Biden und die Demokraten rudern bei Sozialausgaben zurück, während der Kongress unternehmensfreundliches Infrastrukturgesetz verabschiedet

Die parteiübergreifende Verabschiedung des Infrastruktur-Gesetzes am Freitagabend wurde als Triumph für den innenpolitischen Kurs von Präsident Joe Biden gefeiert. Tatsächlich markiert sie jedoch einen weiteren Rechtsruck der Demokraten, die faktisch jedes ernsthafte Eintreten für höhere Sozialausgaben aufgeben.

Der Gesetzentwurf wurde kurz vor Mitternacht mit 228 zu 209 Stimmen angenommen. Bidens ursprünglicher Plan für Infrastrukturausgaben in Höhe von 2,6 Billionen Dollar über zehn Jahre war bereits auf nur 550 Milliarden Dollar für den gleichen Zeitraum gekürzt worden. Die Verabschiedung bedeutete die endgültige Kapitulation des House Progressive Caucus und von Senator Bernie Sanders vor den Forderungen rechter Demokraten wie den Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema, die von Biden und der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, mittlerweile offen unterstützt werden. Sie stimmten damit zu, das von den Konzernen unterstützte Infrastrukturgesetz zu verabschieden und faktisch alle weitergehenden Gesetze zum Ausbau des Sozialstaats und des Klimaschutzes im Rahmen des „Build Back Better“-Gesetzes aufzugeben.

Im Frühjahr hatte sich Biden den Forderungen der Republikaner gebeugt, seine Vorschläge zur Sanierung der maroden physischen Infrastruktur Amerikas von seinen Vorschlägen zur Bekämpfung der schweren sozialen Krise zu trennen. Die Ursache der sozialen Krise sind die jahrzehntelangen Kürzungen der Sozialprogramme und die enormen Profite für die Reichen, was durch die Corona-Pandemie noch deutlich verschärft wurde.

Biden versprach jedoch, kein Infrastrukturgesetz zu unterzeichnen, sofern der Kongress nicht auch seine Gesetzesvorlagen zu Sozialstaat und Klimaschutz bewilligt. Zudem beharrte er darauf, dass das Infrastrukturgesetz von beiden Parteien bewilligt werden muss. Bidens Versprechen hätte bedeutet, dass alle 50 Demokraten im Senat für seine Gesetzesvorlagen stimmen, damit sie nicht blockiert werden können und sie gemäß dem Haushaltsanpassungsverfahren durch eine Mehrheit verabschiedet werden können. Allerdings war von Anfang an klar, dass die Republikaner im Senat selbst die begrenztesten Erhöhungen der Sozialausgaben oder Steuererhöhungen für Konzerne und Reiche ablehnen würden.

Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, stellte sich damals auf die Seite des Congressional Progressive Caucus und des Vorsitzenden des Senate Budget Committee, Sanders. Sie akzeptierten Bidens Manöver, das auf dem Versprechen basierte, das Repräsentantenhaus werde kein Infrastrukturgesetz behandeln, solange der Senat nicht die Maßnahmen zur Erhöhung der Sozialausgaben bewilligt hat.

Daraufhin ernannte Biden Senatorin Kyrsten Sinema aus Arizona, eine der rechtesten Demokraten, zur Vorsitzenden einer parteiübergreifenden Gruppe von Senatoren, die das Infrastrukturgesetz ausarbeiten sollte. Der Kompromiss, der weniger als 20 Prozent der Mittel enthielt, die Bidens ursprünglicher Vorschlag vorsah, wurde im August vom Senat mit den Stimmen von 19 Republikanern verabschiedet, darunter der von Minderheitsführer Mitch McConnell.

Der Gesetzentwurf sah offiziell Mittel in Höhe von 1,2 Billionen Dollar vor, beinhaltete aber nur neue Finanzmittel in Höhe von 550 Milliarden. Der Rest stammte aus nicht ausgegebenen Pandemie-Hilfsgeldern. Das Großkapital war begeistert. Die amerikanische Industrie- und Handelskammer veröffentlichte eine Liste von Unternehmensorganisationen, die ihn unterstützen, darunter sie selbst, der Business Roundtable, die National Association of Manufacturers, die National Retail Federation und Lobbyorganisationen für Fluggesellschaften, Häfen, Lastwagenverkehr, Eisenbahn und andere Bereiche. Auch der Gewerkschaftsbund AFL-CIO und die Gewerkschaften des Baugewerbes fanden sich auf der Liste.

Die Wirtschaftselite hat den Gesetzentwurf unterstützt, weil die Konzerne gut an Staatsaufträgen, Subventionen und steuerlichen Anreizen verdienen werden. Zudem gilt die Bewältigung der Infrastrukturkrise als wichtig für die Fähigkeit, wirtschaftlich und möglicherweise auch militärisch gegen die wichtigsten Rivalen des US-Kapitalismus vorzugehen, vor allem gegen China.

