Frankreich: Arbeiter der Verkehrsbetriebe streiken gegen Angriff auf Renten

Am Freitag begannen die Beschäftigten der öffentlichen Verkehrsbetriebe in Paris und der umliegenden Region Ile-de-France einen 24-stündigen Streik gegen die geplante Rentenreform der Macron-Regierung. Der Bus- und Bahnverkehr kam nahezu vollständig zum Erliegen.

Zehn U-Bahnlinien wurden vollständig eingestellt, einige wenige fuhren zu Stoßzeiten mit einem Drittel ihrer Kapazität. Die fahrerlosen Züge fuhren den ganzen Tag auf zwei Linien weiter. Das Bussystem und die Regionallinien kamen fast völlig zum Erliegen. Laut Le Monde war es die höchste Zahl an Teilnehmern an einem Streik bei der Pariser Verkehrsgesellschaft RATP (Régie autonome des transports Parisiens) seit zwölf Jahren. Nach Angaben der Gewerkschaften lag die Streikbeteiligung zwischen 60 und 98 Prozent.

Die Mobilisierung zeigt den enormen Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Angriffe der Macron-Regierung auf das Rentensystem. Gemäß den Regierungsplänen sollen die 42 unterschiedlichen Rentenanspruchssysteme, die von Arbeitern verschiedener Bereiche erkämpft wurden (u.a. bei der RATP und der staatlichen Eisenbahngesellschaft, den Lehrern, den Pflegekräften und anderen Beschäftigten im öffentlichen Dienst) sofort abgeschafft werden. Viele Arbeiter, u.a. diejenigen der RATP, würden Hunderte von Euro pro Monat verlieren und gezwungen sein, fünf oder sechs Jahre länger zu arbeiten.

Das Vorhaben richtet sich gegen die gesamte Arbeiterklasse. In dem neuen allgemeinen Rentensystem würden die Arbeiter Leistungen nicht in Form eines garantierten Geldbetrags ansammeln, sondern durch ein willkürlich festgelegtes Punktesystem. Wenn die Arbeiter in Rente gehen, sollen diese Punkte nach einem noch nicht bekanntgegebenen System in einen Geldbetrag umgewandelt werden. Damit kann jede zukünftige Regierung die Rentenansprüche kontinuierlich verringern. Die Regierung plant außerdem das Rentenalter sofort um zwei Jahre heraufzusetzen.

Diese Politik hat in der Arbeiterklasse keinen Rückhalt. Die rechte Tageszeitung Le Figaro, die die Rentenreform unterstützt, veröffentlichte am Freitag eine Umfrage, laut der 72 Prozent der Bevölkerung das von Premierminister Edouard Philippe vorgeschlagene Gesetz ablehnen.

Der Streik in Paris ist Teil einer wachsenden Widerstandsbewegung der Arbeiterklasse in Europa und der Welt gegen die zunehmenden Angriffe auf ihre sozialen und demokratischen Rechte. Drei Tage zuvor hatten 4.000 Piloten von British Airways alle Flüge des Unternehmens zum Erliegen gebracht, um gegen die jahrelangen Lohn- und Rentenkürzungen zu protestieren. Kurz darauf liefen in den USA die Tarifverträge der Autoarbeiter aus, die sich fast einstimmig für Streiks ausgesprochen haben. Gleichzeitig wächst in den Massen die Wut über die Korruption der Gewerkschaft United Auto Workers, die von den Unternehmen, mit denen sie angeblich „verhandelt“, Bestechungsgelder in Millionenhöhe kassiert hat.

Der Wartungsarbeiter Boris (41), der seit 16 Jahren bei der RATP arbeitet, sprach am Freitag mit Aktivisten der Parti de l’égalité socialiste, die vor der RATP-Zentrale einen Aufruf an die Arbeiter verteilten. Er erklärte: „Ich werde 20 Prozent meiner Rente verlieren und mindestens zweieinhalb Jahre länger arbeiten müssen. Wenn ich zwischen 50 und 55 Jahren fünf Jahre arbeite, verdiene ich 7,5 Jahre für meine Rente. Mit der Reform würden wir das alles verlieren. Es ist normal, dass wir dagegen kämpfen. Es gibt jede Menge Geld, aber sie wollen es nicht für Krankenhäuser, Renten oder Schulen ausgeben. Sie wollen damit den Unternehmen helfen und ihre Kriege finanzieren.“

Er fügte hinzu: „Die Bedingungen sind immer schlimmer geworden, wir verlieren nach und nach alles. 2024 sollen Teile der RATP zur Privatisierung ausgeschrieben werden. Dann werden wir all unsere Rechte und Arbeitsbedingungen verlieren. Bald wird es die jetzige RATP nicht mehr geben.“

Zum Aufruf der PES nach einem internationalen Kampf der Arbeiterklasse erklärte Boris: „Es stimmt, dass das kapitalistische System international ist. Wir sehen in China, dass die Arbeiter immer mehr Geld für die Unternehmen erarbeiten, aber sehr wenig Lohn bekommen.“

Wenn die Arbeiter Widerstand gegen Macrons Angriffe leisten wollen, ist es wichtig, dass sie verstehen, welche politischen Kräfte gegen sie antreten. Die Gewerkschaften, die zu dem Streik am Freitag aufgerufen haben, wollen die Arbeiterklasse nicht zum Widerstand gegen die Rentenreform mobilisieren. Sie befinden sich in aktiven Verhandlungen und Diskussionen mit Macron darüber, wie sie das Gesetz durchsetzen und jeden Kampf der Arbeiter dagegen unterdrücken können.

