Das Management der Deutschen Bahn (DB), die Bundesregierung und die Medien stellen sich gegen die streikenden Lokführer und Bahnbeschäftigten und ziehen dabei alle Register. Die Streikenden jedoch bleiben kampfbereit.
Das zeigte sich am gestrigen Freitag auf zwei größeren Kundgebungen der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) in Nürnberg und Essen. Die Streikenden ließen keinen Zweifel daran, dass sie bereit sind, ihre berechtigten Forderungen durchzusetzen.
Eigentlich sollte in Nürnberg GDL-Chef Claus Weselsky sprechen, doch dieser musste zum Hessischen Landesarbeitsgericht, weil dort die Berufung der Bahn gegen das erstinstanzliche Urteil verhandelt wurde.
Auch die zweite Instanz hat die von der Bahn geforderte einstweilige Verfügung gegen den Ausstand abgelehnt. Am Tag zuvor hatte das Arbeitsgericht Frankfurt schon einen entsprechenden Eilantrag der Bahn abgewiesen. Zur Begründung führte es an, im Eilverfahren könne nicht hinreichend festgestellt werden, ob unzulässige Streikziele verfolgt würden oder nicht.
Das Landesarbeitsgericht prüfte auch, ob die Lokführer einen illegalen Unterstützungsstreik für die anderen Bahn-Beschäftigten leisteten. Denn die Bahn versucht, die streikenden Lokführer durch alle möglichen Mittel von anderen Beschäftigtengruppen zu spalten und deren „Vertretung“ allein ihrer Hausgewerkschaft, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), zuzugestehen.
Die streikenden Eisenbahner sind sich darüber im Klaren. Der World Socialist Web Site gegenüber betonten sie, dass sie sich nicht spalten lassen.
Am Essener Hauptbahnhof erklärten junge Bahnbeschäftigte, Lokrangierführer im Güterverkehr und ein Instandhalter der WSWS, warum ihre Forderungen mehr als gerechtfertigt sind: „Wir halten den Laden am Laufen.“ Sie hätten in der gesamten Zeit der Corona-Pandemie durchgearbeitet – „gerne“ wie sie betonten. „Als die LKW im europäischen Lockdown kaum noch gefahren sind, wer hat dann die Güter transportiert und verteilt? Genau: Die Bahn, also wir! Wir haben das Toilettenpapier und das Desinfektionsmittel in die Regale gebracht.“
Wie sie berichteten, arbeiten sie im Güterverkehr im Schichtdienst, sieben Tage die Woche, 24 Stunden. „Da wäre ein höherer Lohn mehr als gerechtfertigt.“ Es sei auch eine Mär, dass im Güterverkehr kein Personenkontakt bestehe. „Eine Lok geht an einem Tag durch mehrere Hände, wir arbeiten mit Kollegen, u. a. in der Werkstatt eng zusammen.“ Was ihnen daher vor allem fehle, sei die Anerkennung.