Gleichzeitig begann die Oligarchie eine massive Lobbykampagne gegen die Gesetzentwürfe zu Sozialleistungen und Klimaschutz und mobilisierte dabei ihre am offensten reaktionären Handlanger innerhalb der Demokraten wie Sinema und Senator Joe Manchin aus West Virginia. Auf diese Weise sollte ihre Verabschiedung verhindert oder alle Maßnahmen entfernt werden, die die Profite und Vermögen der Konzerne und Reichen beeinträchtigen würden, darunter Steuererhöhungen für Unternehmen und Erhöhungen der Sozialleistungen.

Nachdem das Infrastrukturgesetz vom Senat verabschiedet war, forderten Manchin, Sinema und andere rechte Demokraten im Repräsentantenhaus die Entkoppelung der beiden Gesetzentwürfe. Sie bestanden darauf, dass das Repräsentantenhaus das Infrastrukturgesetz verabschiedet und Biden zur Unterzeichnung vorlegt, während der Gesetzentwurf über Sozialausgaben vollständig ausgehöhlt oder vom Senat gänzlich blockiert wird.

Genau das ist jetzt passiert. Manchin – ein millionenschwerer Unternehmer aus der Kohleindustrie – und Sinema – eine ehemalige Grünen-Aktivistin, die ihre Ralph Nader-Anstecker gegen riesige Wahlkampfspenden von der Wall Street und rechten Milliardären wie der Familie De Vos eingetauscht hat – haben derweil abwechselnd Kürzungen am Sozialausgabengesetz gefordert. Bislang haben sich beide noch nicht einmal verpflichtet, für die zusammengekürzte Version zu stimmen. Sanders hatte im Frühjahr sechs Billionen Dollar über zehn Jahre vorgeschlagen, im September waren es noch 3,5 Billionen und in der letzten Version nur noch 1,75 Billionen Dollar.

Die „progressiven“ Demokraten schlossen sich – mit sechs Ausnahmen – den 13 Republikanern an, die am Freitagabend für das Infrastrukturgesetz stimmten. Dem waren im Lauf des Tages hektische Hinterzimmergespräche in Pelosis Büro im Kapitol und Telefonate zwischen Biden und widerspenstigen Demokraten vorausgegangen. Zu Letzteren gehörte eine Gruppe von sechs rechten Abgeordneten, die den Plan der Führung nicht unterstützen wollten, am Freitag über beide Gesetzentwürfe abzustimmen, damit die Demokraten wahrheitswidrig behaupten können, sie hätten ihr Versprechen gehalten und die beiden Maßnahmen miteinander verbunden. Sie erklärten, sie würden erst für das Sozialausgabengesetz stimmen, wenn das Congressional Budget Office (CBO) seine Kostenschätzung veröffentlicht hat, was Wochen dauern könnte. Das würde das Infrastrukturgesetz im Repräsentantenhaus, wo die Demokraten nur eine sehr knappe Mehrheit haben, verzögern oder zum Scheitern bringen.

Die so genannten Progressiven, darunter das „Squad“ aus Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar, Ayanna Pressley, Jamaal Bowman, Cori Bush und Rashida Tlaib, hatten diesem Betrug zugestimmt. Doch als die Führung einen Deal aushandelte, damit die rechte Gruppe ihre Unterstützung für das Sozialausgabengesetz zusagt, sofern die Kostenschätzung der CBO mit derjenigen der Biden-Regierung übereinstimmt, vertagte Pelosi die Abstimmung über „Build Back Better“ auf die Woche ab dem 15. November.

Das Weiße Haus und Pelosi griffen dann den Progressive Caucus an und forderten ihn auf, nicht mehr zu zögern und am Abend für das Infrastrukturgesetz zu stimmen. Die Vorsitzende des Progressive Caucus, Pramila Jayapal, fügte sich schnell, gefolgt vom Rest, bis auf die sechs Mitglieder des „Squad“. Bezeichnenderweise mobilisierte Pelosi den Black Congressional Caucus, um Jayapal und ihrer Fraktion die Daumenschrauben anzulegen. Dadurch wurde der rechte und unternehmensfreundliche Charakter dieser direkten Profiteure der „Rassen“- und Identitätspolitik, welche die Demokraten propagieren, deutlich hervorgehoben.

Der Widerspruch der sechs Mitglieder des „Squad“, von denen mehrere den Democratic Socialists of America nahestehen, war selbst ein Teil der üblen politischen Manöver. Die New York Times schrieb: „Dennoch stimmte Pressley erst gegen das Infrastrukturgesetz, als klar war, dass es genug Ja-Stimmen dafür gab.“

Der Katalysator, der den langwierigen Prozess ständiger Kürzungen an Bidens angeblicher progressiver Reform auf ihren derzeitigen Stand gebracht hat – wie es die World Socialist Web Site formulierte, „das kargste Feigenblatt einer sozialen Reform“ – waren die Wahlniederlagen der Demokraten am 2. November. Die WSWS sagte voraus, dass die Demokraten mit einem weiteren scharfen Rechtsruck reagieren würden. Dass sie ihren Gesetzentwurf für Sozialreformen und Klimaschutz faktisch aufgegeben haben, hat diese Prognose bereits bestätigt.

