Der Überraschungsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Moskau am 27. August zeigte die wachsende bilaterale militärische Zusammenarbeit zwischen der Türkei, einem NATO-Mitgliedstaat, und Russland. In Moskau schlug er vor, russische Flugabwehrraketen und möglicherweise Kampfflugzeuge zu kaufen, was zu Spannungen mit den imperialistischen Verbündeten der Türkei in Washington und Europa führte.
Trotz Erdogans Reise bleiben die türkisch-russischen Beziehungen äußerst angespannt. Das ungeplante Treffen zwischen Erdogan und dem russischen Präsidenten Vladimir Putin fand inmitten der Konfrontation zwischen türkischen Armeeeinheiten und den von Russland unterstützten Streitkräften der Regierung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad in der syrischen Provinz Idlib statt. Washington und Ankara arbeiten an Plänen, die territoriale Integrität Syriens zu verletzen und in Nordostsyrien einzudringen, um dort eine „Sicherheitszone“ einzurichten.
Am 19. August wurde ein Militärkonvoi der türkischen Armee von der syrischen Luftwaffe angegriffen, angeblich wegen Unterstützung der Islamisten. Zuvor hatte das Assad-Regime die türkische Regierung beschuldigt, sie hätte versucht, die mit al-Qaida verbundenen Kämpfer in der Provinz Idlib zu retten, die nun seit Wochen von Damaskus und Moskau angegriffen werden. Während syrische Streitkräfte die Stadt Khan Sheikhoun von den mit al-Qaida verbundenen Gruppen zurückeroberten, war die türkische Militärbasis Morek im Süden Idlibs von Damaskus-treuen Kräften umzingelt. Berichten zufolge befinden sich etwa 200 türkische Soldaten auf der Basis.
In Moskau versuchten Erdogan und Putin jedoch, diese Konflikte herunterzuspielen. Zum Brennpunkt Idlib sagte Putin: „Russland und die Türkei arbeiten im Astana-Prozess eng mit dem Iran zusammen… Der Präsident der Türkei und ich haben weitere gemeinsame Maßnahmen zur Neutralisierung terroristischer Brutstätten in Idlib und zur Normalisierung der Situation sowohl in dieser Zone als auch im restlichen Syrien ausgearbeitet.“
Die Antwort von Erdogan zeigte, dass die Differenzen zwischen den beiden Ländern fortbestehen: „Wir können unsere Verantwortung für das Sotschi-Abkommen nur dann wahrnehmen, wenn das Regime seine Angriffe einstellt… Die Provokationen des Regimes haben das Leben unserer Soldaten in der Region gefährdet.“ Die syrische staatliche Nachrichtenagentur SANA berichtete jedoch über Erdogans Besuch in Moskau, dass „eine militärische Quelle die Annahme eines Waffenstillstands in der Deeskalationszone von Idlib ab Samstagmorgen angekündigt hat“.
Dennoch sieht Washington die vertieften Beziehungen Ankaras zu Moskau mit Sorge. Vor Erdogans Besuch in Moskau gab Washington eine offizielle Erklärung ab, in der es sein Angebot, Raketenabwehrsysteme vom Typ Patriot an die Türkei zu verkaufen, zurückzog, nachdem die Türkei russische S-400-Flugabwehrraketen gekauft hatte. „Wir haben der Türkei immer wieder gesagt, dass unser neuestes PATRIOT-Angebot zurückgezogen würde, wenn sie das System S-400 übernehmen würde. Unser PATRIOT-Angebot ist abgelaufen“, erklärte ein Beamter des US-Außenministeriums am 22. August gegenüber CNN.
Am 6. Juni schrieb der amtierende US-Verteidigungsminister Patrick Shanahan einen Brief an seinen türkischen Amtskollegen Hulusi Akar, in dem er drohte, die militärische Zusammenarbeit mit der Türkei, insbesondere im Zusammenhang mit dem F-35 Kampfflugzeugprogramm, einzustellen und die Türkei mit einer Vielzahl von Sanktionen zu belegen.
Nach der Lieferung der ersten Charge russischer S-400-Flugabwehrsysteme an die Türkei im Juli, im Rahmen eines im Dezember 2017 unterzeichneten Vertrages, setzte Washington die Teilnahme der Türkei am F-35-Programm aus. Am Mittwoch wies US-Verteidigungsminister Mark Esper darauf hin, dass die Türkei nur dann F-35 bekommen würde, wenn sie ihr Raketenabwehrsystem S-400 an Russland zurückgibt.
Espers Aussage war eine Antwort auf Erdogans Kommentare zu F-35-Kampfjets sowie zu russischen Flugzeugen. Auf dem Rückweg von Moskau nach Ankara fragte Erdogan, ob die Türkei daran interessiert sei, russische Su-35 oder Su-57 Jets zu kaufen, und antwortete: „Warum nicht? Wir sind nicht umsonst hierher gekommen.“
Erdogan und Putin nahmen an der Einweihung des MAKS-2019 International Aviation and Space Salon bei Moskau teil. Am selben Tag, als Erdogan und Putin sich trafen, war eine zweite Ladung S-400 Flugabwehrsysteme zum Luftwaffenstützpunkt Murted in Ankara geliefert worden. Erdogan und Putin konzentrierten sich vor allem auf die Festigung der bilateralen militärischen Zusammenarbeit.
