Wie in jedem Jahr sind 2019 vor den Sommerferien erneut tausende, meist junge Lehrer trotz des bundesweit hohen Personalbedarfs in die Arbeitslosigkeit geschickt worden.
Das Bundesland Baden-Württemberg allein spart in wenigen Wochen 1,2 Millionen Euro bei Lehrergehältern ein, versetzt damit junge Arbeitskräfte kurzfristig in Existenznot und untergräbt die Attraktivität des Lehrberufs bzw. veranlasst junge Leute dazu, nach besseren Beschäftigungsbedingungen außerhalb des Schuldienstes zu suchen.
So befeuert die Kultusbürokratie auch mittel- und langfristig den erheblichen Unterrichtsausfall, denn bereits der Bildungsbericht 2018 von Bund und Ländern stellt einen Lehrermangel von 50.000 dauerhaften Stellen fest. Eine Stichprobe des Senders RTL schätzt den damit verbundenen Unterrichtsausfall auf bundesweit ca. 3-5 Unterrichtsstunden pro Woche. Bundesweite verlässliche Erhebungen z.B. der Kultusministerkonferenz bleiben jedoch aus.
Die in diesem Sommer betroffenen arbeitslosen Lehrer hatten zuvor ihre Ausbildung beendet, oder sie waren als befristete Vertretung für Erkrankte oder Schwangere dringend benötigt worden. Viele junge Kollegen haben ihren Berufseinstieg hoch motiviert begonnen und werden mit dem Rauswurf aus den Schulen vor den Kopf gestoßen.
Tagesschau.de berichtete bereits im Sommer 2018 von den abschreckenden Bedingungen saisonarbeitender Lehrer: „Katarina S. findet das demütigend. Sie ist mit Leib und Seele Lehrerin, weiß aber nicht, ob sie diesen Beruf unter diesen Bedingungen weiterführen wird. ‚Es geht ja nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch um die Beziehungen mit den Schülern. Wenn ich nie weiß, ob ich im nächsten Jahr noch da bin, kann ich mich nicht richtig auf die Schüler einlassen.“
Zu Beginn der Sommerferien liegen der Bundesagentur für Arbeit laut Bericht des Nachrichtenmagazins Focus jährlich zwischen 6000 und 6500 zusätzliche Arbeitslosmeldungen von Lehrern vor. Viele im Sommer bereits ausgebildete Referendare vermeiden es, sich arbeitslos zu melden, da sie nach der vorläufigen Verbeamtung während der Ausbildungszeit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld erwirkt haben. Statt sich den erniedrigenden Vermittlungspraktiken von „Hartz IV“ zu unterwerfen, ziehen sie es vor, auf eigene Faust jobben zu gehen.
Die tatsächliche Arbeitslosigkeit junger Lehrer steigt also im Sommer deutlich über die offiziell gemeldeten 6500 Fälle. Lehrerverbände weisen außerdem darauf hin, dass die Zahl arbeitsloser Lehrer erst einige Wochen nach Beginn des neuen Schuljahrs wieder sinkt. Für viele dieser jungen Arbeitskräfte beträgt die Arbeitslosigkeit etwa zwei bis drei Monate im Jahr.
Spitzenreiter bei diesem beliebten Sparmodel mit jungen Lehrern sind die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern: Im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg weigert sich die Landesregierung auch 2019, die Verträge von Schwangerschafts- oder Krankenvertretungen so abzuschließen, dass auch in den Sommerferien Anspruch auf Bezahlung besteht. Es sei einfach nicht genug Geld dafür im Landeshaushalt vorhanden.
Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Alexander Lortz (CDU), äußert sogar, dass die gezielt herbeigeführte Arbeitslosigkeit von jungen Lehrern „kein Problem mehr darstellt“, da davon angeblich nur noch wenige Bundesländer betroffen seien. Aufgrund der Übergangszeiten von Referendaren im Anschluss an ihre Ausbildung betrifft die bürokratisch verursachte Arbeitslosigkeit in den Sommerferien jedoch auch in 2019 tatsächlich Lehrer in allen Bundesländern.
Die verächtliche Sparpolitik auf dem Rücken der Nachwuchskräfte wirkt sich mehrfach kontraproduktiv auf die Unterrichtsversorgung der kommenden Monate und Jahre aus. Nach den Ferien entsteht eine zyklische Unterversorgung mit Lehrpersonal, Schulleitungen versuchen dann vorübergehend und in wochenlanger Kleinarbeit dem Unterrichtsausfall mit angeordneten Überstunden des älteren Stammpersonals entgegenzuwirken: Fachunterricht wird fachfremd erteilt, besonders in sog. „Mangelfächern“ wie Mathematik oder Naturwissenschaften fällt Unterricht auch z.T. komplett aus.
Eine Mathematiklehrerin an einer weiterführenden Schule in Duisburg berichtet, dass sie als MA für Betriebswirtschaft bislang Politik- und Wirtschaft sowie Mathematik in den Anfangsklassen unterrichtet hatte. Man empfahl ihr, unterrichtsbegleitend Mathematik zu studieren, um ihre Chancen auf Festanstellung zu erhöhen. Dieses Studium nimmt sie seit drei Jahren engagiert auf sich, doch sowohl im letzten Sommer als auch in diesem Sommer war und ist ihre Beschäftigung für das folgende Schuljahr nicht gesichert, weil sie den Bachelor für Lehrkräfte noch nicht komplett nachweisen konnte. Sie muss sich Ende August wieder neu bewerben, obwohl sie dringend an der Schule gebraucht wird.
