Biden will Tarifeinigung über den Kongress durchsetzen – ein schwerer Angriff auf die demokratischen Rechte von Arbeitern

US-Präsident Biden forderte am Montagabend den Kongress zum Handeln auf, um einen landesweiten Bahnstreik zu verhindern. Ein Tarifvertrag, den Zehntausende Eisenbahner in der Urabstimmung abgelehnt haben, soll auf diese Weise durchgesetzt werden.

Ein Arbeiter auf einem Eisenbahnwaggon an einem BNSF-Bahnübergang in Saginaw, Texas, 14.09.2022 [AP Photo/LM Otero]

Nur wenige Stunden nach Bidens Intervention gab die scheidende Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi bekannt, dass das Parlament in dieser Woche einen entsprechenden Gesetzesentwurf beraten und an den Senat weiterleiten werde. Pelosi gab der „Hoffnung“ Ausdruck, „dass dieses notwendige, streikverhindernde Gesetz ein starkes parteiübergreifendes Votum erhalten wird ...“

Dies ist das erste Mal seit 1991, dass der amerikanische Kongress gegen einen nationalen Bahnstreik vorgeht. Damals beendeten der Kongress und der Republikanische Präsident George Bush eine Arbeitsniederlegung weniger als 24 Stunden nach deren Beginn. Diesmal handeln der von den Demokraten kontrollierte Kongress und die Regierung Biden präventiv, um einen möglichen Streik zu verhindern und das Diktat der Eisenbahnunternehmen durchzusetzen.

Diese provokante Aktion bedeutet eine erhebliche Eskalation des Konflikts zwischen Eisenbahnern auf der einen Seite und der Regierung, den Eisenbahngesellschaften und der wirtschaftsfreundlichen Gewerkschaftsbürokratie auf der anderen Seite.

Arbeiter müssen überall für die Eisenbahner Partei ergreifen. Das beabsichtigte Anti-Streik-Votum des Kongresses wäre ein Angriff auf die Rechte aller Arbeiter. Es würde das Grundrecht auf Streik in Frage stellen und die Bedeutung der Urabstimmung schmälern. Wenn der Kongress und das Weiße Haus den Eisenbahnern einen Tarifabschluss aufzwingen können, ist es nur eine Frage der Zeit, bis dies auch andere Teile der Arbeiterklasse trifft. Dies bedroht derzeit vor allem jene 50.000 Akademiker, die derzeit an der Universität von Kalifornien streiken, sowie Hunderttausende von Autoarbeitern und UPS-Beschäftigten, deren Tarifverträge nächstes Jahr auslaufen.

Die Verantwortung für diese Situation liegt nicht nur bei Biden, sondern auch beim Gewerkschaftsapparat. Monatelang haben die Führer der Gewerkschaften SMART-TD, der Brotherhood of Locomotive Engineers, der International Association of Machinists und anderer Bahngewerkschaften den Kampf der Eisenbahner bewusst sabotiert. Sie haben Abstimmungen und Streikfristen wochenlang verschleppt, um dem Kongress bis nach den Zwischenwahlen Zeit zu verschaffen, eine einstweilige Verfügung vorzubereiten.

Die Gewerkschaftsbürokraten haben die Drohung mit dem Eingreifen des Kongresses als Knüppel benutzt, um für die wirtschaftsfreundliche Tarifvereinbarung zu werben. Die Gewerkschaften sagten den Arbeitern, sie hätten folgende „Wahl“: Entweder sie stimmten dem Vertrag zu, oder der Kongress würde ihnen eine Einigung aufzwingen. Unterdessen luden die Gewerkschaften Pelosi, Arbeitsminister Marty Walsh und andere hochrangige Demokraten als Ehrengäste zu ihren nationalen Kongressen ein. Dies taten sie sogar noch nach der Ausarbeitung eines Anti-Streik-Gesetzes. Der Gewerkschaftsapparat spielt bei der Verschwörung, den Streik zu sabotieren und die Eisenbahner auszuverkaufen, eine zentrale Rolle.

