Am Dienstag hielt US-Präsident Joe Biden seine erste Rede über die beispiellosen Angriffe auf das Wahlrecht, die in den republikanisch kontrollierten Bundesstaaten seit dem Putschversuch von Donald Trump am 6. Januar vorangetrieben werden.
Zwei Tage vor Bidens Rede im National Constitutional Center in Philadelphia endete die Conservative Political Action Conference (CPAC) in Dallas, eine jährlich stattfindende Konferenz der konservativen Rechten in den USA. Dort wetterte Trump gegen den Sozialismus und wiederholte seine „Dolchstoß“-Lüge von einer gestohlenen Wahl. Er verteidigte den gewaltsamen Angriff auf das US-Kapitol als patriotischen Versuch, Amerika von den „radikalen linken“ Demokraten zurückzuerobern.
In ihrer Einschätzung der CPAC-Konferenz warnte die World Socialist Web Site: „Donald Trump festigt seine Macht über die Republikanische Partei und verwandelt sie von einer konservativen bürgerlichen Partei in eine faschistische Partei mit Führerkult und einem paramilitärischen Flügel.“
Bidens Rede am Dienstag war sein bislang umfassendstes und offenstes Eingeständnis, dass die amerikanische Demokratie in der Krise ist und am 6. Januar fast gestürzt wurde.
„Im Jahr 2020 wurde die Demokratie auf die Probe gestellt. Zuerst durch die Pandemie, dann durch den verzweifelten Versuch, die Realität des Wahlergebnisses zu leugnen, und dann durch einen gewalttätigen und tödlichen Aufstand gegen das Kapitol, die Festung unserer Demokratie.“
Biden verwies auf den Zusammenhang zwischen dem Angriff auf das Wahlrecht und dem Versuch der Annullierung der Wahlen 2020. Er erklärte, dass seit der Wahl im November bereits 17 republikanisch kontrollierte Bundesstaaten 28 Gesetze erlassen haben, die Wählern aus der Arbeiterklasse, armen Schichten und Minderheiten den Zugang zur Wahl erschweren. Insgesamt seien 400 solcher Gesetze in den gesamten Vereinigten Staaten eingeführt worden.
Es werde weiter versucht, die Verfassung zu stürzen und eine Diktatur zu errichten, warnte Biden. „Hören Sie genau zu“, sagte er. „Die Angriffe in Amerika laufen heute weiter, der Versuch, das Recht auf faire und freie Wahlen zu unterdrücken und zu untergraben, ein Angriff auf die Demokratie, ein Angriff auf die Freiheit, ein Angriff auf das, wofür wir als Amerikaner stehen.“
Die USA stehe vor „einer neuen Welle der beispiellosen Wählerunterdrückung und einer groben und andauernden Untergrabung der Wahlen“ von 2022. Gemeint sind die Midterms, die Zwischenwahlen zum US-Kongress im nächsten Jahr.
„Wir stehen vor der größten Bewährungsprobe unserer Demokratie seit dem Bürgerkrieg“, so Biden. „Das ist keine Übertreibung... Die Konföderierten sind damals nie in das Kapitol eingedrungen, wie es die Aufständischen am 6. Januar getan haben. Ich sage das nicht, um Sie zu alarmieren. Ich sage das, weil Sie alarmiert sein sollten.“
Bidens düsteres Eingeständnis, dass die amerikanische Demokratie im Sterben liegt, stand in krassem Gegensatz zu seinen schwachen und hilflosen Vorschlägen zur Verteidigung der Demokratie. Sie reduzierten sich auf erhobene Zeigefinger und moralische Appelle an „meine republikanischen Freunde im Kongress und in den Bundesstaaten, Städten und Countys, um Gottes Willen aufzustehen und dabei zu helfen, diese konzertierten Versuche zur Untergrabung unserer Wahlen und des heiligen Wahlrechts zu verhindern“.
„Haben Sie kein Schamgefühl?“, klagte Biden.
Er nannte weder Trump noch einen seiner republikanischen Mitverschwörer beim Namen. Auch über die Drohungen von Texas’ Gouverneur Greg Abbott verlor er kein Wort. Abbot hatte mit Rückendeckung der Texaner Republikaner 51 Abgeordneten der Demokraten im Repräsentantenhaus von Texas mit Verhaftung gedroht, weil sie am Montag nach Washington D.C. geflogen waren, damit das Parlament in Texas nicht beschlussfähig ist und dadurch die Verabschiedung eines neuen Wahlrechtsgesetzes verzögert wird.
Das Weiße Haus ließ verlauten, dass Biden nicht plant, sich mit den texanischen Demokraten zu treffen. Diese wollen die Regierung drängen, die Filibuster-Regel des US-Senats zu ändern, d.h. die Taktik einer Dauerrede der parlamentarischen Minderheit, um die Mehrheit im Senat zu blockieren. Wenn die Filibuster-Regel eingeschränkt würde, könnten zwei Gesetzesentwürfe verabschiedet werden, die viele der antidemokratischen Maßnahmen in den Gesetzen der republikanischen Bundesstaaten verbieten und den wichtigsten Durchsetzungsmechanismus des Wahlrechtsgesetzes von 1965 wiederherstellen würden.
Dieses Gesetz von 1965 soll die gleiche Wahlbeteiligung von Minderheiten, besonders Afroamerikanern, gewährleisten. Doch ein Paragraph, wonach Staaten, Countys und Kommunen bei Änderungen des Wahlrechts erst eine Freigabe aus Washington benötigen, wurde 2013 durch den Obersten Gerichtshof der USA gekippt.
