Steuermilliarden für die Deutsche Bahn – Lohnkürzungen für die Belegschaft

Das Bundesverkehrsministerium, die Deutsche Bahn AG, die Eisenbahngewerkschaft EVG und der Konzernbetriebsrat haben ein „Bündnis für unsere Bahn“ vereinbart, das die Folgen der Coronakrise auf die Belegschaft abwälzt.

Gewerkschaft und Betriebsrat verpflichten sich darin, bis 2024 zwei Milliarden Euro beim Personal einzusparen und das Management bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen vor Ort zu unterstützen. EVG-Chef Klaus-Dieter Hommel und der Konzernbetriebsratsvorsitzende Jens Schwarz haben einem entsprechenden Eckpunktepapier bereits zugestimmt.

Die Initiative zu dem Bündnis ging von der EVG aus, der Hausgewerkschaft der Bahn. In einem Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und den Arbeitsdirektor der Deutschen Bahn Martin Seiler hatte sie für ein „Bündnis für Beschäftigung und Mobilität“ geworben.

Am 17. Mai hatte EVG-Chef Hommel noch gewarnt, dass die Einsparungen bei der Bahn 10.000 Arbeitsplätze kosten würden. Nun rühmt er das von ihm initiierte Bündnis, weil damit der Stellenabbau verhindert werde und die geplanten Neueinstellungen weitergingen. „Wir haben mit diesem heutigen Bündnis gesichert, dass es eben nicht zu einem befürchteten Stellenabbau kommt“, behauptete er am Dienstag.

Stattdessen werden die zwei Milliarden Euro nun auf anderem Wege aus der Belegschaft herausgepresst. Wie genau, erklärte Hommel nicht. Er bemerkte lediglich, er sehe Einsparpotenzial bei Arbeitszeiten und Organisationstrukturen. Die Beschäftigten der an chronischem Personalmangel leidenden Bahn müssen also mit noch mehr Arbeitsstress, längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich, der Kürzung von Zuschlägen und ähnlichem rechnen.

Eine entsprechende Vereinbarung ist anscheinend bereits unterschrieben worden. Im Strategiepapier des Bündnisses heißt es, dass die Tarifpartner „zusammen mit diesem Bündnis Eckpunkte zu einer tarifvertraglichen Vereinbarung“ abschließen und „ihren Beitrag“ leisten, „um das Unternehmen wirtschaftlich zu stabilisieren“.

Während die Beschäftigten langfristig auf Lohn verzichten, verzichtet der Konzernvorstand lediglich in diesem Jahr (!) auf Boni und verpflichtet sich, variable Vergütungen für Führungskräfte um eine Summe „im dreistelligen Millionenbereich“ zu senken. Bei den DB-Töchtern DB Netz, DB Station & Service und DB Energie wird ausdrücklich nicht auf Boni- und Dividendenzahlungen verzichtet.

Die Bahn hat hohe Verluste eingefahren, weil die Fahrgastzahlen infolge der Corona-Pandemie um bis zu 90 Prozent eingebrochen sind. Die Bundesregierung beziffert den Schaden beim größten deutschen Staatskonzern auf 11 bis 13,5 Milliarden Euro. Geplant ist nun, dass der Bund das Eigenkapital der Bahn mit einer Finanzspritze um 6,9 bis 8,4 Milliarden Euro erhöht.

Zudem hat der Haushaltsausschuss des Bundestages auf Anregung von Scheuer einer höheren Verschuldungsgrenze der Bahn zugestimmt. Die derzeit rund 25 Milliarden Euro Schulden sollen Ende 2020 rund 32 Milliarden Euro erreichen können. Die Bahn hat sich im Gegenzug verpflichtet, in den nächsten Jahren bis zu 5,1 Milliarden Euro einzusparen, 2 Milliarden davon beim Personal.

Die Lokführergewerkschaft GDL hat sich dem Bündnisaufruf nicht angeschlossen. Auch sie lehnt Einsparungen beim Personal nicht grundsätzlich ab. „Wir verweigern uns nicht der Verantwortung in Corona-Zeiten“, sagt der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky. „Wenn man mit uns einen Sanierungstarifvertrag schließen will – der vielleicht notwendig ist – soll man das in vernünftigen Verhandlungen mit uns tun.“

Weselsky verlangt, dass nicht bei den Lokführern, Zugbegleitern und anderen operativ Beschäftigten gespart wird, die seine Gewerkschaft hauptsächlich vertritt, sondern bei den Beschäftigten in der Verwaltung, die überwiegend in der EVG organisiert sind.

Ein „Beschäftigungsbündnis für jedermann“ sei nicht geeignet, „ein funktionierendes Eisenbahnunternehmen zu erhalten“, so der GDL-Chef. Man brauche weniger Häuptlinge und mehr Indianer. „Die DB-Wettbewerber kommen mit meist viel weniger Führung und Verwaltung aus.“ Während Lokführer und Zugbegleiter in den letzten Wochen und Monaten den Konzern aufrechterhalten hätten, seien die Verwaltungsmitarbeiter im Homeoffice gewesen.

