#MeToo setzt gehässige Angriffe auf Woody Allen fort

Woody Allen: „Ganz nebenbei“
Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg 2020, 448 Seiten
[im Original: “Apropos of Nothing”, Arcade New York 2020]

„Apropos of Nothing", auf Deutsch: „Ganz nebenbei“, ist die frisch erschienene Autobiographie des Komikers und Regisseurs Woody Allen. Sie handelt von seiner Kindheit in den 1930er und 40er Jahren in Brooklyn, seiner Filmkarriere sowie Erlebnissen und persönlichen Schwierigkeiten aus jüngster Zeit.

Wie sich der Leser erinnern wird, hatte die Ankündigung des US-amerikanischen Verlagsriesen Hachette, dass er Allens Buch veröffentlichen werde, Proteste von Ronan und Dylan Farrow ausgelöst. Die beiden sind Allens Kinder, die sich dem Filmemacher entfremdet haben. Seine Adoptivtochter Dylan beschuldigt Allen, sie als Kind missbraucht zu haben – eine Behauptung, die nach eingehender Prüfung für ausgeschlossen gilt. Ronan Farrow forderte absurderweise, ehe man Allens Werk veröffentlichen dürfe, müsse es „faktengeprüft“ werden – vermutlich von Farrow persönlich.

Angesichts der Beschwerden der Farrow-Familie und von Protesten der eigenen Mitarbeiter in New York kapitulierte Hachette feige vor den #MeToo-Kräften und nahm die Pläne zur Veröffentlichung der Memoiren zurück.

Später, am 23. März, gab dann Arcade Publishing, eine Verlagsmarke von Skyhorse Publishing, „Apropos of Nothing“ heraus.

Da es ihnen nicht gelungen war, Allen zum Schweigen zu bringen, gingen die #MeToo-Elemente dazu über, seine autobiographische Arbeit zu attackieren. Sowohl die Washington Post, die New York Times als such die Guardian/Observer Gruppe reichten eine hilfreiche Hand, um den 84-jährigen Regisseur mit Schmutz zu bewerfen und weiter zu diskreditieren. Es sollte noch erwähnt werden, dass die Kampagne gegen die Autobiographie mit den bislang erfolgreichen Bemühungen einhergeht, Allens Film aus dem Jahr 2019, „A Rainy Day in New York“, von der Verbreitung in den USA auszuschließen.

Dies ist nicht der Ort, an dem wir „Apropos of Nothing“gründlich beleuchten, noch ein abschließendes Urteil über Allens Filmkarriere fällen wollen. Sein Buch ist eine gewollt unbekümmerte, „unbedarfte“ Darstellung, deren Witz mal gelingt, mal misslingt. Allen bietet gewisse, beschränkte Einblicke in sein Leben und seine Arbeit sowie zahlreiche faszinierende Anekdoten. Auch wenn er etwas unaufrichtig, aber eindringlich behauptet, er sei kein „Intellektueller“, und zugibt, er habe „nie einen großen Film gemacht“, hat der Leser sicherlich keinen Grund, Allens Arbeiten als Komiker in den 1950er und 1960er Jahren und seine interessantesten Jahre als Filmemacher von 1977 („Der Stadtneurotiker“) bis 1992 („Ehemänner und Ehefrauen“) gering zu schätzen.

Die Vehemenz, mit der die Kampagne gegen „Apropos of Nothing“ geführt wird, hat keinesfalls etwas mit seiner Kunst zu tun, dafür umso mehr mit Allens Weigerung, vor seinen Kritikern das Bußgewand überzuziehen.

Sein unverzeihlichstes Verbrechen besteht in seiner eloquenten und überzeugenden Verteidigung gegen die Missbrauchsvorwürfe aus dem Jahr 1992, welche seine damals siebenjährige Tochter Dylan Farrow betreffen. Woody Allen bezieht sich auf die beiden großen Untersuchungen, die die Vorwürfe geprüft hatten: „Die eine wurde von der Klinik für sexuellen Kindesmissbrauch des Yale-New Haven-Krankenhauses durchgeführt, die von der Polizei für solche Angelegenheiten beansprucht wird, und die andere stammt vom Jugendamt des Staates New York“ [Alle Zitate aus Allens Buch aus dem Englischen].

