In den letzte Tagen wurden zwei Fälle bekannt, in denen Vertreter der etablierten Parteien Neonazis unterstützten. In der Wetterau-Gemeinde Altenstadt (Hessen) wählten CDU, FDP und SPD den NPD-Politiker Stefan Jagsch einstimmig zum Ortsvorsteher. In Hanau zeichnete SPD-Oberbürgermeister Claus Kaminsky den Republikaner Bert-Rüdiger Förster, der eine Fraktionsgemeinschaft mit der NPD bildete, mit dem Ehrenbrief des Landes Hessen aus.
In beiden Fällen rechtfertigten die lokalen Vertreter der etablierten Parteien ihr Vorgehen und priesen die faschistischen Politiker.
Der CDU-Mann Norbert Szilasko, der im Ortsbeirat für Jagsch gestimmt hatte, bezeichnete den bekennenden Nationalsozialisten als „absolut kollegial und ruhig“. Kaminsky, der Förster persönlich geehrt hatte, erklärte: „Auch wenn uns politisch in unserer Grundausrichtung vieles trennt, so lässt sich allemal zugestehen, dass die Hanauer Stadtverordnetenversammlung ärmer wäre ohne seinen Humor, seine langjährige kommunalpolitische Erfahrung und seine Hartnäckigkeit in der Sache.“
Dass derartige Sympathiebekundungen für Faschisten auf lokaler Ebene kein Ausrutscher sind, sondern Bestandteil einer viel umfassenderen und gefährlichen Entwicklung, zeigte die Generaldebatte im Bundestag am Mittwoch. Während unter Arbeitern und Jugendlichen die Opposition gegen Krieg und Faschismus auch 80 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs enorm ist, kehrt die herrschende Klasse zu ihren autoritären, militaristischen und rassistischen Traditionen zurück.
Zum Auftakt der Debatte hielt die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel eine ihrer berüchtigten faschistoiden Hetzreden. Sie wetterte gegen eine „im Kern grün-sozialistische Ideologie, die unser Land ruiniert und seiner Zukunftsfähigkeit beraubt“, und verbreitete rassistische Hetze gegen Flüchtlinge und Migranten. Inzwischen habe „jeder zweite Hartz-IV-Empfänger einen Migrationshintergrund“, und „Asylzuwanderer“ seien „überproportional kriminalitätsbelastet“. „Schwere Sexual-, Raub- und Tötungsdelikte durch Zuwanderer“ hätten „erschreckend zugenommen“.
Niemand im Bundestag trat Weidel entgegen. Im Gegenteil: wenn es Zwischenrufe gab, kamen sie von rechts. Mehrere Abgeordnete von Grünen, CDU/CSU und SPD warfen Weidel vor, nicht in Deutschland zu leben. „Sie wohnen doch in der Schweiz! Warum reden Sie eigentlich über unser Land hier?“ rief Britta Haßelmann, die erste parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion der Grünen.
Tatsächlich haben alle Bundestagsparteien weitgehend die Flüchtlingspolitik der AfD übernommen, beteiligen sich an der Stimmungsmache gegen Migranten und schieben überall dort, wo sie in Bund und Ländern regieren, brutal ab.
Die Reden im Bundestag machten deutlich, warum die herrschende Klasse wieder auf Rassismus, Militarismus und Faschismus setzt. Es geht um ähnliche Fragen, wie sie auch in den 1930er Jahren in die Katastrophe führten. Die deutsche Bourgeoisie reagiert auf die tiefe Krise des europäischen und internationalen Kapitalismus und die wachsenden Spannungen zwischen den Großmächten, indem sie zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik zurückkehrt.
In ihrer Regierungserklärung skizzierte Bundeskanzlerin Angela Merkel ein militaristisches Programm, dessen Durchsetzung letztlich die Errichtung einer faschistischen Diktatur erfordert. „30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges zeigen sich global völlig neue Muster der Kräfteaufteilung“, stellte die Kanzlerin fest und schärfte den Abgeordneten ein, dass Deutschland und Europa massiv aufrüsten müssten, um den anderen Mächten Paroli zu bieten und sich einen Platz an der Sonne zu sichern.
