Die amerikanische herrschende Klasse ist fest entschlossen, die Produktion rasch wieder hochzufahren und die Bevölkerung zurück an die Arbeit zu schicken. Wenn die Arbeiterklasse diese Politik nicht verhindert, wird die Zahl der am Coronavirus Erkrankten oder Verstorbenen erneut anschwellen.
Unter dem Aspekt der öffentlichen Gesundheit gibt es für eine Rückkehr an die Arbeitsplätze keine wissenschaftliche Grundlage. Die Anzahl der neu gemeldeten Covid-19-Fälle liegt in den USA nach wie vor bei etwa 30.000 pro Tag, mehr als 2.000 Menschen erliegen dem Virus täglich. Gestern Abend belief sich die offizielle Gesamtzahl der Todesopfer in den USA auf mehr als 50.000. Weltweit wurden zudem über 60.000 Neuinfizierte gemeldet, die Zahl der Verstorbenen liegt bei knapp unter 200.000.
Allerdings wird in der offiziellen Statistik ganz bewusst das eigentliche Ausmaß der Katastrophe verschleiert. Deutlich wird dies anhand von Studien zu den Dunkelziffern der an Covid-19 Verstorbenen. Demnach ist die tatsächliche Zahl der Todesfälle in den USA und Westeuropa mindestens doppelt so hoch wie offiziell angegeben. Die Anzahl der Neuinfizierten steigt in den Vereinigten Staaten zwar nicht mehr mit derselben immensen Geschwindigkeit wie in den vergangenen Wochen. Diese Zahlen sind aber hauptsächlich auf die systematische Einschränkung von Tests zurückzuführen.
Trotz der Faktenlage gehen immer mehr Bundesstaaten dazu über, die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung zu lockern. Dazu angespornt werden sie von den neuen „Richtlinien“, die US-Präsident Trump vergangene Woche verkündet hat. Gestern wurden in Georgia viele Unternehmen wiedereröffnet. In South Carolina, Florida, Tennessee, Montana und weiteren Bundessstaaten hat die Wiedereröffnung von Unternehmen bereits begonnen oder ist für diese Woche geplant. Nicht systemrelevante Produktionen sollen, wie von der US-Regierung vorgeschlagen, bis zum 1. Mai wieder anlaufen.
Das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der University of Washington betonte, dass besonders in Georgia die Distanzierungsmaßnahmen nicht vor Mitte Juni gelockert werden sollten. Zuvor hatte die die Trump-Regierung das Institut noch zitiert, um eine Rückkehr an die Arbeitsplätze zu rechtfertigen. In Georgia steigen die Neuinfektionen kontinuierlich an.
Einigen Unternehmen geht selbst das nicht schnell genug. Der Flugzeughersteller und Rüstungskonzern Boeing hat im Bundestaat Washington bereits 27.000 Angestellte zurück an die Arbeit geschickt, Tausende weitere im Großraum Philadelphia. Boeing umgeht dabei noch bestehende Beschränkungen, indem es seine Produktion als „systemrelevant“ hat einstufen lassen.
Am Montag wird Volkswagen die Produktion in den USA wieder aufnehmen, weitere Autohersteller wollen schnellstmöglich nachziehen. Die Gewerkschaft United Auto Workers, die bekannt ist für ihre korrupten Beziehungen zu den Konzernführungen, forderte seine Ortsvorstände auf, sich auf die „Wiederaufnahme der Produktion in naher Zukunft“ vorzubereiten.
Schutzmaßnahmen für Arbeiter sind derweil nicht vorgesehen. Die – zumindest dem Namen nach – zuständige Arbeitsschutzbehörde des amerikanischen Arbeitsministeriums hat von den bereits wieder geöffneten Unternehmen keinerlei Maßnahmen auferlegt. Das Arbeitsministerium kündigte letzte Woche zudem an, dass es keine Kontrollen der Arbeitsstätten vornehmen werde. Ausnahmen gelten nur für die Gesundheitsversorgung oder bei Notfallmaßnahmen.
Die amerikanische Regierung hat den Unternehmen außerdem signalisiert, dass diese nicht dafür haften müssen, wenn sich Arbeiter an ihren Arbeitsstätten mit dem Coronavirus anstecken. Trump erklärte dazu auf einer Pressekonferenz zu Beginn dieser Woche: „Wir wollen das nicht. Wir wollen, dass die Unternehmen wieder öffnen und das ohne Einschränkungen.“
Diese Politik wird katastrophale Folgen haben und schürt bereits jetzt Spannungen innerhalb des Staatsapparats. Der Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten, Anthony Fauci, erklärte in der Times zu Beginn der Woche, der Testumfang reiche derzeit nicht aus, um eine Wiedereröffnung von Unternehmen zu rechtfertigen.
