Am Dienstag fanden in 14 der 50 US-Bundesstaaten die Vorwahlen der Demokraten zur Nominierung ihres Präsidentschaftskandidaten statt. Die Wahlkampagne von Bernie Sanders erlitt durch den Sieg seines Konkurrenten, dem ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden, in 10 der 14 Staaten beim Super Tuesday einen massiven Rückschlag. Sanders Niederlage enthält harte und unausweichliche Lehren für all jene, die zu dem Glauben verleitet wurden, dass die kapitalistische Demokratische Partei in ein Instrument für sozialistische Politik verwandelt werden könnte. Der Bankrott dieser opportunistischen Strategie wurde durch den Ausgang der Vorwahlen vollkommen bloßgestellt. Sie dient als wesentliche Grundlage der Kampagne von Sanders und seiner Anhänger bei den Democratic Socialists of America (DSA) und anderen pseudolinken Organisationen.
In der Woche vor dem Super Tuesday mobilisierte eben jene Partei, von der Sanders behauptet, sie könne für den Sozialismus eingespannt werden, ihren Parteiapparat, um den rechten Wahlkampf des halbsenilen Ex-Vizepräsidenten Biden wiederzubeleben. Bidens Karriere als korrupter Politiker der Demokraten umfasst mehr als vier Jahrzehnte.
Die Demokratische Partei ist die älteste kapitalistische Partei der Welt. Sie existiert seit 1828 und im Laufe ihrer langen Geschichte hat sie ihr Handwerk perfektioniert, den Widerstand der Bevölkerung gegen Ungleichheit durch die geschickte Kombination von Demagogie und Betrug zu zerstreuen.
Die Demokraten sind die Partei von Andrew Jackson, dem reaktionären Demagogen, den Thomas Jefferson als „gefährlichen Mann“ bezeichnete. Sie sind die Partei der gewaltsamen Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner, der Sezession der Südstaaten, der Jim-Crow-Rassentrennung, der Ausgrenzung der chinesischen Minderheit, der antikommunistischen Palmer Raids und der nuklearen Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki.
Die Demokratische Partei ist der Friedhof der sozialen Bewegungen. Schon Ende des 19. Jahrhunderts entwaffnete sie die populistische Bewegung mit Hilfe von William Jennings Bryan. In den 1930er Jahren erstickte der demokratische Präsident Franklin D. Roosevelt die Arbeiterrebellionen durch die Volksfront und die Gewerkschaft American Federation of Labor. Die Demokraten entwaffneten die Proteste gegen Ungleichheit und die Kriege in Vietnam und im Irak und ordnete in den letzten 40 Jahren die Opposition den Wahlkampagnen für „linke“ Präsidentschaftskandidaten unter, nur um letztlich Kandidaten zu nominieren, von denen einer rechter als der nächste war. Dies war auch 2016 der Fall, als Sanders seinen 13 Millionen Anhängern erklärte, sie sollten für Hillary Clinton stimmen, und wiederholt sich nun im Jahr 2020 aufs Neue.
Die zweite Lehre aus dem Super Tuesday besteht darin, dass die von den Pseudolinken seit Jahrzehnten aktiv betriebene und auf Hautfarbe basierende Identitätspolitik weitreichende und politisch rechte Konsequenzen hat. Die Frage der Hautfarbe war die Hauptwaffe, die die Demokratische Partei in der vergangenen Woche gegen Sanders eingesetzt hat.
Die Demokratische Partei mobilisierte die korrupten Vertreter der afroamerikanischen Bourgeoisie und des Kleinbürgertums, um zu verkünden, dass Joe Biden die echte Stimme des „schwarzen Amerika“ sei. Von James Clyburn bis Al Sharpton hat eine ganze Litanei afroamerikanischer Politiker ausdrücklich erklärt, dass Solidarität auf der Grundlage ethnischer Herkunft - nicht der Klassenzugehörigkeit - grundlegend sei.
