Donald Trump erklärte am Sonntagmorgen, die amerikanischen Juden sollten „sich zusammenreißen“ und ihm mehr Unterstützung angedeihen lassen, als er derzeit in den Umfragen bei jüdischen Wählern hat. Der Möchtegern-Diktator Trump behauptete, dass er während seiner vierjährigen Amtszeit im Weißen Haus zwar ein treuer Verbündeter Israels gewesen sei. Aber: „Unsere wunderbaren Evangelikalen wissen das viel mehr zu schätzen als die Menschen jüdischen Glaubens, vor allem diejenigen, die in den USA leben.“
Diese auf seiner Plattform Truth Social veröffentlichte Erklärung endete mit der kaum verhohlenen Warnung, dass Juden zum Trump-Lager konvertieren sollten, „bevor es zu spät ist!“ Prominente jüdische Vertreter sowohl in Israel als auch in den Vereinigten Staaten äußerten sich kritisch über „einen ehemaligen US-Präsidenten, der in einer Zeit, da der Antisemitismus weltweit zunimmt, drohende Worte gegenüber amerikanischen Juden findet“.
Trump sprach nicht nur für sich selbst, sondern auch für die faschistischen Elemente, die inzwischen die Republikanische Partei dominieren. Die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Georgia vertrat auf einer Pro-Trump-Kundgebung in Arizona die neonazistische Theorie des „Great Replacement“ (Großer Austausch) und verurteilte die Regierung Biden für angebliche Pläne, weiße, christliche Amerikaner durch schwarze und dunkelhäutige Einwanderer zu „ersetzen“.
Doug Mastriano, Kandidat für das Gouverneursamt von Pennsylvania, beschimpfte seinen demokratischen Gegner, den Generalstaatsanwalt Josh Shapiro, als Elitären, der eine „privilegierte, exklusive Eliteschule“ besucht habe und „Leute wie uns verachtet“. Der Antisemitismus war in diesem Zusammenhang eindeutig, denn Shapiro ist Absolvent der Hebrew Academy in einem Vorort von Philadelphia, dem jüdischen Gegenstück zu einer katholischen High School.
Diese Äußerungen sind nur die gröbsten und offensten in einem viel breiteren Trend. Im Wahlkampf und in Reden der Republikaner im Jahr 2022 wird der jüdische Milliardär George Soros fast so oft angegriffen wie Joe Biden. Soros ist ein wichtiger finanzieller Unterstützer der Demokratischen Partei und ein Antikommunist, der in Zusammenarbeit mit dem US-Außenministerium die „Farben-Revolutionen“ in Osteuropa finanziert hat.
Republikanische Kandidaten benutzen den Namen von Soros, der als Kind dem Holocaust in Ungarn entkam, schon seit langer Zeit, um antisemitische Reflexe zu erzeugen. Rassisten, die sich an der Republikanischen Partei orientieren, verstehen unter dem Stichwort „Great Replacement“ eine jüdische Verschwörung mit Soros als ihrem wichtigsten Strippenzieher. Dies diente auch als Anlass für einen Neonazi-Aufmarsch in Charlottesville, Virginia, im Jahr 2017.
Das Anwachsen des Antisemitismus in den Vereinigten Staaten ist nicht auf die zunehmend faschistische Politik der Republikanischen Partei beschränkt und lässt sich auch nicht allein durch diese erklären. Die Demokratische Partei hat sich an der Neudefinition der amerikanischen Politik und Geschichte beteiligt und dabei die Frage der „Rasse“ nach vorn gestellt. Während die Republikaner versuchen, die Weißen auf dem Land und in den Vorstädten anzusprechen, wollen die Demokraten die Minderheiten-„Rassen“ und Teile der weißen oberen Mittelschicht, insbesondere Frauen und Schwule, unter dem Vorzeichen der Identitätspolitik um sich sammeln.
Die Demokraten versuchen mit allen Mitteln, das Bewusstsein für die gemeinsamen Klasseninteressen der arbeitenden Menschen aller Hautfarben, Nationalitäten und Geschlechter zu unterdrücken.
