In den USA trifft die zunehmend militante Haltung der Airline-Beschäftigten über die unzumutbaren Arbeitsbedingungen und niedrige Bezahlung mit der Rebellion der Eisenbahner zusammen, die auf eine historische Konfrontation mit der Biden-Regierung und dem Kongress zusteuern. Die Regierung plant ein Gesetz, um einen Tarifvertrag durchzusetzen, den die Eisenbahner zuvor abgelehnt haben.
Die Beschäftigten der Fluggesellschaften befinden sich nahezu in der gleichen Situation. Die Flugbesatzungen sind angesichts von Personalknappheit überarbeitet, die Piloten leiden unter potenziell katastrophaler Übermüdung. Während die Fluggesellschaften Rekordprofite einfahren und massiv von der Regierung subventioniert werden, stagnieren die Löhne der Beschäftigten seit langem und werden jetzt von der Inflation aufgefressen.
Genau wie Eisenbahner sind auch die Beschäftigten der Airlines mit dem rücksichtslosen Management der Firmen konfrontiert. Der Gewerkschaftsapparat, der in diese Geschäftsleitungen eingebettet ist, beruft sich auf ein Gesetz von 1926, den Railway Labor Act (RLA), um Streiks abzublocken und den Widerstand der Arbeiter durch endlose und fruchtlose Verhandlungen zu zermürben.
Letzten Monat haben Beschäftigte der Airlines Tarifverträge abgelehnt, mit überwältigender Mehrheit für Streiks gestimmt und so ihre Entschlossenheit zum Kampf gezeigt. Piloten und Kabinenpersonal bei Delta, American Airlines und United haben Tarifverträge abgelehnt, die ihre grundlegenden Bedürfnisse ignorierten.
Am 16. November organisierten die Flugbegleiter der American Airlines an elf großen Flughäfen Streikposten und Kundgebungen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, nachdem diese von der Geschäftsleitung abgelehnt worden waren. Die Association of Flight Attendants (AFA) ist für 25.000 Flugbegleiter bei American Airlines zuständig und begann bereits vor dem Beginn der Pandemie über ein neues Tarifabkommen zu verhandeln.
Die Präsidentin der AFA, Julie Hedricks, sagte Anfang des Monats gegenüber dem Guardian: „Auch unser Personalbestand wurde reduziert. Wir fliegen wieder die gleiche Anzahl von Flügen und Flugstunden wie 2019, vor Covid, allerdings mit tausenden Flugbegleitern weniger.“
Am 31. Oktober stimmten 15.000 Piloten von Delta Airlines für einen Streik. In der gleichen Woche lehnten die Piloten von United Airlines eine vorläufige Vereinbarung mit 94 Prozent ab. Mehr als drei Jahre Verhandlungen haben bisher zu keiner Einigung geführt.
Allerdings sind die Piloten durch den RLA mit einem labyrinthartigen Prozess konfrontiert, der einem legalen Streik nahezu unüberwindbare Hindernisse in den Weg legt. Zunächst muss die Nationale Schlichtungsstelle entscheiden, dass weitere Schlichtungsbemühungen nicht zielführend sind, und die Fluggesellschaft und die Gewerkschaft zur Schlichtung verpflichten. Lehnt eine der beiden Seiten die Schlichtung ab, gilt eine 30-tägige „Bedenkzeit“, bevor ein Streik rechtmäßig beginnen kann.
Genau wie bei den Eisenbahnern weigern sich die Gewerkschaftsbürokraten nicht nur, gegen den undemokratischen RLA zu kämpfen, sondern begrüßen ihn sogar, da er es ermöglicht, eine Bewegung ihrer eigenen Mitglieder zu unterdrücken, die außer Kontrolle geraten könnte. Das gilt auch für die Leiterin der Association of Flight Attendants-Communications Workers of America (AFA-CWA) Sara Nelson, die Mitglied der pseudolinken Democratic Socialists of America (DSA) ist. Bezeichnenderweise haben andere DSA-Mitglieder im Kongress, darunter Alexandria Ocasio-Cortez, ebenfalls für das Streikverbotsgesetz gegen die Eisenbahner gestimmt.
Beispielhaft für die Heuchelei der Biden-Regierung waren die Äußerungen von Verkehrsminister Pete Buttigieg von letzter Woche. Er bezeichnete einen möglichen Streik der Eisenbahner als „nicht akzeptabel“ und fügte hinzu: „Wenn wir kein gesundes, funktionierendes, starkes Eisenbahnsystem haben ... wäre das nicht gut. ... Wir haben nicht genug Lastwagen, Frachtkähne oder Schiffe in diesem Land, um das Eisenbahnnetzwerk auszugleichen.“
Der Verkehrsminister unterstützt das Streikverbotsgesetz, durch das den Eisenbahnern ein unternehmensfreundlicher Tarifvertrag aufgezwungen werden soll, geht aber gegen die Fluggesellschaften, die das Flugverkehrssystem ins Chaos gestürzt haben, mit Samthandschuhen vor. Ähnlich wie die Eisenbahnbetreiber haben die Fluggesellschaften in den letzten zwei Jahren tausende Arbeitsplätze abgebaut und massive Preistreiberei betrieben, während unzählige Passagiere unter ausgefallenen Flügen und Verzögerungen zu leiden hatten.