Die Eisenbahner reagieren mit Wut auf die Ankündigung in den sozialen Medien. „Railroad Joe, der arbeitnehmerfreundlichste Präsident aller Zeiten, zwingt euch dazu, einen minderwertigen Vertrag zu akzeptieren, an den sich weder er noch ein anderes Regierungsmitglied halten muss“, schreibt ein Arbeiter. Ein anderer verweist auf die Scheinheiligkeit, dass dies angeblich zum Schutz der „Wirtschaft“ passiere: Die Regierung, so schreibt er, halte „das amerikanische Volk als Geisel wegen irgendeines dummen, irrelevanten Parteiblödsinns … wir werden besteuert, aber nicht vertreten.“

„Wozu eine Gewerkschaft, wenn man kein Streikrecht hat?“ fragt ein Arbeiter. „Es ist witzlos. Nicht ein einziges Mal fordert dieser Arsch die Eigentümer auf, Zugeständnisse zu machen. Hände weg von ihren Profiten!“

Ein Eingreifen des Kongresses gilt als letztes Mittel zur Verhinderung eines Streiks, der nach Ablauf der verlängerten Wartezeit bereits am 9. Dezember beginnen könnte. Dennoch ist der Zeitpunkt von Bidens Aufforderung von Bedeutung. Erst in der vergangenen Woche hatte sich Biden Berichten zufolge direkt in die Vertragsgespräche eingeschaltet. Das Weiße Haus hatte erklärt, dass es ein neues Abkommen ohne ein Eingreifen des Gesetzgebers bevorzuge.

Im September vermittelte die Regierung Biden in einem Verhandlungsmarathon zwischen den Gewerkschaften und den Bahngesellschaften, der bis einen Tag vor dem ursprünglichen Streiktermin andauerte. Dies führte zu einem Kompromissvorschlag, den die Arbeiter seitdem mehrheitlich abgelehnt haben.

Jetzt, knapp zwei Wochen vor Ablauf der neuen Frist, räumt Biden in seinem Schreiben ein, dass sowohl die Unternehmen als auch die Gewerkschaften „der Ansicht sind, es gebe keinen Weg, den Konflikt am Verhandlungstisch zu lösen, und dass sie empfohlen haben, Maßnahmen des Kongresses zu ergreifen“. Wenn dies zutrifft, dann nicht wegen der Unnachgiebigkeit der Gewerkschaftsfunktionäre, die die Forderungen der Arbeiter so gut wie aufgegeben haben und seit Monaten versuchen, einen Vertrag durchzusetzen, der einem Ausverkauf gleichkommt. Vielmehr liegt es daran, dass sie den Widerstand der Eisenbahner fürchten, die sich weigern, einer Vereinbarung zuzustimmen, die nicht ihren Forderungen entspricht.

Bidens Erklärung war weitaus provokanter als frühere Äußerungen, in denen er versucht hatte, eine falsche „Neutralität“ in Bezug auf den Ratifizierungsprozess vorzutäuschen. Jetzt sagt er: „Diese Vereinbarung wurde von den Verhandlungsführern der Arbeitnehmer- und der Unternehmensseite im September angenommen. Am Tag der Bekanntgabe des Beschlusses begrüßten Gewerkschaftsführer, Wirtschaftsführer und gewählte Vertreter dies als faire Lösung des Konflikts ...“ Mit anderen Worten: Die Arbeiter haben nur dann ein Stimmrecht, wenn sie so abstimmen, wie die Regierung, der Gewerkschaftsapparat und die Transportunternehmen es ihnen vorschreiben.

Biden lehnt alle möglichen Vorschläge zur Verbesserung des Abkommens zugunsten der Eisenbahner ab. „Jede noch so gut gemeinte Änderung würde das Risiko einer Verzögerung und eines lähmenden Stillstands mit sich bringen. Die Vereinbarung wurde von beiden Seiten in guter Absicht getroffen.“

Er versuchte, den autoritären Charakter eines Kongressvotums zumindest teilweise zu verschleiern, indem er darauf verwies, dass die Vereinbarung von einer Mehrheit der Eisenbahngewerkschaften ratifiziert worden sei. Er vergisst jedoch zu erwähnen, dass die Abstimmungsverfahren ein Hohn auf einen demokratischen Prozess waren. Am erheblichen Widerstand gegen das Abkommen besteht kein Zweifel, und dies trifft sogar auf die Mitgliedschaft derjenigen Gewerkschaften zu, die ihm offiziell zugestimmt haben.

