Neue Gewerkschaftsbürokratie oder Arbeitermacht?

Lehren aus der Rebellion der Arbeiter von Matamoros: Dritter Teil

Zweite Streikwelle: „Unabhängige“ Gewerkschaften treten auf

Obwohl der Streik die Firmen laut dem Unternehmerverband Index satte 50 Millionen Dollar pro Tag kostete, hatten Ende Januar nur etwa 14 Unternehmen dem 20/32-Ziel zugestimmt. Diese führten bereits Entlassungen durch.

Vom 30. Januar an dehnte sich der Streik auch auf maquiladoras aus, die der kleinsten der drei wichtigen Gewerkschaften der Stadt angehören, der Workers Union of the Maquiladora and Assembly Industry (STIME), angeführt von Rubén Longoria Uribe. (SJOIIM und STIME, sowie die Industriegewerkschaft der maquiladoras-Arbeiter SITPME, gehören alle zum Verband Mexikanischer Arbeiter CTM.) Etwa 1.500 maquiladora-Beschäftigte legten die Arbeit bei Spellman nieder und forderten ebenfalls den Bonus von 32.000 Pesos. Das Elektronikunternehmen stimmte schnell zu.

Hunderte Arbeiter in einer dem SJOIIM angeschlossenen Coca Cola-Abfüllanlage begannen mit Teilstreiks, um die 20/32-Forderung durchzusetzen. Am nächsten Tag erklärte die mexikanische Finanzzeitung El Financiero das „Ende des Arbeitsfriedens“ in Mexiko.

In den nächsten Tagen schlossen sich auch die Beschäftigten von Toyoda Gosei Rubber und anderen STIME-Werken an. Es war die zweite Welle spontaner Streiks gegen die Gewerkschaft. Nach einem vierstündigen Streik bei Ballinger am 4. Februar stimmte das Unternehmen der 20/32-Forderung zu, was andere Arbeiter bei SITPME veranlasste, an diesem Nachmittag eine Massenversammlung zu organisieren. Sie forderten einen „Generalstreik“ für die 20/32-Forderung, unabhängig davon, ob Boni in ihrem Vertrag vorgesehen waren oder nicht. Eine weitere zentrale Forderung lautete, die Gewerkschaft abzuwählen.

Tausende maquiladora-Arbeiter von 25 SITPME und STIME-Betrieben waren plötzlich im Streik, und Arbeiter der Supermarktketten Chedraui, Smart und Soriana und der Milchverarbeitungsanlage Vakita, sowie Müllmänner schlossen sich ihnen an.

Inspiriert von der Rebellion von Matamoros streikten am 2. Februar die Angestellten an fünf Standorten der Autonomen Universität im Großraum Mexiko-Stadt (UAM) und forderten eine Lohnerhöhung von 20 Prozent. Zu der Zeit führten Lehrer im westlichen Bundesstaat Michoacán Streiks und zeitweilige Blockaden von Eisenbahnen durch, die zu dem wichtigen Hafen von Lázaro Cárdenas führen. Am 7. Februar gingen rund 680 Beschäftigte von General Mills in der zentralmexikanischen Stadt Irapuato in einen viertägigen spontanen Streik gegen ungerechtfertigte Entlassungen und für eine deutliche Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus drohten die Beschäftigten bei den Autozulieferern in Ciudad Victoria weiterhin mit einem Streik für 30 Prozent Lohnerhöhung.

Innerhalb einer Woche nach Beginn dieser zweiten Welle stimmten alle dem SJOIIM angeschlossenen maquiladora-Betriebe der 20/32-Forderung zu. Gleichzeitig begannen die Unternehmen, Hunderte der militantesten Arbeiter zu entlassen, und Index, die Vereinigung der maquiladora-Besitzer, drohte mit 25.000 Entlassungen.

Die angeblich „linke“ Anwältin Susana Prieto verbreitete die Illusion, sie könne einfach durch Überprüfung jedes Vertrags garantieren, dass die Forderungen der Arbeiter erfüllt seien. In Wirklichkeit arbeitete sie genauso eifrig wie die Unternehmen daran, die Streiks zu beenden. Zum Beispiel beschwor sie die Arbeiter am 5. Februar, als die schwedische Autoliv der 20/32-Forderung zustimmte: „Wir müssen jetzt wieder an die Arbeit gehen.“ Die Arbeiter wandten ein, sie fürchteten Repressalien, und die Unternehmer könnten ja Entlassungen durchführen, um die Zahlung der Boni zu vermeiden, die in vier Raten ausgezahlt werden sollten. Doch Prieto verteidigte die korrupten Unternehmen, die die Arbeiter betrogen. „Daran sind nicht die Unternehmen schuld“, erklärte sie, „die Unternehmen haben ihre Interessen. Wir sind keine professionellen Agitatoren. Unsere Forderungen waren berechtigt. Das Unternehmen wird nicht gleich bankrottgehen, nur weil ihr euren Bonus von 32.000 Pesos verlangt …“