Ein Lokführer berichtete: „Ich fahre beispielsweise Kesselwagen, unter anderem mit Isopropanol und Natriumhydroxidlösung, sprich Desinfektionsmittel. Am Tag – und eine Schicht dauert bei mir neuneinhalb Stunden – fahre ich bis zu 55 Waggons, zu den Corona-Hochzeiten auch schon mal 85. Ich prüfe, rangiere und fahre da draußen allein mit meiner ferngesteuerten Lok. Das ist eine Verantwortung, die wir entsprechend bezahlt haben wollen.“
Man habe auch noch kein Lob von oben gehört, nur von den Kollegen. „Die da oben [das Management], die kriegen alles zugeschoben. Und wir sollen nichts kriegen?“ Dabei dürfe die Anerkennung sich nicht auf Klatschen und warme Worte beschränken. „‚Danke‘ habe ich den ganzen Keller voll. Ich möchte etwas auf dem Lohnzettel sehen.“
Der Kollege aus der Werkstatt berichtete, dass auch er während der Lockdowns mehr als normal zu tun gehabt habe: „Mehr Fahrten bedeuten ja auch, dass mehr Wartungsarbeiten und mehr Reparaturen anstehen. Ich habe Schichten und meinen Urlaub verschoben.“ Neben den langen Schichten komme bei vielen auch noch ein langer Anfahrtsweg hinzu: „Ich fahre jeden Tag 180 Kilometer zur Arbeit und zurück, und mein Kollege hier 140 Kilometer.“
Sie führten den Streik nicht nur wegen der Lohnprozente, sagten sie. „Es geht auch um die Dispositionsschichten, also die Schichten, die der Konzern dir je nach Auftragslage und Bedarf und unabhängig von deiner aktuellen Schicht verordnen darf. Von 20 Prozent der Jahresschichten sollen die Dispo-Schichten auf 40 Prozent verdoppelt werden. Das schränkt die freien Wochenenden noch weiter ein.“
Auch den Angriff auf die Betriebsrente wollen sie keinesfalls akzeptieren: „Wir brauchen die Betriebsrente. Von der gesetzlichen Rente in Deutschland kann man ja nicht mehr leben.“
Während die Lokführer dies berichten, kommt ein Passant auf die Gruppe zu und unterstützt die Streikenden. „Zieht das durch!“ fordert er sie auf. „Lasst euch nicht unterkriegen.“ Er selbst arbeite im öffentlichen Dienst, wie er berichtet, und sei schon längst aus der Gewerkschaft Verdi ausgetreten. „Ich unterstütze euch. Von mir aus könnt ihr fünf Monate lang streiken.“
Die Kampfbereitschaft bei den Lokführern, Bahnarbeitern und anderen Beschäftigten ist der Grund, weshalb die Bahn so vehement gegen den Streik vorgeht. Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter sind frustriert und empört, weil Schichtdienste und Überstunden immer unerträglicher, die Bezahlung immer schlechter, die Aussicht auf Arbeitslosigkeit und Armutsrenten immer größer werden. Sie alle suchen einen Weg, dagegen anzukämpfen.
Deshalb greift der Bahnvorstand – hinter dem die Bundesregierung steht –den Streik so provokativ an. Die Lokführer und Bahnbeschäftigten stehen stellvertretend für Millionen von Arbeitern an vorderster Front. Bahn und Regierung wollen an den Lokführern und Zugbegleitern ein Exempel statuieren, um zu verhindern, dass ihr Beispiel Schule macht.
Nach dem gestrigen Gerichtsurteil gegen die Bahn prüfe der Konzern, ob er die GDL für die Streiks auf Schadensersatz verklagen kann. Das sagte eine Sprecherin der Bahn gestern in Frankfurt. Auch die Bundesregierung sprang der Bahn bei. Beim Tarifeinheitsgesetz sehe sie keinen Änderungsbedarf. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sowie Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ließen verlauten, dass sie am Gesetz festhalten wollen.
Wie der WDR berichtete, sagte GDL-Chef Claus Weselsky nach dem Urteil, er stünde jetzt bereit, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Er und die GDL seien an einer Einigung interessiert.
Die Erklärung der Sozialistischen Gleichheitspartei zum Streik betont: „Die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, dass nur ein unbefristeter Streik den Gegner in die Knie zwingen kann. Das jedoch lehnt Weselsky kategorisch ab.“ Statt sich an die breite Masse der Arbeiter zu wenden, stützt sich Weselsky auf den konservativen Beamtenbund, dem die GDL angehört.
Weiter heißt es in der Erklärung: „Um den Kampf gegen die Angriffe der Bahn und der herrschenden Klasse zu führen, müssen neue Kampforganisationen aufgebaut werden, die unabhängig von den Gewerkschaften und ihren Funktionären in den Betrieben sind – ein Netzwerk von Aktionskomitees, die von Arbeitern kontrolliert werden und nur ihnen gegenüber verantwortlich sind.“