Die Regierung Biden hat die Äußerungen von Trump, Greene, Mastriano und vielen anderen nur sehr zögerlich verurteilt und sich erst 24 Stunden nach Trumps Drohungen an die Adresse der amerikanischen Juden geäußert. Und auch dies nur als Antwort auf eine Frage, die der Pressesprecherin des Weißen Hauses Karine Jean-Pierre am Montag bei der täglichen Pressekonferenz gestellt wurde. Es gab keine öffentliche Erklärung, und Biden selbst sagte nichts.
Selbst diese gedämpfte Opposition gegen den Antisemitismus hat einen völlig heuchlerischen und opportunistischen Charakter. Man verurteilt den Antisemitismus von Trump, vertuscht ihn aber, wenn er den eigenen Zwecken dient, insbesondere wenn es um die US-Außenpolitik geht, deren Hauptschwerpunkt der Krieg der USA und der Nato gegen Russland in der Ukraine ist.
Die ukrainische Regierung hat den Nazi-Kollaborateur und Massenmörder Stepan Bandera in den Rang eines „Vaters der Nation“ erhoben und ihm im ganzen Land Denkmäler gesetzt. Dabei handelt es sich nicht nur um eine ideologische Umarmung: Das neonazistische Asow-Bataillon, das mit den Symbolen der Waffen-SS marschiert, wurde in die ukrainische Armee integriert, und seine Mitglieder werden wegen ihrer Rolle im Krieg mit Russland als Nationalhelden gefeiert. Führende US-Demokraten, darunter der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Adam Schiff, trafen jüngst bei einem Besuch in der Ukraine mit dem Asow-Bataillon zusammen.
Die Frage des Antisemitismus ist von tiefer historischer Bedeutung. Dies ist nicht nur ein Überbleibsel der primitiven, mittelalterlichen Bigotterie, die ihre Wurzeln in den christlichen Kirchen und in den Vorurteilen der Landbevölkerung gegenüber einer Bevölkerung hat, die hauptsächlich in den Städten lebt. Der moderne Antisemitismus entstand im späten 19. Jahrhundert, insbesondere in Europa, als Waffe der Kapitalistenklasse und zielte darauf, Klassenspannungen abzulenken und einen bequemen Sündenbock für die Wut der Massen über die immer schlechteren sozialen Bedingungen zu bieten.
Dieser städtische Antisemitismus verschmolz mit der älteren, traditionellen Version, als der Kapitalismus in der Großen Depression zusammenbrach. Kombiniert mit einer brutalen Feindseligkeit gegenüber dem Sozialismus und der Arbeiterbewegung wurde er zur ideologischen Grundlage für Hitlers Nazipartei. Mit Unterstützung der Kapitalistenklasse übernahmen die Nazis die Macht in Deutschland, um die drohende Revolution der Arbeiterklasse zu unterdrücken. Sie verfügten über die Ressourcen des stärksten imperialistischen Staats in Europa und verübten die ungeheuerlichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte.
Antisemitismus nimmt in Zeiten extremer sozialer und wirtschaftlicher Krisen einen besonders toxischen Charakter an und äußert sich in Gewaltexplosionen, wie dem direkt von Trump inspirierten Anschlag auf die Tree of Life Synagoge in Pittsburgh 2018, bei dem ein faschistischer Schütze 11 Menschen tötete, und in unzähligen kleineren Vorfällen. Dies ist ein Trend nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in ganz Europa, auch in Deutschland.
Antisemitismus lässt sich nicht mit moralischen Appellen an das Gewissen bekämpfen oder mit der vergeblichen Hoffnung, dass solche Vorurteile im 21. Jahrhundert durch eine größere Toleranz oder Fortschritt keinen Nährboden mehr finden. Antisemitismus wird durch die Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems genährt, und diese Widersprüche haben sich mit der technologischen Entwicklung und der zunehmenden globalen Vernetzung der Menschheit eher verschärft als verringert.
