza para el Progreso, die Acción Popular und Morado schrittweise dem Amtsenthebungsverfahren angeschlossen, obwohl die extreme Rechte erstaunlich reaktionäre Vorwürfe gegen Castillo erhoben hatte. So hat sie ihn des „Vaterlandsverrats“ bezichtigt, weil er auch nur in Erwägung gezogen hat, dem Binnenstaat Bolivien zu helfen, einen Zugang zum Meer zu erlangen.
Die Polizei und das Militär sind jedoch keineswegs Verteidiger der Demokratie, wie es die Medien jetzt behaupten, sondern bilden denselben repressiven Staatsapparat mit einer langen Geschichte der brutalen Unterdrückungen von friedlichen Protesten und der Massaker an Arbeitern und Bauern. Erst vor zwei Jahren wurden Inti Sotelo und Brian Pintado bei einer Demonstration gegen Manuel Merino getötet, dessen Präsidentschaft nur sechs Tage dauerte.
Die Biden-Regierung hat diese Kräfte weiterhin ausgebildet und bewaffnet, um umfangreichere Unterdrückungsmaßnahmen vorzubereiten. Im August bewilligten Castillos Regierung und der Kongress die Einreise von US-Truppen, die gemeinsam mit dem peruanischen Militär und der Polizei Spezialeinsätze, geheimdienstliche Unterstützung und Operationen in psychologischer Kriegsführung üben sollten.
Castillos Appelle gegen die extreme Rechte richteten sich nicht an die Arbeiterklasse, sondern an den US-Imperialismus. Letzten Monat schickte er einen Brief an die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die an mehreren von der CIA unterstützten Putschen beteiligt war. Darin bettelte er diese von den USA dominierte Organisation an, ihn gegen „eine neue Form von Staatsstreich“ zu verteidigen.
Zu Beginn seiner Amtszeit strebte Castillo, genau wie die pseudolinken Präsidenten Petro (Kolumbien) und Boric (Chile) eine Übereinkunft mit Washington an, indem er die Regierung von Nicolas Maduro in Venezuela als undemokratisch verurteilte. Diesen Oktober veröffentlichte seine Regierung nach einem Treffen mit US-Außenminister Antony Blinken in Lima eine gemeinsame Erklärung, in der sie die russische Militäroperation in der Ukraine verurteilte.
Am 1. Dezember warnten die Abgesandten der OAS von Washington aus, das Vorgehen der beiden herrschenden Fraktionen, einschließlich der Korruptionsverfahren gegen Castillo und seiner Drohungen mit der Auflösung des Kongresses würden „den demokratischen Institutionalismus Perus“ gefährden und empfahlen einen „politischen Waffenstillstand“. Dies wurde allgemein als Weigerung betrachtet, Castillo zu unterstützen, und als grünes Licht für die Rechte, seinen Sturz voranzutreiben.
Castillo verband ein rechtes Programm mit massenhaften Abschiebungen von Migranten, die er ständig als Verbrecher darstellte, und die nahezu vollständige Aufhebung aller Eindämmungsmaßnahmen gegen Covid-19 – obwohl Peru die höchste Pro-Kopf-Todesrate der Welt aufweist – mit demagogischen Parolen wie „Keine Armen mehr in einem reichen Land“. Doch eine Umverteilung von Einkommen fand unter ihm nur nach oben statt, in Form von Geldspritzen und anderen Anreizen für Unternehmen, die angeblich die Arbeitslosigkeit verringern sollten.
Dieses Jahr erklärte er stolz, seine Politik habe die Armut stark verringert. Allerdings hat selbst die unsichere Wiederöffnung der Wirtschaft die Zahl der Menschen in Armut nur geringfügig von 9,93 Millionen auf 8,61 Millionen verringert. Vor der Pandemie lag sie bei 6,6 Millionen.
Die gesamte Region wurde von den anhaltenden Problemen der globalen Lieferketten in Folge der Pandemie, den Zinserhöhungen der großen Zentralbanken und dem Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine schwer in Mitleidenschaft gezogen. Perus öffentliche Verschuldung, die hauptsächlich in Euro und Dollar gehalten wird, ist binnen kurzer Zeit von weniger als 20 Prozent des BIP im Jahr 2013 auf über 36 Prozent angestiegen. Zudem ist die Landwirtschaft des Landes in hohem Maße von Getreide- und Düngemittelimporten abhängig, die größtenteils in Russland und der Ukraine produziert werden.
Während der diesjährigen Ernte schaffte es die Castillo-Regierung in drei Anläufen nicht, auf dem Weltmarkt ausreichend Düngemittel zu kaufen, was die Befürworter des Amtsenthebungsverfahrens ausnutzen konnten.
Dieser Druck trug zur kontinuierlichen Abwertung des peruanischen Sol gegen den US-Dollar bei, der seit dem Ende des Rohstoffbooms 2014 anhält. Der Verkauf von Kupfer an China, dessen Nachfrage weiterhin gering bleibt und dessen Preise nicht mit der Inflation mithalten konnten, ist bisher das Hauptexportgut Perus, gefolgt von Gold und Gas.
Während sich die Wirtschaft Perus und ganz Lateinamerikas dramatisch abschwächt, signalisiert die politische Krise in Lima vor allem, dass die herrschenden Eliten nicht in der Lage sein werden, den Klassenkampf weiterhin zu unterdrücken, indem sie leere Illusionen in eine völlig verblasste „rosa Flut“ verbreiten.