Aufschub für das Auslieferungsverfahren von Julian Assanges

Covid-19 wütet in britischen Gefängnissen

Am gestrigen 27. April haben die Anwälte des inhaftierten WikiLeaks-Verlegers Julian Assange beim Londoner Amtsgericht Westminster Berufung eingelegt, um eine Verzögerung der Auslieferungsanhörung zu erreichen. Sie sollte ursprünglich am 18. Mai wieder aufgenommen werden. Wie am Montagabend bekannt wurde, will das Gericht den Termin auf November verschieben.

Aufgrund der Infektionsgefahr durch Covid-19 nahm Assange nicht an der gestrigen Anhörung zum Fallmanagement teil (auch nicht per Video-Link), denn die Überführung aus seiner Gefängniszelle in den Interviewraum hätte bedeutet, in Kontakt sowohl mit andern Gefangenen als auch mit dem Personal zu treten, von denen jemand mit dem Virus infiziert sein könnte.

Assange wird seit mehr als einem Jahr im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten Londons festgehalten. Dies wird ausschließlich mit einem Auslieferungsersuchen der US-Regierung begründet, weil WikiLeaks geheime Informationen über amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan veröffentlicht hat.

Die Anwälte Assanges trugen gestern Gründe dafür vor, dass die grundlegenden Rechte ihres Mandanten auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren infolge der Abschottung gegen die Pandemie drastisch beschnitten werden. Zum Beispiel kann er sein Recht, Beweise einzusehen und sich mit einem Rechtsbeistand zu beraten, in keiner Weise wahrnehmen. Internationale Reisebeschränkungen und das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus bedeuten auch, dass wichtige Zeugen nicht in der Lage wären, im Mai an dem Verfahren teilzunehmen.

In einer am Freitag veröffentlichten Erklärung des WikiLeaks-Botschafters Joseph Farrell heißt es: „Es ist ganz klar, dass diese Anhörung nicht schon in wenigen Wochen stattfinden kann. Julians Anwälte können sich nicht angemessen vorbereiten, Zeugen werden nicht reisen können, und Journalisten und die Öffentlichkeit insgesamt werden keinen freien, angemessenen und sicheren Zugang zu der Verhandlung haben. Weder wird es möglich sein, Recht zu sprechen, noch auch nur Recht und Unrecht sichtbar zu machen.“

Bei der gestrigen Anhörung war es Journalisten und Beobachtern nur möglich, das Verfahren zu verfolgen, wenn sie eine Möglichkeit hatten, sich per Telefoneinwahl dazu zu schalten. Es ist völlig klar, dass in nur wenigen Wochen am Woolwich Crown Court kein Verfahren durchgeführt werden kann.

Am 8. April teilte Assange dem Journalisten Vaughan Smith mit, dass im Belmarsh-Gefängnis das Coronavirus wüte. Bisher ist dort mindestens ein Gefangener an dem Covid-19 gestorben, während unbestätigte Berichte vermuten lassen, dass ein zweiter Gefangener ebenfalls an dem Virus gestorben sein könnte.

Bis zum 23. April waren 304 Gefangene in 69 Gefängnissen positiv auf Covid-19 getestet worden. Bei den Gefängniswärtern gibt es 257 bestätigte Fälle, wobei die Vereinigung der Strafvollzugsbeamten angibt, dass bis zu 6.000 Gefängnismitarbeiter derzeit aufgrund von Covid-19 im Krankenstand seien.

Fünfzehn Gefangene und vier Gefängnismitarbeiter, bei denen das Virus bestätigt wurde, sind bisher gestorben.

Die Coronavirus-Pandemie wird vom Staat als Waffe eingesetzt, um die Schlinge um Assanges Hals enger zu ziehen. Er wird in Haft festgehalten, während sich das Virus unkontrolliert im Gefängnissystem ausbreitet.

Am 25. März weigerte sich Bezirksrichterin Vanessa Baraitser, Assange auf Kaution freizulassen, und wies die Angaben von Ärzten zurück, dass seine weitere Inhaftierung vor dem Hintergrund des Coronavirus ein „sehr reales“ und potenziell „tödliches“ Risiko für seine angeschlagene Gesundheit darstelle.

Anfang April versprach das Justizministerium (MoJ), 4.000 Gefangene in England und Wales vorzeitig aus der Haft zu entlassen, deren Haftzeit innerhalb von zwei Monaten zu Ende gehen würde. Schwangere Frauen oder Frauen in Mutter-und-Kind-Einheiten, die als „ungefährlich“ gelten, sollten ebenfalls für eine vorzeitige Entlassung in Betracht kommen, so das MoJ.

Kurz nach Bekanntgabe der Pläne zur Freilassung Tausender Gefangener gab die britische Regierung bekannt, dass sie Assange nicht freilassen werde, da er „keine Freiheitsstrafe verbüßt“. Daher sei dieses Gesetz auf ihn nicht anwendbar.

Assanges Gesundheitszustand ist durch ein Jahrzehnt willkürlicher Inhaftierung systematisch zerstört worden. Im Mai letzten Jahres stellte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Nils Melzer, fest, dass Assange medizinisch nachweisbare Symptome psychologischer Folter als Folge seiner jahrzehntelangen Verfolgung aufweist.

