Die folgende Rede hielt Tom Scripps am 1. Mai 2021 auf der Online-Maikundgebung der World Socialist Web Site und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Scripps ist stellvertretender nationaler Sekretär der Socialist Equality Party (SEP), Großbritannien.
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Zum zweiten Mal muss das Internationale Komitee der Vierten Internationale an seiner Maikundgebung feststellen, dass der heldenhafte Journalist Julian Assange weiterhin in einem Hochsicherheitsgefängnis in London gefangen gehalten wird. Wir erneuern unsere Forderung nach seiner Freilassung.
Im vergangenen Jahr hat die World Socialist Web Site an besonderen Jahrestagen auf die herausragende Qualität von Assanges Journalismus hingewiesen und immer wieder deutlich gemacht, warum der Kampf für seine Freiheit so wichtig ist.
Am 25. Juli waren es zehn Jahre seit der Veröffentlichung der Afghanistan-Kriegsprotokolle, und am 22. Oktober zehn Jahre seit der Veröffentlichung der Irak-Kriegsprotokolle. Sie präsentierten eine einmalige Darstellung der brutalen imperialistischen Invasion und Besetzung dieser Länder. Gleichzeitig deckten sie den verheimlichten Mord an Tausenden von Zivilisten und den Einsatz von Todesschwadronen und Folter auf.
Der 27. November markierte ein Jahrzehnt seit der Veröffentlichung der US-Diplomaten-Depeschen, die imperialistische Verschwörungen und Putschversuche, Korruption und staatliche Überwachung dokumentierten.
Am 24. April dieses Jahres waren es zehn Jahre seit der Veröffentlichung der Guantanamo-Akten, die dokumentieren, dass Gefangene gefoltert und Unschuldige, darunter auch Kinder, jahrelang ohne Gerichtsverfahren inhaftiert worden sind.
In der Zwischenzeit wurden nicht die Architekten dieser Verbrechen vor Gericht gestellt und inhaftiert, sondern Assange, weil er sie aufdeckte.
Vor ein paar Wochen jährte sich zum zweiten Mal seine Entführung aus der ecuadorianischen Botschaft in London, wo er politisches Asyl erhalten hatte und wo ihn die britische Polizei fast sieben Jahre lang willkürlich festhielt. Er wurde in einen Polizeiwagen verfrachtet und ins Belmarsh-Gefängnis geworfen. Seither ist er einer ununterbrochenen Kette von Schikanen ausgesetzt, und seine gesetzlichen und demokratischen Rechte werden unaufhörlich verletzt. Die Vereinigten Staaten streben seine Auslieferung wegen einer Anklage an, die ihm insgesamt 175 Jahre Haft unter unmenschlichen Bedingungen einbringen kann
Zwei Jahre später befindet er sich immer noch in der Hand seiner Feinde.
Eine britische Richterin, Vanessa Baraitser, entschied im Januar, dass Assange aufgrund seiner psychischen Gesundheit nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden könne, womit sie eingestand, dass der WikiLeaks-Gründer stark suizidgefährdet ist.
Aber das war eine politisch kalkulierte Entscheidung. Sie hat Assange nicht mehr als eine einzige Minute Freiheit eingebracht. Mit Ausnahme des Punktes seiner Gesundheit hat Baraitser jedes antidemokratische Element des Falles der amerikanischen Regierung akzeptiert und damit die Tür für eine Berufung durch die Staatsanwaltschaft weit offen gelassen.
Als die Biden-Regierung an die Macht kam, stellte sie als eine ihrer ersten Amtshandlungen klar, dass die Vereinigten Staaten Berufung einlegen und die Auslieferung von Assange weiterhin anstreben würden. Das beweist, dass es zwischen den Republikanern und den Demokraten in der Frage ihrer Verachtung demokratischer Grundrechte nicht den geringsten Unterschied gibt. Das Gleiche gilt sowohl für alle bürgerlichen Parteien, als auch für die Medien, die ihnen alles nachplappern, und ihre pseudolinken Anhängsel auf der ganzen Welt.
Assanges Auslieferungsanhörung im Londoner Old Bailey im vergangenen September war ein Wendepunkt im Zusammenbruch der Demokratie. Der Weltimperialismus ist auf das Niveau abgrundtiefer Kriminalität gesunken. Während ein Zeuge nach dem anderen die von WikiLeaks aufgedeckten Verbrechen aufzählte – „kollateraler Mord“, „außerordentliche Überstellungen“, Folterverhöre und Angriffskriege – saß Assange auf der Anklagebank, der „Spionage“ beschuldigt, und wurde als verantwortungsloser Hacker verunglimpft.
