Das offizielle Rücktrittsgesuch des sri-lankischen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa ist in der Hauptstadt Colombo eingegangen und wurde am Freitag angenommen. Vor drei Jahren war Rajapaksa mit großer Mehrheit zum Präsidenten des Landes gewählt worden. Nach drei Monaten massiver landesweiter Proteste und drei Generalstreiks war er am Dienstagmorgen auf die Malediven geflohen. Die Demonstranten hatten den Rücktritt Rajapaksas und seiner Regierung gefordert.
Am Donnerstag flog Rajapaksa nach Singapur, und am selben Abend reichte er sein Rücktrittsgesuch beim Sprecher des Parlaments, Abeywardhane, ein. Die Behörden in Singapur teilten mit, dass sich Rajapaksa aufgrund eines Besuchs privat im Land befinde. Dies bedeutet, dass er offenbar weder Asyl beantragt hat, noch dass es ihm gewährt wurde.
Der ebenfalls in der Bevölkerung verhasste Ranil Wickremesinghe, der zuvor von Rajapaksa zum amtierenden Präsidenten ernannt worden war, wies das Militär und die Polizei an, „alles zu tun was nötig ist, um die Ordnung wiederherzustellen“. Er hat einen Ausschuss eingesetzt, dem der Chef des Verteidigungsstabs, General Shavendra Siva, sowie die Chefs der drei Teilstreitkräfte und der Polizei angehören, um „die Zerstörung von Eigentum und Leben zu verhindern“.
Wickremesinghe verhängte im Verwaltungsbezirk Colombo vom Donnerstag bis am Freitagmorgen um 5 Uhr eine Ausgangssperre. Zuvor hatte er inselweit den Notstand und eine 24-stündige Ausgangssperre für die Westprovinz ausgerufen. Die Maßnahmen wurden jedoch weitestgehend ignoriert, und am Donnertag feierten Tausende Rajapaksas Rücktritt.
In seiner Funktion als Exekutivpräsident verfügt Wickremesinghe über weitreichende Befugnisse, um das Militär gegen Demonstrierende einzusetzen. Doch in der herrschenden Klasse gibt es Bedenken, dass eine gewaltsame staatliche Unterdrückung sich ins Gegenteil verkehren würde und die regierungsfeindlichen Proteste sich zu einer Rebellion ausweiten könnten.
In der Hindustan Times, eine der größten englischsprachigen Tageszeitungen Indiens, heißt es: „Ranil [Wickremesinghe] will, dass das Militär Gewalt anwendet. Doch die sri-lankische Armee lehnt Schüsse auf Demonstranten ab.“
Die US-Botschafterin in Sri Lanka, Julie Chung, teilte gestern auf Twitter mit: „Wir verurteilen jegliche Gewalt und fordern, dass die Rechtsstaatlichkeit aufrechterhalten wird.“ Sie forderte zudem alle Parteien zur Zusammenarbeit auf, um „Lösungen umzusetzen, die langfristig wirtschaftliche und politische Stabilität bringen“.
Anders ausgedrückt bedeutet das: Während Polizei und Militär zu diesem Zeitpunkt noch zurückgehalten werden, sollen die Oppositionsparteien ihre Bemühungen verstärken, die Massenbewegung einzudämmen und zu zerstreuen. Gleichzeitig wird ein Übergangsregime vorbereitet, dessen Aufgabe es sein wird, das brutale Spardiktat des Internationalen Währungsfonds (IWF) umzusetzen.
Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch appellierte General Shavendra Siva an die Öffentlichkeit, und insbesondere an die Jugend: „Unterstützt die drei Teilstreitkräfte und die Polizei bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, bis ein neuer Präsident gewählt ist.“ Ungeachtet dieser Appelle greifen das Militär und die Polizei die Demonstrierenden weiter an. Mindestens 84 Demonstranten wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Vergangene Woche erlitt ein Jugendlicher bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften tödliche Verletzungen.
Die Regierungspartei Rajapaksas, die Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP), forderte am Mittwoch in einer Erklärung den amtierenden Präsidenten Wickremesinghe und die Strafverfolgungsbehörden dazu auf, „Recht und Ordnung“ unverzüglich wieder herzustellen. In der Erklärung werden die Demonstrierenden als Gesetzesbrecher bezeichnet, von denen es heißt, sie hätten „mehrere Personen, darunter einen Parlamentarier, ermordet sowie öffentliches und privates Eigentum zerstört“.
