Am vergangenen Freitag drangen teils mit Sturmgewehren bewaffnete Demonstranten in das Staatskapitol in Lansing ein, den Sitz der Regierung und des Parlaments im US-Bundesstaat Michigan. Sie forderten von Gouverneurin Gretchen Whitmer die Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen, die aufgrund der Verbreitung von Covid-19 erlassen wurden. Nur einen Tag später erklärte Präsident Donald Trump auf Twitter, er unterstütze die Proteste der rechten Demonstranten.
Trumps Vorgehen erinnert nur allzu offensichtlich an seine Unterstützung für den Aufmarsch hunderter Rechtsextremer in Charlottesville (Virginia) im August 2017. Damals lobte er die Rassisten als „gute Leute“. Jetzt schrieb Trump auf Twitter: „Die Gouverneurin von Michigan sollte etwas nachgeben und den Brand bekämpfen. Das sind sehr gute Leute, aber sie sind wütend. Sie wollen ihr Leben zurück, und zwar zu sicheren Bedingungen! Treffen Sie sie sich mit ihnen, reden Sie mit ihnen und finden Sie eine Einigung.“
Zu der „Kundgebung amerikanischer Patrioten“, wie sie die Veranstalter nannten, kamen am Donnerstag mehrere Hunderte Menschen, viele davon auch aus anderen Bundesstaaten. Um 13 Uhr begann die Polizei, die Stimmung der Teilnehmer zu testen. Als bewaffnete Demonstranten das Kapitol betraten und „Sperrt sie ein!“ oder „Heil Whitmer!“ riefen, schritt die Polizei nicht ein.
Im Inneren des Kapitols versuchten die Demonstranten sich Zugang zu den Sitzungssälen des Repräsentantenhauses zu verschaffen, wurden aber von Sicherheitskräften und der Staatspolizei daran gehindert. Einige von ihnen drangen zwar bis auf die Galerie des Sitzungssaals vor, doch die meisten blieben vor dessen Eingang im Treppenhaus und riefen: „Lasst uns rein!“ Die Demonstranten verstießen ganz offensichtlich gegen die Regeln des Bundesstaates zur sozialen Distanzierung und zur Maskenpflicht.
Neben automatischen Schusswaffen trugen einige der Protestierenden auch Fan-Artikel, die sie als Anhänger Trumps auswiesen. Einige der Teilnehmer stellten Hakenkreuze zur Schau und schwangen Konföderierten-Flaggen oder Henkersschlingen. Eine Gruppe von Bewaffneten, die sich als Michigan Liberty Militia zu erkennen gab, bezeichnete sich als „Sicherheitsdienst“ der Demonstranten und stellte sich mit Waffen im Anschlag vor das Büro der Gouverneurin.
Die demokratische Senatorin von Michigan, Dayna Polehanki, veröffentlichte auf Twitter ein Foto, auf dem Bewaffnete auf der Galerie zu sehen sind, und schrieb: „Direkt über mir sind Männer mit Gewehren. Sie schreien uns an. Einige meiner Kollegen haben ihre schusssicheren Westen angelegt. Ich habe unser Sicherheitspersonal noch nie so zu schätzen gewusst wie heute.“
Genau wie die Proteste in Lansing am 17. April sowie zahlreiche ähnliche Demonstrationen im ganzen Land war auch die Protestveranstaltung am vergangenen Donnerstag mit der Führung der Republikaner abgesprochen. Dass Trump Gouverneurin Whitmer dazu drängt, sich mit den Demonstranten „zu einigen“, ist Teil der landesweiten „Back-to-Work“-Kampagne. Diese wird vom Weißen Haus koordiniert, um die sozialen Distanzierungsmaßnahmen zu beenden und die Arbeiter wieder in die Betriebe zu zwingen.
Die Wall Street und die Mainstream-Medien verbreiten seit Wochen die Lüge, die Pandemie sei so gut wie vorbei und die Bevölkerung könne zurück an die Arbeit. Die Gefahr bei dieser vorschnellen Rückkehr wird in Michigan besonders deutlich. Die Zahl der bestätigten Fälle stieg am Freitag um fast 1.000 auf 42.356, die Zahl der Toten auf 3.866. Derzeit deutet nichts auf eine „Abflachung der Kurve“ hin.