Die Demokratische Partei ist gut darin geübt, die Frage der Herkunft zur Manipulation der sozialen Unzufriedenheit und zur Unterdrückung von Widerstand, der von sozialen und Klassenfragen motiviert ist, für ihre eigenen reaktionären Ziele zu nutzen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die heutige Demokratische Partei Biden als Verteidiger der Afroamerikaner in genau jenen Staaten unterstützt, in denen sie vor gerade einmal fünfzig Jahren für die Rassentrennung verantwortlich war. Es ist doppelte Ironie, dass Biden erst im vergangenen Jahr die Senatoren James Eastland und Herman Talmadge als Musterbeispiele für politischen „Anstand“ lobte und außerdem Law-and-Order-Gesetze für ein „hartes Vorgehen gegen Kriminalität“ unterstützt hat, durch die im vergangenen Vierteljahrhundert hunderttausende Schwarze ins Gefängnis geworfen wurden.
Biden gewann vor allem unter älteren Afroamerikanern im Süden, besonders in Gebieten mit einem hohen Anteil regelmäßiger Kirchgänger. In North Carolina, wo die Wählerschaft zu 10 Prozent aus schwarzen Wählern über 60 Jahre besteht, gewann Biden 66 Prozent gegenüber Sanders mit 11 Prozent. Jüngere schwarze Wähler im Süden, die weit weniger konservativ sind als ihre Eltern und Großeltern, tendierten jedoch eher dazu, Sanders zu unterstützen. Insgesamt ging die Wahlbeteiligung der Jugendlichen im Vergleich zu 2016 landesweit zurück.
In allen Staaten, in denen am Super Tuesday abgestimmt wurde, schnitt Biden am besten bei den Wählern ab, die die „Beziehung zwischen den Ethnien“ als wichtigstes Thema bezeichneten. Unter diesen Wählern gewann Biden gegen Sanders mit 48 zu 22 Prozent. Sanders dominierte bei den Wählern, die „soziale Ungleichheit“ als zentrales Problem benannten, und schlug Biden mit 35 zu 28 Prozent.
Ein ähnliches Phänomen war bei wohlhabenden Wählerinnen außerhalb der Südstaaten zu beobachten, was die Folgen des rechten Feminismus verdeutlicht. Außerhalb des Südens erhielt Sanders am wenigsten Unterstützung von weißen Frauen mit Hochschul-Abschluss, wobei er in Massachusetts nur 20 Prozent der Stimmen, in Kalifornien 25 Prozent und in Minnesota nur 18 Prozent der Stimmen aus dieser Bevölkerungsgruppe erhielt.
Die Ergebnisse zeigen, dass es unmöglich ist, Identitätspolitik mit dem Kampf für Sozialismus zu verbinden. Erstere basiert auf Spaltung und dem Kampf um Privilegien. Letzterer ist im Kampf für die weltweite Vereinigung der Arbeiter verwurzelt – ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft oder ihres „Backgrounds“.
Die dritte Lehre aus der Wahl am Dienstag besteht darin, dass Sanders‘ Politik im Rahmen der Demokratischen Partei für eine sinkende Wahlbeteiligung junger Menschen im Jahr 2020 gegenüber 2016 gesorgt hat. Sanders mag für sich beanspruchen, dass er in der Lage wäre, junge Wähler zu mobilisieren. Doch in der sinkenden Wahlbeteiligung drückt sich aus, dass viele junge Menschen offenbar nach weitaus radikaleren Lösungen suchen, als sie die Demokratische Partei zu bieten hat.
Bis zum Parteitag der Demokraten Mitte Juli bleiben noch dreieinhalb Monate. Es mag sein, dass die herrschende Klasse zu der Entscheidung gelangt, dass Sanders bei den Wahlen 2020 eine Rolle spielen soll.
