Portugals sozialdemokratische Regierung setzt Militär gegen streikende Lkw-Fahrer ein

Als am Montag ein unbefristeter Streik der Lastwagenfahrer in Portugal begann, traf sich das Kabinett von Ministerpräsident António Costa (Sozialistische Partei, PS) zu einer Krisensitzung. Da 35 Prozent der Tankstellen im ganzen Land bereits kein Benzin mehr hatten, beschloss das Kabinett, die Streikenden durch den Einsatz des Militärs und Requirierungsbefehle zur Weiterarbeit zu zwingen. Am Dienstag fuhren Hunderte von Soldaten Tanklastwagen mit Treibstoff zum Internationalen Flughafen Lissabon, zu Polizeistationen und anderen Einrichtungen.

Am Dienstagabend drohte die PS außerdem mit Anklagen gegen 14 Lkw-Fahrer, die sich den Requirierungsanordnungen widersetzt hatten. Bei drei davon konnten die Requirierungspapiere nicht zugestellt werden.

Diese Schritte verdeutlichen, dass die Finanzaristokratie die Forderungen der Lastwagenfahrer nach einer deutlichen Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen, angemessenen Ruhezeiten und grundlegenden Änderungen der sozialen Bedingungen – die von den Arbeitern in Portugal und ganz Europa geteilt werden – nicht tolerieren wird.

Angesichts des internationalen Auflebens des Klassenkampfs setzt die herrschende Klasse auf Unterdrückung durch Militär und Polizei. Im letzten Jahr kam es zum ersten landesweiten Streik der Lehrer in Polen seit der stalinistischen Wiedereinführung des Kapitalismus im Jahr 1989, zu Lehrerstreiks in den USA sowie zu einer Streikwelle gegen den Sparkurs der Europäischen Union (EU) in Deutschland, Belgien und ganz Europa. Costa, der den französischen Präsidenten Emmanuel Macron während der Europawahl für sein hartes Vorgehen gegen die „Gelbwesten“-Proteste gelobt hatte, steuert direkt auf eine Konfrontation mit der Arbeiterklasse zu.

Die Nationale Gewerkschaft der Gefahrgutfahrer (SNMMP) sah sich gezwungen, erneut einen LKW-Streik auszurufen, nachdem sie einen früheren Streik im April für eine Erhöhung des monatlichen Grundgehalts um 70 Euro ausverkauft hatte. Zweifellos befürchtete sie nach dem Streik der portugiesischen Pflegekräfte im letzten Jahr und den „Gelbwesten“-Protesten in Portugal und Frankreich, die alle unabhängig von der Gewerkschaft über soziale Medien organisiert wurden, dass die Lastwagenfahrer unabhängig von den Gewerkschaften streiken würden, wenn diese nichts unternehmen. Die SNMMP fordert eine Erhöhung des monatlichen Grundgehalts um 100 Euro auf 800 Euro im Jahr 2020 und auf 900 Euro im Jahr 2021 sowie eine 20-prozentige Erhöhung der gesamten Durchschnittslöhne von 1.400 Euro in diesem Jahr auf 1.715 Euro monatlich bis 2021.

Die Forderungen der Arbeiter gehen jedoch weit darüber hinaus. Obwohl Gefahrgutfahrer oft 18 bis 20 Stunden am Tag arbeiten müssen, liegt ihr Rentenalter bei 65 Jahren. Zudem hat die PS 2017 versucht, das Rentenalter per Dekret auf 67 Jahre zu erhöhen. Die SNMMP hat jedoch die Forderung der Lastwagenfahrer nach einem früheren Renteneintritt nicht zum Thema ihrer Verhandlungen mit der PS und den Arbeitgebern gemacht.

Generell drückt der Streik die wachsende Wut der Arbeiter in Portugal und international über die Bedingungen aus, die die EU und das kapitalistische System ihnen aufzwingen. In der ersten Hälfte des Jahres arbeiteten die portugiesischen Gewerkschaften mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln daran, eine mächtige Welle von Streiks gegen die PS zu beenden. Hafen- und Raffineriearbeiter, Pädagogen und staatliche Verwaltungskräfte streikten für Lohnerhöhungen angesichts eines Wirtschaftsaufschwungs nach einem Jahrzehnt sozialer Austerität und von der EU diktierten Nullrunden bei den Löhnen nach dem Wall-Street-Crash und der globalen Wirtschaftskrise von 2008.

Die Gewerkschaft selbst macht dem politischen Establishment gegenüber deutlich, dass sie versucht, die Kontrolle über den sozialen und politischen Widerstand ihrer Mitglieder zu behalten. Pedro Pardal Henriques, ein Anwalt und Sprecher der SNMMP, erklärte vor der Presse: „Hier geht es um viel mehr als nur um Löhne. Es geht auch um die Rechte der Arbeiter und um die Frage, warum ihre Löhne seit 20 Jahren nicht erhöht wurden. Es geht nicht nur um den Streik und das Grundgehalt. Wir müssen uns fragen, wie es so weit gekommen ist.“

Der öffentliche Rundfunksender TSF spielte auf die Angst der herrschenden Kreise wegen des Ausmaßes der politischen Wut der Arbeiter an: „Niemand entkommt dem Lastwagenfahrerstreik – nicht die Arbeitgeber, nicht die Regierung und auch nicht die Politik der EU.“

Die Aufgabe, die Lastwagenfahrer gegen den portugiesischen Staat und das Militär zu verteidigen, fällt den Arbeitern in Portugal und weltweit zu. Sie müssen den Streik aus der Kontrolle der Gewerkschaften befreien und ihn in einen politischen Kampf gegen die PS-Regierung und die EU entwickeln. Dabei ist der wichtigste Verbündete der portugiesischen Lastwagenfahrer die Arbeiterklasse in Portugal, Europa und auf der ganzen Welt, die mit der Perspektive eines revolutionären Kampfs gegen Kapitalismus und für Sozialismus bewaffnet werden muss.

