Präsident Jair Bolsonaro nutzte den brasilianischen Unabhängigkeitstag am 7. September, um eine Generalprobe für einen faschistischen Putsch zum Sturz der Regierung und zur Errichtung einer Diktatur in Brasilien zu inszenieren.
Bolsonaro rief für diesen Tag zu landesweiten Protesten als „Gegenputsch“ gegen eine angebliche Verschwörung des Obersten Gerichtshofs (STF) auf. Er warf dem STF vor, ihn absetzen und einsperren sowie die extreme Rechte in Brasilien kriminalisieren zu wollen. Einige Tage vorher sprach sich der faschistische Präsident für einen Putsch aus und erklärte, sein Schicksal sei es, entweder „verhaftet oder getötet zu werden oder siegreich zu sein“.
In mehreren Städten Brasiliens fanden Demonstrationen statt, die von Bolsonaros zivilen und militärischen Beratern systematisch orchestriert wurden. Unternehmer und rechtsextreme Organisationen finanzierten Karawanen, die Demonstranten aus allen Teilen Brasiliens zu den beiden Hauptdemonstrationen in der Hauptstadt Brasília und in São Paulo brachten.
In beiden Städten organisierte Bolsonaro ein inszeniertes Spektakel. Er flog mit einem Hubschrauber über die Demonstrationen, landete schließlich auf der Tribüne und hielt eine Rede vor den Demonstranten. Auf ihren Transparenten waren Forderungen nach dem Sturz des Obersten Gerichtshofs, einer Militärintervention und der Kriminalisierung des Kommunismus zu lesen.
In Brasília, wo Bolsonaro und sein Vizepräsident General Hamilton Mourão sowie sein Verteidigungsminister General Walter Braga Netto sprachen, attackierte er den STF-Richter Alexandre de Moraes. Dieser führt momentan Ermittlungen gegen die Organisatoren der Demonstrationen vom 7. September, bei denen zunehmend Bolsonaro selbst ins Visier gerät. Bolsonaro drohte mit einem Putsch gegen den Obersten Gerichtshof, wenn de Moraes nicht sofort abgesetzt wird.
Der Präsident erklärte: „Wir dürfen nicht länger akzeptieren, dass eine bestimmte Person aus dem Bereich der drei Gewalten [d.h. Moraes] weiterhin unsere Bevölkerung barbarisiert. Wir dürfen keine weiteren politischen Verhaftungen in unserem Brasilien akzeptieren. Entweder der Führer dieser Gewalt regiert selbst, oder diese Gewalt leidet, was wir aber nicht wollen.“
Ergänzt wurde dieser Angriff durch die Kundgebung in São Paulo, bei der Bolsonaro offen Moraes’ Absetzung forderte und erklärte: „Dieser Präsident [d.h. er selbst] wird sich nicht mehr an die Entscheidungen von Herrn Alexandre de Moraes halten.“ Zum Schluss seiner Rede rief er: „Nur Gott kann mich [aus Brasília] herausbringen“ und „ich sage diesen Bastarden: Ich werde nie verhaftet werden!“
Bei der Kundgebung in Brasília erklärte Bolsonaro außerdem, er werde nächsten Mittwoch ein Treffen des Rats der Republik leiten. Hierbei handelt es sich um ein Verfassungsorgan, dass den Präsidenten in Fragen der nationalen Sicherheit berät, wozu auch die Verhängung des Ausnahmezustands und die Aussetzung individueller Rechte gehören.
Von den Medien wurden diese Äußerungen bereits nach kurzer Zeit als nicht ernstzunehmend abgetan. Sie trösteten sich mit den Erklärungen Mourãos und der Fraktionsführer im Kongress, sie seien nicht zu einem derartigen Treffen einberufen worden. Doch dass der Rat der Republik erwähnt wurde, kann nur bedeuten, dass Bolsonaro die Übernahme diktatorischer Vollmachten vorbereitet.
Am Montagabend gab es im Vorfeld der Demonstrationen in Brasília einen bedeutsamen Vorfall: Karawanen von Bolsonaro-Anhängern durchbrachen die Sperren der Militärpolizei, drangen in die Einkaufsstraße „Esplanada“ zwischen den Gebäuden der Ministerien ein und erklärten, am nächsten Tag würden sie den Obersten Gerichtshof stürmen. Wie auf Videos zu sehen ist, hat die Polizei keine ernsthaften Versuche unternommen, sie aufzuhalten, oder die Demonstranten in Brasília und in São Paulo, wie versprochen, durchsucht.