Letzten Monat blockierten die Republikaner einstimmig eine Abstimmung im Senat über eine verwässerte Version des Gesetzes „For the People Act“, das der Demokrat Joe Manchin geschrieben hatte. Manchin und einige weitere rechte Demokraten weigern sich, eine Abschwächung der antidemokratischen Filibuster-Regel zu unterstützen, um die Verabschiedung der Wahlrechtsmaßnahmen zu ermöglichen.
Bidens Rückgratlosigkeit und sein Beharren auf „Überparteilichkeit“ und „Einheit“ mit angeblich „gemäßigten“ Republikanern steht im schärfsten Kontrast zur politischen Grausamkeit der von Trump dominierten Republikanischen Partei. Bei der Sondersitzung des Parlaments in Texas, die einberufen wurde, um das Anti-Wahlrechtsgesetz durchzusetzen, gab Abbott den Ton vor. Er ließ vorher einen 62-jährigen afroamerikanischen Arbeiter verhaften und ins Gefängnis stecken, weil er letztes Jahr angeblich illegal gewählt hatte, während er noch auf Bewährung war.
Biden kündigte in seiner Rede in Philadelphia an, dass er 25 Millionen Dollar für das Demokratische Nationalkomitee bereitstellen würde, um eine Kampagne für Wählerregistrierung und Aufklärung durchzuführen, die sich an den strengeren Anforderungen der republikanischen Maßnahmen orientiert. Mit dieser einzigen konkreten Maßnahme unter Bidens Vorschlägen akzeptiert er in Wirklichkeit stillschweigend die Niederlage der demokratischen Wahlrechtsgesetze, die selbst nur wenig dazu beitragen würden, den Angriff auf das Wahlrecht und den Vorstoß mächtiger Teile der herrschenden Klasse in Richtung Diktatur aufzuhalten.
Die läppische Summe von 25 Millionen Dollar zeigt, wo die wahren Prioritäten der Biden-Regierung und der Demokratischen Partei liegen, der ältesten kapitalistischen Partei der Welt. Mit überwältigender Unterstützung der Demokraten im Kongress hat Biden einen Militärhaushalt in einer Rekordhöhe von 753 Milliarden Dollar vorgeschlagen. Mit anderen Worten, er will 30.000 Mal mehr Geld ausgeben, um sich auf einen Krieg gegen die atomar bewaffneten Rivalen des US-Imperialismus, unter anderem China und Russland, vorzubereiten, als einen – wie er zugibt – fundamentalen Angriff auf die Demokratie abzuwehren.
Weder die Partei des amerikanischen Kapitalismus noch irgendeine andere offizielle Institution kann die demokratischen Rechte gegen den Aufstieg der faschistischen Kräfte und den anwachsenden Militarismus verteidigen. Der Aufstieg Trumps und die Transformation der Republikanischen Partei ebenso wie der Rechtskurs der Demokraten sind das Ergebnis eines langwierigen Prozesses des wirtschaftlichen Niedergangs, der seinen krankhaftesten Ausdruck im schwindelerregenden Anstieg der sozialen Ungleichheit findet.
Demokratische Rechte sind unvereinbar mit einem extremen Maß an sozialer Ungleichheit und endlosen Kriegen. Bereits im Jahr 2000 akzeptierten die Demokraten kampflos den Diebstahl der Wahl durch den Obersten Gerichtshof, der eine Neuauszählung in Florida stoppte und dem eigentlichen Wahlverlierer George W. Bush das Weiße Haus übergab. Nachdem der Oberste Gerichtshof 2013 das Wahlrechtsgesetz ausgehöhlt hatte, haben die Obama-Regierung und die Demokraten nichts gemacht, um es wiederherzustellen.
Die Corona-Krise hat jetzt vor den Augen von Milliarden Menschen die Inkompetenz der kapitalistischen Regierungen und Eliten und ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Leben offenbart. Die Pandemie hat alle Widersprüche des Kapitalismus verschärft und die sozialen Spannungen angeheizt.
Die Biden-Administration setzt Trumps Politik der Herdenimmunität fort, die bereits Hunderttausende Menschenleben dem Profit der Konzerne geopfert und zu einer enormen Konzentration des Reichtums an der Spitze geführt hat. Nach Angaben der US-Notenbank Federal Reserve über die Vermögensverteilung in den USA hat die ärmste Hälfte der Bevölkerung seit Anfang 2020 rund 700 Milliarden Dollar hinzugewonnen, während das reichste Prozent 10 Billionen Dollar zusätzlichen Reichtum gemacht hat.
Die Appelle der Demokraten nach einer Einheit mit Trumps Republikanischer Partei sind von der Angst getrieben, dass die Arbeiterklasse den Würgegriff der unternehmensfreundlichen Gewerkschaften und des kapitalistischen Zweiparteiensystems durchbrechen könnte. Sie wollen einen korporatistischen Staat, mit dem sie die Arbeiterklasse gewaltsam in Schach halten können. Gleichzeitig fördern sie die Identitätspolitik, um die Arbeiter zu spalten und zu desorientieren.
Die wachsenden Streiks in den USA und international – bei Volvo Trucks in Virginia, bei Bergarbeitern, Krankenpflegern und in vielen anderen Bereichen – entwickeln sich zu einem Aufstand gegen die rechten Gewerkschaftsapparate. Diese Kämpfe werden sich intensivieren. Entscheidend ist, dass sie mit einer bewussten sozialistischen Perspektive bewaffnet werden, die auf dem Kampf für die Arbeitermacht beruht.
Die Arbeiter werden erkennen, dass es keine Demokratie außerhalb des Kampfs für den Sozialismus gibt. Die Socialist Equality Party muss als neue politische Führung aufgebaut werden, um für die politische Unabhängigkeit und internationale Einheit der Arbeiterklasse zu kämpfen.