Als Vorbehalte bezüglich der AMLO-Regierung geäußert wurden, erklärte sie den Autoliv-Arbeitern: „Er ist mein Präsident, und er ist euer Präsident. Alle seine Kritiker versuchen nur, Wasser auf die eigene Mühle zu lenken.“

Am Wochenende des 9. Februar veranstalteten der WSWS Autoworker Newsletter und der Lenkungsausschuss der Koalition der Aktionskomitees eine Demonstration vor dem Hauptsitz von General Motors in Detroit, um den Kampf gegen die Werksschließungen bei GM in den USA und Kanada aufzunehmen. Die Demonstration richtete sich auch gegen die antimexikanische Agitation der Gewerkschaften United Auto Workers (USA) und Unifor (Kanada). Sie forderte alle Arbeiter auf, von den Gewerkschaften unabhängige Aktionskomitees zu gründen, um sich mit den Arbeitern in Mexiko und auf der ganzen Welt zusammen zu schließen, um den Angriff der transnationalen Konzerne auf Arbeitsplätze und den Lebensstandard zurückzuschlagen.

Das Komitee der zu Unrecht eingekerkerten Maruti Suzuki-Arbeiter in Indien schickte Grüße nach Detroit, um die Demonstration zu unterstützen, und mehrere Arbeiter in Matamoros taten es ihnen gleich. Bernardo, ein Arbeiter bei Inteva, wo bereits wieder gearbeitet wurde, erklärte: „Wenn wir die Streiks in den USA mit denen in anderen Teilen der Welt vereinen würden, würde das die Arbeiterbewegung stärken, denn wir könnten die Verbindungen der Bosse unterbrechen.“ Am 12. Februar erhielt die WSWS eine Video-Botschaft von streikenden Arbeitern beim Autozulieferer Fisher Dynamics in Matamoros. Sie erklärten: „Kollegen in Detroit, steht fest in eurem Kampf gegen Massenentlassungen in Michigan. Wir halten weiter zusammen!“

Das politische Establishment, einschließlich der Gewerkschaftsbürokratie, bemühte sich nach Kräften, die zweite Streikwelle einzudämmen und zu verhindern, dass diese internationalistische Haltung einen organisierten und politisch bewussten Ausdruck fand.

Noch am selben Wochenende ließ die Gewerkschaft in Ciudad Victoria die Forderung nach 30 Prozent Lohnerhöhung fallen, und die von María Dolores Zúñiga geführte CTM unterzeichnete einen Ausverkauf von 16 Prozent. Einem Bericht der Zeitschrift Proceso vom 11. Februar zufolge, verhinderte der Revolutionäre Verband der Arbeiter und Bauern (CROC) einen spontanen Streik bei Walmart in Monterrey (Nuevo León) und überredete die Arbeiter stattdessen, ihrem Verband beizutreten.

Am 13. Februar gab der Senator der Morena-Partei und Vorsitzende der mexikanischen Bergarbeitergewerkschaft, Napoleón Gómez Urrutia, die Gründung der „International Labor Confederation“ (CIT) bekannt. (Auch die Elektrikergewerkschaft SME beteiligte sich daran.) Diese Entscheidung wurde offen als Reaktion auf die Streikwelle in Matamoros vorgestellt. Auch der amerikanische Gewerkschaftsverband AFL-CIO unterstützte die Neugründung, und das Wall Street Journal und andere Unternehmerzeitungen berichteten wohlwollen darüber. Am nächsten Tag forderte der Arbeitgeberverband Index die „sofortige Intervention“ von AMLO und der neuen CIT in Matamoros.

Die Arbeitgeber verschärften dann die Entlassungen und Entlassungsdrohungen, einschließlich der Schließung des Werks von Joyson Safety Systems mit 700 Beschäftigten am 15. Februar. Zudem häuften sich Fälle von Repression durch Polizei- und Gewerkschaftsschläger. Der Präsident des Business Coordinating Center oder CCE, Juan Pablo Castañón, verdoppelte die bisherige Index-Drohung auf 50.000 drohende Entlassungen.