Die Demonstration am Donnerstag fiel mit dem Auslaufen des Ausnahmezustands zusammen, den Whitmer am 23. März angeordnet hatte. Damals wurden die Geschäfte geschlossen und die Bevölkerung angewiesen, zu Hause zu bleiben. Laut Gesetz darf der Ausnahmezustand in Michigan nach 28 Tagen nur verlängert werden, wenn die Legislative dem zustimmt.
Angespornt von den Demonstranten vor dem Kapitol, stimmte das von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus gegen eine Verlängerung des Ausnahmezustands. Gouverneurin Whitmer gab dennoch eine Reihe von Dekreten heraus, darunter auch eine Verlängerung des Ausnahmezustands wegen Covid-19 bis zum 28. Mai.
Angeblich wurden die Proteste von einem Verein namens Michigan United for Liberty organisiert. Die Website der Vereinigung liefert allerdings sehr wenig Informationen über dessen Ziel und Zweck. Eine Recherche ergab, dass die von der Gruppe genutzte Domain am 9. April registriert wurde. Ein Twitter-Account wurde ebenfalls im April eingerichtet.
Michigan United for Liberty tritt als Kläger in einem Verfahren gegen Whitmer auf, das am 22. April vor einem Gericht in Michigan eingeleitet wurde. Darin wird die Befugnis der Gouverneurin Dekrete zu erlassen in Frage gestellt. Ein Urteil steht noch aus, allerdings handelt es sich um eines von mehreren Verfahren, in denen ein Ende des Ausnahmezustands und eine Rückkehr an die Arbeit gefordert wird. Die meisten Kläger erhalten Unterstützung von den Republikanern.
Das Repräsentantenhaus von Michigan stimmte nicht nur gegen Whitmers Dekret, dass die Bevölkerung weiterhin zu Hause bleiben soll. Lee Chatfield, der republikanische Sprecher des Hauses, soll zudem zu einer Klage ermächtigt werden, die die Entscheidungen der Gouverneurin in der Covid-19-Krise in Frage stellt. Chatfield sagte zu der Abstimmung: „Es gibt drei Regierungsgewalten: die Exekutive, die Legislative und die Judikative. Sie alle haben ihre Aufgabe, auch in einer Pandemie. In diesem Fall sollten wir die dritte Regierungsgewalt ins Spiel bringen.“
Chatfields Äußerungen und frühere Klagen gegen Whitmer verdeutlichen die Haltung von Justizminister William Barr im Konflikt um die Notfallmaßnahmen. Barr hatte am Montag in einem Memorandum den Staatssekretär für Bürgerrechte im Justizministerium Eric Dreiband und den zuständigen US-Generalstaatsanwalt Matthew Schneider dazu angewiesen, aktiv zu werden „wenn eine Bundesstaatsregierung oder kommunale Behörde die Grenzen der angemessenen Autoritätsausübung zur Eindämmung von Covid-19 überschreitet und zu einer übermäßigen Einschränkung von verfassungsgemäßen und gesetzlich vorgeschriebenen Rechten greift“.
Durch die Ernennung Schneiders zum Verantwortlichen fällt die „Back to work“-Kampagne unter die Autorität der Strafverfolgungsbehörden, darunter das FBI und die Bundesgerichte. Die Entscheidung verdeutlicht, dass Michigan im Zentrum einer Offensive der herrschenden Elite steht, die Arbeiter wieder in die Betriebe zu zwingen. Mediziner und Experten für öffentliche Gesundheit warnen vor den Gefahren eines solchen Schritts, und auch Arbeiter organisierten bereits Streiks und Proteste gegen unsichere Bedingungen in den Fabriken und an den Arbeitsplätzen.
Das politische Establishment braucht diese politische und juristische Kampagne, weil in der Arbeiterklasse Widerstand gegen ein Ende der sozialen Distanzierungsmaßnahmen und der Selbstisolation herrscht. Die Pandemie breitet sich währenddessen immer weiter aus.