Noch weniger ist der Antisemitismus auf der Grundlage des Zionismus zu bekämpfen, jenes bankrotten Festhaltens an dem überholten und reaktionären Rahmen des Nationalstaats. In unserer heutigen Zeit macht die Globalisierung jeden Nationalstaat – und erst recht einen winzigen Staat, der auf Vertreibung oder Unterdrückung der früheren Bewohner beruht – zu einer Falle für seine Bevölkerung.
Die repressive Politik des Staates Israel gegenüber der palästinensischen Bevölkerung, einschließlich der provokativen Aktionen faschistischer „Siedler“-Gruppen im Westjordanland, schwächt letztlich die weltweite Sympathie für das jüdische Volk, die sich nach dem Holocaust eingestellt hatte.
In letzter Zeit wird jegliche Verteidigung der palästinensischen Bevölkerung und jede Opposition gegen den Zionismus fälschlich als Antisemitismus gebrandmarkt. Diese Kampagne wird insbesondere in Großbritannien, Deutschland und den Vereinigten Staaten mit Nachdruck geführt. Damit wird jedoch der Widerstand gegen Bigotterie untergraben und ein Element des Zynismus gegenüber dem Thema kultiviert.
Besonders schädlich ist die Schaffung des Mythos vom „linken Antisemitismus“, der das jüdische Volk von der sozialistischen und Arbeiterbewegung trennen soll, die immer sein wichtigster Verteidiger und Verbündeter und seine Hoffnung für die Zukunft war.
Die Vierte Internationale, die trotzkistische Weltbewegung, hat immer an vorderster Front des weltweiten Kampfs gegen den Antisemitismus gestanden. Wie Leo Trotzki in unserem Gründungsprogramm schrieb:
Bevor er die Menschheit völlig auszehrt oder in Blut ertränkt, verpestet der Kapitalismus die Weltatmosphäre mit den giftigen Dämpfen des Völker- und Rassenhasses. Der Antisemitismus ist heute eine der schlimmsten, krampfartigen Äußerungen des kapitalistischen Todeskampfes.
Die unerbittlichen Anprangerungen der Wurzeln aller Rassenvorurteile, aller Abarten und Schattierungen des nationalen Hochmuts und des Chauvinismus, insbesondere des Antisemitismus, muss als wichtigste Erziehungsarbeit im Kampf gegen Imperialismus und Krieg in die tägliche Arbeit aller Sektionen der Vierten Internationale eingehen. Unsere Hauptlosung bleibt: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
Mitten im Zweiten Weltkrieg, als die US-Regierung unter Präsident Roosevelt die Augen vor den Vernichtungslagern der Nazis verschloss, jüdischen Flüchtlingen die Einreise verweigerte und Aufrufe zur Bombardierung der nach Auschwitz führenden Bahngleise ablehnte, erklärte das Exekutivkomitee der Vierten Internationale:
Die Vierte Internationale, Führerin der Arbeiter im Kampf für den Weltsozialismus, nimmt die jüdischen Werktätigen in ihre Reihen auf. Nur der Weltsozialismus kann die Juden, vor allem die jüdischen Arbeiter, und alle unterdrückten Völker und Rassen vor dem schrecklichen Schicksal bewahren, das der Weltkapitalismus ihnen zugefügt hat, und das er für eine immer größere Zahl von ihnen bereithält. Nur im Weltsozialismus wird die Brüderlichkeit der Menschen Wirklichkeit werden und der Antisemitismus nur noch eine schreckliche Erinnerung sein.
Diese Aussagen bleiben die Grundlage eines prinzipiellen Kampfs gegen den Antisemitismus, und dieser erfordert die politische Mobilisierung der Arbeiterklasse, die für Sozialismus und Internationalismus kämpft. Nur der Sturz des Kapitalismus im Weltmaßstab kann dem Antisemitismus ein Ende setzen und dem jüdischen Volk echte Freiheit und Sicherheit bringen.