Erster Tag des Auslieferungsprozesses: Assange in Handschellen gelegt und nackt ausgezogen

Wie Julian Assanges Anwälte am Dienstag vor Gericht enthüllten, wurde er am ersten Tag seines Auslieferungsprozesses in London von Wärtern des Gefängnisses Belmarsh elfmal in Handschellen gelegt und zweimal entkleidet.

Kronanwalt Edward Fitzgerald erklärte gegenüber Distriktrichterin Vanessa Baraitser, die juristischen Dokumente seines Klienten seien von den Gefängnisbehörden beschlagnahmt worden, später sei er abwechselnd in fünf verschiedene Zellen verlegt worden. Diese Strafmaßnahmen sollten den WikiLeaks-Herausgeber einschüchtern und unterdrücken.

WikiLeaks-Gründer Julian Assange (AP Photo/Matt Dunham)

Baraitser reagierte darauf mit der außergewöhnlichen Behauptung, Assanges Haftbedingungen fielen „nicht in ihre Zuständigkeit“, obwohl sie sein Recht auf einen fairen Prozess beeinträchtigen.

Am Dienstag erklärte sie, es sei Aufgabe von Assanges Anwälten, sich beim Gefängnis Belmarsh zu beschweren. Im Vorfeld der Anhörung in dieser Woche hatte sich Baraitser wiederholt geweigert, Assanges Recht auf ein faires Verfahren zu schützen, einschließlich seines Rechts auf Zugang zu Anwälten und Beweismitteln der Verteidigung.

Gleichzeitig wurden Assanges engste Unterstützer am Dienstagmorgen vor Gericht offen ins Visier genommen. Als die Verhandlung beginnen sollte, wurde WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson von einem Gerichtsdiener der Zugang zum Zuschauertribüne verwehrt.

Hrafnsson erklärte gegenüber der World Socialist Web Site: „Ich stand vor der Zuschauertribüne und wartete auf Einlass, als einer der Wachmänner rief: ,Wo ist der WikiLeaks-Chefredakteur?‘ Dann erklärte er: ,Mir wurde mitgeteilt, dass Sie keinen Zugang zur Zuschauertribüne haben.‘“

Weil Hrafnsson von den Verantwortlichen des Gerichts keine Erklärung für deren empörendes Verhalten bekam, organisierte er eine improvisierte Pressekonferenz vor dem Gerichtsgebäude. Neben ihm standen Assanges Vater John Shipton und sein Bruder Gabriel Shipton, die aus Protest die Verhandlung verlassen hatten. Nachdem sich in den sozialen Netzwerken die Meldung über den Vorfall verbreitet hatte und sich Assanges Anwalt Gareth Peirce einschaltete, gab das Gericht nach und ließ Hrafnsson in den Zuschauerbereich.

Das gesetzwidrige Vorgehen des Gerichts macht deutlich, dass es sich um einen Schauprozess handelt. Tatsächlich erklärten Journalisten, die den Prozess im Pressebereich verfolgten, gegenüber der WSWS, dass für Assanges Anhörung beispiellose Maßnahmen eingeführt wurden. Unter anderem errichtete die Polizei Kontrollpunkte, und das Gericht kontrollierte die Berechtigungsnachweise der Medienvertreter.

Vor Gericht begann Kronanwalt Mark Summers die Verhandlung für die Verteidigung mit einer nachdrücklichen Verurteilung: „Man könnte diesen Abschnitt des Prozesses mit ,Lügen, Lügen und noch mehr Lügen‘ überschreiben.“ Er lieferte eine kriminalistische Widerlegung der drei fundamentalen Anklagepunkte des US-Auslieferungsantrags.

Summers bezeichnete die Behauptung, Assange habe Chelsea Manning dabei geholfen, ein Passwort zu knacken, um vertrauliche Dokumente zu erlangen, als „Falschbeschuldigung“. Im Prozess gegen Manning sei dieser Vorwurf widerlegt worden und zwar „durch die eigenen Beweise der Staatsanwaltschaft und die nicht angefochtenen Beweise der Verteidigung“.