Allen zitiert ausgiebig aus dem schriftlichen Gutachten, das die Klinik für sexuellen Kindesmissbrauch des Yale-New Haven-Krankenhauses erstellt hat. Die Schlussfolgerung lautet, dass „Dylan von Mr. Allen nicht missbraucht worden ist“. Weiter heißt es: „Wir glauben, dass Dylans Stellungnahme auf dem Videoband sowie ihre Aussagen uns gegenüber während unserer Ermittlung sich nicht auf tatsächliche Ereignisse beziehen, die ihr am 4. August 1992 widerfuhren.“ Die Klinik schlussfolgerte, dass Dylan ihre Äußerungen entweder erfunden habe, oder dass das Kind „von seiner Mutter, Ms. Farrow, eintrainiert und beeinflusst wurde (…) Wir denken, dass eine Kombination von beidem Dylans Unterstellung eines sexuellen Missbrauchs wahrscheinlich am besten erklärt.“

Zudem führt Allen aus: „Die Ermittlungsbeamten des Jugendamtes des Staates New York, die diesen Fall vierzehn Monate lang ausgiebig untersucht hatten, wiesen die Missbrauchsvorwürfe zurück und kamen zu folgendem Schluss. Ich zitiere aus dem Brief, den ich am 7. Oktober 1993 erhalten habe: ‚Es wurde kein glaubwürdiger Beweis gefunden, dass das in diesem Bericht genannte Kind missbraucht oder misshandelt wurde. Dieser Bericht wurde deshalb als unbegründet verworfen‘.“

Allens Argumente erzielen eine gewisse Wirkung. In den feindseligen Besprechungen des Buches kommen Dylan Farrows Beschuldigungen kaum vor. Allens wohlbegründete Zurückweisungen haben diese Vorwürfe offensichtlich für den Augenblick auf die lange Bank geschoben, doch seine Angreifer finden neue, manchmal alte, Gründe für ihre Gehässigkeit.

Ein besonders schmutziger Kommentar erschien am 27. März in der Washington Post, verfasst von Monica Hesse, einer Feuilletonistin und „Gender-Kolumnistin“. Der allgemeine Charakter des Artikels kann schon aus seiner Überschrift ersehen werden: „Sollte Ihnen das Toilettenpapier ausgehen, dann denken Sie dran: auch Woody Allens Memoiren sind aus Papier gemacht“.

Unbekümmert nimmt sie Bezug auf die „ursprüngliche Kontroverse“ über das Buch, „Dylan Farrows lange Jahre erhobene Beschuldigung, Allen, ihr Adoptivvater, habe sie im Jahr 1992 missbraucht“. Sie gibt zu, dass die „Anschuldigungen damals untersucht worden sind; Allen wies sie zurück, und er wurde niemals angeklagt.“ Doch dies hält Hesse nicht davon ab, zu behaupten: „Man braucht diese Anschuldigungen nicht erneut zu untersuchen, um Gefühle über dieses Buch zu haben: Sowohl schuldige als auch unschuldige Menschen können langweilig, rachsüchtig und selbstverliebt sein.“

Launig fährt sie fort: „Sie brauchen sich bloß selbst zu fragen: Mögen Sie 400-Seiten-Wälzer, in denen reiche 84-jährige, Oskar-geschmückte Regisseure sich als unschuldige Naivlinge porträtieren, die sich einfach keine Pause gönnen können, nachdem sie ein halbes Jahrhundert lang New York und Hollywood erfolgreich mit grenzenloser kreativer Kontrolle dominierten und die Massenpopkultur auf ihre eigene Weltsicht zuschnitten?“

Zurzeit werden Allens Filme in den Vereinigten Staaten von Aufführungen ausgeschlossen, und es wurde eine konzertierter Versuch unternommen, seine Memoiren zu unterdrücken. Der Regisseur wurde von Dutzenden Schauspielern verunglimpft und in einen Geächteten der Filmindustrie verwandelt, während die Medien ihn endlos mit Schmutz bewerfen. Was auch immer seine Karriere und sein früheres Glück gewesen sein mögen, wenn Allen heute kein Opfer von Verleumdung und regelrechter Verfolgung ist, was ist er dann?