Seinen reaktionären Versuch, die Belegschaft der Deutschen Bahn zu spalten, verbindet der GDL-Chef mit der Forderung, bei den Staatshilfen auch die zahlreichen anderen Bahnunternehmen zu berücksichtigen. „Es dürfte euch nicht verborgen geblieben sein, dass wir in den letzten zehn Jahren mit insgesamt weiteren 53 Eisenbahnverkehrsunternehmen und Personaldienstleistern Tarifverträge abgeschlossen haben“, schreibt er in einem Brief an die Konkurrenzgewerkschaft EVG.

Ähnlich argumentiert der Interessenverband Mofair, der sich für den „fairen Wettbewerb im Personennahverkehr“ stark macht. Leider habe sich Bundesverkehrsminister Scheuer einseitig auf eine Unterstützung des Staatskonzerns DB festgelegt, moniert der Verband.

Außerdem fordert Weselsky, dass sich die Deutsche Bahn auf das nationale „Kerngeschäft“ konzentriert. „Wir lassen uns nicht in die Pflicht nehmen für Missmanagement und Träume vom Global Player“, poltert er. „Die DB hat Milliarden im Ausland versenkt, beispielsweise bei Arriva.“

Das Schicksal der Beschäftigten der Bus- und Bahngesellschaft Arriva, die in 14 europäischen Ländern operiert, interessiert Weselsky offensichtlich nicht. Der Bahn-Konzern versucht seit längerem, das Unternehmen loszuwerden, fand aber bislang keinen Käufer.

Neben der GDL fordert auch der Bundesrechnungshof, dass die Bahn sich von Arriva und zudem von der Logistiktochter DB Schenker trennt. In einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages verlangt die Kontrollbehörde, dass Investitionen nur noch der Eisenbahn in Deutschland dienen und alle Töchter im Ausland verkauft werden.

Das „Bündnis für unsere Bahn“ hat den Zweck, dafür zu sorgen, dass die Deutsche Bahn auf Kosten der Belegschaft so schnell wie möglich wieder Profit abwirft. Seit Jahren wird Personal abgebaut und das Schienennetz kaputtgespart; nun dient die Coronakrise als Vorwand, diese Entwicklung zu beschleunigen – mit voller Unterstützung von Betriebsrat und Gewerkschaften.

Bereits 1994 waren die Investitionen mit der Privatisierung der Deutschen Bahn rigoros zurückgefahren worden, so dass der Zustand der Infrastruktur heute katastrophal ist. Bahnhöfe wurden verkauft und sind zerfallen. Das Schienennetz wurde seit 1994 um 17 Prozent verkleinert (von über 40.000 auf 33.500 km). Es ist teilweise stark überaltert, mit vielen mechanischen und elektromechanischen Stellwerken. Die Flexibilität des Netzes hat sich dramatisch verschlechtert, u. a. durch die Halbierung der Zahl der Weichen von fast 132.000 auf rund 66.600. Das hat auch auf die Pünktlichkeit der Bahn negative Auswirkungen.

Vor allem aber ist die Belegschaft in Deutschland nahezu halbiert worden. Die Vollzeitkräfte wurden seit 1994 von 340.000 auf 180.000 reduziert. Die Arbeitsintensität ist entsprechend gestiegen. Es fehlen Zehntausende Fachkräfte, was direkte Folgen für den Bahnbetrieb und die Instandhaltung hat. Die seit Ende 2018 begonnenen Neueinstellungen im Gesamtkonzern – 24.000 bis zum letzten und weitere 25.000 in den kommenden Jahren – gleichen diesen Verlust nicht aus.

Bahnbeschäftigte berichten der WSWS, dass sie den Begriff „Eisenbahnerfamilie“ nur noch als Hohn empfinden. Neben den Kürzungen bei Arbeitsplätzen und der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen erinnern sie an „die hohen Gehälter und Millionenabfindungen der Manager, die die Bahn in die Krise geritten haben, z. B. Hartmut Mehdorn und Alexander Doll“. Auch die großen Prestige-Bauprojekte, wie der Stuttgarter Hauptbahnhof oder der Bahnhof in Hamburg-Altona, „verschlingen Milliarden ohne dass ein hoher Nutzen sichtbar wird“.

Nun sollen erneut die Beschäftigten für die Verluste des privatisierten Staatskonzerns, diesmal im Zuge der Corona-Krise, zahlen. Die Deutsche Bahn sowie andere Unternehmen der Daseinsvorsorge müssen unter Arbeiterkontrolle gebracht werden, damit die gewaltigen staatlichen Summen für das Personal sowie den Ausbau des Schienennetzes und der übrigen Infrastruktur genutzt werden können. Nur so können die Interessen der Beschäftigten im Einklang mit den gesamtgesellschaftlichen Interessen gebracht werden.

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