Zehn Monate nachdem der geschlagene Ex-Präsident Donald Trump einen faschistischen Mob auf das Kapitol losgelassen hatte, um das Wahlergebnis von 2020 zu kippen und die amerikanische Verfassung außer Kraft zu setzen, hat der von Trump unterstützte Republikaner Glenn Youngkin in Virginia den bisherigen Gouverneur Terry McAuliffe geschlagen. Biden hatte dort mit zehn Punkten Vorsprung gewonnen. Die Republikaner gewannen auch die Wahl zum stellvertretenden Gouverneur und Justizminister sowie die Kontrolle über das Abgeordnetenhaus von Virginia.

In der Demokraten-Hochburg New Jersey konnte sich Amtsinhaber Phil Murphy nur knapp eine zweite Amtszeit sichern.

Die Demokraten und die Medien reagierten darauf, indem sie die so genannten „Progressiven“ für die Niederlage verantwortlich machten, weil sie die Partei im „Mitte-Rechts“-Amerika angeblich zu weit nach links gedrückt haben. Sie schlossen sich der Position der Wirtschafts- und Finanzoligarchie an und forderten, dass Biden und die Parteiführung demonstrativ alle Diskussionen über Sozialreformen einstellen, die Wirtschaft trotz der weiterhin tobenden Pandemie öffnen und die „Normalität wiederherstellen“ soll. Damit meinen sie, er müsse mit allen Mitteln die wachsende Rebellion der Arbeiterklasse unterdrücken, die sich in einer entschlossenen Streikwelle und der Ablehnung der von den Gewerkschaften ausgehandelten Ausverkäufe durch die Belegschaften äußert.

Ein HYPERLINK 'https://www.wsws.org/en/articles/2021/11/06/time-n06.html' Leitartikel in der New York Times vom Freitag sprach dies deutlich aus und forderte die Demokraten auf, mehr zur Besänftigung der „Gemäßigten“ und Republikaner zu tun und ihr angebliches Eintreten für Sozialreformen einzustellen, einschließlich des Gesetzentwurfs „Build Back Better“

Die Behauptung, Biden sei zu weit nach „links“ gerückt, ist absurd. Seine Regierung hat von Anfang an versucht, die Republikaner zu rehabilitieren, obwohl diese weiterhin Trump und seine Bestrebungen unterstützen, die amerikanische Verfassung außer Kraft zu setzen. Biden hat Trumps mörderische Politik der „Herdenimmunität“ gegenüber der Pandemie fortgesetzt, jeden Kampf gegen die Angriffe der Republikaner auf das Wahlrecht aufgegeben, die geplante Polizeireform fallengelassen, die Angriffe auf Immigranten an der Grenze verschärft und versucht, das Ausmaß des Putschversuchs vom 6. Januar und die anhaltende Bedrohung demokratischer Rechte zu vertuschen.

Gleichzeitig propagiert die Demokratische Partei weiterhin „Rassen“- und Identitätspolitik, um die Arbeiterklasse zu spalten, und versucht die Gewerkschaftsbürokratie zu stärken, um die wachsende Rebellion der Arbeiter in den USA zu unterdrücken.

Was das „historische“ und „bahnbrechende“ Infrastrukturgesetz angeht, so sind die durchschnittlich 55 Milliarden Dollar pro Jahr nur ein Bruchteil der 760 Milliarden Dollar, die das Militär in Bidens Verteidigungshaushalt in einem einzigen Jahr erhält. Die Federal Reserve pumpt weiterhin jeden Monat 105 Milliarden Dollar in die Finanzmärkte, was zusammen mit den Geldspritzen an die Konzerne in Billionenhöhe im Rahmen des CARES Act von 2020 zu einem Rekordanstieg der Aktienkurse geführt und das Gesamtvermögen der amerikanischen Milliardäre in den ersten 18 Monaten der Pandemie auf 1,8 Billionen erhöht hat.

Der Gesetzentwurf sieht etwa 110 Milliarden Dollar für Straßen und Brücken vor, 66 Milliarden für Schienennetze und fast 40 Milliarden für den Nahverkehr. 73 Millionen sind für die Modernisierung des Stromnetzes veranschlagt, 65 Milliarden für den Ausbau von Hochgeschwindigkeits-Internet und 55 Milliarden für die Modernisierung des Wassersystems.

Die jüngste Schätzung der American Society of Civil Engineers macht deutlich, dass diese Summen nicht ansatzweise ausreichen, um nach jahrzehntelanger Vernachlässigung und der Umverteilung von Mitteln an die Wirtschafts- und Finanzoligarchie die Infrastrukturkrise zu bewältigen. Laut ihrer Schätzung kostet allein die Sanierung der Straßen und Brücken 786 Milliarden Dollar.

Loading