Gerade Studierende in Fächern mit hohem Einstellungsbedarf werden von der unsicheren Vertragsgestaltung im Schuldienst abgeschreckt, ihre Bezahlung im öffentlichen Dienst ist ohnehin deutlich niedriger als in der Industrie. Andererseits wirkt sich diese Situation auf das ältere Schulpersonal besonders im Herbst regelmäßig durch einen erhöhten Krankheitsstand bei Lehrern aus. Schüler selbst reagieren auf dieses wiederkehrende Chaos zu Beginn jedes neuen Schuljahrs mit Verunsicherung, weil sie wegen des Unterrichtsausfalls und häufigen Lehrerwechsels die Orientierung auf geregelte Lernprozesse und wertvolle personelle Bindungen zu ihren beratenden Lehrern einbüßen.
Die Sparpolitik an Schulen trifft aber nicht nur Lehrer, auch kommunal bezahlte Arbeitskräfte an Schulen leiden unter verschärften Vertragsbedingungen. So plante z.B. seit 2015 die Stadt Krefeld unter Führung der SPD jährliche Einsparungen von 300.000 Euro im Bereich ihrer Reinigungskräfte. Um die Einsparungen zu realisieren, wurden die Anzahl des Personals und die Anrechnungszeiten der Reinigung bei gleichbleibend großen Flächen zusammengestrichen. Die Arbeiten werden nicht mehr persönlich, sondern über unterbeauftragte Firmen vergeben, deren Verträge mit den Reinigungskräften im Einzelnen nicht öffentlich überprüft werden können.
In Frühsommer 2019 haben Reinigungskräfte in Krefeld nun erstmals Kündigungen so erhalten, dass sie mit Beginn der Sommerferien arbeitslos geworden sind. Die intensive jährliche Grundreinigung von Toiletten, Umkleideräumen, Duschen, Sporthallen, Klassenräumen, der Lehrerzimmer und naturwissenschaftlichen Fachräume wird dann auf die verkürzten Nachmittage im Anschluss an den Ganztagsunterricht des nächsten Schuljahrs verschoben. Oder diese Reinigung fällt einfach aus. Lehrer und Schüler werden deshalb seit Jahren schon regelmäßig gebeten, die Klassen vor den Ferien gemeinsam zu reinigen.
Daraufhin traten die Reinigungskräfte an der Gesamtschule am Kaiserplatz in Krefeld – wie die Schulleitung ihren Lehrern mitteilte – im Juni 2019 geschlossen in den Streik, eine Situation, bei der aus hygienischen Gründen sogar eine vorübergehende bzw. frühzeitige Schulschließung vor den Ferien zu erwägen gewesen wäre. Die Bildungsgewerkschaft GEW kümmerte sich nicht um die Lage dieses streikenden Reinigungspersonals, sie sah sich nur für das Lehrpersonal an Schulen zuständig. Die Reinigungsfirma konnte ungehindert Streikbrecher einsetzen, auch weil eine Solidarisierung der Lehrer mit den Reinigungskräften oder ein flächendeckender Streik in Krefeld mangels Information und Selbstorganisation der Beschäftigten bisher noch ausblieb.
Eine weitere Auswirkung zerstörerischer Sparpolitik im Bildungsbereich zeigt sich bei der Besetzung von bedarfsbezogenen Neuausschreibungen. So blieben z.B. in der Stahlarbeiterstadt Duisburg im Juni zwei Drittel (65 %, bzw. 250 Stellen) der Neuausschreibungen an Grundschulen unbesetzt, wie der Westdeutsche Rundfunk berichtete. Damit sind langfristig wirkende Nachteile für alle dort eingeschulten Kinder verbunden, insbesondere aber bei der fortgesetzten Alphabetisierung von Kindern aus sog. „bildungsfernen Schichten“ oder für Kinder aus Migrantenfamilien.
Die Lehrergewerkschaft GEW beklagt sich nun öffentlich über ihre jungen Mitglieder und neu ausgebildete Lehrer. Sie würden sich kaum in Städten mit hoher Arbeitslosigkeit bewerben, angeblich weil sie den Problemen an den „sozialen Brennpunkten“ nur ausweichen wollten. Zu Jahresbeginn lag die Arbeitslosenquote in Duisburg bei 11,2 %, in den nördlichen Stadtteilen lag sie deutlich darüber. Die GEW schlägt deshalb laut Westdeutschem Rundfunk (WDR) vor, neue Lehrer einfach zwangsweise dort zu verpflichten, um den Stellenbedarf besser decken zu können.
Eine solche bürokratische Maßnahme, die Bewerber aus anderen Kommunen abzieht, den Mangel somit nur verteilt, die die konkreten Lebensbedingungen der Kinder nicht berücksichtigt und die die Interessen der Lehrer an kleineren Lerngruppen für besonders benachteiligte Kinder an den „Brennpunkten“ außer Acht lässt, zeugt von dem Selbstverständnis der GEW als verlängertem Arm der Personalabteilung der Arbeitgeber.