Tarifabschlüsse in der Metall-, Elektro- und Stahlindustrie

IG Metall sichert sich Mitsprache bei Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen

Die IG Metall hat am frühen Dienstagmorgen in Düsseldorf für fast 4 Millionen Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie einen Abschluss ohne prozentuale Erhöhung bei den Tabellenentgelten unterschrieben. Arbeiter werden mit Einmalzahlungen abgespeist, deren Auszahlung jedoch von den Profiten der Konzerne abhängt.

Dies beschert den Konzernen steigende Profite, den Arbeitern Reallohnsenkungen. Vor allem aber ermöglicht es der IG Metall und ihren Betriebsräten, die Belegschaften im Würgegriff zu halten. Die Gewerkschaft hat sich vertraglich zusichern lassen, dass sie an zukünftigen Kürzungsbeschlüssen in den Betrieben beteiligt wird.

Der Abschluss hatte sich abgezeichnet. Am letzten Wochenende hatte die IG Metall unter Bezirksleiter Knut Giesler in der nordwestdeutschen Stahlindustrie für die derzeit noch 70.000 Beschäftigten ein ähnliches Ergebnis als „fairen Kompromiss“ bezeichnet. Die Stahlarbeiter erhalten Ende Juni eine 500 Euro hohe Corona-Prämie und Ende Dezember 2021 sowie Ende Februar 2022 jeweils 250 Euro. Ab 2023 sollen sich diese Einmalzahlungen auf 600 Euro im Jahr erhöhen.

Nun hat Giesler in der Metall- und Elektroindustrie in NRW für rund 700.000 Beschäftigte einen ähnlichen Pilot-Vertrag abgeschlossen, der für die bundesweit rund 3,8 Millionen Arbeiter übernommen werden soll. Der neue Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 21 Monaten, bis Oktober 2022 herrscht Friedenspflicht.

Laut dem Abschluss vom Dienstagmorgen erhalten die Beschäftigten wie in der Stahlindustrie zunächst eine einmalige Corona-Sonderzahlung in Höhe von 500 Euro. Auszubildende erhalten 300 Euro.

Kernstück der Einigung ist aber ein neues „Transformationsgeld“. Die Beschäftigten bekommen – theoretisch – ab Juli dieses Jahres ein monatliches Plus von 2,3 Prozent. Diese Lohnerhöhung wird jedoch angespart und nur einmal im Jahr als Gesamtsumme ausgezahlt: 18,4 Prozent eines Monatsentgelts im Februar 2022 und 27,6 Prozent im Februar 2023.

Die eigentliche Crux ist jedoch, dass das Transformationsgeld in den meisten Unternehmen überhaupt nicht zu Auszahlung kommt. Es kann nämlich benutzt werden, um den Lohnausgleich bei künftigen Arbeitszeitverkürzungen zu finanzieren. Unternehmen, denen Gewerkschaft und Vorstand bescheinigen, in der Krise oder der Transformation zu stecken, können das Geld verwenden, um einen Entgeltausgleich bei Arbeitszeitverkürzungen auf bis zu 32 Stunden in der Woche zu finanzieren.

In der Praxis bedeutet dies, dass Arbeiter ihren eigenen Lohnausgleich bezahlen, indem sie auf die vereinbarte Lohnerhöhung verzichten – ein Nullsummenspiel. Kein Wunder, dass die Unternehmer jubeln.

„Wir haben unsere Ziele dieser Tarifrunde erreicht“, sagte Gesamtmetall-Präsident Wolf. Nach der von der IG Metall abgesegneten Nullrunde im letzten Jahr gebe es auch in diesem Jahr keine zusätzlichen Belastungen der Unternehmen und keinen Einstieg in eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung.

Der Präsident des nordrhein-westfälischen Metall-Unternehmensverbandes, Arndt G. Kirchhoff, lobte das „faire“ Ergebnis. Nachdem die IG Metall anfangs eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 4 Prozent gefordert hatte, stellte er zufrieden fest: „Für uns ist es ganz wichtig, dass unsere Unternehmen wie schon 2020 auch im Jahr 2021 keine Erhöhung der Tabellenentgelte verkraften müssen.“

Dass Arbeitszeitverkürzungen kommen werden, steht fest. „Welches Unternehmen steckt denn nicht entweder in einer Krise oder in der Transformation?“ lauteten die ersten Reaktionen von Stahl- und Autoarbeitern.

Die IG Metall schlägt seit langem eine Vier-Tage-Woche bei 32 Stunden als Mechanismus vor, um den Arbeitsplatzabbau bei der Umstellung auf Elektromobilität und autonomes Fahren und zur allgemeinen Profitmaximierung durchzusetzen. Hunderttausende Arbeitsplätze stehen allein in der Autoindustrie auf der Kippe.

Die IG Metall steht ebenso wie die Konzerneigner auf dem Standpunkt, dieses Jobmassaker sei unumgänglich. Mit der Arbeitszeitverkürzung soll der Abbau zeitlich gestreckt und verwirklicht werden, ohne dass es zu „betriebsbedingten Kündigungen“ kommt. Stattdessen werden Arbeiter von den Betriebsräten und den Personalabteilungen unter Druck gesetzt, über Abfindungen oder Frührenten freiwillig auszuscheiden. Neue Beschäftigte werden nicht eingestellt, die relativ gut bezahlten Industrie-Arbeitsplätze sind unwiderruflich verloren.

