Perspektive

Für eine internationale Ausrottungstrategie gegen das Virus

WHO warnt vor 236.000 Corona-Toten europaweit in den nächsten drei Monaten

Am Montag veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine düstere Prognose, die zeigt, dass die Öffnung der Schulen und die Beendigung der sozialen Distanzierungsmaßnahmen in Europa zu einer Katastrophe führen werden. In Europa sind bereits 1,3 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben. Angesichts der Ausbreitung der Delta-Variante könnte dieser Herbst die bisher tödlichste Phase der Pandemie werden.

Der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge, erklärte: „Letzte Woche ist die Zahl der Toten in der Region um elf Prozent gestiegen. Angesichts dessen ist es realistisch, mit europaweit 236.000 Toten bis zum 1. Dezember zu rechnen.“ Nur 44,2 Prozent der europäischen Bevölkerung sind vollständig geimpft. Laut Kluge ist die Zahl derjenigen, die sich pro Woche impfen lassen, im Verlauf der letzten sechs Wochen um 14 Prozent gesunken. Er erklärte, Impfskepsis „macht keinen Sinn und nützt niemandem“.

Da in Amerika, Indonesien und Indien Hunderte Kinder ernsthaft an Covid-19 erkranken und sterben, forderte Kluge Impfungen für über 12-Jährige und gab damit implizit zu, dass die größtenteils ungeimpften Kinder und Jugendlichen einem massiven Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Ein Indiz für das enorme Ausmaß an Infektionen unter Jugendlichen ist die Schätzung des Institute Pasteur, laut dem sich allein in Frankreich bis Ende September 50.000 Kinder pro Tag infizieren könnten.

Das würde bedeuten, dass jede Woche europaweit Millionen Kinder erkranken. Der Präsident des deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, rechnete die Zahlen aus den USA über Hospitalisierungen von Kindern und Jugendlichen hoch: „Wenn man das überträgt auf die Schülerzahl in Deutschland, also etwa elf Millionen, dann könnte das bis zu 200.000 Schüler im Worst Case betreffen.“

Da fünf bis zehn Prozent der Kinder nach einer Corona-Erkrankung mit Long Covid oder anderen dauerhaften Schäden zu kämpfen haben, würde dies bedeuten, dass Hunderttausende Kinder unter verheerenden langfristigen gesundheitlichen Folgen leiden werden, zusätzlich zu den Tausenden, die an dem Virus sterben.

Dieses entsetzliche Szenario ist jedoch nicht unabwendbar. Wenn wissenschaftliche Maßnahmen ergriffen werden, die nachweislich die Übertragung von Covid-19 stoppen und das Virus ausrotten, könnten Hunderttausende Todesfälle und Millionen Infektionen verhindert werden. Doch solche Maßnahmen stoßen auf entschlossenen Widerstand des gesamten europäischen politischen Establishments, das die Profite der Unternehmen und die Vermögen der Superreichen höherstellt als das Leben der arbeitenden Bevölkerung.

Arbeiter, die für die Rettung von Menschenleben kämpfen, müssen die Politik der herrschenden Elite und die Notwendigkeit des Kampfs für eine unabhängige, wissenschaftlich begründete Strategie zur Ausrottung des Virus klar verstehen.

Eine Fraktion der herrschenden Klasse vertritt offen die Politik der „Herdenimmunität“, d.h. sie wollen nichts gegen die Ausbreitung des Virus unternehmen, egal wie viele Leben es kostet. Der britische Premierminister Boris Johnson – ein Handlanger der internationalen Finanzaristokratie und der Banken in der City of London – ist der offenste Verfechter dieser kriminellen Politik.

Johnson stützt sich auf eine „Kosten-Nutzen-Analyse“, die davon ausgeht, dass 1000 Corona-Tote pro Woche bzw. 52.000 pro Jahr in Großbritannien akzeptabel sind. Die Berechnungen basieren auf der faschistischen Vorstellung, es sei unzumutbar, mehr als 30.000 Pfund für die Rettung eines Corona-Patienten auszugeben. Bevor sich Johnson letztes Jahr angesichts des Massensterbens zu einem ineffektiven Teillockdown gezwungen sah, brachte er diese Linie in schonungsloser Offenheit während einer Besprechung mit seinen Ministern auf den Punkt: „Keine verdammten Lockdowns mehr, sollen sich doch die Leichen zu Tausenden auftürmen!“

Ein anderer Teil der herrschenden Klasse tritt für „Mitigation“ ein, d.h. die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, aber nicht aufzuhalten. Ihre Befürworter – die Regierungen von Italien, Spanien, Deutschland und Frankreich – lehnen Lockdowns ebenfalls ab und fordern die Öffnung von Schulen und Betrieben, die jedoch mit Impfungen und anderen Maßnahmen kombiniert werden soll. Aber die Konsequenzen sind ähnlich katastrophal. Wenn Kinder zur Rückkehr in überfüllte, schlecht gelüftete Klassenzimmer gezwungen werden, wird sich das Virus über die Luft rasant ausbreiten, selbst wenn die Schüler Masken tragen.

In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Berlin haben sich die Inzidenzen seit der Wiederöffnung der Schulen im letzten Monat verdreifacht. Die Bundesregierung unter Angela Merkel reagierte darauf, indem sie am Dienstag verkündete, die Corona-Maßnahmen würden künftig nicht mehr an die Inzidenzwerte gebunden. In Frankreich und Deutschland schafft die Regierung die kostenlosen Corona-Tests ab. Dieses Vorgehen schafft die Bedingungen für das schreckliche Massensterben, das die WHO prognostiziert hat.