Hesse giftet weiter: „Nur Augenblicke, nachdem das Buch veröffentlicht war, begannen einige Webseiten mit der Veröffentlichung von Listen mit den merkwürdigsten Sachen. Ich konnte mich nicht überwinden, das hier auch zu tun ohne Ronan Farrow die Chance zu bieten, als Erster zu kommentieren. Dabei hätte ich mich bei der Vorstellung, ihm diese Fragen vorzulegen, selbst am liebsten ins Clo geworfen.“

Im Artikel der New York Times vom 26. März („Woody Allens neue Autobiographie ist manchmal witzig – und unempfindlich und banal“) lässt Dwight Garner eine gewisse Traurigkeit über Hachettes Entscheidung, Allens Buch aus dem Programm zu nehmen, und eine gewisse Skepsis über Dylan Farrows Anschuldigungen durchscheinen. Doch auch ihn hindert der zweifelhafte Charakter der „ursprünglichen Kontroverse“ um Allen nicht daran, sich der #MeToo-Hysterie anzuschließen. Etwas anderes wäre auf den Seiten der Times auch vollkommen undenkbar.

Allen sei „ein Mann des 20. Jahrhunderts in der Welt des 21.“, klagt Garner. „In Punkto Frauen ist er unglaublich unsensibel.“ Weiter heißt es im Times-Artikel, dass Allen praktisch jedes Mal, wenn in „Apropos of Nothing“ eine Frau vorkomme, „grundlos ihr Äußeres kommentiert … Je weiter das Buch fortschreitet, desto schwerer geht der Atem.“ Zum Beispiel sei da „die sehr begehrenswerte“ Christina Ricci, oder Léa Seydoux, „eine glatte 10 Plus“. Oder Rachel McAdams, die „Eine-Million-Dollar-Frau aus jedem Blickwinkel“. Und über Scarlett Johansson zitiert er Allen, sie sei nicht nur „begabt und schön, sondern sexuell radioaktiv“.

Abstoßend, pornographisch – man sieht sofort ein, dass Allen es verdient, verboten zu werden. Dann geht Garner dazu über, Ronan Farrow zu loben, diesen schurkischen Kerl, der dem Außenministerium und Hillary Clinton gedient hat. Er schreibt über Farrow, dieser sei „zu einem Journalisten herangereift, der entschlossen und rechtschaffen das Schlechte, das mächtige Männer tun, anprangert“.

Auch die frömmelnde Stimme des englischen Liberalismus (der sich Trotzki zufolge „in vollendeter Vulgarität“ äußert) lässt sich in Gestalt der moralisierenden Blätter Guardian und Observer vernehmen. Der Observer-Artikel über „Apropos of Nothing“ vom 29. März trägt den Titel: „Zur Rechenschaft gezogen: Woody Allens Memoiren sind die bisher vernichtendste Anklage“. Darin behauptet Catherine Bennett: „Des Regisseurs eigene Worte entlarven ihn als intriganten, sexistischen, gruseliger Abenteurer.“

Bennett verharmlost das Thema Zensur und demokratische Rechte. Über die Autobiographie schreibt sie in bemühter Ironie: „[Der Schriftsteller] Stephen King und andere hatten recht, die Unterdrückung [des Buchs] mit Sorge zu betrachten. Die einzige Person, die profitierte, wenn man Woody Allen zum Schweigen brächte, wäre Woody Allen selbst.“ Allen, so fährt sie fort, „ist wie gesagt ein Mann, den Mädchen und Frauen klugerweise meiden sollten – es sei denn, sie mögen es, als Objekt behandelt zu werden“.

Bennett schreibt: „Wenn der Hauptzweck seines Buchs darin besteht, ihn als einen schuldlosen, kreativen und liebenden Vater darzustellen, dem eine intrigante Ex-Partnerin Unrecht zufügt, dann kümmert es ihn offenbar wenig, ob die Leser sich nicht über die ‚romantischen Abenteuer‘ wundern werden, die er mit unzähligen bildschönen, oft auffallend jüngeren Frauen genossen hat.“ Erneut muss man empört reagieren.