Da sich Buttigieg der Wut der Bevölkerung über die Vorstände der Fluggesellschaften bewusst ist, verhängte er am 13. November eine läppische Geldstrafe von je 7,25 Millionen Dollar für sechs Fluggesellschaften, die den Passagieren von verzögerten oder ausgefallenen Flügen zusammen mehr als 600 Millionen Dollar schulden. Unter diesen sechs Fluggesellschaften befand sich keine einzige große, fünf von ihnen waren ausländische Unternehmen.
Laut offiziellen Daten der Regierung gehen 40 Prozent der Flugstornierungen und Verzögerungen auf die Fluggesellschaften selbst zurück. In den ersten acht Monaten des Jahres 2022 meldeten die amerikanischen Fluggesellschaften dem Verkehrsministerium 951.181 Verzögerungen bei Flügen.
Jetzt schlagen die amerikanischen Fluggesellschaften und die staatlichen Regulierungsbehörden den beispiellosen Schritt vor, die Cockpitbesatzungen auf einen Piloten pro Flugzeug zu verringern, um die fehlenden Kräfte auszugleichen, statt mehr Piloten einzustellen und auszubilden und besser zu bezahlen. Dieser irrsinnige Vorschlag – gegen den alle, denen die Sicherheit der Fluggesellschaften am Herzen liegt, protestieren – geht Hand in Hand mit dem Vorstoß für Ein-Mann-Besatzungen bei den Eisenbahnen.
Gleichzeitig verzeichnen die Fluggesellschaften Rekordprofite. American Airlines machte im dritten Quartal des Jahres 483 Millionen Dollar Profit bei Rekordeinnahmen von 13,46 Milliarden Dollar in den ersten drei Quartalen des Jahres, obwohl die Zahl der Flüge im gleichen Zeitraum um zehn Prozent gesunken ist. Delta vermeldete 966 Millionen Dollar Profit im dritten Quartal, United 942 Millionen Dollar.
Diese Ergebnisse konnten die Fluggesellschaften nur erzielen, indem sie die Inflation nutzten, um die Flugpreise zu erhöhen. Diese stiegen im Vergleich zum Vorjahr laut dem letzten Verbraucherpreisindex um ganze 42,9 Prozent, die Gesamtinflation lag nur bei knapp über acht Prozent.
Vor dieser schamlosen Profitscheffelei hatten die Fluggesellschaften und Konzerne während der Pandemie riesige Rettungspakete erhalten. Seit März 2021 haben die amerikanischen Fluggesellschaften 54 Milliarden Dollar eingestrichen, angeblich um Massenentlassungen zu verhindern und den Betrieb aufrechterhalten zu können. Das war mehr als in jeder anderen Branche in den USA. Dennoch wurden während der Pandemie 80.000 Beschäftigte beurlaubt oder entlassen und die Belegschaften sind noch immer nicht auf dem Vor-Pandemie-Niveau.
Trotz der massiven staatlichen Geldspritzen für die Fluggesellschaften leidet der Flugverkehr unter Arbeitskräftemangel und Verzögerungen. Statt die Mittel zur Stärkung des Flugverkehrs zu benutzen, mehr Personal einzustellen und die Systeme zu modernisieren, floss ein Großteil dieser Steuergelder auf die Konten von Aktionären und Vorständen. Angesichts der noch schlimmeren Beeinträchtigungen im Vorfeld der Urlaubs- und Feiertagszeit sind Forderungen nach einer Untersuchung von möglichem Missbrauch von Covid-Hilfsgeldern laut geworden.
Allerdings kann man von den Demokraten und Republikanern keine ernsthaften Maßnahmen erwarten, um die milliardenschweren Rettungspakete zurückzuholen. Beide Parteien sind politisch den Fluggesellschaften hörig.
Die Airline-Beschäftigten müssen die Lehren aus dem Kampf der Eisenbahner gegen die Eisenbahngesellschaften ziehen. In den letzten drei Jahren waren die Eisenbahner in endlose Verhandlungen und Schlichtungsausschüsse verstrickt, die sie daran hindern sollten, für die Durchsetzung ihrer Interessen zu streiken.
Während dieses Prozesses hat der Gewerkschaftsapparat bewusst und vorsätzlich mit der Biden-Regierung und den Eisenbahnkonzernen zusammengearbeitet, um unternehmensfreundliche Abkommen durchzusetzen. Nachdem die Arbeiter die vom Apparat unterstützten Tarifverträge abgelehnt haben, ist der Kongress mit Unterstützung des Weißen Hauses und der Unternehmen eingeschritten, um die Tarifverträge per Gesetz durchzusetzen.
Um gemeinsam mit den Eisenbahnern und allen Teilen der Arbeiterklasse für ihre Interessen zu kämpfen, sollten die Airline-Beschäftigten Aktionskomitees bilden, die unabhängig von dem unternehmensfreundlichen Gewerkschaftsapparat agieren.
Gleichzeitig erfordert die Verteidigung der Rechte der Airline-Beschäftigten und der Passagiere ein Ende der Unterordnung des öffentlichen Verkehrswesens unter die Profitinteressen privater Fluggesellschaften. Ein vernünftiges Verkehrssystem, einschließlich sicherer Bedingungen sowohl für die Arbeitenden als auch die Öffentlichkeit erfordert die Umwandlung der Fluggesellschaften und anderer Verkehrsbetriebe wie der Eisenbahn und dem Lastwagenverkehr in demokratisch geführtes öffentliches Eigentum unter der Kontrolle der Arbeiterklasse.