Am Dienstag kamen mehrere Dutzend Studierende und Arbeiter an der Humboldt-Universität Berlin zusammen, um gegen die Verfolgung von Julian Assange zu protestieren und über die politischen und historischen Hintergründe des Angriffs auf den mutigen Journalisten zu diskutieren. Die Versammlung war von der Hochschulgruppe der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) einberufen worden.
Der stellvertretende Vorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), Christoph Vandreier, leitete die Veranstaltung mit einem ausführlichen Beitrag ein, dem die Zuhörer gespannt folgten. Er ging zunächst ausführlich darauf ein, welche Verbrechen der herrschenden Klasse WikiLeaks seit der Gründung im Jahr 2006 aufgedeckt hat.
Sie reichen vom Nachweis der Folter in Guantanamo über die Aufdeckung massenhafter Steuerhinterziehung von Superreichen und illegaler Überwachungsmaßnahmen bis hin zu den umfassenden Leaks über die Kriegsverbrechen der Nato-Staaten im Irak und in Afghanistan. Allein im Irakkrieg hat WikiLeaks 15.000 Tötungen von Zivilisten nachgewiesen, die zuvor vom US-Militär unter Verschluss gehalten worden waren. Hinzu kamen unzählige Einzelheiten über das brutale Vorgehen der Armee gegen Männer, Frauen und Kinder.
„Diese Enthüllungen deckten nicht nur den brutalen Charakter dieser Kolonialkriege auf, sondern entlarvten auch die sogenannten Journalisten, die erst die Lüge über angebliche Massenvernichtungswaffen verbreiteten, um den Krieg zu rechtfertigen, und ihn anschließend mit ihrem ‚embedded journalism‘ als Befreiung verklärten“, sagte Vandreier und fügte hinzu, dass die gleichen Schreiberlinge nun Assange attackierten.
Wegen dieser Enthüllungen habe das US-Verteidigungsministerium schon 2008 festgehalten, dass man WikiLeaks diskreditieren und die Protagonisten verfolgen müsse. In der Folge seien die Server von Wikileaks angegriffen und gesperrt, die Webadresse entzogen und zahlreiche Spendenwege gekappt worden, fuhr Vandreier fort.
Besonders aggressiv sei die herrschende Elite gegen Assange vorgegangen. Vandreier ging ausführlich darauf ein, wie längst abgeschlossene Ermittlungen wegen angeblicher minderschwerer Vergewaltigung in Schweden urplötzlich wieder aufgenommen wurden, um einen Vorwand für die Auslieferung in die USA zu schaffen. Selbst der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen habe festgestellt, dass Assange „willkürlich und für unverhältnismäßig lange Zeit seiner Freiheit beraubt worden“ sei.
Nun sei er unter neuen Vorwänden festgenommen worden und es drohe ihm die Auslieferung in die USA, wo im Geheimen längst weitere Anklagepunkte nach dem Spionagegesetz gegen ihn vorbereitet würden, die mit dem Tod bestraft werden können.
„Sollte Assange in die USA ausgeliefert werden, wäre das keine legale Überstellung, sondern eine illegale Verschleppung. In den USA würde ihm kein fairer Prozess gemacht, sondern ein Schauprozess, dessen Ende schon feststeht“, fasste Vandreier die drohende Gefahr für Assange zusammen. „Wenn das durchkommt, bedeutet es das Ende der Pressefreiheit und grundlegender demokratischer Rechte. Es würde sich gegen alle richten, die sich gegen völkerrechtswidrige Kriege, illegale Massenüberwachung oder die Bereicherung der Superreichen wenden.“
Umso bemerkenswerter sei die Schmutzkampagne, die nun in den Medien gegen Assange geführt werde und die von Vergewaltigungsanschuldigungen über Vorwürfe, ein russischer Agent zu sein, bis zu Spott über seinen körperlichen Zustand nach dem Martyrium in der Botschaft reichten. Vandreier nannte auch viele deutsche Medien, die entweder ihre Freude über Assanges Verhaftung zum Ausdruck gebracht oder sie legitimiert hatten.
Das zeige, dass es in der herrschenden Elite keine Grundlage zur Verteidigung demokratischer Rechte mehr gebe, sondern autoritäre und faschistische Tendenzen wüchsen. Diese Entwicklung sei sehr ernst zu nehmen, erklärte Vandreier und unterstrich dies mit dem historischen Beispiel von Carl von Ossietzky. Der Journalist war in der Weimarer Republik wegen Geheimnisverrats eingesperrt worden, weil er die illegale Aufrüstung der Reichswehr aufgedeckt hatte. Zwei Monate nach seiner Entlassung im Dezember 1932 wurde er von den Nazis erneut inhaftiert und ins KZ verschleppt, wo er gefoltert und misshandelt wurde.
„Heute zeigt das Vorgehen gegen Assange, dass die Herrschenden wieder in die gleiche Richtung gehen“, erklärte Vandreier und fügte hinzu, dass dies gerade an der Humboldt-Universität gelte, wo Militaristen wie Herfried Münkler und der rechtsradikale Professor Jörg Baberowski lehrten und von der Universitätsleitung gegen jede Kritik in Schutz genommen würden.
Der Rechtsruck, der darin und in der Kampagne gegen Assange zum Ausdruck komme, sei eine grundlegende internationale Entwicklung. In den USA nehme Trumps Regierung immer offener faschistoide Formen an, und in Europa seien schon in zehn Ländern rechtsradikale Parteien an der Regierung beteiligt. Der Grund dafür läge in der tiefen Krise des Kapitalismus, die wie im 20. Jahrhundert wieder zu Faschismus und Krieg führe, erklärte Vandreier.
Er schloss: „Die einige Möglichkeit, Assange und die demokratischen Rechte zu verteidigen, ist deshalb die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Das ist die einzige soziale Kraft, die der Kampagne der herrschenden Elite entgegentreten kann.“
Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, die sich vor allem um diese Perspektive und die Bedeutung eines marxistischen Verständnisses und eines sozialistischen Programms drehte. Am Ende wurde die folgende Resolution von den Anwesenden einstimmig beschlossen:
„Diese Veranstaltung an der Humboldt-Universität Berlin verurteilt die Verhaftung von WikiLeaks-Gründer Julian Assange. Wir fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung von Assange, der Whistleblowerin Chelsea Manning und aller mutigen Journalisten, die das Ausmaß der brutalen Kriege und Verbrechen der Herrschenden enthüllt haben. Wir beschließen, den internationalen Kampf für die Freiheit von Julian Assange und Chelsea Manning mit allen Kräften zu unterstützen!“