Die Behauptung, er hätte aktiv vertrauliches Material von Manning angefordert, hat sich ebenfalls „durch die öffentlich verfügbaren Informationen als falsch erwiesen“.

Zuletzt erklärte er, der Vorwurf, Assange habe durch die Veröffentlichung von unredigierten Unterlagen im Internet wissentlich das Leben von US-Informanten gefährdet, werde „durch die öffentlich verfügbaren Informationen und Informationen, die der US-Regierung vorliegen, als offensichtlich und nachweislich falsch entlarvt“.

Summers ging zuerst auf die 250.000 Telegramme des US-Außenministeriums ein, die im April 2010 veröffentlicht wurden, und zitierte Beweise aus Mannings Kriegsgerichtsverfahren. Demnach war es nicht notwendig, ein Passwort zu hacken, um auf diese Daten zuzugreifen oder um Mannings Identität zu verbergen.

Assange hat auch nicht durch WikiLeaks’ „Most Wanted“-Liste von Regierungsdokumenten zum Diebstahl dieser Materialien aufgefordert, wie es im Auslieferungsantrag der USA heißt. Sein Anwalt Summers erklärte: „Egal, wie aufmerksam man diese Liste liest, die Telegramme werden nirgendwo erwähnt. ... Die Behauptung, sie seien auf WikiLeaks hochgeladen worden, weil Chelsea Manning sie auf der ‚Most Wanted‘-Liste gefunden hat... ist nichts als Fantasie.“

Daraufhin bot Summers eine detaillierte Chronologie der Ereignisse, die dazu führten, dass diese Dokumente als Ganzes unredigiert veröffentlicht wurden. „Weder Assange noch WikiLeaks hatten es nach Erhalt dieses Materials eilig... sie vorschnell zu veröffentlichen... Stattdessen gingen Assange und WikiLeaks eine Partnerschaft mit mehreren etablierten Medien ein, um dieses Material zu verstehen und verantwortungsbewusst damit umzugehen.“

Er zitierte Beweise von Hauptzeugen, die erklärten, wie WikiLeaks Pionierarbeit bei „völlig innovativen“ Protokollen zur Sicherheit und „Schadensminimierung“ geleistet hat. Diese wurden seither in hochkarätigen Fällen wie dem Panama-Papers-Leak über Steueroasen angewandt.

Diese Prozeduren wurden nicht von Assange oder WikiLeaks sabotiert, sondern von David Leigh vom Guardian, der in seinem Buch WikiLeaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy ein Passwort für ein sicheres Archiv voller unredigierter Dokumente veröffentlichte.

Die Sicherheitslücke wurde erstmals von der deutschen Zeitung Der Freitag erkannt. Summers erklärte, Assange rief dort an und „flehte sie an, ihre Entdeckung nicht bekanntzumachen“. Danach handelte er sofort, um die potenziellen Folgen einzudämmen. Die WikiLeaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison rief im Weißen Haus und dem US-Außenministerium an. Dabei „sprachen sie über einen drohenden Notfall“.

Erstaunlicherweise baten die US-Regierungsvertreter sie, „sich in ein paar Stunden nochmal zu melden“. Assange antwortete: „Ich verstehe nicht, wie man die Dringlichkeit dieser Angelegenheit nicht erkennen kann. Wenn wir nichts tun, sind Menschenleben gefährdet.“

Erst als die vollständigen unredigierten Dateien von anderen Websites veröffentlicht wurden – zuerst von der amerikanischen Website Crypto.org, die nie angeklagt wurde, – veröffentlichte auch WikiLeaks das Material.

