Nahezu jede kapitalistische Regierung ist mittlerweile bemüht, alle noch verbliebenen Corona-Schutzmaßnahmen zu streichen. Zur Rechtfertigung machen sie geltend, dass das Virus „endemisch“ geworden sei und daher keinen Anlass zu Sorge mehr biete.
Viele Epidemiologen und andere Wissenschaftler wenden sich gegen die Politisierung des Begriffs „endemisch“, der ein vorhersehbares und kontrollierbares Infektionsniveau in einer bestimmten geografischen Region bezeichnet. Denn im Gegensatz dazu ist die Ausbreitung von Covid-19 zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie noch immer unvorhersehbar, völlig außer Kontrolle und von globalem Ausmaß.
In den USA wird die Kampagne, die Pandemie für beendet zu erklären, vom Weißen Haus orchestriert. Es trifft sich dazu wöchentlich mit den Gouverneuren der Bundesstaaten. Die US-Regierung ist bemüht, die amerikanische Öffentlichkeit auf eine „neue Normalität“ abzurichten, in der dem Virus freie Bahn gelassen wird.
Hinter dieser Propagandakampagne stehen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern die Forderungen der Konzern- und Finanzelite. Die Behauptung, Covid-19 sei nun harmlos, dient dazu, im Namen der „Rückkehr zur Normalität“ Profite zu scheffeln.
Vergangenen Mittwoch signalisierte die Direktorin der US-Gesundheitsbehörden (CDC), Dr. Rochelle Walensky, dass die Maskenempfehlungen in Kürze aufgehoben werden sollen: „Wir wollen den Menschen eine Pause vom Maskentragen gönnen.“
Einer der führenden Verfechter der Kampagne, Covid-19 für „endemisch“ zu erklären, ist der Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom (Demokratische Partei) – ein Politiker, dessen gesamte Karriere von der herrschenden Elite des Bundesstaates finanziert wurde.
Am 12. Januar 2022 – an dem offiziell 128.757 Kalifornier mit Covid-19 infiziert waren und die Zahl der Krankenhauseinweisungen auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle rapide anstieg – erklärte Newsom, der Staat treffe Vorbereitungen „nicht auf die Pandemiephase, sondern auf die endemische Phase dieser Realität und darauf, wie wir mit zukünftigen Varianten leben werden“. Er fuhr fort: „Wir werden diese detaillierten Strategien in den nächsten Wochen veröffentlichen.“
Am Donnerstag, als Kalifornien die höchste Zahl an Neuinfektionen und die zweithöchste Zahl an Todesfällen aller US-Bundesstaaten verzeichnete, stellte Newsom den offiziellen „Endemieplan“ vor. Er wird unter dem Akronym SMARTER verkauft (Shots, Masks, Awareness, Readiness, Testing, Education und „Rx“, also Medikamente und Behandlungen). Von den Medien wird SMARTER als „wissenschaftlicher“ Plan und als Vorbild für andere Bundesstaaten gepriesen. In Wirklichkeit läuft er darauf hinaus, vor der Pandemie zu kapitulieren und massenhafte Ansteckung und Todesfälle als Dauerzustand hinzunehmen.
Auf einer Pressekonferenz stellte Newsom den Plan mit den Worten vor: „Wir gehen von der Krisenphase in eine Phase über, in der wir daran arbeiten werden, mit diesem Virus zu leben.“
Und weiter: „Wir haben alle verstanden, was zu Beginn dieser Krise nicht verstanden wurde: dass es kein Enddatum gibt, dass es keinen Moment gibt, an dem wir den Sieg erklären.“ Er unterstrich: „Diese Pandemie wird kein definiertes Ende haben. Es gibt keine Ziellinie.“
Das 30-seitige Dokument, das den Plan umreißt, beginnt mit der Feststellung: „Wir erholen uns gerade von der intensiven Omikron-Variante, bei der Millionen von Kaliforniern infiziert wurden. Es ist klar, dass das Virus noch einige Zeit, wenn nicht sogar für immer, bei uns bleiben wird.“
Eines der zentralen Vorhaben besteht darin, Maßnahmen wie die Maskenpflicht nicht länger an die Infektions- und Erkrankungszahlen zu binden. Stattdessen soll ein Vorrat an Masken und persönlicher Schutzausrüstung angelegt werden, um „gezielte“ Maßnahmen zu ergreifen, wenn neue Varianten und eine neue Welle auftauchen.
Für diese begrenzten Maßnahmen stellt der Bundesstaat insgesamt nur 3,2 Milliarden Dollar zur Verfügung. Das sind etwa 1,5 Prozent der über 200 Milliarden Dollar, die der in Kalifornien lebende Tesla-Chef Elon Musk seit Beginn der Pandemie angehäuft hat, und weniger als 0,5 Prozent des 770-Milliarden-Dollar-Militärbudgets, das Biden für das nächste Jahr vorsieht.
Die Frage der Masken wird als individuelle Entscheidung dargestellt: „Für Masken sollten sich alle entscheiden, die sie verwenden möchten.“ Am Mittwoch, dem Tag vor der Veröffentlichung des „Endemieplans“, hob Kalifornien die Maskenpflicht auf.
In Bezug auf die Schulen befürwortet der Plan „eine kontinuierliche Abkehr von der Quarantäne von Schülern“. Weiter heißt es, dass „Schüler, die potenziell Covid-19 ausgesetzt gewesen sind, können sicher die Schule besuchen.“ Die Eltern werden aufgefordert, sich „auf den Übergang zur Abschaffung der allgemeinen Maskenpflicht in den Schulen vorzubereiten“, die voraussichtlich am 28. Februar bekannt gegeben wird.
