Russland evakuiert vor ukrainischer Offensive Zehntausende aus Cherson

Die russischen Behörden der Hafenstadt Cherson, an der Mündung des Dnepr, haben am Dienstag angekündigt, im Vorfeld einer ukrainischen Offensive zur Rückeroberung der Stadt die Zivilbevölkerung zu evakuieren. Laut Vertretern der Stadt, die Russland in seiner Offensive Anfang des Jahres eingenommen hatte, sollen die Evakuierungen „Opfer unter der Zivilbevölkerung vermeiden“.

Teile der Stadt sind nur ca. 80 Kilometer von der strategisch wichtigen Halbinsel Krim entfernt, die 2014 von Russland annektiert wurde und deren Rückeroberung ein erklärtes Ziel der ukrainischen Kriegspläne ist. Die russischen Behörden erklärten, sie wollten bis zu 60.000 Menschen aus den Stadtteilen am Nordufer des Dnepr evakuieren. Sie warnten, die russischen Streitkräfte müssten sich möglicherweise auf die andere Seite des Flusses zurückziehen.

Ukrainische Stellung an der Front bei Charkiw, 5. Oktober 2022 [AP Photo/Andrii Marienko]

Im Verlauf des letzten Monats hat die Ukraine bedeutende Teile der Region Cherson zurückerobert und dabei von den USA gelieferte HIMARS-Systeme und Excalibur-Geschosse eingesetzt, um Angriffe hinter den russischen Linien durchzuführen. Im Vorfeld des Zusammenbruchs in der Südukraine hatten die russischen Streitkräfte bereits in der Region Charkiw eine Niederlage erlitten, in der die ukrainischen Streitkräfte in wenigen Tagen Dutzende von Kilometern vorgerückt waren.

Obwohl der russische Präsident Wladimir Putin Anfang des Monats eine Teilmobilmachung angekündigt hatte, erklärten sowohl russische als auch amerikanische Kommentatoren, die russische Front werde sich vermutlich weiterhin vor der ukrainischen, von der Nato unterstützten Offensive zurückziehen.

Das russische Militär hat zwar eine Reihe von Rückschlägen auf dem Schlachtfeld erlitten, aber andererseits Raketen- und Drohnenangriffe auf Umspannwerke und Wasserverteilungszentren in der ganzen Ukraine geführt.

Laut russischen Regierungsvertretern handelte es sich dabei um Vergeltungsschläge für den Bombenanschlag auf die Kertsch-Brücke, für den ukrainische Spezialkräfte gegenüber der Presse die Verantwortung übernommen haben.

Das Institute for the Study of War stellte in einer Analyse der russischen Angriffe auf die zivile Infrastruktur fest: „Der Kreml steckt weiterhin in dem Dilemma, die Kriegsfalken unter seinen Anhängern zu beschwichtigen und gleichzeitig an Präsident Putins Vision eines begrenzten Kriegs in der Ukraine festzuhalten, die jedoch unvereinbar ist mit den Forderungen und Erwartungen der Kriegstreiber.“

Die Angriffe hatten verheerende Auswirkungen auf die ukrainische Bevölkerung: In einigen Gebieten wurde die Strom- und Wasserversorgung vollständig abgestellt.

Trotz der katastrophalen Lage der ukrainischen Bevölkerung, die dem US-Imperialismus als Kanonenfutter dient, versuchen die USA, den Konflikt weiter zu verschärfen. Die New York Times meldete unter Berufung auf US-Regierungsvertreter, das ukrainische Militär habe „die Gelegenheit, in den nächsten sechs Wochen Geländegewinne zu Lasten der russischen Armee zu erzielen“, bevor im Spätherbst der Morast Operationen schwieriger macht und die Einstellung russischer Gaslieferungen eine Energiekrise auslösen wird.

Die anhaltenden ukrainischen Vorstöße haben die Gefahr einer nuklearen Eskalation erhöht. Kremlsprecher Dimitri Peskow erklärte am Dienstag, die vier von Russland besetzten ukrainischen Regionen stünden unter dem Schutz von Russlands „atomarem Schirm“.