Der Tarifabschluss ermöglicht eine 32-Stunden-Woche für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren. Da Vorstand und Gewerkschaft auf Betriebsebene zustimmen müssen, sind zahlreiche betriebliche Vereinbarungen vorprogrammiert.

Schon 2018 waren tarifliche Zusatzgelder A und B vereinbart worden. Das Zusatzgeld A konnte mit Zustimmung der Betriebsräte in acht freie Tage umgewandelt werden. Nun kann auch das tarifliche Zusatzgeld B, das eigentlich im Oktober fällig wird, abhängig vom Unternehmensergebnis entfallen. Die Auszahlung kann aufgeschoben werden, wenn das Unternehmen ein negatives Ergebnis erzielt.

Mit anderen Worten: Gehen die Gewinne zurück, finanzieren die Arbeiter Rendite und Dividenden mit ihren Löhnen und Arbeitsplätzen.

Doch damit nicht genug. Das Verhandlungsergebnis sieht zusätzliche „Zukunftstarifverträge“ auf betrieblicher Ebene vor. Der Betriebsrat kann Gespräche mit der Unternehmensspitze – wahlweise auch zwischen Arbeitgeberverband und IG Metall – verlangen, in denen, so IG-Metall-Bezirksleiter Giesler, „die Situation analysiert“ und „die nötigen Schritte in einem Tarifvertrag“ festgeschrieben werden.

Wird keine Einigkeit über einen Regelungsbedarf im Betrieb erzielt, kann eine Moderation vereinbart werden. Zudem können die Betriebsparteien zur weiteren Beratung eine von den Tarifvertragsparteien zu gründende Transformationsagentur hinzuziehen.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann lobte den Abschluss in den höchsten Tönen. „Inmitten einer der schwersten Krisen in der Geschichte der Bundesrepublik“ sei erreicht worden, „dass die Krisenfolgen fair verteilt und nicht einseitig bei den Arbeitnehmern abgeladen werden“. Die Einkommen der Beschäftigten seien stabilisiert und Arbeitsplätze gesichert worden.

Das Gegenteil ist der Fall – und die Gewerkschaft hat dies maßgeblich forciert. Sie hat mit den Konzernen nicht nur einen Burgfrieden geschlossen, sondern die Mechanismen für kommende Angriffe auf Löhne und Arbeitsplätze vereinbart.

Die Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsratsfürsten stehen wie die millionenschweren Manager und Aktionäre auf dem Standpunkt, dass die Produktion in den Fabriken und Werken Deutschlands bedeutend effizienter werden muss, um die internationalen Konkurrenten auszustechen: Arbeitsplätze müssen abgebaut, Lohnkosten gesenkt werden.

Sie fürchten, eine offene Konfrontation mit den Belegschaften könnte einen Flächenbrand auslösen, der der Kontrolle der Gewerkschaften entgleitet und das kapitalistische Privateigentum in Frage stellt. Sozialisten würden Einfluss gewinnen, der üppige Geldregen für ihre Posten in Betriebsräten, Aufsichtsräten, usw. würde versiegen – von den halblegalen Vergünstigungen und illegalen Bestechungsgeldern ganz zu schweigen.

Die Konzerne nutzen die Corona-Pandemie, um lang geplante Angriffe zu verwirklichen. Zehntausende Arbeitsplätze wurden bereits abgebaut und die Löhne auf Betriebsebene gesenkt. Als die Produktion dann Ende letzten Jahres wieder anstieg (selbst in der Stahlindustrie lag sie im Dezember höher als im Vorjahresmonat), Autohersteller Milliardengewinne erzielten und diese an die Aktionäre weiterreichten, stieß das ständige Gerede der Unternehmen von „Krise“, „fehlenden Verteilungsspielräumen“ und ihr Ruf nach „Maßhalten“ auf wachsende Empörung in den Betrieben, die trotz Corona-Gefahr weiter produzierten. Daher beteiligten sich 800.000 Metaller trotz Pandemie-Beschränkungen an den Warnstreiks der IG Metall.

Die Sozialistische Gleichheitspartei begrüßte die Kampfbereitschaft der Arbeiter, warnte aber vor dem Ausverkauf der IG Metall. Anfang März erklärte ich in einem Statement: „Die IG Metall, die zu den Warnstreiks aufgerufen hat, verfolgt grundlegend andere Ziele als ihre Mitglieder. Die Gewerkschaft steht mit beiden Beinen fest im Lager der Unternehmen und arbeitet gemeinsam mit diesen die Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen aus.“ Das hat sich nun bestätigt.

Zwar machen die Lohnkosten in der Autoindustrie nur noch maximal ein Fünftel der Gesamtkosten aus, aber die menschliche Arbeitskraft ist der einzige Produktionsfaktor, der Mehrwert schafft.

Die Arbeiter sind nicht einfach nur mit den Konzernen, deren Managern und Aktionären konfrontiert, sondern auch mit der Gewerkschaft. Mit dem jetzigen Abschluss verschärfen sie ihren Würgegriff um die Arbeiter. Diese müssen sich unabhängig von der IG Metall organisieren und den Kampf gegen Arbeitsplatzabbau, für höhere Löhne, den Schutz der Gesundheit und bessere Arbeitsbedingungen in die eigenen Hände nehmen.

Als erster Schritt dafür ist der Aufbau von der IG Metall unabhängiger Aktionskomitees notwendig. Schließt euch unserer Facebook-Gruppe Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze an.

Loading