Sanders und DSA ermöglichen Anti-Streik-Gesetz gegen Eisenbahner in den USA

Am 1. Dezember beschloss der US-Senat mit 80 zu 15 Stimmen, dass ein bundesweiter Tarifvertrag für den Güterzugverkehr in Kraft treten muss, obwohl er von Zehntausenden Eisenbahnern abgelehnt worden ist. Am Tag zuvor hatte die Vorlage bereits das Repräsentantenhaus passiert.

Das Gesetz ist ein schwerwiegender Angriff auf die demokratischen Rechte aller Arbeiter in den Vereinigten Staaten. Es enthält nicht einmal mehr die sieben bezahlten Krankentage, die im Repräsentantenhaus knapp durchgegangen waren.

Die Wall Street atmete auf, aber für die Eisenbahner ist kein Problem gelöst. Die Arbeiter haben dem Ergebnis nie zugestimmt, und aus ihrer Sicht hat der Kongress kein Recht und keine Legitimation, sich in diktatorischer Manier über den Willen der Bahnbeschäftigten hinwegzusetzen.

Direkter und offener als je zuvor stehen die Arbeiter dem kapitalistischen Staat gegenüber. Das einzig „Positive“ an dieser Sache ist, dass die Abstimmung alle Fraktionen des politischen Establishments restlos bloßgestellt hat, einschließlich des „arbeitnehmerfreundlichsten Präsidenten der amerikanischen Geschichte“, Joe Biden.

Eine entscheidende Rolle spielten jedoch auch die pseudolinken Abgeordneten der Demokratischen Partei, darunter Senator Bernie Sanders und die vier Kongressabgeordneten, die Mitglieder der Democratic Socialists of America (DSA) sind bzw. diesen nahestehen.

Ohne ihre Unterstützung hätte das arbeiterfeindliche und diktatorische Gesetzesvorhaben nicht in dieser Form und in diesem Tempo verabschiedet werden können.

Am Dienstag, den 30. November brachten die Demokraten im Repräsentantenhaus eine separate Entschließung ein, die ursprünglich von Senator Sanders ausgearbeitet worden war. Sie sah vor, den Zwangstarifvertrag um eine Bestimmung zu ergänzen, wonach der Lohn für sieben Krankentage weitergezahlt werden sollte. Diese Entschließung war ein reines Täuschungsmanöver, das den Angriff auf die Arbeiter flankierte. Sie hatte von vornherein keine Aussicht auf Erfolg. Denn um eine Endlosdebatte und damit ein Scheitern (Filibuster) im Senat zu verhindern, hätten mindestens 60 Senatoren Sanders’ Vorschlag zustimmen müssen, was ausgeschlossen war. Ganz abgesehen davon, dass selbst die Annahme in beiden Kammern des Kongresses den Eisenbahnarbeitern nur eine geringfügige Entlastung gebracht hätte.

Vor der Abstimmung über die Entschließung zu den bezahlten Krankentagen verabschiedete das Repräsentantenhaus das Gesetz über den Zwangstarifvertrag. Es erhielt die Zustimmung der großen Mehrheit der Demokraten, darunter drei der vier DSA-Mitglieder einschließlich Alexandria Ocasio-Cortez. Letztere rechtfertigte sich mit der unsinnigen Behauptung, dass sie den Demokraten im Senat ermöglichen wollte, für die Lohnfortzahlung zu kämpfen.

Senator Bernie Sanders (links) und die New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez waren maßgeblich daran beteiligt, einen Tarifvertrag ohne bezahlte Krankentage durchzusetzen [AP Photo/Seth Wenig]

Der Senat lehnte zunächst einen Vorschlag der Republikaner ab, die Einigungsfrist bis in den Februar hinein zu verlängern, und stimmte dann erwartungsgemäß mehrheitlich gegen die Lohnfortzahlung, wobei der Demokrat Joe Manchin die ihm zugedachte Rolle erfüllte, mit den Republikanern zu stimmen.

Der Vorschlag von Sanders wurde im Senat in Form eines Änderungsantrags zum bestehenden Gesetzentwurf eingebracht, während er im Repräsentantenhaus in Form einer separaten Entschließung vorgelegt worden war, über die getrennt von der Zwangsverhängung des Tarifvertrags abgestimmt wurde.

So kam es, dass am Ende beide Kammern des Kongresses im Hinblick auf den Zwangstarifvertrag identischen Fassungen des Gesetzes zugestimmt hatten. Es konnte somit unverzüglich an Präsident Biden zur Unterzeichnung weitergeleitet werden und gelangte nicht zur weiteren Beratung an einen Vermittlungsausschuss. Eine solche Verzögerung wäre für die herrschende Klasse völlig inakzeptabel gewesen. Ihr ging es um das sofortige Inkrafttreten noch vor Ablauf der Friedenspflicht und damit vor einem möglichen Streikbeginn am 9. Dezember.

Das wichtigste Element bei der Abstimmung im Senat war das sogenannte Eilverfahren, auf das sich beide Parteien und das Weiße Haus geeinigt hatten. Seine Anwendung setzte die Zustimmung aller 100 Abgeordneten des Senats voraus. Hätten Bernie Sanders, die „progressive“ Elizabeth Warren oder ein anderes Senatsmitglied Einwände erhoben, wäre die Abstimmung verschoben worden.

Mit anderen Worten: Die Unterstützung von Sanders war entscheidend, und dies unter Bedingungen, bei denen das Ergebnis der Abstimmung abzusehen war. Damit nicht genug, er war auch einer der Hauptdrahtzieher des parlamentarischen Manövers, mit dem das Gesetz durchgedrückt wurde.