Bezeichnenderweise wurde Newsoms Plan von Ezekiel Emanuel begrüßt. Es handele sich um einen „strategischen Plan, der den Staat Kalifornien in die nächste Phase von Covid-19 führen soll“: „Wie in so vielen Bereichen kann das kalifornische SMARTER-Programm dem Rest des Landes helfen, den Übergang zu einer neuen Normalität zu schaffen.“ Allgemein wird prognostiziert, dass der kalifornische Plan von anderen demokratisch geführten Staaten übernommen werden dürfte.
Etwas mehr als einen Monat vor dem Bekanntwerden von Newsoms Plan hatte Emanuel ein Papier veröffentlicht, in dem er sich für eine „neue Normalität“ aussprach, in der die Kontaktnachverfolgung eingestellt wird und Hospitalisierungen und Todesfälle nicht mehr erfasst werden. Diese von den Medien hochgelobten Empfehlungen werden nun mit Unterstützung des Weißen Hauses kontinuierlich in die Tat umgesetzt.
Emanuel fordert seit langem eine Senkung der Lebenserwartung und der Ausgaben für das Gesundheitswesen. Seine Philosophie kann als eugenisch bezeichnet werden. Mit den Worten der Philosophieprofessorin Jennifer A. Frey von der University of South Carolina hält Emanuel „behinderte und ältere Menschen für nutzlos und ineffektiv“.
Die „neue Normalität“, die von Emanuel, Newsom, Biden und praktisch dem gesamten politischen Establishment befürwortet wird, bedeutet die bewusste Gefährdung von mindestens 7 Millionen immungeschwächten Menschen, für die die Covid-19-Impfstoffe nur einen sehr geringen Schutz bieten, sowie zig Millionen Ältere.
Am Montag vergangener Woche erklärte der Immunologe Dr. Kristian Andersen in einem Podcast, dass wir in den nächsten 10 Jahren oder länger „damit rechnen müssen, dass die meisten Menschen ein paar Mal pro Jahr infiziert werden, und dass wir allein in diesem Land mit 200.000 bis 250.000 Todesfällen rechnen müssen“. In erster Linie werden immungeschwächte und ältere Menschen sterben. Es gibt keine Obergrenze für die Zahl der Todesfälle, die die herrschende Elite zu akzeptieren bereit ist.
Die Aufhebung der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ist zutiefst unpopulär. Die Mehrheit der Bevölkerung möchte dem unnötigen Leiden und Sterben, das die letzten zwei Jahre geprägt hat, ein Ende setzen.
Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage des UC Berkeley Institute of Governmental Studies befürworten nur 20 Prozent der registrierten Wähler in Kalifornien die Abschaffung der Maskenpflicht in öffentlichen Einrichtungen. Bei den Wählern der Demokraten sind es 6 Prozent und bei denen der Republikaner 46 Prozent. Für die USA insgesamt ergab eine Umfrage von CBS News-YouGov, dass 56 Prozent der Amerikaner die Maskenpflicht für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen unterstützen.
Anstatt Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, suchen die herrschenden Eliten nach neuen Sprachregelungen, um die Pandemie als überwunden darzustellen und der Gesellschaft weiszumachen, man könne so tun, als sei die Krise vorbei.
In Wirklichkeit ist die Pandemie nach wie vor in einem äußerst prekären Stadium. Überall auf der Welt warnen Wissenschaftler vor den Gefahren, die von der Omikron-Subvariante BA.2 ausgehen. Viele fordern, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihr aufgrund ihrer Besonderheiten eine eigene Bezeichnung gibt. Diese Woche erschien ein Vorabdruck einer bedeutenden Studie aus Japan, aus der hervorgeht, dass BA.2 etwa 1,4-mal ansteckender ist als BA.1. Die Variante verursacht einen schwereren Verlauf, etwa entsprechend der Delta-Variante, und entzieht sich den gängigen Behandlungsmethoden.
Die Arbeiterklasse muss die Schlussfolgerungen aus den vergangenen zwei Jahren ziehen und den Versuchen der herrschenden Klasse entgegentreten, die Öffentlichkeit zu entwaffnen, indem sie die Pandemie für beendet erklärt. Die einzige praktikable Lösung für die Pandemie besteht darin, die internationale Arbeiterklasse hinter der Strategie der globalen Eliminierung zu vereinen.
Durch zeitlich begrenzte Lockdowns bei voller Lohnfortzahlung, Massentests, die Rückverfolgung von Kontakten, die flächendeckende Versorgung mit hochwertigen Masken und den Einsatz aller verfügbaren Gesundheitsschutzmaßnahmen im Weltmaßstab könnte die Pandemie innerhalb weniger Wochen beendet und es könnten Millionen Menschenleben gerettet werden.
Der Kampf gegen die Pandemie muss mit dem Kampf gegen den imperialistischen Krieg verbunden werden. Angesichts einer unlösbaren innenpolitischen Krise, für die sie keine Lösung hat, versucht die amerikanische herrschende Klasse, die inneren Spannungen nach außen zu lenken und schlittert auf einen Krieg gegen Russland zu. Nachdem sie in den letzten zwei Jahren den Tod von fast einer Million Amerikanern durch Covid-19 in Kauf genommen hat, ist sie bereit, weitere Millionen Kriegstote zu akzeptieren und einen Weltkrieg zu riskieren.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) ist die einzige politische Bewegung in der Welt, die dafür kämpft, die Pandemie und den Drang zum Krieg zu stoppen. Die wichtigste Aufgabe, der sich Arbeiter und Jugendliche heute stellen müssen, ist der Beitritt zum IKVI und dessen Aufbau als revolutionäre Führung der internationalen Arbeiterklasse.
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