Peskow erklärte: „All diese Territorien sind unveräußerliche Teile der Russischen Föderation, und sie sind allesamt geschützt. Ihre Sicherheit wird auf gleicher Ebene gewährleistet wie die des übrigen russischen Staatsgebiets.“

Da Nato und Russland gleichzeitig Militärübungen durchführen, mehren sich die Warnungen vor einer möglichen Fehleinschätzung, die zu einem direkten Zusammenstoß zwischen Atommächten führen könnte. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace erklärte am Donnerstag, ein russischer Jet habe letzten Monat im Schwarzen Meer eine Rakete in der Nähe eines britischen Überwachungsflugzeugs abgeschossen, was Wallace als Fehler bezeichnete. Nur einen Tag zuvor war er von Gesprächen in Washington zurückgekehrt.

Im Vorfeld der Reise erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gegenüber Sky News: „Mein Chef Ben Wallace befindet sich heute in Washington und führt die Art von Gesprächen, die... so unglaublich es ist, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der diese Art von Gesprächen notwendig ist.“

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte am Dienstag in einem live gestreamten Interview der Sendung „Conflict Zone“von der Deutschen Welle, der Einsatz von taktischen Atomwaffen durch Russland würde die Nato direkt in den Konflikt hineinziehen.

Eine aufschlussreiche Frage an Stoltenberg war: „Putins Verbündeter Dmitri Medwedew glaubt nach eigenen Angaben nicht, dass die Nato einen Atomkrieg riskieren und direkt in den Ukraine-Krieg eingreifen wird, selbst wenn Moskau die Ukraine mit Atomwaffen angreift. Hat er damit recht?“

Darauf antwortete Stoltenberg: „Damit hat er nicht recht, weil wir eindeutig erklärt haben, dies werde schwerwiegende Konsequenzen haben.“

Stoltenberg machte das aufschlussreiche Eingeständnis, dass der Krieg nicht im Jahr 2022 mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine begonnen hat, sondern bereits 2014: „Seit 2014 haben wir die Nato angepasst, und der Krieg hat nicht im Februar begonnen, sondern bereits vor acht Jahren, als sie in den Donbass und die Krim einmarschiert sind.“

Stoltenberg fügte hinzu: „Die Nato-Verbündeten, vor allem die USA, Großbritannien und Kanda haben die ukrainischen Streitkräfte nicht erst seit Februar ausgebildet und bewaffnet, sondern schon seit 2014. Und das hat dafür gesorgt, dass die ukrainischen Streitkräfte jetzt viel größer, viel besser ausgebildet, viel besser geführt und viel besser ausgerüstet sind als 2014. Und das macht jetzt einen riesigen Unterschied auf dem Schlachtfeld.“

Stoltenberg machte klar, in welchem Ausmaß die Nato in den letzten acht Jahren in Osteuropa aufgerüstet hat: „Zum ersten Mal in unserer Geschichte haben wir Kampfgruppen im östlichen Teil des Bündnisses... Was wir seit 2014 erlebt haben, ist die größte Stärkung der kollektiven Verteidigung der Nato seit dem Ende des Kalten Kriegs.“

Stoltenberg forderte die Nato auf, die Produktion von Rüstungsgütern „hochzufahren“ und erklärte, die Nato habe durch die Waffenlieferungen an die Ukraine ihre eigenen Bestände erschöpft.

Vor allem machte Stoltenberg deutlich, dass sich die Aufrüstung der Nato nicht nur gegen Russland richtet, sondern auch gegen China. Auf die Frage „Wird der Gegner der Nato im nächsten Konflikt China sein?“ antwortete er: „Wie wir deutlich erklärt haben – und zwar erstmals in unserem Strategischen Konzept –, ist der Aufstieg Chinas ein Problem für unsere Sicherheit und eine Herausforderung für unsere Werte, unsere Interessen und unsere Sicherheit.“

Doch während die USA und die Nato versuchen, den Konflikt mit Russland und China zu eskalieren, verschärft sich auch die soziale, wirtschaftliche und politische Krise, die der Krieg ausgelöst hat. Im Vereinigten Königreich erreichte die Inflation am Donnerstag den höchsten Stand seit 40 Jahren, und die Brotpreise stiegen in ganz Europa in den letzten Monaten um bis zu 30 Prozent. Am Dienstag berichtete der Guardian, die BBC habe geheime Skripte vorbereitet, die verlesen werden sollen, um Stromausfälle anzukündigen, die im Winter erwartet werden.

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