Der tiefere Grund für die Einigkeit des herrschenden Establishments bei der mörderischen Pandemiepolitik sind die materiellen Interessen der Finanzaristokratie. Nachdem die Banken und Konzerne letztes Jahr Billionen Euro und Pfund aus den Corona-Rettungspaketen erhalten haben, fordern sie jetzt die Öffnung der Schulen, damit die Eltern weiterarbeiten und Profite für die Banken erwirtschaften können. Europas Milliardäre konnten während der Pandemie ihr Gesamtvermögen um sagenhafte eine Billion Dollar steigern.

Um Hunderttausende Menschenleben zu retten, muss die Arbeiterklasse unabhängig eingreifen und sich gegen das kapitalistische System und seine politischen Komplizen organisieren, zu denen auch die Gewerkschaftsbürokratien und die pseudolinken Parteien gehören. In Spanien hat die Regierungspartei Podemos, ebenso wie die Linkspartei in den deutschen Landesregierungen, direkt die Diktate der Banken in ihrer Coronapolitik umgesetzt. Jean-Luc Mélenchons Partei Unbeugsames Frankreich beteiligt sich gemeinsam mit neofaschistischen Parteien an Protesten gegen Impfungen und Impfpflicht.

Um diesen Kampf zu führen, müssen sich Arbeiter mit einem wissenschaftlichen und politischen Verständnis der Pandemie wappnen. Die Beendigung der Pandemie erfordert die Umsetzung harter Lockdowns, verbunden mit Impfungen, Kontaktverfolgung und der Isolierung von Infizierten, bis Covid-19 ausgerottet ist – so wie im 20. Jahrhundert bereits die Pocken und Polio ausgerottet wurden.

Für diese Perspektive kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei bei den Bundestagswahlen. Während die offizielle Pandemiepolitik Profite vor Leben stellt, fordert die SGP in ihrem Wahlprogramm: „Sofortiger Lockdown aller nicht lebensnotwendigen Betriebe bis die Pandemie unter Kontrolle ist! Voller Lohnersatz für alle betroffenen Arbeiter sowie echte Hilfen für Selbstständige und umfassende Unterstützung für arme Haushalte! Ein global koordiniertes Impfprogramm statt Impfstoff-Nationalismus und -Geschäftemacherei!”

Die Umsetzung dieser Politik erfordert die Entwicklung einer mächtigen internationalen und vereinten Massenbewegung der Arbeiterklasse. Die WSWS erklärte vor kurzem in ihrem Statement: „Die Ausrottung von Covid-19 ist die einzige Möglichkeit, die Pandemie zu stoppen“.

Nur eine Massenbewegung, die nicht vom Profitstreben getrieben und von der Gier nach persönlichem Reichtum besessen ist, kann die gesellschaftliche Macht entwickeln, die notwendig ist, um einen politischen Richtungswechsel zu erzwingen.

Die Grundprinzipien der Ausrottungsstrategie beruhen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Überzeugung, dass es keine Obergrenze bei der Finanzierung dieser Politik geben darf. Die wissenschaftliche Wahrheit korrespondiert unmittelbar mit den sozialen Interessen von Millionen Menschen auf der ganzen Welt.

Das Virus kann weltweit ausgerottet werden. Dr. Malgorzata Gasperowicz von der University of Calgary hat in einem Beitrag bei der WSWS-Onlinediskussion „Für eine globale Strategie zur Beendigung der Pandemie und zur Rettung von Menschenleben“ Daten vorgelegt, die zeigen, dass die aggressive Umsetzung von Lockdowns und Kontaktverfolgung die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von 37 Tagen auf Null senken könnte.

In China hat die Ausrottungspolitik die Zahl der Corona-Toten unter 5.000 gehalten, d.h. ganze 250-mal niedriger als in Europa. Doch um die Pandemie zu beenden, müssen solche Maßnahmen weltweit von einer bewussten, internationalen politischen Bewegung der Arbeiterklasse umgesetzt werden.

Die europäische Arbeiterklasse hat bereits internationale Kämpfe für eine humane Gesundheitspolitik geführt. Die ersten Lockdowns im Frühjahr 2020, die Millionen Leben retteten, wurden durch eine Welle spontaner Streiks in wichtigen Werken in Italien und ganz Europa erzwungen, u.a. in der Autoindustrie, im Maschinenbau und der Lebensmittelverarbeitung. Doch die Gewerkschaftsbürokratie und die etablierten Parteien haben eng zusammengearbeitet, um die Arbeiter wieder in die Betriebe zu zwingen und die Lockdowns als teuer und untauglich darzustellen.

Jetzt nimmt die Arbeiterklasse in ganz Europa den Kampf auf. Es gibt Streiks der Lokführer, Pflegekräfte und Lieferfahrer in Deutschland, der Lastwagenfahrer in Großbritannien und des Schulkantinenpersonals in Frankreich.

Viele Menschenleben hängen davon ab, dass den Gewerkschaftsbürokratien die Kontrolle über diese Streiks entzogen wird und der Widerstand in einen Kampf gegen die unmenschliche Pandemiepolitik der Superreichen ausgeweitet wird. Das erfordert den Aufbau von Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze und sichere Bildung, um die Schließung der Schulen und nicht systemrelevanten Betriebe durchzusetzen und einen internationalen sozialistischen Kampf gegen die Pandemie und das kapitalistische System zu führen.

Am Sonntag, den 5. September, streamt die SGP eine Wahlsendung mit dem Titel „Wie die Pandemie gestoppt werden kann: Globale Planung und Wissenschaft statt kapitalistischer Durchseuchung“, um diese Strategie und Perspektive zu diskutieren. Wir rufen alle unsere Leser und Unterstützer auf, diese wichtige Veranstaltung zu verfolgen und unter Kollegen, Freunden und Verwandten bekannt zu machen.

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