Ähnliche Argumente wurden auch in Bezug auf die Akten über die Insassen von Guantanamo, die Einsatzregeln und die Kriegstagebücher zum Afghanistan- und Irakkrieg vorgebracht, die ebenfalls von WikiLeaks erhalten und veröffentlicht wurden. Nichts davon erforderte, dass Manning Passwörter hacken musste, um in den Datenbanken der US-Regierung an sie heranzukommen. Zudem stand keine auf der „Most Wanted“-Liste von WikiLeaks.

Über die Vorwürfe, Assange habe Manning zum Diebstahl angehalten, erklärte Summers, die Veröffentlichung der Einsatzregeln habe sich aus ihrer Entscheidung ergeben, im öffentlichen Interesse das „erschütternde“ Collateral Murder-Video zu veröffentlichen. Vor Gericht heißt es dazu, die Soldaten hätten sich in diesem Video „wie Fünfjährige beim Computerspielen verhalten, obwohl echte Menschen, darunter Kinder, getötet wurden“.

Die Einsatzregeln, die von Manning geleakt wurden, „kamen zusammen mit diesem schrecklichen Video eines Kriegsverbrechens, und erklären sie“. Damit entlarvten sie die Behauptung der US-Regierung, die Soldaten hätten nach ihren Einsatzregeln gehandelt.

Was die Kriegstagebücher zum Afghanistan- und Irakkrieg anging, so demonstrierte Summers mit Blick auf das Kriegsgerichtsverfahren gegen Manning, dass die US-Regierung wusste, dass sie keine Gefahr für das Leben von amerikanischen Informanten darstellen. Zu diesem Zweck hat WikiLeaks sogar mit US-Regierungsvertretern zusammengearbeitet und auf deren Aufforderung die Veröffentlichung von etwa 15.000 Dokumenten verzögert. Ein Zeuge der Verteidigung erklärte über diese Sicherheitsmaßnahmen, sie seien „extremer als diejenigen, an die ich mich zuvor als Journalist gehalten habe“.

Summers wies in seiner Präsentation darauf hin, dass diese Details im Auslieferungsantrag der USA „nirgendwo erwähnt werden“. Ihm „fehle jeder relevante Zusammenhang“. Summers stellte deshalb wiederholt in Frage, dass der Antrag „gerecht, angemessen und zutreffen“ ist.

Sollte sich das bewahrheiten, so Summers, sei Baraitser verpflichtet den wahren Sachverhalt zu ermitteln und über die Auslieferung aufgrund der neuen Beweislage zu entscheiden.

Er bezog sich auf die Gerichtsfälle Castillo vs. Kingdom of Spain and Anor von 2005 und Criminal Court at the National High Court, First Division vs. Murua von 2010. Sie hätten das Konzept des „Zakrzewski-Missbrauchs“ etabliert, das nach dem Fall Zakrzewski vs. The Regional Court in Lodz, Poland von 2013 benannt ist. Laut diesem Fallrecht kann ein Auslieferungsverfahren zwar nicht darauf eingehen, ob der Staat, der den Antrag gestellt hat, genug Beweise vorlegt, doch die Falschdarstellung des mutmaßlichen Verhaltens des Angeklagten kann angefochten und korrigiert werden.

Über die wiederholten „Falschdarstellungen“ von Assanges Verhalten „durch Auslassungen“ im Auslieferungsantrag erklärte Summers: „Wenn man das alles weglässt, ... bleibt nichts, was kriminell wäre.“

Kronanwalt James Lewis, der die USA vertritt, reagierte darauf kurz angebunden und unglaubwürdig mit der Behauptung, Summers „versucht ständig, einen Strohmann aufzubauen“. Er erklärte: „Das Gericht sollte alle Behauptungen über Verfahrensmissbrauch zurückweisen.“

Zum Abschluss des Verhandlungstages verwies Kronanwalt James Fitzgerald darauf, dass die Verteidigung „eine Antwort auf alle“ Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft habe.

Das Verfahren geht weiter.

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