Bundesregierung bereitet Aufhebung der Corona-Schutzmaßnahmen vor

Obwohl das Infektionsgeschehen weiterhin für neue Höchstwerte sorgt und sich die noch infektiösere Omikron Untervariante BA.2 ausbreitet, geht die Bundesregierung dazu über, die letzten bestehenden Maßnahmen zu beenden. Sie folgt damit dem Beispiel der USA und anderer europäischer Länder.

Die 7-Tage-Inzidenz liegt mittlerweile bei 1472. Innerhalb eines Tages infizierten sich 240.000 Menschen. Mittlerweile liegt die Inzidenz in allen Kreisen über 500. In 342 Kreise liegt sie über 1000 und in 48 Kreisen sogar über 2000. Am höchsten ist die Inzidenz im Landkreis Eichstätt mit einem Wert von 3897.

Die wachsenden Infektionszahlen gehen einher mit einem verhängnisvollen Anstieg der Fälle in Krankenhäusern und Alten- und Pflegeheimen. In der letzten Woche kam es zu 174 Ausbrüchen in medizinischen Behandlungseinrichtungen (20 mehr als in der Vorwoche) und 373 Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen (127 mehr als in der Vorwoche).

Auch die Zahl der schweren Verläufe nimmt weiter zu. Am Freitag wurden über 1750 Menschen hospitalisiert. Die adjustierte Hospitalisierungsinzidenz liegt mittlerweile etwa bei 11 und hat sich damit innerhalb eines Monats verdoppelt. Der Anteil freier Intensivbetten liegt weiterhin nur knapp über 10 Prozent, was als Grenzlinie der Reaktionsfähigkeit der Kliniken gilt. Seit Beginn der Woche sind fast 1000 Menschen gestorben.

Ein zentraler Treiber des Infektionsgeschehens sind die Schulen. Unter den 15- bis 34-Jährigen liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 1988 und unter den 5- bis 14-Jährigen sogar bei 4187. Für die letzten vier Wochen wurden 2124 Corona-Ausbrüche an Schulen übermittelt, wobei insbesondere für die letzten zwei Wochen noch mit Nachmeldungen gerechnet werden muss. Die Zahl der Schulausbrüche ist damit etwa viermal so hoch wie zum höchsten Zeitpunkt im letzten Schuljahr.

Besonders besorgniserregend ist die rasante Ausbreitung der Omikron-Subvariante BA.2. Seit Jahresbeginn hat sich ihr Anteil am Infektionsgeschehen verfünffacht. Aktuell wird angenommen, dass sie 30 Prozent infektiöser ist als BA.1 und Menschen innerhalb weniger Wochen nach einer BA.1-Omikron-Infektion erneut infizieren kann.

Auf diese Welle von Infektionen reagiert die herrschende Klasse, indem sie noch umfassendere Öffnungsschritte ankündigt und sogar ein Ende aller Maßnahmen in Aussicht stellt. Bund und Länder überbieten sich gegenseitig damit, Maßnahmen aufzuheben.

In seiner Antrittsrede im Bundesrat am Freitag erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ungeachtet des explodierenden Anstiegs der Fallzahlen, dass „der Höhepunkt der Welle in Sicht“ sei. „Das erlaubt uns, beim Bund-Länder Treffen in der nächsten Woche einen ersten Öffnungsschritt und dann weitere für das Frühjahr in den Blick zu nehmen.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner ersten Regierungserklärung (AP Photo/Michael Sohn)

Scholz begründet das mit der absurden Behauptung, „gerade ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger sind von der Omikron-Welle bislang zum Glück noch nicht so stark erfasst worden“. Angesichts von hunderten Ausbrüchen in Altersheimen jede Woche kann diese Aussage nur als dreiste Lüge aufgefasst werden. Allein in der letzten Woche sind 660 Menschen über 60 Jahren an Corona gestorben.