Doch können die Leser dieses Artikels sicher sein, dass Sanders – noch während sie diese Zeilen lesen – bereits mit der Demokratischen Partei beratschlagt, auf welche Weise er der Partei im November am besten dienen kann. Sanders hat sich nach der Wahl am Dienstag mit jeder ernsthaften Kritik an Biden zurückgehalten. Am Mittwoch hat sein Wahlkampfteam damit begonnen, Anzeigen zu schalten, in denen die rechte Obama-Regierung gelobt wird.
Der stellvertretende Vorsitzende von Sanders‘ Wahlkampfteam in Kalifornien, Ro Khanna, kündigte an, dass sein Kandidat den Aufruf zu einer „politischen Revolution“ abschwächen werde. Das Magazin Politico berichtete über Khannas Aussagen, dass sich Sanders „älteren Wählern und Mainstream-Demokraten stärker zuwenden“ werde. Sanders hat bereits versichert, er werden den demokratischen Präsidentschaftskandidaten unterstützen, ganz gleich welcher rechte Kandidaten am Ende nominiert werde. Genau wie im Jahr 2016 wird dies für Sanders' Anhänger in Tränen enden.
Die Socialist Equality Party (SEP), die amerikanische Schwesterpartei der Sozialistischen Gleichheitspartei, stellt Joseph Kishore und Norissa Santa Cruz als Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten auf. Unser Eingreifen in die US-Wahl ist eng mit dem Kampf dafür verbunden, den Würgegriff der kapitalistischen Parteien um die Arbeiterklasse in den USA und international zu brechen.
Die Erfahrung des Super Tuesday hat die Analyse der World Socialist Web Site eindrucksvoll bestätigt. In einer Erklärung vom 21. Februar 2019 mit dem Titel Bernie Sanders kündigt Präsidentschaftskampagne 2020 an schrieb die WSWS:
Sanders – ebenso wie Alexandria Ocasio-Cortez und andere – verbreiten die große Lüge, dass die Demokratische Partei nach links gedrückt und in eine fortschrittliche Kraft verwandelt werden kann. Bhaskar Sunkara, Mitglied der Demokratischen Sozialisten Amerikas (DSA) und Herausgeber der Zeitschrift Jacobin, brachte diesen politischen Mythos am Dienstag in einer Kolumne für den Guardian auf den Punkt: „2016 begann Sanders eine Revolution, 2020 kann er sie beenden …
Gleichzeitig haben die Demokraten unablässig für Identitätspolitik geworben, unter anderem durch die MeToo-Hexenjagd, die die Arbeiterklasse spaltet und grundlegende demokratische Rechte wie das ordentliche Verfahren und die Unschuldsvermutung untergräbt. Schon die Tatsache, dass sich Sanders in Worten auf den Widerstand gegen soziale Ungleichheit bezog, hat ihm Vorwürfe aus seiner eigenen Partei eingebracht. Die Demokraten wollen ihre rechte Wahlkampagne nämlich wie 2016 wieder auf Fragen von Herkunft, Gender und sexueller Orientierung stützen, um privilegierte Teile der oberen Mittelschichten für die Wall Street und den Militärapparat zu gewinnen.
Die Ereignisse vom Dienstag bestätigen diese Analyse.
Kishore und Santa Cruz sind die einzigen Kandidaten, die unabhängig von der Demokratischen Partei für die Mobilisierung der Arbeiterklasse kämpfen. Die SEP-Kampagne steht an der Spitze des Kampfes dafür, die Arbeiterklasse politisch aufzuklären und Arbeiter und Jugendliche davon zu überzeugen, dass sie ihre immense gesellschaftliche Kraft nur dann entfalten können, wenn sie sich von der Demokratischen Partei lösen, nach politischer Unabhängigkeit streben und in den internationalen Kampf gegen das gesamte kapitalistische System eintreten. Wir rufen unsere Leser dazu auf, unseren Wahlkampf zu verfolgen, selbst aktiv zu werden und den Kampf für eine unabhängige sozialistische Politik auf der ganzen Welt in die Arbeiterklasse zu tragen.