In diesem Zusammenhang sagte der russische Präsident Putin zu Erdogan: „Wir haben Ihnen verschiedene Produkte gezeigt, sowohl militärische als auch zivile. Sie zeigen nicht nur die Leistungsfähigkeit Russlands in der Luft- und Raumfahrt, sondern bieten auch eine Vielzahl von Kooperationsmöglichkeiten. Wir kennen die High-Tech-Entwicklungspläne der Türkei“, sagte er. Er fügte hinzu: „Natürlich könnten wir unsere Kräfte in den Bereichen bündeln, in denen unsere Fähigkeiten besonders stark und gefragt sind.“
Erdogan erwiderte: „Heute haben wir uns die russische Verteidigungsindustrie genauer angesehen. Ich möchte meine Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, dass wir heute auch russische Triebwerke für Passagierflugzeuge, Kampfflugzeuge, Hubschrauber und andere Fluggeräte gesehen haben. Wir haben auch Demonstrationsflüge von Kampfflugzeugen, darunter die Su-34, Su-35 und Su-57, gesehen. Wir wurden auch über die russischen Raumfahrtaktivitäten und die Maßnahmen, die Sie ergreifen, um Ihre Raumfahrtindustrie zu stärken, informiert.“
Auf der MAKS-2019 fragte Erdogan Putin, ob die Türkei den russischen Düsenjäger Su-57 der fünften Generation kaufen könne. „Ja, das können Sie“, antwortete Putin.
Laut der Website Al-Monitor sagte der Direktor des russischen Föderalen Dienstes für militärisch-technische Zusammenarbeit, Dmitri Shugaev, Reportern auf der MAKS-Luftschau, dass die beiden Länder über den Verkauf der Su-35 - einem Konkurrenten der F-35 und der Su-57 - sowie über russische elektronische Kampfsysteme diskutiert hätten. In der Sitzung sagte Putin auch, dass Russland "bereit ist, türkischen Piloten Flüge mit Su-30SM-Kampfjets anzubieten". Sollte dies eintreten, so soll es sich um die ersten gemeinsamen Trainings von russischen und türkischen Militärpiloten handeln.
Als Zeichen für eine Intensivierung der Beziehungen zwischen ihren beiden Regierungen schlug Putin vor, dass Erdogan 2023, im Jahr des hundertjährigen Bestehens der Republik Türkei und einer Neuwahl des türkischen Präsidenten, einen türkischen Astronauten auf die Internationale Raumstation schickt.
Trotz der anhaltenden Streitigkeiten über Syrien zeigen die immer engeren Beziehungen zwischen der Türkei einerseits, die seit 1952 Mitglied der NATO ist und ein wichtiger westlicher Verbündeter während des Kalten Kriege war, und Russland auf der anderen Seite, zusammen mit China das Hauptziel des US-Imperialismus, dass keiner der großen Konflikte zwischen Ankara und seinen westlichen Verbündeten, der in einem von Washington und Berlin unterstützten, gescheiterten Putschversuch 2016 gegen Erdogan gipfelte, gelöst ist.
Die westlichen Mächte, insbesondere die USA, hielten es für völlig inakzeptabel, dass sich die Türkei angesichts wachsender Konflikte mit den USA und anderen NATO-Verbündeten in strategischen Fragen, einschließlich ihrer Unterstützung für die syrisch-kurdischen Milizen, die kurdisch-nationalistischen Volksschutzeinheiten (YPG), den syrischen Ableger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), engere Beziehungen zu Russland und China angestrebt hatte.
Der Putsch scheiterte, weil Erdogan, alarmiert von Moskau, rechtzeitig an seine Wähler appellieren konnte, auf die Straße zu gehen, um ihn zu verteidigen. Erst danach begann die türkische Regierung, über den Kauf des Raketensystems S-400 zu diskutieren.
Am 7. August vereinbarten türkische und US-amerikanische Militärbeamte den Bau einer „Sicherheitszone“ in Nordsyrien, östlich des Euphrats, die von der Türkei in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten kontrolliert werden soll. Trotz der Unsicherheit über die genauen Bedingungen der „Sicherheitszone“ ist es das Hauptziel Ankaras, den kurdisch dominierten Rumpfstaat dort zu zerschlagen und die YPG-Milizen aus der Region zu vertreiben.
„Die Türkei hat keine Zeit und Geduld und will, dass so schnell wie möglich eine Sicherheitszone entlang der östlichen Euphratlinie, entlang Syrien, errichtet wird“, erklärte Erdogan am Samstag in İstanbul und fügte hinzu: „In drei Wochen gibt es eine letzte Chance, wenn wir in den USA am Rande der Sitzung der UNO-Generalversammlung ein Treffen (mit Präsident Trump) abhalten“.
Obwohl seine Regierung zunächst die Vorbereitungen zum Bau einer illegalen „Sicherheitszone“ in Nordsyrien durch Ankara und Washington verurteilte, versuchte Putin, diese Spannungen zu glätten. Während des Treffens mit Erdogan sagte er: „Die Schaffung einer Sicherheitszone an den Südgrenzen der Republik Türkei wird dazu beitragen, die territoriale Integrität Syriens selbst zu gewährleisten“, und fügte hinzu: „Wir verstehen die Sorge der Türkei um die Sicherheit ihrer Südgrenzen. Wir glauben, dass dies berechtigte Bedenken sind.“