Laurent Escure, der Generalsekretär der Union Nationale des Syndicats Autonomes (UNSA), die zum Streik am Freitag aufgerufen hatte, hat dies am Donnerstagabend in einem Interview mit France Inter ausposaunt. Die UNSA ist die größte Gewerkschaft für RATP-Arbeiter und die zweitgrößte für die Bahnbeschäftigten insgesamt.

Escure erklärte, was die Gewerkschaften angeht, so würde Macrons Gesetz durchgesetzt: „Wir wissen, dass sich Dinge ändern müssen. Ich glaube, der Präsident ist entschlossen, seine Reformen zu Ende zu führen. Deshalb werden wir keine Kämpfe führen, die vielleicht von vornherein verloren sind.“

Escure betonte, Macron, der „Präsident der Reichen“, und Premierminister Philippe hätten „begriffen, dass bestimmte Sektoren besondere zusätzliche Aufmerksamkeit erfordern, damit [die Arbeiter] nicht durch diese Reform bestraft werden“. Die Gewerkschaft „glaubt nicht an eine Politik des leeren Stuhls“ und werde deshalb über das neue Gesetz verhandeln. Er fügte sogar entschuldigend hinzu, der Zeitpunkt des Streiks – ein Tag, nachdem Philipp öffentlich Verhandlungen mit der Gewerkschaft angekündigt hatte – sei „nur Zufall ... Wenn uns das Gesetz letzten Endes nicht gefällt, aber wir es wenigstens verbessert haben ... dann ist das bereits etwas.“

Er sagt es also selbst: Die Gewerkschaft unterstützt das Gesetz, will es umsetzen und besteht noch vor jedem Kampf auf seiner Umsetzung. Die Streiks richten sich also nicht gegen Macron, sondern sollen die Arbeiter täuschen.

Deshalb haben die Gewerkschaften eine Reihe von isolierten eintägigen Streiks und Teildemonstrationen organisiert, obwohl alle Arbeiter vom gleichen Gesetzesvorhaben betroffen sind. Nach dem Streik bei der RATP von Freitag werden am 16. September die Berufsvereinigungen streiken, Force ouvrière plant für den 21. September einen Aktionstag, und die Confédération générale du travail (CGT) plant am 24. September ebenfalls einen Aktionstag, zu dem auch ein landesweiter Bahnarbeiterstreik gehört.

Wie die Arbeiter immer wieder erlebt haben, dienen diese eintägigen Veranstaltungen dazu, Dampf abzulassen und die Arbeiterklasse mürbe zu machen. Im Jahr 2017 benutzte die CGT die gleiche Methode – eintägige Streiks und Bummelstreiks – um den dreimonatigen Kampf der Bahnarbeiter zu sabotieren und es Macron zu ermöglichen, die SNCF für die Privatisierung zu öffnen und die Rechte der Bahnarbeiter zu zerstören.

Angesichts des wachsenden Widerstands der Arbeiterklasse gegen die Rentenreform verfolgt die Macron-Regierung die Strategie, ihre Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften zu verstärken. Am Donnerstagmorgen kündigte Premierminister Philippe in seiner Rede vor dem nationalen Wirtschaftsverband an, die Regierung werde die Einführung des Gesetzes bis zum Sommer 2020 vertagen und in der Zeit eine Reihe von „Abstimmungen“ und „Bürgerbesprechungen“ abhalten, die bis Ende des Jahres andauern werden. Allerdings „werden die Arbeiter länger arbeiten müssen“, erklärte er.

Die Arbeiter müssen die Führung des Kampfs in die eigenen Hände nehmen und ihre eigenen Aktionskomitees bilden, die direkt von unten gewählt und kontrolliert werden und unabhängig von den unternehmerfreundlichen Gewerkschaften agieren. Sie müssen einen Aufruf zum gemeinsamen Kampf an alle Teile der Arbeiterklasse in Frankreich richten, u.a. an die Beschäftigten im Gesundheits- und Bildungswesen, sowie an die Arbeiter in ganz Europa und der Welt, die mit den gleichen Angriffen auf ihre demokratischen und sozialen Rechte konfrontiert sind.

Vor allem ist eine neue politische Perspektive notwendig. Der Kampf für die grundlegendsten sozialen Rechte der Arbeiterklasse erfordert einen Frontalangriff auf die Vermögen der Konzern- und Finanzelite sowie die internationale sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft.

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