Ermutigt von US-Präsident Donald Trump und unterstützt von Tausenden Soldaten der Nationalgarde, läuft die amerikanische Polizei im ganzen Land Amok gegen Demonstranten. Trump hatte zuvor gedroht, das Militär gegen die Demonstranten einzusetzen.
Kaum zwei Wochen nach Beginn der Proteste gegen den Polizeimord an George Floyd sind schon mehr als 10.000 Menschen verhaftet worden. Die meisten von ihnen wurden von der Polizei misshandelt und festgenommen, weil sie sich weigerten, „auseinanderzugehen“ oder weil sie gegen Ausgangssperren verstoßen hatten. Dies geschah sowohl in Städten mit Bürgermeistern der Demokraten, als auch der Republikaner.
Tausende von friedlichen Demonstranten wurden mit Tränengas und Pfefferspray angegriffen, mit Gummi- und Beanbag-Munition beschossen, mit Knüppeln geschlagen oder zu Boden geworfen. Ernsthafte Verletzungen und einige Todesfälle waren die Folge. Während die Mainstreammedien die Entwicklung weitgehend ignorieren, taucht in den sozialen Netzwerken ein Video nach dem anderen auf und befeuert die Empörung der Bevölkerung.
Sarah Grossmann, die vor kurzem ihren Abschluss an der Universität von Ohio gemacht hatte, starb letztes Wochenende nach einer Demonstration in Columbus (Ohio) am 30. Mai, bei der sie mit Tränengas besprüht wurde. Der Leichenbeschauer von Montgomery County bestätigte, dass er an Grossman eine Autopsie durchführt – sie erlitt allem Anschein nach eine Asthmaanfall, nachdem sie mit der Chemikalie traktiert worden war.
Bislang wurde niemand wegen Grossmans Tod verhaftet oder angeklagt.
In Buffalo liegt ein 75-jähriger Mann nach wie vor im Erie County Medical Center, nachdem er am Donnerstag bei einer Demonstration von Polizeibeamten attackiert worden war und das Bewusstsein verloren hatte. Sein Zustand ist stabil, aber bedrohlich. Obwohl der Angriff auf Video festgehalten wurde, ist bis zum Samstag noch kein Beamter dafür zur Verantwortung gezogen worden. Das Video wurde bereits mehr als 80 Millionen Mal auf Twitter angesehen und auf anderen Social-Media-Plattformen ebenfalls weit verbreitet.
Der Verwundete, ein Friedensaktivist aus Amherst namens Martin Gugino, wurde von einem Beamten der Polizei von Buffalo namens Aaron Torgalski brutal zu Boden gestoßen. Guginos Kopf schlug auf das Pflaster auf. Er begann sofort aus einem Ohr zu bluten. Das Bildmaterial, welches den Angriff dokumentiert, ist zutiefst verstörend. Torgalski und seine Kollegen ließen Guginos offenbar leblosen Körper im Blut liegen und vertrieben die besorgten Zeugen und Reporter vom Tatort.
Eine Petition an die Polizei von Buffalo, in der Torgalskis Entlassung gefordert wird, erhielt bereits innerhalb von weniger als einem Tag die benötigten 300.000 Unterschriften. Dies verdeutlicht das Ausmaß der Empörung, die über staatliche Gewalt unter Arbeitern und Jugendlichen unabhängig von ihrer Hautfarbe herrscht.
Im Vorfeld dieses brutalen Angriffs hatte auf dem Niagara Square in der Innenstadt von Buffalo eine friedliche Demonstration stattgefunden. Um 20 Uhr mussten die Proteste aufgrund einer Ausgangssperre beendet werden, die der demokratische Bürgermeister Byron Brown bis Sonntag verhängt hatte. Polizeibeamte in Ausrüstung zur Aufstandsbekämpfung begannen, mit Rückendeckung der Soldaten der Nationalgarde, die etwa zwölf friedlichen Demonstranten zu vertreiben, die noch auf dem Platz geblieben waren.
Gugino, der allein auf dem Bürgersteig lief, brachte den Beamten einen zurückgelassenen Einsatzhelm – offenbar mit der Absicht, ihn der Polizei zurückzugeben. Der Lokalsender WBFO veröffentlichte ein Video, auf dem der Ruf eines Beamten zu hören ist: „SCHIEBT IHN ZURÜCK!“ – gefolgt von dem Übelkeit erregenden Geräusch eines Schädels, der auf Beton schlägt.