Biden begründete den Schritt mit den großen wirtschaftlichen Auswirkungen eines Streiks, der „Millionen anderer Arbeitnehmer und Familien in Mitleidenschaft ziehen würde“. Das Problem könnte allerdings schon morgen gelöst werden, wenn die Eisenbahnindustrie, die profitabelste Branche Amerikas, auf die vernünftigen Forderungen der Arbeiter eingehen würde, wie z. B. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und familienfreundliche Arbeitszeiten.

Biden heuchelt Sympathie für die „arbeitenden Menschen“, während er durch die Zinspolitik der US-Notenbank Federal Reserve absichtlich versucht, eine Rezession herbeizuführen, um die Arbeitslosigkeit hochzutreiben und das Lohnwachstum einzudämmen. Er befürchtet hauptsächlich, dass Arbeiter einen Streik mit überwältigender Mehrheit unterstützen könnten, und dass sie dadurch ermutigt würden, selbst den Kampf aufzunehmen.

Biden hat für die Eisenbahner nur Verachtung übrig: „Ich teile die Sorge der Arbeitnehmer darüber, dass sie sich nicht von Erkrankungen erholen oder ein krankes Familienmitglied pflegen können. ... Aber in diesem kritischen Moment für unsere Wirtschaft, während der Feiertage, können wir eins nicht zulassen: Unsere feste Überzeugung, dass Arbeitnehmer mehr verdient haben, darf nicht zu einer Ablehnung der von ihnen erzielten Vereinbarung führen und diese Nation in einen verheerenden Stillstand des Schienengüterverkehrs stürzen.“ Mit anderen Worten: Der demokratische Wille der Arbeiter sollte kein Hindernis dafür sein, dass sie in den „Genuss“ der Bedingungen eines Ausverkaufsvertrags kommen, den sie abgelehnt haben.

Biden machte seine Ankündigung an einem Tag, an dem die amerikanischen Unternehmen extrem besorgt auf den Bahnkonflikt blickten, da sie befürchteten, dass die Lage schnell eskalieren könnte. Am selben Vormittag forderten mehr als 400 Wirtschaftsverbände in einem offenen Brief den Kongress zum Handeln auf, falls bis zum Ablauf der Frist keine Einigung erzielt werde. Das sind 100 Gruppen mehr als bei der Unterzeichnung eines ähnlichen Schreibens Ende Oktober.

Presseberichten zufolge haben die großen Chiphersteller bereits damit begonnen, den Transport von Mikrochips von der Bahn auf den LKW umzulegen, um streikbedingte Engpässe zu vermeiden. Letztere würden sich schnell auf viele Industriezweige auswirken, die Chips verwenden. So leidet beispielsweise die Autoindustrie schon seit Beginn der Pandemie an einem Mangel an Mikrochips.

Unterdessen brachten die bürgerlichen Medien am Wochenende und am Montag zahlreiche nervöse Vorhersagen über die „katastrophalen“ Auswirkungen eines Streiks. Sie versuchen, künstlich eine „öffentliche Meinung“ zu schaffen, die sich einhellig gegen einen Streik ausspricht. Die Association of American Railroads hat eine Umfrage in Auftrag gegeben, der zufolge eine große Mehrheit gegen Streiks ist. Die Meinungsforscher versorgten die Befragten jedoch auch mit einseitigen und falschen Informationen, z. B. dass die Eisenbahner angeblich 160.000 Dollar pro Jahr als „Gesamtvergütung“ verdienten.

