Vergangenen Sonntag veröffentlichte das Journal de Dimanche ein Interview mit Jean-Luc Mélenchon, Parteichef von La France insoumise (LFI, „Unbeugsames Frankreich“), in dem er eine massive militärische Aufrüstung und die Vorbereitung auf große Kriege forderte.
„Wir sollten über unsere Vorstellung von Landesverteidigung nachdenken“, erklärte Mélenchon dort. „Ist der Schutz unseres Staatsgebiets garantiert? Können wir uns weiterhin eine Marine leisten, deren Verteilung auf unsere Seegebiete einer Dichte von zwei Polizeiautos für die ganze französische Landmasse entspricht?“
Und weiter: „Wie sieht es mit der Einsatzbereitschaft von [französischen] Atomwaffen aus, wenn Cyberkrieg und Weltraumpräsenz Hackerangriffe auf die Kommunikation des Gegners ermöglichen?“ Mélenchon konnte seine Wut über die vermeintlich katastrophale Lage der französischen Rüstungsgüter nicht verbergen und erklärte, die Situation stelle sich so dar, „als wenn wir in der Epoche der Schusswaffen mit Armbrüsten in die Schlacht ziehen würden. Im 21. Jahrhundert gibt es drei neue Konfliktfelder: das Meer, der Weltraum und das Cyberspace. Die Machtverhältnisse sind nicht mehr dieselben wie früher. Frankreich muss in all diesen Bereichen aktiv sein. Wir haben alle menschlichen und technischen Mittel dazu. Das wäre eine Quelle der Innovation und der kollektiven Begeisterung.“
Mélenchon ging nicht darauf ein, welche Folgen seine Forderung nach „kollektiver Begeisterung“ für militärische Aufrüstung haben würde. Gegen welche Länder sollte Frankreich Atomangriffe oder verheerende Cyberangriffe vorbereiten? Wie viele Menschenleben würden solche Angriffe fordern?
Er redet und agiert wie ein aggressiver Befürworter des französischen Imperialismus, weil Mélenchon genau das verkörpert. Er stellt die räuberischen Absichten der französischen Banken und Konzerne, die geostrategisch wichtigen Rohstoffe und Märkte zu kontrollieren, als „nationale Verteidigung“ dar. Die Macron-Regierung kritisiert er von rechts, indem er ihr vorwirft, diese Interessen nicht aggressiv genug durchzusetzen.
Die Forderung nach einem Wettrüsten als Quelle für eine „kollektive Begeisterung“ ist ein nationalistischer Aufruf zum Militarismus, und er hat absolut nichts mit linker, geschweige denn mit marxistischer Politik zu tun. Er entspricht einem politischen Konzept, das rechte und faschistische Regimes im 20. Jahrhundert recht gut verstanden haben, als sie versuchten, Klassenspannungen durch Kriege nach außen abzulenken. Dieses Konzept entwickelt sich immer mehr zu einem zentralen Element von Mélenchons Reaktion auf die Corona-Pandemie.
Letzten Monat erklärte Mélenchon in einem Interview mit einer Gruppe spanischer, schweizerischer, italienischer und deutscher Zeitungen, LFI habe für seine Reaktion auf das Coronavirus sorgfältig untersucht, was die französische herrschende Klasse im Ersten Weltkrieg für eine Politik entwickelt hatte.
Er erklärte: „Wir haben uns die Gesetze von 1915–1916 angesehen, um zu verstehen, wie genau vorgegangen wurde. Die französische Gesellschaft war eine Bauerngesellschaft; alle Männer waren an der Front, und Millionen von ihnen starben. Es interessierte uns, wie damals der soziale Zusammenhalt erhalten wurde.“ In dieser Zeit benutzte die herrschende Klasse militaristische, fremdenfeindliche und antisemitische Propaganda, um während des Gemetzels des Ersten Weltkriegs den „sozialen Zusammenhalt“ aufrechtzuerhalten und den sozialistischen und Antikriegs-Widerstand der internationalen Arbeiterklasse zu unterdrücken. Dieser Widerstand entlud sich schließlich in der Russischen Revolution von 1917.
Genau wie im Ersten Weltkrieg hat die Corona-Pandemie Hunderten Millionen den innewohnenden Konflikt zwischen den Profitinteressen der kapitalistischen Elite und der Verteidigung des Lebens der Arbeiterklasse vor Augen geführt, was einen Sturz des Kapitalismus notwendig macht. Mélenchon spricht nicht als Revolutionär, der die Arbeiterklasse mobilisiert, sondern als konterrevolutionärer Verteidiger des kapitalistischen Systems, der eine solche Bewegung um jeden Preis verhindern will.
Schon seitdem die Macron-Regierung die allgemeine Dienstpflicht schrittweise wieder einführt, gehören Mélenchon und die LFI zu den wichtigsten Befürwortern dieser Maßnahme. Bisher besteht die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes, was die Wiedereinführung der Wehrpflicht erleichtern soll. Der LFI-Abgeordnete Alexis Corbière hatte bei einer Pressekonferenz im Februar 2018 eine Verlängerung des nationalen Dienstes gefordert, die „die Grundlage für eine Nationalgarde der Bürger wäre. Dies würde es ermöglichen, die Verbindung zwischen dem Militär und der Nation wiederaufzubauen.“
Heute reagiert Mélenchon mit Feindschaft und Angst auf den Linksruck der Arbeiterklasse. Nach zwei Jahren von „Gelbwesten“-Protesten, Bahnarbeiterstreiks und zunehmenden Arbeitskämpfen auf der ganzen Welt wächst der Widerstand der Arbeiter gegen die Art und Weise, wie die herrschende Klasse auf die Pandemie reagiert. Europas politische und wirtschaftliche Führung nutzt die Krise als Chance. Banken und Konzerne haben sich mit den Rettungspaketen Billionen Euro angeeignet, aber den Arbeitern verordnen sie die Rückkehr an die Arbeit, obwohl dies zur weiteren Ausbreitung des Virus führt. Der massive Sparkurs wird verschärft, um die Billionen aufzubringen, mit denen die Konzerne sich sanieren wollen.