Der größte Vorteil der PS ist momentan, dass es in Portugal keine revolutionäre Partei gibt, die für die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die Drohungen mit dem Militär kämpft. Sie agiert auf der Grundlage jahrelanger Erfahrung und dem wohlbegründeten Glauben, dass die Gewerkschaften den Streik isolieren und keine Solidaritätsaktionen durchführen werden. Die rechten kleinbürgerlichen Organisationen aus dem Umfeld der PS, die jahrzehntelang als portugiesische „Linke“ propagiert wurden, signalisieren der herrschenden Klasse, dass sie sich mit den Maßnahmen der PS-Regierung gegen die Streikenden arrangieren werden.

Letztes Jahr hatte der Führer des Linksblocks (BE), Francisco Louçã, die Ansichten dieser gesamten Schicht ausgedrückt, als er die Proteste der „Gelbwesten“ gegen soziale Ungleichheit als faschistisch verunglimpfte und erklärte: „Das ist eine rechtsextreme Operation. Sie benutzen die sozialen Medien, um mit rechtsextremen Begriffen eine aggressive Politisierung zu schüren.“ Jetzt, wo der Staat das Militär zu einem wirklich faschistischen Angriff auf das Streikrecht der Arbeiter mobilisiert, fällt die Reaktion des BE deutlich ruhiger aus.

Als letzte Woche die Vorbereitungen für den Streik im Gange waren, deutete die Sprecherin des BE, Catarina Martins, an, sie akzeptiere die Rechtfertigung der PS für die Unterdrückung des Streiks: Es müsse erlaubt sein, darüber zu entscheiden, welches Mindestniveau an Dienstleistungen in wichtigen Wirtschaftsbereichen gewahrt werden muss.

Martins erklärte: „In bestimmten wichtigen Bereichen ist es verständlich, dass es ein Mindestniveau an Dienstleistungen geben muss, in anderen ist es nicht verständlich.“ Über die Verfügbarkeit von Treibstoff erklärte sie: „Die Regierung wird alles Notwendige tun müssen, damit das Land funktioniert. Ich verstehe, dass in einem so sensiblen Bereich entscheidende Maßnahmen getroffen werden müssen. Allerdings muss ich auch sagen, dass ich einige Maßnahmen sehe, die im Vergleich zu dem, was nötig ist, deutlich übertrieben erscheinen.“

Die Kommunistische Partei Portugals (KPP) übte zwar verhaltene Kritik am Vorgehen der PS, „das Streikrecht zu begrenzen“, attackierte die Streikenden jedoch in der üblichen stalinistischen Art: „Ein unbefristeter Streik entwickelt sich auf der Grundlage von Argumenten, die zwar reale Probleme und Unzufriedenheit der Arbeiter ausnutzen, aber Ausdruck persönlicher Ambitionen sind und die politischen Ziele verbergen, die eher die Bevölkerung als die Arbeitgeber erreichen wollen. Die Unterstützer dieser Aktion sind zufrieden damit, dass die Regierung sie benutzt, um das Streikrecht einzuschränken.“

Dabei handelt es sich um eine indirekte Anspielung auf die Rolle von Pardal Henriques, der am 6. Oktober für die rechte Republikanische Demokratische Partei (PDR) zur Parlamentswahl antritt. Die PDR ist im Europaparlament mit Macrons Republique en Marche (LRM) verbündet. Die rechte Zeitung Diario de Noticias hat als Reaktion auf den Streik eine Hetzkampagne gegen Pardal Henriques begonnen und behauptet, er habe Verbindungen zur Freimaurerbewegung, genauer gesagt zur Loge Großorient von Lusitanien.

Die Arbeiter dürfen kein Vertrauen in die Gewerkschaften oder Politiker setzen, die Macrons brutale Unterdrückung des Widerstands der Arbeiterklasse unterstützen. Doch die Kritik der KPP, die Gewerkschaftsfunktionäre für die staatliche Unterdrückung ihrer Mitglieder durch die PS verantwortlich macht, ist zynisch und reaktionär. Die KPP unterhält seit Jahrzehnten politische Beziehungen zur PS. Dass rechte Figuren als Streikführer auftreten können, liegt vor allem daran, dass Organisationen wie die KPP jahrzehntelang den linken Widerstand in der Arbeiterklasse unterdrückt und sie an die PS gebunden haben.

Die Entscheidung der PS, noch am gleichen Tag den Streik niederzuschlagen, muss als Warnung verstanden werden: In der europäischen herrschenden Klasse findet ein rapider Rechtsruck statt. Die Eskalation des Klassenkampfs erfordert dringend einen politischen Bruch mit dem kleinbürgerlichen Milieu, das vom BE und der KPP repräsentiert wird, sowie den Aufbau von unabhängigen Organen der Arbeiterklasse.

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