Gleichzeitig gibt der Kanzler zu, dass in dieser Situation Krankenpfleger und Ärzte am Limit arbeiten, und versucht es als Erfolg zu verbuchen, dass das Gesundheitssystem nicht zusammengebrochen ist: „So hat unser Gesundheitssystem – trotz große Belastung der Ärzte und Klinikpersonal – bislang standgehalten.“

Während Scholz Lockerungsschritte ab dem Frühjahr ankündigt, gehen andere Teile seiner Regierung bereits weiter. Die aktuellen Infektionsschutzmaßnahmen gelten bis zum 20. März. Danach stimmt der Bundestag darüber ab, ob sie um weitere drei Monate verlängert werden. FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe zu diesem Zeitpunkt die Aufhebung jeglicher Schutzmaßnahmen: „Am 20. März sollte Deutschland zur Normalität zurückkehren.“

Doch bereits vorher müsse gelockert werden, sagte er im Morgenmagazin von ARD und ZDF. Man solle mit schrittweisen Lockerungen einen „gleitenden Übergang“ zum 20. März schaffen. Als erstes sollten die 2G-Regeln im Einzelhandel, Kontaktnachverfolgungen und Kontaktbeschränkungen für private Treffen fallen.

Während Vertreter der Bundesregierung noch über Lockerungen reden, setzen die Bundesländer diese bereits um. Letzte Woche beschlossen alle Bundesländer einheitlich die Obergrenze für erlaubte Zuschauer bei Großveranstaltungen im Freien auf 10.000 zu erhöhen. Die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Hessen kündigten ein Ende der 2G-Regeln im gesamten Einzelhandel an. Nun ziehen immer mehr Bundesländer mit.

Bayern, das aktuell die höchste Inzidenz hat, kündigte an, die Sperrstunde in Gaststätten aufzuheben und die maximale Zuschaueranzahl bei Großveranstaltungen noch weiter zu erhöhen. Bei Sportveranstaltungen sollen 15.000 statt 10.000 Zuschauer erlaubt sein und die maximale Auslastung wird von 25 auf 50 Prozent angehoben. Bei Kulturveranstaltungen wird sie sogar von 50 auf 75 Prozent erhöht.

Nach Schleswig-Holstein und Hessen haben nun auch Berlin und Brandenburg angekündigt, die 2G-Regelung im Einzelhandel zu kippen. In Brandenburg soll zudem auch die nächtliche Ausgangsbeschränkung für Ungeimpfte in Hotspot-Regionen fallen.

Das Umsetzen dieser Lockerungen widerspricht jeglicher wissenschaftlichen Erkenntnis und riskiert Tausende von Todesfällen. Auch Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, warnte gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung vor Lockerungen: „Uns fehlen nach wie vor verlässliche und umfassende Daten zum aktuellen Infektionsgeschehen. Das macht es schwer, die Lage klar einzuschätzen.“

Gegen diese Politik wächst der Widerstand. Eine Online-Petition von über 100 Schülersprechern, die den „aktuellen Durchseuchungsplan“ der Regierung als „unverantwortlich und unsolidarisch“ bezeichnet, hat mittlerweile 134.000 Unterschriften erhalten. Zahlreiche Schüler, Lehrer, Eltern und Wissenschaftler fordern unter dem Hashtag #WirWerdenLaut, „die Pandemie mit allen Mitteln zu bekämpfen“, und stellen eine Reihe Forderungen auf, wie die Ausstattung von Schulen mit Luftfiltern, kostenlose FFP2-Masken und eine Aufhebung der Präsenzpflicht.

Politik und Medien haben darauf mit einer Hetzkampagne reagiert, um die berechtigten Forderungen der Petition als unwissenschaftlich oder „Panik-Kampagne“ zu denunzieren.

Die Petition ist ein wichtiger Ausdruck der Opposition gegen die Profite-vor-Leben Politik der herrschenden Klasse. Doch ihre Forderungen können nicht durch Appelle an die Regierenden umgesetzt werden. Bereits seit zwei Jahren haben sie alle derartigen Appelle ignoriert und deutlich gemacht, dass sie eine Politik im Interesse der Profitmaximierung der Banken und Konzerne verfolgen, statt die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung zu schützen.

Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) erklärten vor kurzem in einem Statement:

Statt Appelle an die etablierten Parteien zu richten, die Tag für Tag deutlich machen, dass ihnen unsere Leben nichts wert sind, müssen sich Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer unabhängig in Aktionskomitees für sichere Bildung organisieren, die den Kampf in die eigene Hand nehmen und die Sicherheitsmaßnahmen, die in der Petition genannt werden, sofort durchsetzen.

Mit Schulstreiks und Protesten müssen Schüler den Auftakt für eine umfassende Rebellion der gesamten Arbeiterklasse gegen die Durchseuchung bilden.

Tretet mit uns in Kontakt, um den Kampf gegen die Pandemie und den Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees zu diskutieren und zu organisieren!

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