In Frankreich bereitet Macrons neuer Premierminister Jean Castex Rentenkürzungen, die Zerstörung von Sozialleistungen und einen umfassenden Stellenabbau vor. Er stimmt sich eng mit den „Sozialpartnern“ in den Gewerkschaften ab, ohne die er den Widerstand der Arbeiterklasse nicht unterdrücken kann.
Mélenchon unterstützt diesen Kurs. Er kritisiert Macrons Reaktion auf die Pandemie hauptsächlich deshalb, weil dieser es nicht geschafft habe, durch ausreichende wirtschaftliche Planung die Interessen der französischen Wirtschaft gegen ihre Rivalen zu verteidigen.
In dem Interview vom Sonntag klagte Mélenchon: „Während der Gesundheitskrise wurde unser Land gedemütigt: Wir waren in Bezug auf Stoffmasken, Tests und pharmazeutischer Grundstoffe auf China angewiesen. Wieder einmal ist Planung der Schlüssel zur Zukunft, um das souveräne Volk von morgen hervorzubringen.“ Dies und „Souveränität“, so Mélenchon, erlaubten „die Rückkehr zu wirtschaftlicher Aktivität“.
Mélenchon kritisiert immer mal wieder den einen oder anderen Teil von Macrons Sparkurs und fordert die Erhöhung bestimmter Sozialausgaben. Dasselbe würde er jedoch nach einem eigenen Wahlsieg auf keinen Fall durchsetzen. Stattdessen würde er eine nationalistische Wirtschaftspolitik verfolgen, die zwangsläufig zum Handelskrieg gegen Frankreichs imperialistische Rivalen und zur Eskalation der sozialen Angriffe auf die Arbeiterklasse führen würde.
Angesichts der globalisierten kapitalistischen Produktion bedeutet seine Forderung, Frankreich für Kapital aus dem Ausland attraktiv zu machen, eine Verschlechterungen der Löhne und Arbeitsbedingungen der französischen Arbeiterklasse und die Senkung der Körperschaftssteuern. Auch ist die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften erforderlich, um den Widerstand der Arbeiterklasse zu unterdrücken. Mélenchons Lobeshymnen auf das Militär und die Politik der „Union Sacrée“ (die in Frankreich während des Ersten Weltkriegs dem deutschen „Burgfrieden“ entsprach), beweist, dass er damit einen massiven Ausbau des Polizeistaats befürwortet.
Mélenchons europaweite Verbündete haben dies bereits unter Beweis gestellt. Überall dort, wo sie an die Macht gekommen sind, haben sie den Staat gegen die Arbeiter aufgerüstet. In Spanien ist die Schwesterpartei Podemos gemeinsam mit der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) an der Regierung. Podemos hat einem Bankenrettungspaket im Wert von 100 Milliarden Euro zugestimmt. Die Regierung, der sie angehört, bereitet ein neues Sparpaket vor, hat die Bereitschaftspolizei gegen streikende Stahlarbeiter mobilisiert und lässt die Wirtschaft trotz der Pandemie wieder anlaufen, sodass sich das Virus noch weiter ausbreiten kann.
In Griechenland hat die ehemalige Syriza-Regierung, die mit Mélenchons Unterstützung an die Macht gekommen ist, die brutalsten finanziellen Einschnitte seit Jahrzehnten durchgeführt, die Bereitschaftspolizei gegen die darauf folgenden Proteste eingesetzt und das Vorgehen gegen Flüchtlinge verschärft.
Mélenchon erwähnte es zwar nicht ausdrücklich, doch sein Interview war auch Ausdruck der Diskussionen in den herrschenden Kreisen über den französisch-türkischen Konflikt im Mittelmeer. Frankreich und die Türkei unterstützen in Libyen rivalisierende Milizfraktionen, die auf unterschiedlichen Seiten kämpfen. Diese Milizen sind als Folge des Libyenkriegs entstanden, den Frankreich, Großbritannien und die USA im Jahr 2011 führten, um Gaddafi zu stürzen. Mélenchon unterstützte damals Frankreichs neokolonialen Krieg und behauptete betrügerischer Weise sogar, es ginge um den Schutz der Demokratie. Heute befürwortet er die Aufrüstung, um die Interessen des französischen Imperialismus bei der Aufteilung Libyens und Nordafrikas gegen seine Rivalen zu unterstützen.
Sparmaßnahmen, Polizeiaufrüstung oder Militarismus, wie sie die herrschenden Klassen Europas verfolgen – dies alles findet in der arbeitenden Bevölkerung keinen Rückhalt. Damit sich in der Arbeiterklasse ein revolutionärer Kampf entwickeln kann, müssen Demagogen wie Jean-Luc Mélenchon entlarvt und zurückgewiesen werden.