In der ersten Februarwoche ging Susana Prieto dazu über, die Arbeiter von Matamoros in die „unabhängigen“ Gewerkschaften zu treiben. Gemeinsam mit Luis Carlos Haro, einem Aktivisten der pseudolinken OPT (Organisation des Volkes und der Arbeiter, gegründet von der Elektrikergewerkschaft SME), besuchte sie mehrere Streikposten. Am 3. Februar kündigte Prieto an einem Streikposten vor Joyson an, dass Haro „für ein paar Tage aushelfen“ werde. Haro überbrachte dann „besondere Grüße von der Allianz der nationalen, staatlichen und kommunalen Organisationen der Bewegung der Arbeiter von San Quintín, sowie der unabhängigen, nationalen und demokratischen Union der Arbeiter von San Quintín (SINDJA)“.

Susana Prietos Beziehung zu Haro geht zumindest auf die vom AFL-CIO und SME gemeinsam ausgerichtete „Binationale Konferenz“ vom Dezember 2017 zurück, bei der Haro Koordinator und Prieto Hauptrednerin war. Wie bereits erwähnt, arbeitete Prieto weiterhin häufig mit der vom AFL-CIO mitbegründeten „Allianz“ in San Quintín zusammen.

Am 12. Februar warnte die WSWS die Arbeiter vor den Absichten, die mit der Einbindung Haros verbunden waren: „Diese Kräfte versuchen, der Gewerkschaftsbürokratie einen neuen Anstrich zu verpassen, um die unabhängige Initiative der Arbeiter dem Diktat der korrupten Gewerkschaftsstrukturen, der Regierung und letztlich der herrschenden Klasse und des Imperialismus zu unterwerfen.“ Offensichtlich als Antwort darauf behauptete Prieto an diesem Tag gegenüber den Arbeitern: „Ihr habt mich nie mit einer Gewerkschaft gesehen.“ Dagegen erklärte sie einem Streikposten bei Kasco, der die SITPME verlassen wollte: „Ich glaube, dass man hier unabhängige Gewerkschaften gründen muss. Gewerkschaften sind gut; die Korrupten sind wir (die Arbeiter), zusammen mit den Leuten, die sie verwalten.“

Dritte Welle: Gewerkschaften unterdrücken Streiks im ganzen Land

Am 25. Februar begann eine dritte Streikwelle, als 400 Metallarbeiter bei Sigosa, Seyco Joits und Sistemas Estructurales y de Construcción in Matamoros den Kampf aufnahmen. In diesen Betrieben ist die Bergarbeitergewerkschaft aktiv, die lokal von Javier Zuñiga und national von Senator Gómez Urrutia angeführt wird. Die Arbeiter forderten die 20-prozentige Erhöhung und einen Bonus von 48.000 Pesos (2.260 Euro). In Ciudad Victoria streikten etwa 500 Arbeiter von Spring Window Fashion und forderten den Austritt aus der Gewerkschaft. Zu diesem Zeitpunkt waren noch 15 maquiladoras aus der zweiten Welle im Streik. Allerdings hatten eine Woche später alle außer drei maquiladoras und die Coca Cola-Abfüllanlage dem 20/32-Paket zugestimmt. Die Befürchtung, dass sich die Streiks zusammenschließen und ausbreiten könnten, war weitgehend der Grund für die Entscheidung der Unternehmen, den 20/32-Deal zu akzeptieren.

In den folgenden zwei Tagen führten 2.900 Metallarbeiter auf zwei Werften von Dragados Offshore, einem Hersteller von Bohrplattformen in Altamira (Tamaulipas) und Pueblo Viejo (Veracruz), spontane Streiks durch, die Lohnerhöhungen um bis zu 100 Prozent forderten. Am 28. Februar wurde eine Streikankündigung an der Autonomen Universität von Mexiko (UACM) verschoben, wo die Arbeiter eine Erhöhung um 12 Prozent fordern. In dieser Woche sah sich der Revolutionäre Verband der Arbeiter und Bauern (CROC) gezwungen, eine Streikankündigung für 90.000 Walmart-Arbeiter im ganzen Land einzureichen, mit dem Ziel, eine Erhöhung um 20 Prozent zu erreichen.

Alle diese Kämpfe blieben unter der Kontrolle der Gewerkschaften, und sie waren alle schnell ausverkauft. Die Bergarbeitergewerkschaft hat sich jedem Kampf gegen die drohende Schließung der drei metallverarbeitenden Werke in Matamoros widersetzt. Die Mitarbeiter von Spring Window Fashion wurden überredet, einfach in eine andere Gewerkschaft innerhalb der CTM zu wechseln. Die Gewerkschaft der UACM verschob den Streik auf unbestimmte Zeit, nachdem die Beschäftigten einen Vertrag abgelehnt hatten, der gerade mal eine Erhöhung von 5,47 Prozent vorsah. Schließlich schlug CROC den Streik bei Walmart nieder und stimmte einer Erhöhung um 5,5 Prozent zu.

Fortsetzung folgt

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