Die Proteste selbst gehen auf Aufrufe prominenter Politiker zurück, die mit den staatlichen Militärpolizeikräften in Verbindung stehen. Auch Kommandanten der Militärpolizei riefen ihre Soldaten persönlich auf, an den Demonstrationen teilzunehmen. Laut einer Umfrage des Instituto Atlas Intelligence waren 30 Prozent aller aktiven Beamten der Militärpolizei bereit, an den Protesten teilzunehmen.
Obwohl die Demonstranten nicht, wie angedroht, in den STF eingedrungen sind, ist es sehr bedeutsam, dass der Oberste Gerichtshof selbst erwogen hat, „die Streitkräfte zum Schutz seines Hauptsitzes zu mobilisieren, nachdem die Militärpolizei des Bundesdistrikts das Vorrücken von regierungsfreundlichen Demonstranten nicht verhindern konnte“, wie der Reporter Renato Souza in Record schrieb.
Die Demonstrationen vom 7. September stellen einen Höhepunkt von Bolsonaros immer frenetischerem Kurs auf Diktatur dar.
Diese Entwicklung war durch mehrere Ereignisse in den letzten Monaten gekennzeichnet: Am 31. März wurde die gesamte Militärführung entlassen, kurz vor dem Jahrestag des Militärputschs von 1964. Militärkommandanten haben später mit Drohungen gegen den parlamentarischen Corona-Untersuchungsausschuss deutlich gemacht, dass sie keine Untersuchung gegen Angehörige der Streitkräfte durch zivile Behörden dulden werden. Im August zeigte das Ergebnis der Abstimmung über Bolsonaros Vorschlag für „gedruckte Stimmzettel“ und eine Militärparade, dass es im Staat beträchtliche Unterstützung für seine Putschpläne gibt.
Diese Ereignisse, vor allem das Spektakel, das Bolsonaro und seine Clique am 7. September organisiert haben, orientieren sich ausdrücklich an Donald Trumps Putschversuch in den USA vom 6. Januar.
Am Wochenende vor den Protesten fand die brasilianische Version der Conservative Political Action Conference (CPAC) statt, die von Bolsonaros Sohn Eduardo geleitet wird. Eduardo war auch direkt an den Vorbereitungen für den Putschversuch in Washington vom 6. Januar beteiligt und so wie Trumps Berater direkt in die Vorbereitungen der faschistischen Komplotte in Brasilien involviert sind.
An der brasilianischen CPAC nahm u.a. Donald Trump Jr. teil, der in seiner Online-Rede die bevorstehenden Wahlen in Brasilien ausdrücklich mit denen in den USA verglich und erklärte, die Brasilianer müssten sich in einem unfairen Kampf zwischen „Sozialismus und Freiheit“ (d.h. Faschismus) entscheiden. Trumps ehemaliger Berater, der Unternehmer Jason Miller, nahm persönlich an der CPAC teil. Am Dienstag war er von der brasilianischen Bundespolizei auf dem Flughafen von Brasília festgenommen worden, als er wieder in die USA zurückwollte. Er wurde im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss und Bolsonaros Drohungen gegen die Demokratie befragt.
Die Ursache für die Zerstörung demokratischer Herrschaftsformen in Brasilien, den USA und weltweit liegt in der tiefen Krise des weltweiten kapitalistischen Systems.
Die World Socialist Web Site veröffentlichte am 12. April auf Englisch ein Statement unter der Überschrift „57 Jahre nach dem Putsch von 1964 ist Brasilien erneut mit der Gefahr einer Diktatur konfrontiert“. Darin stellten wir Bolsonaros diktatorische Manöver in den Kontext der tiefen sozialen Krise in Brasilien, angetrieben durch die Corona-Pandemie. Wir schrieben: „[Das derzeitige] groteske Niveau sozialer Ungleichheit und das Massensterben durch Covid-19 sind absolut unvereinbar mit demokratischen Herrschaftsformen. Diese objektiven Tendenzen bilden den Hintergrund der außergewöhnlichen politischen Ereignisse der letzten Woche.“
Diese Bedingungen haben sich in den letzten fünf Monaten nur noch weiter zugespitzt, während sich die Gefahr eines Putsches erhöht hat.