Robert Redfield, Direktor der Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention, warnte Anfang der Woche vor einer zweiten Welle der Pandemie: „Es ist möglich, dass das Virus im kommenden Winter erneut stark ausbricht.“ Er ergänzte: „Die Situation könnte sogar noch schlimmer werden als das, was wir gerade durchgemacht haben.“
Auch zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten spitzt sich der Konflikt zu. Die National Governors Association veröffentlichte am Donnerstag eine Erklärung, in der sie vor einer „verführten Lockerung der Maßnahmen“ warnte. Die Bundesstaaten könnten dadurch „erneut in den Krisenmodus versetzt und die Kapazitäten der Gesundheitssysteme überlastet werden, was nochmals strenge Maßnahmen zur sozialen Distanzierung erzwingt. Die negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie würden sich wiederholen, das Vertrauen der Öffentlichkeit verringern, die Rezession vertiefen und die wirtschaftliche Erholung hinauszögern.“
Der Verweis auf ein „verringertes Vertrauen der Öffentlichkeit“ zeigt, wie groß die Angst der herrschenden Klasse vor sozialen Unruhen ist. Der Widerstand in der Bevölkerung, unter unsicheren Bedingungen zurück an die Arbeit zu gehen, ist überwältigend. Der Fernsehsender CBS veröffentlichte am Donnerstag die Ergebnisse einer Umfrage, in der sich rund 70 Prozent dafür aussprachen, dass „alles versucht werden muss, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Menschen sollen zu Hause bleiben und sich sozial distanzieren, auch wenn die Wirtschaft dadurch kurzfristig Schaden nimmt.“
Doch die herrschende Klasse stellt gar nicht die Frage, ob es eine Rückkehr an die Arbeitsplätze geben soll. Es geht nur um den Zeitpunkt.
Die Finanzoligarchie hat den Ausbruch des Coronavirus niemals als Notfall für das Gesundheitswesen betrachtet, der einer massive Mobilisierung von Ressourcen bedarf, um Menschenleben zu retten. Von Beginn an lag ihr Fokus auf den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie. Erst spielte die herrschende Klasse die Gefahr für die Bevölkerung herunter, um anschließend milliardenschwere Rettungspakte für die Wall Street zu schnüren.
Durch den CARES Act (Gesetz zur Unterstützung von Corona-Betroffenen) sowie durch die Unterstützung der Trump-Regierung, den Demokraten und Medien, sicherte die herrschende Klasse ihren Reichtum zunächst ab. Nun trommelt sie die Bevölkerung zurück an die Arbeit.
Für ihr Vorhaben nutzt die herrschende Klasse die wirtschaftliche Not der Arbeiter aus. Die Zahl der Anträge auf Arbeitslosenunterstützung ist in den USA in der vergangenen Woche um 4,4 Millionen gestiegen, seit Beginn Krise sind es insgesamt 26 Millionen. Doch die tatsächlichen Zahlen liegen weit höher, da Millionen Arbeiter keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben oder Anträge nicht einreichen konnten, da Internetportale und Telefonleitungen vollkommen überlastet sind.
Jeder, der sich nun aus Angst um sein Leben weigert, wieder an die Arbeit zurückzukehren, wird vergeblich auf staatliche Unterstützung warten.
Die Wahl zwischen Verarmung und Tod muss von den Arbeitern entschieden abgelehnt werden. Die öffentliche Diskussion ist beherrscht von der Frage, wer die Wirtschaft rettet. Doch die eigentlichen Fragen lauten: Wessen Wirtschaft wird gerettet? Und in welchem Interesse? Die herrschende Klasse beharrt auf der Wiederaufnahme der nicht systemrelevanten Produktion und verdeutlicht, dass das kapitalistische System unantastbar ist. Allein die Interessen der Konzernleitungen und der Finanzoligarchie bestimmen die Reaktion auf die Pandemie.
Die Socialist Equality Party tritt dafür ein, dass die Bedürfnisse der Arbeiterklasse absolute Priorität haben vor dem Gewinnstreben der Unternehmen und privaten Profiteure.
Alle nicht lebensnotwendigen Produktionen müssen so lange ruhen, bis die Pandemie unter Kontrolle ist. Alle Arbeiter müssen ein existenzsicherndes Einkommen und kostenlosen Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung erhalten. Kleinen Unternehmen müssen Kredite in ausreichender Höhe zur Verfügung gestellt werden. Die Zahlungen für Mieten, Nebenkosten, Hypothekendarlehen sowie Studienkredite und Kreditkartenschulden müssen für die Dauer der Krise ausgesetzt werden.
Nur auf diese Weise können Menschenleben gerettet werden. Mit den Interessen der Finanzoligarchie ist das allerdings nicht vereinbar. Der massive Reichtum, den die herrschende Elite angehäuft hat, muss beschlagnahmt werden. Und auch die milliardenschweren Rettungspakte für die Wall Street und Großkonzerne müssen rückgängig gemacht werden. Die dadurch freigewordenen Ressourcen sind zur Finanzierung dringender sozialer Bedürfnisse unerlässlich.
Großkonzerne, darunter auch Amazon, andere Logistikunternehmen sowie Pharmariesen, müssen in öffentliche Versorgungsbetriebe umgewandelt werden, die nicht dem Profitinteresse Einzelner dienen, sondern den Bedürfnissen der Gesellschaft. Das gesamte Finanz- und Bankensystem muss unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse gestellt werden.
Nur, wenn sich die Arbeiter vollkommen unabhängig von den etablierten Parteien und den Gewerkschaften, und in Opposition zum kapitalistischen System organisieren, kann ein Ausweg aus dieser Krise gefunden werden, der im Sinne der Arbeiterklasse ist.