Sanders und die Demokraten haben den Widerstand der Republikaner gegen die bezahlten Krankentage zynisch ausgenutzt, um sich als Freunde der Arbeiter auszugeben, nachdem sie zuvor den Zwangstarif durchgewunken hatten - und das mit noch größerer Mehrheit als die Republikaner (die z.T. aus parteipolitischen Gründen dagegen stimmten).

Selbst die New York Times, das Hausorgan der Demokratischen Partei, kam nicht umhin, das Offensichtliche zuzugeben: „In einem Statement, das den Abgrund zwischen Reden und Handeln der Demokratischen Partei perfekt zum Ausdruck bringt“, kommentierte Binyamin Appelbaum von der Times-Redaktion, „prangerte die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die Eisenbahnunternehmen als gierige Profiteure an, die ‚sich an die Wall Street verkauft haben, um ihre Unternehmensergebnisse zu steigern, und dabei obszöne Profite einstreichen, während sie den Eisenbahnern immer größere Opfer abverlangen‘. Und im nächsten Satz tat sie kund, dass die Demokraten im Repräsentantenhaus auf der Seite der Profiteure stehen würden.“

Geleugnet wird das Offensichtlichte hingegen von der Zeitschrift Jacobin, die als Sprachrohr der DSA fungiert. Nach der Abstimmung im Repräsentantenhaus und wenige Stunden vor der Abstimmung im Senat brauchte sie einen triumphierenden Kommentar von Branko Marcetic mit der Überschrift: „Demokraten zauderten bei den Rechten der Eisenbahner. Doch die Linke hat sie schlicht gezwungen“.

Marcetic widmete seine Kolumne der absurden Darstellung, dass Sanders, Ocasio-Cortez und Konsorten durch eine brillante und standhafte Politik das gesamte politische Establishment nach links verschoben hätten. Nachdem dieses Märchen keine 24 Stunden später durch die Abstimmung im Senat widerlegt worden war, verschob Jacobin den Artikel diskret von prominenter Stelle an den unteren Rand der Titelseite.

Dieser Verlauf veranschaulicht die politische Funktion und Haltung der Pseudolinken. Sie haben nichts zu tun mit Sozialismus. Sie sind ein wichtiger Faktor für die politische Kontrolle der Kapitalisten über die Arbeiterklasse. Mit ihrer hohlen populistischen Demagogie neutralisieren sie die Opposition von unten, verschaffen der nach rechts driftenden Demokratischen Partei einen „linken“ Deckmantel und halten die Arbeiter in den Grenzen der kapitalistischen Politik gefangen. Um es ganz direkt zu sagen: Es ist ihnen völlig egal, wie viele Eisenbahner durch den brutalen Anwesenheitszwang vorzeitig ins Grab gebracht werden.

Die Politik der Pseudolinken spiegelt die Ansichten und Interessen eines privilegierten Teils der Mittelschicht wider, zu dem auch wesentliche Teile des Gewerkschaftsapparats gehören.

DSA, Labor Notes und andere pseudolinke Gruppen verteidigen bedingungslos den Gewerkschaftsapparat und haben damit im Tarifkampf der Eisenbahner wie in allen anderen Kämpfen maßgeblich dazu beigetragen, die Arbeiter in die Irre zu leiten und daran zu hindern, sich den Konzernen entgegenzustellen. Auf das Aktionskomitee, das Eisenbahner gegründet haben, um Widerstand zu mobilisieren, reagieren die Pseudolinken mit unverhohlener Feindseligkeit.

Im Gegensatz zum wahren Sozialismus, der internationalistisch ist, befürworten die Pseudolinken Nationalismus, Krieg und Kapitalismus. Innerhalb der Schichten, die sie vertreten, tobt ein wüstes Gerangel um privilegierte Stellungen. Ein wesentliches Merkmal dieser Art von Politik besteht darin, Rassen- und Geschlechterfragen als Ablenkung von der grundlegenderen Klassenfrage und als Druckmittel im Gezerre um lukrative Posten zu verwenden.

Daraus erklärt sich die Feindseligkeit der Pseudolinken gegenüber der Arbeiterklasse, die soziale Gleichheit anstrebt und für die Abschaffung im Gegensatz zur Umverteilung von Privilegien kämpft. Nachdem sie „A“ gesagt haben, werden sie auch „B“ sagen: Wenn sich die Eisenbahner nicht an das Antistreikgesetz halten, wird die herrschende Klasse zu Repression, Verhaftungen und Gewalt greifen. Die Pseudolinke wird auch das unterstützen.

Das gesamte politische System, sowohl der rechte Flügel als auch die nominelle „Linke“, entpuppt sich als Instrument der Klassenherrschaft. Das schäbige Manöver um die Krankentage kann gegenüber der Arbeiterklasse nicht verschleiern, was tatsächlich gespielt wurde. Die Arbeiter werden anfangen, weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen. Washington hat ihnen in der Praxis vorgeführt, dass sie innerhalb des bestehenden Rahmens nicht einmal für minimale Forderungen kämpfen können.

Die herrschenden Kreise haben damit wider Willen ein schlagkräftiges Argument für eine soziale Revolution in den Vereinigten Staaten geliefert. Dafür brauchen die Arbeiter echten Sozialismus und keinen Pseudo-Sozialismus, wie ihn die Pseudolinken feilbieten. Notwendig ist ein Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und für eine Arbeiterregierung, die die Gesellschaft im Interesse der menschlichen Bedürfnisse und nicht des privaten Profits organisiert.

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