Die Aufgabe, den Vertrag durchzusetzen, wird dem Kongress übertragen, der sich in seiner letzten regulären Sitzungsperiode befindet, ehe die scheidende demokratische Mehrheit im Januar das Repräsentantenhaus verlässt. Nach dem knappen Ergebnis in den Zwischenwahlen werden die Demokraten den Senat weiterhin kontrollieren, während die Republikaner im Repräsentantenhaus eine knappe Mehrheit haben. Damit stehen zwei Jahre der parlamentarischen Instabilität bevor.

Es gibt jedoch keinen Zweifel, dass beide Parteien Bidens Forderung nach einer einstweiligen Verfügung rasch unterstützen. Tatsächlich haben beide Parteien bereits im September einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. In der schwersten politischen Krise der amerikanischen Geschichte seit Ende des Bürgerkriegs sind sich die beiden Parteien des Großkapitals einig in ihrer Feindseligkeit gegenüber der Arbeiterklasse.

Am Montagabend gab die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi eine Erklärung ab, in der sie auf zynische Weise vorgab, sich um die Eisenbahner zu sorgen, während sie deren Recht, einen wirtschaftsfreundlichen Vertrag abzulehnen, mit Füßen trat. „Während wir über Maßnahmen des Kongresses nachdenken, müssen wir erkennen, dass die Bahnkonzerne sich an die Wall Street verkauft haben, um ihre Gewinne zu steigern, obszöne Profite zu machen und gleichzeitig immer mehr von den Eisenbahnern zu verlangen“, erklärte sie, bevor sie schloss: „Wir müssen handeln, um einen katastrophalen landesweiten Bahnstreik zu verhindern.“

Mit den Anti-Streik-Maßnahmen von Biden und dem US-Kongress ist ein Wendepunkt erreicht. Seit fast zwei Jahren versucht Biden, seine rechte Politik zu tarnen und einen offenen Konflikt mit der Arbeiterklasse zu vermeiden, indem er sich auf „Tarifverhandlungen“ stützt. Diese beruhen jedoch auf einem konzernfreundlichen Gewerkschaftsapparat, der mit dem Management und dem Staat eng verbunden ist. In den Häfen der Westküste, den Raffinerien und in anderen Schlüsselindustrien haben die Gewerkschaften mit Biden zusammengearbeitet, um Streiks zu verhindern, und Tarifverhandlungen ausverkauft.

Biden verrät mit seiner Behauptung, der „gewerkschaftsfreundlichste Präsident der amerikanischen Geschichte“ zu sein, mehr als ihm lieb ist. Er verweist auf seine enge Zusammenarbeit mit der Gewerkschaftsbürokratie, um den falschen Eindruck zu erwecken, irgendwie arbeiterfreundlich zu sein. Diese Quadratur des Kreises hängt jedoch völlig von der Kontrolle des Gewerkschaftsapparats über die Basis ab.

Die Strategie scheitert an der tiefen Entfremdung und der Wut, die die Arbeiter sowohl gegenüber der Bürokratie als auch gegenüber dem kapitalistischen Establishment verspüren. Deshalb ist die Politik mehr und mehr gezwungen, auf offenere Methoden der Unterdrückung zurückzugreifen. Bidens Aufforderung erfolgt nur eine Woche nach der Intervention des Arbeitsministers gegen eine Klage von Will Lehman, einem einfachen Autoarbeiter, der für das Amt des Präsidenten der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) kandidiert. Lehman klagte, dass die Gewerkschaft die Wahlbeteiligung absichtlich niedrig halte.

Der Ausgang im Kampf der Eisenbahner wird durch den Klassenkampf bestimmt. An der Spitze des Widerstands gegen die Verschwörung der Regierung, der Unternehmen und des Gewerkschaftsapparats steht das Railroad Workers Rank-and-File Committee, das Aktionskomitee der Eisenbahner. Ähnliche Aktionskomitees müssen für alle Berufsgruppen und Unternehmen aufgebaut werden. Gleichzeitig muss die gesamte Arbeiterklasse mobilisiert werden, um die Eisenbahner zu verteidigen. Gemeinsam müssen sie sich den Bemühungen der Regierung Biden und des Kongresses widersetzen, einen Vertrag durchzudrücken, den die Arbeiter abgelehnt haben.

Loading