Dieses groteske Spektakel wurde in der bürgerlichen Presse mit kaum einem Wort erwähnt. Mit Verspätung gaben die liberalen Journalisten Lippenbekenntnisse gegen Assanges Auslieferung ab, um ihre eigene enthusiastische Unterstützung für eine schmutzigen Verleumdungskampagne zu vertuschen, an der sie sich zehn Jahr lang beteiligt haben.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Vor kurzem hat das Establishment sich zynisch über die Behandlung des rechten Handlangers der Imperialisten, Alexei Nawalny in Russland, aufgeregt. Das einzig Positives daran ist die Tatsache, dass es die angebliche Unterstützung für Assange als Betrug entlarvt. Es gibt kaum eine Ausgabe des britischen Guardian oder der amerikanischen New York Times, die keine Verteidigung des politisch abstoßenden Nawalny enthält. An ihr letztes Wort über Assange kann man sich dagegen kaum erinnern.
Die Pseudolinken, die an der Spitze der verlogenen und völlig diskreditierten Kampagne gegen Assange wegen angeblicher Sexualvergehen standen, können sich auch heute kaum dazu durchringen, seinen Namen in den Mund zu nehmen.
Mit ihrem fast durchgängigen Schweigen zu Assange leisten diese Kräfte dem Weltimperialismus einen wichtigen Dienst und unterstützen seinen Drang zu Krieg und Diktatur. Die Pandemie hat die klassen- und geopolitischen Spannungen dramatisch verschärft. Im Sinne ihrer räuberischen Interessen und im Versuch, die wachsenden sozialen Unruhen nach außen abzulenken, eskalieren die USA und ihre Verbündeten ihre Aggression gegen Russland und China.
Mit dieser Agenda bedroht die herrschende Klasse die Welt mit einem katastrophalen Krieg zwischen atomar bewaffneten Mächten. Sie weiß, dass sie dies nicht durchsetzen kann, ohne die demokratischen Rechte auszuhöhlen. Deshalb wollen Joe Biden, der britische Premierminister Boris Johnson und die ganze Bande Assange brutal zerstören, als Präzedenzfall und Abschreckung für all diejenigen, die imperialistische Verbrechen aufdecken und sich ihnen entgegenstellen.
Assanges andauernde Verfolgung hat die Kluft vergrößert, die im Kampf um seine Freiheit zwischen zwei entgegengesetzten Perspektiven besteht.
Die offizielle Kampagne, vertreten durch die Organisation „Don't Extradite Assange“ (DEA), richtet ihre Bemühungen darauf, linke Scharlatane zu rekrutieren und Appelle an den kapitalistische Staat und seine Repräsentanten zu richten. Dies begann damit, dass sie für den rückgratlosen damaligen Labour-Führer Jeremy Corbyn eingetreten sind, der seinerseits seine Hoffnungen auf die rechte Regierung Johnson setzte, und gipfelte darin, dass sie völlig bankrotte Appelle an die Präsidenten Trump und Biden für eine Begnadigung gerichtet haben.
Dies ist die Politik der Passivität und der Niederlage. Sie versuchen, mit Hilfe von Politikern und prominenten Unterstützern dem wirklichen Kampf auszuweichen, der die einzige Kraft mobilisiert, die Assanges Freiheit erreichen kann: die internationale Arbeiterklasse. Im Ergebnis haben sie eine bunte Schar von Hinterbänklern und politischen Kommentatoren zusammengetrommelt, die nur dann die Stimme erheben, wenn sie sicher sind, dass keiner sie hört. Das ist keine Abkürzung, sondern ein Hindernis auf dem Weg zu den Massen.
Das IKVI weist diese betäubenden Appelle zurück. Wir wenden uns direkt an die Arbeiterklasse und organisieren sie im internationalen Klassenkampf zur Verteidigung von Assange. An dem heutigen Tag, an dem das IKVI eine globale Initiative zum Aufbau von Aktionskomitees startet, um die gewaltigen Klassenkämpfe, die vor uns liegen, zu koordinieren, sind wir zuversichtlicher denn je, dass diese Perspektive Assanges Freiheit erreichen wird.