Der WikiLeaks-Gründer leidet an einem chronischen Lungenleiden, das ihn neben einer Vielzahl anderer medizinischer Probleme für Atemwegserkrankungen besonders anfällig macht. In einem offenen Brief schrieben die Doctors for Assange letzten Monat: „Leben und Gesundheit von Julian Assange sind aufgrund seiner willkürlichen Inhaftierung während dieser globalen Pandemie einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Diese Gefahr wird mit der Ausbreitung des Coronavirus noch zunehmen.“

Im Namen der Gruppe sagte Dr. Stephen Frost der World Socialist Web Site: „Die Ärzte müssen davon ausgehen, dass Assange stark immungeschwächt ist und daher in jedem Gefängnis, besonders aber in einem Gefängnis wie Belmarsh, einem stark erhöhten Risiko ausgesetzt ist, sich mit dem Coronavirus zu infizieren und daran zu sterben. Jeder zusätzliche Tag, an dem Assange im Gefängnis Belmarsh inhaftiert ist, stellt eine erhöhte Gefahr für sein Leben dar.“

Am 16. April wurde das Programm zur vorzeitigen Entlassung ausgesetzt, nachdem sechs Gefangene mehr als zwei Monate vor Ende ihrer Strafe irrtümlich freigelassen worden waren. Bei den Gefangenen handelte es sich zumeist um Häftlinge der Kategorie D (das geringste Risiko), und einige der Kategorie C. Alle kehrten „anstandslos“ ins Gefängnis zurück, als der Fehler erkannt wurde, so das MoJ.

Bis zum 23. April waren laut Danny Shaw, BBC-Korrespondent für Fragen der Inneren Sicherheit, nur etwa 25–50 Gefangene vorzeitig entlassen worden.

Die Aussetzung des Programms zeigt die kriminelle Missachtung der britischen herrschenden Klasse für das Leben der Gefangenen. Die Entscheidung wurde getroffen, obwohl mehr als 50 Prozent der Gefängnisse mindestens einen bestätigten Fall von Coronavirus aufweisen.

Dita Saliuka, deren Bruder Liridon am 2. Januar in Untersuchungshaft im Belmarsh-Gefängnis starb, sagte der WSWS, dass die Bedingungen in Belmarsh entsetzlich seien. Sie kritisierte die Regierung scharf, weil sie die Sicherheit der Gefangenen nicht gewährleiste, und auch für die Art und Weise, wie sie Assange behandelt.

„Die Menschen sterben in ihren Zellen [an Covid-19] – warum sind sie nicht im Krankenhaus?“ fragte Frau Saliuka. „Gefangene sind nicht sicher. Seit Liridons Tod kämpfe ich. Schon davor dachte ich, dass die Bedingungen in Belmarsh nicht sicher sind – jetzt weiß ich das zu 100 %.“

Sie berichtete, dass Mittarbeiter des Gesundheitswesens aus den Gefängnissen abgezogen worden seien. „Sie wurden gebraucht, um ‚an der Front‘ zu helfen. Als das [provisorische Feldlazarett] Nightingale im Osten Londons eröffnet wurde, übertrug man Matthew Trainer, dem Konzernchef von Oxleas, die Krankenhausleitung. Oxleas ist auch für die Gesundheitsfürsorge in Belmarsh verantwortlich, und es sieht so aus, als hätte Matthew Trainer einfach Personal aus Belmarsh abgezogen und dem Nightingale zugeteilt.“

Sie fuhr fort: „Wir alle wissen, wie schnell diese Krankheit Menschen tötet. Es kann nicht sein, dass es wochenlang dauert, Gefangene freizulassen. Einen Tag vor ihrer geplanten Entlassung könnten sie sterben. Als das alles begann, waren von 23.000 britischen Gefängnisbeamten etwa 8.000 Beamte abwesend, in Selbst-Isolation. In Belmarsh gibt es etwa 400 Beamte, und etwa 200 von ihnen waren nicht da, sondern in Selbst-Isolation. Aber Vanessa Baraitser sagte, in Belmarsh gebe es keine bestätigten Fälle! Warum isoliert sich dann die Hälfte des Gefängnispersonals? Und wie viele Gefangene werden von den andern isoliert?“

Am 17. April richteten zwei Gefangenen-Hilfsorganisationen (die Howard League for Penal Reform und der Prison Reform Trust) ein offizielles Schreiben an Justizminister Robert Buckland. Das ist die erste Etappe auf dem Weg zu einem formellen Gerichtsverfahren gegen ihn. Sie beschuldigten ihn wegen seines Umgangs mit der Covid-19-Pandemie in Gefängnissen.

Frances Crook, Leiter der Howard League, sagte: „Die Ansteckungsrate beschleunigt sich, und das Zeitfenster für den Schutz der Menschen schwindet. Die Minister müssen sich dieser Herausforderung stellen und sofort handeln, um eine Katastrophe im Bereich der öffentlichen Gesundheit abzuwenden.“

Der Verband der Gefängnisdirektoren, der das Gefängnispersonal vertritt, fordert, die Zahl der Gefängnisinsassen um 15.000 zu reduzieren, um die Covid-19-Pandemie in den Griff zu bekommen.

Mit ihrer Weigerung, Assange angesichts der Covid-19-Pandemie auf Kaution frei zu lassen, eskalieren Regierung und Justiz Großbritanniens ihre kriminelle Verfolgung des WikiLeaks-Journalisten. Arbeiter und Jugendliche auf der ganzen Welt müssen die sofortige Freilassung von Assange aus dem Gefängnis und die Einstellung der gegen ihn erhobenen falschen Anklage wegen Spionage fordern! Der Kampf für Assanges Freiheit ist untrennbar mit der Verteidigung der demokratischen Rechte der gesamten Arbeiterklasse gegen staatliche Zensur, Unterdrückung und Krieg verbunden.

Loading