Die wenigen verbliebenen Demonstranten und der WBFO-Korrespondent Mike Desmond, der den Angriff auf Video festhielt, riefen besorgt um Hilfe. Als ein Demonstrant versucht, erste Hilfe zu leisten, wird er von einem Beamten zurückgestoßen und angebrüllt: „Was läufst du Arsch auf mich zu?“
Die Polizei von Buffalo versuchte zunächst, das Verbrechen zu vertuschen. Michael DeGeorge, ein Sprecher von Bürgermeister Brown und der städtischen Polizei, verschickte um 20:50 Uhr eine E-Mail an Reporter, in der er behauptete, Gugino sei „während eines Gerangels zwischen Demonstranten gestolpert und hingefallen“.
Desmond, der den gesamten Vorfall gefilmt hatte, veröffentlichte zwanzig Minuten später auf Twitter das Video, das den wirklichen Tathergang dokumentiert. Nach weniger als zwei Stunden sah sich die Polizei von Buffalo gezwungen, zwei Beamte unbezahlt zu suspendieren und eine interne Untersuchung einzuleiten. Ohne das Beweisvideo wären zweifellos weder die Beamten suspendiert, noch eine Untersuchung eingeleitet worden.
Um ihre „Unterstützung“ mit den suspendierten Beamten anzuzeigen, traten alle 57 Mitglieder des Emergency Response Teams von Buffalo aus der Einheit aus. Sie veranschaulichten damit erneut den Abgrund, der sich zwischen der Arbeiterklasse und der Polizei auftut.
In Fort Lauderdale (Florida) ist LaToya Ratlieff nach fast einer Woche noch immer nicht von den Folgen eines Beschusses mit „weniger tödlicher“ Schaumgummi-Munition genesen, die von Polizeibeamten auf Demonstranten abgefeuert wurde. Ratlieff, die am letzten Sonntag an einer friedlichen Demonstration von etwa 1.500 Arbeitern und Jugendlichen teilgenommen hatte, hatte die Kundgebung zu verlassen versucht, nachdem sie von Tränengas getroffen worden war. Durch den Beschuss erlitt sie einen Schädelbruch und außerdem eine Fraktur der Augenhöhle, als sie zu Boden ging.
Die Bereitschaftspolizei von Fort Lauderdale hat ihre Kordons bewusst außerhalb des Parkhauses gebildet, in dem die Mehrheit der Demonstranten, einschließlich Ratlieff, ihre Autos geparkt hatten. Durch diesen Schritt musste es zwangsläufig zu einer Konfrontation kommen. Ratlieff befand sich etwa neun Meter von den Beamten entfernt, als man ihr in die Stirn schoss. Laut dem Handbuch des Herstellers gelten Schaumgummigeschosse als tödliche Munition, wenn sie auf Hals oder Kopf abgefeuert werden.
Besorgte Demonstranten kamen ihr sofort zu Hilfe, obwohl sie ebenfalls mit Gummigeschossen und Tränengas beschossen wurden, und brachten ihren blutenden Körper ins Krankenhaus. In einem Videointerview mit dem Miami Herald stellte sie das Verhalten ihrer Brüder und Schwestern aus der Arbeiterklasse in scharfen Kontrast zu ihrer Misshandlung durch die Polizei von Fort Lauderdale.
„Diese völlig fremden Menschen helfen mir, sie sind im Krankenhaus geblieben, um sicherzustellen, dass ich zurechtkomme... Zivilisten und Leute, die sich selbst dem Risiko aussetzen, von Gummigeschossen getroffen zu werden, haben mich gerettet, während diese Beamten dastanden und zusahen, wie ich blutend am Boden lag. Sie bewegten sich nicht. Ich habe nicht einen einzigen Beamten gesehen, der mir geholfen hätte.“
Zum Ende des Interviews, während sie – den Tränen nahe – noch das leere Gehäuse von der Größe einer Getränkedose hochhielt, fragte sie: „Warum haben sie auf mich geschossen?“
Tage später erklärte die Polizei von Fort Lauderdale in einer Stellungnahme, sie habe „keine spezifischen Informationen über den Vorfall“, und deshalb seien „keine Beamten vom Dienst suspendiert worden“. Die Polizei weigerte sich, die Polizeiberichte von diesem Tag zu veröffentlichen. Eine Untersuchung wurde bislang nicht in die Wege geleitet.