Zwischenzeitlich erklärten namentlich nicht bekannte Mitglieder der SLPP gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, Wickremesinghe sei die erste Wahl der Partei für die Präsidentschaft. Dies verdeutlicht, dass Rajapaksas Partei nach wie vor mit Wickremesinghe zusammenarbeitet, um gegen Demonstrierende mit militärisch-polizeilicher Gewalt vorzugehen und weitreichende staatliche Repressionen durchzusetzen.
Der Sprecher der Streitkräfte, Brigadegeneral Nilantha Premaratna, sagte am Mittwochnachmittag auf einer Pressekonferenz, dass 16 Soldaten bei Zusammenstößen mit Demonstranten verletzt worden seien. Er behauptete außerdem, zwei Soldaten seien „brutal angegriffen, ihre Waffen und Munition von Demonstranten gestohlen worden“. Diese Waffen könnten, so Premaratna weiter, von Demonstranten dazu genutzt werden, die Gewalt auszuweiten. Diese Aussage ist ein klarer Hinweis, dass weitere staatliche Provokationen gegen die Demonstrationen vorbereitet werden.
Am Mittwoch verurteilte Wickremesinghe in einer Fernsehansprache die Besetzer und erklärte, er habe die Sicherheitskräfte angewiesen, diese zu vertreiben. Es sei nicht zu akzeptieren, dass Demonstranten Temple Trees (so die Bezeichnung des Wohnsitzes des Premierministers), das Sekretariat des Präsidenten und dessen Haus besetzen. Sie könnten Dokumente mitnehmen oder zerstören, so Wickremesinghe. Regierungsgegner kündigten am Donnerstag an, sie wollten die Besetzung der Gebäude beenden.
Parlamentssprecher Abeywardhane, ein enger Vertrauter Rajapaksas und Veteran der SLPP, sagte am Donnerstag eine für den darauffolgenden Tag geplante Parlamentssitzung ab. Er erklärte, dass die Sitzung innerhalb von drei Tagen nach Eingang des Rücktrittsschreibens des Präsidenten wieder aufgenommen werde. Am 19. Juli sollen Vorschläge eingereicht und am 20. Juli ein neuer Präsident gewählt werden.
Keine Partei des politischen Establishments, auch keine Oppositionspartei, verurteilt Wickremesinghes diktatorische Maßnahmen. Wenn überhaupt, richten sie lediglich schwache Appelle an das Militär und den amtierenden Präsidenten.
Sajith Premadasa, der die parlamentarische Opposition anführt und Vorsitzender der größten Oppositionspartei Samagi Jana Balawegaya ist, wandte sich an das Militär und erklärte: „Ich bitte unsere geschätzten Sicherheitskräfte darum, nicht zum Spielball eines unterdrückerischen Regimes zu werden.“
Der Vorsitzende der Sri Lanka Freedom Party (SLFP) und ehemaliger Präsident Maithripala Sirisena appellierte an Wickremesinghe: „Im Namen Gottes bitte ich darum, dass Ranil Wickremesinghe schnell zurücktritt.“ Anura Kumara Dissanayake, Vorsitzender der Janatha Vimukthi Peramuna (JVP), veröffentlichte ähnliche Appelle.
Im Gegensatz dazu hat die Socialist Equality Party Sri Lanka (SEP) den reaktionären Charakter der Verfassung des Landes und die diktatorischen Befugnisse, die dem Präsidenten eingeräumt werden, klar aufgedeckt.
Die SEP lehnt die Falle einer Allparteien-Übergangsregierung ab, hinter der Vorbereitungen für eine diktatorische Herrschaft getroffen werden, und besteht darauf, dass die Arbeiterklasse die Dinge selbst in die Hand nehmen muss.
Die Arbeiterklasse muss sich aus dem Würgegriff der Gewerkschaften befreien und unabhängige Aktionskomitees bilden. Diese müssen die Abschaffung der Exekutivpräsidentschaft fordern, an deren Spitze jetzt Wickremesinghe steht. Sie müssen für ein sozialistisches Programm kämpfen, das die Versorgung der Massen mit Lebensmitteln, Kochgas, Benzin, Gesundheitsmaßnahmen und anderen dringend benötigten Grundgütern sicherstellt.
Eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse muss die arme Landbevölkerung und die Jugend vereinen, um eine Arbeiter- und Bauernregierung zu bilden, die einer sozialistischen Politik verpflichtet ist. Sie muss sich als Teil der umfassenden Kämpfe für den Sozialismus in Südasien und überall auf der Welt verstehen.