„Meine Damen und Herren, die wachsende Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und China, gleichzeitig auch das geostrategische Wiedererstarken Russlands haben natürlich tiefgreifende Folgen für uns in Europa“, erklärte Merkel. „Wir als Europäer stehen einerseits durch den Austritt Großbritanniens geschwächt da […], auf der anderen Seite ist es aber auch genau die Stunde, neue Stärke zu entwickeln.“ Die neue EU-Kommission der früheren deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen weise „genau in diese Richtung: eine global ausgerichtete Kommission, die Europas Rolle in der Welt festigen will“.
Deutschland müsse „hierbei eine herausragende Rolle spielen“ und „auch im militärischen Bereich“ seine „Versprechen einhalten“. Es gehe darum, sich „in Richtung des Ziels [zu] bewegen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben – wie alle NATO-Mitgliedstaaten der Europäischen Union“. Gleichzeitig wolle man „einen eigenen Pfeiler der Verteidigung mit der gemeinsamen Verteidigungspolitik im Rahmen von PESCO aufbauen, indem wir gemeinsam Rüstungsprojekte entwickeln und unsere Anstrengungen bündeln.“ Europa müsse „einen Fußabdruck, wie man heute vielleicht sagt, hinterlassen bei der Konfliktlösung in der Welt.“
Merkel nannte eine ganze Reihe von Konflikten, bei denen der deutsche Imperialismus mitmischen will, um seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen durchzusetzen. Unter anderem müssten Deutschland und Europa „sichtbarer werden bei der Lösung der Situation in Syrien“ und auch „die Verantwortung“ übernehmen „zur Lösung der Spannungen zwischen Russland und der Ukraine“. Auch in Libyen werde Deutschland „seinen Beitrag leisten“. Es sei notwendig, „wieder Staatlichkeit in Libyen herzustellen, so schwer das auch immer ist; denn die gesamte Region in Afrika wird destabilisiert, wenn Libyen nicht stabilisiert wird. Und deshalb ist das unsere Aufgabe.“
Mit anderen Worten, Berlin, das sich beim Nato-Bombardement Libyens 2011 noch enthalten hatte, drängt nun auf ein noch viel umfassenderes Eingreifen in der Region und darüber hinaus. Deutschland wolle „internationale Konflikte“ immer mit einem „vernetzten Ansatz lösen“, dazu gehörten „Entwicklungspolitik“, „Sicherheitspolitik“ und, „wenn notwendig, auch die Bereitschaft zum militärischen Einsatz“, drohte Merkel. Es werde von Deutschland erwartet, „dass wir nicht nur eine wirtschaftlich starke Nation sind, sondern dass wir auch für die Sicherheit und für den Frieden auf der Welt unseren Beitrag leisten, in allen Bereichen“.
Merkel ließ in ihrer Rede keinen Zweifel daran, dass die neue Weltmachtpolitik mit einer neuen Runde massiver Sozialangriffe einhergehen wird. Der von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vorgelegte Haushalt der Großen Koalition gebe „Antworten auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen“. Gleichzeitig zeige „sich, dass unsere Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik mit wachsenden Etats ausgestattet sind“.
Der arbeiterfeindliche und militaristische Kurs der Großen Koalition wird in seinen Grundzügen von allen Bundestagsparteien geteilt. Bezeichnenderweise applaudierten bei Merkels Rede neben den Regierungsfraktionen mehrfach auch Abgeordnete von FDP, Grünen und Linkspartei. Wenn es Kritik gab, dann von rechts. „Es gibt mehr Mittel für die Bundeswehr, das ist schön“, erklärte Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP. „Aber solange das Verteidigungsministerium nicht in der Lage ist, diese Mittel zielgerichtet einzusetzen und das Material wirklich auch bei der Truppe ankommt“, sei „die Freude überschaubar“.
Für die Linkspartei kritisierte Michael Leutert die mangelnde Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. „Wir haben immer noch das Problem, dass die Gerätschaften nicht fliegen, nicht schwimmen, oder nicht fahren“, klagte er. Dabei sitze „im Weißen Haus ein Verrückter, der auf globaler Ebene keine Probleme löst, sondern immer wieder neue anzettelt“. Unter diesen Bedingungen den Haushalt des Auswärtigen Amts stagnieren zu lassen und ab 2021 sogar zu kürzen, sei fatal. „So leisten wir keinen Beitrag zur Problemlösung auf internationaler Ebene.“