Eine Bemerkung aus dem Buch hat die Kolumnistin des Observer besonders echauffiert: Woody Allen wagt es, auf die „#MeToo-Eiferer“, wie er sie nennt, hinzuweisen. Damit drückt er nur aus, was ein Großteil der Bevölkerung fühlt. Diese erkennt nämlich die (zumeist) in Hollywood basierten Ankläger und ihre journalistischen Unterstützer à la Catherine Bennett immer deutlicher als eine Gruppe von rachsüchtigen Egozentrikern.

Allen nimmt in „Apropos of Nothing“ Bezug auf den prinzipienlosen, reaktionären Charakter der Kampagne gegen ihn. Am Ende der Autobiographie weist er auf die Tatsache hin, dass viele Schauspieler und Schauspielerinnen, die ihn denunzieren und jeglicher Zusammenarbeit mit ihm abschwören, „sich niemals die Einzelheiten des Falls angesehen haben (sie konnten es nicht, und trotzdem kamen sie mit solcher Gewissheit zu ihren Schlussfolgerungen).“ Gleichzeitig erklärten einige von ihnen, „ab jetzt prinzipiell immer den Frauen zu glauben. Ich hoffe, dass die Mehrzahl der denkenden Menschen solche Einfältigkeit zurückweist. Ich meine, sagen Sie das den Scottsboro Boys.“

Solche „Musterbeispiele an Mut“, so Allen weiter, „treten gerade jetzt gegen Kindsmissbrauch auf, da nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Physik die Frau grundsätzlich immer recht hat“.

Allen erwähnt seine Rolle im Film „Der Strohmann“ (1976) über die McCarthy-Ära und fügt hinzu: „Ich war mir bewusst, dass sich damals viele verängstigte oder opportunistische Männer und Frauen sehr schlecht benahmen. Es war in Lilian Hellmans Worten die ‚Zeit der Schufte‘. Ich erwähne das nur, weil viele Schauspieler und Leute aus dem Showbusiness mir und mehreren Freunden von mir privat sagen, wie abstoßend sie die eindeutig ungerechtfertigte, widerwärtige Publicity finden, der ich ausgesetzt bin, und dass sie fest an meiner Seite stünden. Doch darauf angesprochen, warum sie dem nichts entgegensetzen und es laut sagen, geben sie alle zu, dass sie berufliche Auswirkungen fürchteten.“

Sehr zu Recht weist Allen auf die Ironie hin, dass Ronan Farrow den Versuch unternommen hatte, ein Interview mit Soon-Yi Previn zu unterdrücken. Soon-Yi Previn ist Mia Farrows Adoptivtochter und seit 25 Jahren Allens Ehefrau, und in dem Interview im New York-Magazin hatte sie ein negatives Bild ihrer Mutter gezeichnet. Allen schreibt: „Ist es da nicht der Gipfel der Heuchelei, wenn Ronan sich in einem Buch kritisch darüber äußert, dass der NBC seine Geschichte über den [Filmproduzenten] Harvey Weinstein habe unterdrücken wollen? Offenbar geht’s darum, was gerade am besten funktioniert.“

Im Großen Ganzen hat die Kampagne gegen Woody Allen und „Apropos of Nothing“ vielen klargemacht, worum es bei der #MeToo Kampagne wirklich geht: um Mobbing und die Erstellung schwarzer Listen. Oft heißt es, man müsse „auf die Stimmen hören“ – bloß nicht auf diejenigen Stimmen, mit denen man nicht einverstanden ist.

Es ist ein Prozess, bei dem rechte Elemente sich auf bestimmte Personen einschießen, die sie zum „Monster“ erklären (in diesem Fall eine Person, die niemals eines Verbrechens angeklagt, geschweige denn verurteilt wurde) mit dem Ziel, verwirrte, selbstbezogene Schichten der wohlhabenden Mittelklasse einzuschüchtern.

Diese Schichten sind nur allzu bereit, sich von den großen Themen Armut, soziale Ungleichheit und Krieg ablenken zu lassen. Während sich der Kapitalismus in der Corona-Pandemie rettungslos diskreditiert, und die große Bevölkerungsmehrheit sich nach links bewegt, versinken die „#MeToo-Eiferer“ immer tiefer in die politische und soziale Reaktion.

Loading