Eine Umfrage nach der anderen bestätigt, dass mehr als zwei Drittel der amerikanischen Öffentlichkeit gegen eine schnelle Rückkehr zur Arbeit sind, auch wenn wirtschaftliche Folgen drohen. Die Harvard-Universität, die Northeastern University und die Rutgers-Universität veröffentlichten am Donnerstag eine in allen 50 Bundestaaten durchgeführte Umfrage. 68 Prozent aller Einwohner Michigans erklärten, die Bundesstaatsregierung reagiere auf die Krise „genau richtig“. Nur 24 Prozent waren der Meinung, es werde überreagiert.
In den Mainstream-Medien wird der Widerstand gegen die „Back-to-Work“-Kampagne heruntergespielt. Gleichzeitig wurde über die Demonstration in Lansing, an der nur einige Hundert teilnahmen, umfassend berichtet- Sie wurde als Ausdruck einer weit verbreiteten Forderung nach einem schnellen „Hochfahren“ der Wirtschaft dargestellt. Ähnliches gilt für mindestens ein Dutzend kleiner, rechter Demonstrationen in anderen Bundesstaaten, vor allem in solchen mit Gouverneuren der Demokraten.
Die unverhältnismäßige Berichterstattung ist bewusst auf die Forderungen des Weißen Hauses, der Wall Street und der Superreichen abgestimmt, die Wirtschaft wieder hochzufahren. Das Lügenmärchen, die Öffentlichkeit wolle unbedingt zurück an die Arbeit, wird sowohl von den Demokraten als auch von den Republikanern gefördert. Es gibt zwischen ihnen lediglich taktische Differenzen über das Tempo, in dem die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung aufgehoben werden sollten.
Obwohl die Anhängerschaft der rechtsextremen und faschistischen Gruppen nach wie vor gering ist, wäre es gefährlich, den anwachsenden Faschismus in Amerika zu unterschätzen. Es ist eine Drohung an die Arbeiterklasse, dass Gruppen rechtsextremer Milizionäre mit Waffen in das Innere eines Regierungsgebäudes eines US-Bundesstaats eindringen können. Diese Gruppen werden von beträchtlichen Teilen der herrschenden Klasse, dem politischen Establishment und dem Staatsapparat unterstützt, damit sie gegen Aufstände der Arbeiterklasse eingesetzt werden können. Sie werden als Streikbrecher und Kettenhunde der herrschenden Elite aufgebaut.
Die Proteste in Michigan werden von Organisationen aus dem Umfeld von Trumps milliardenschwerer Bildungsministerin Betsy DeVos unterstützt. In anderen Bundesstaaten fördern Milliardäre wie die Koch-Brüder und die Coors-Familie rechte Gruppen, die für die Rückkehr an die Arbeit demonstrieren.
Gleichzeitig nutzen diese Kräfte die Ängste und die Frustration von überwiegend kleinbürgerlichen Schichten wie Kleinunternehmern aus. Ihnen droht durch die Reaktion der Finanzoligarchie auf die Pandemie der finanzielle Ruin. Die Demokraten, die die Rettungspakete an die Konzerne und Banken vollauf unterstützen, haben diesen verzweifelten kleinbürgerlichen Schichten nichts zu bieten.
Die Gewerkschaften, die Demokraten und ihre pseudolinken Verbündeten hindern die Arbeiterklasse an einer unabhängigen Politik im Kampf gegen die Pandemie. Sie verhindern die Verteidigung des Lebensstandards sowie der demokratischen Rechte der Arbeiter und anderer Gesellschaftsschichten, und unterstützen die unaufhörlich wachsenden Profite der Wirtschaftselite. Dies schafft den Nährboden für extreme Rechte, um Zuspruch bei der verarmten Mittelschicht zu finden und gegen Arbeiter vorzugehen.
Der Aufbau einer unabhängigen Bewegung in der Arbeiterklasse ist unerlässlich, um gegen die Pandemie und das kapitalistische System zu kämpfen. Im Kapitalismus wird jede effektive globale Mobilisierung der Wissenschaft und von Ressourcen zur Einschränkung der Pandemie und ihrer Folgen unmöglich gemacht. Auf der Grundlage eines sozialistischen Programms wird die Arbeiterklasse die Unterstützung von beträchtlichen Teilen der Mittelschicht gewinnen, die einen Ausweg aus der Katastrophe suchen, die der Kapitalismus geschaffen hat.