Neue Gewerkschaftsbürokratie oder Arbeitermacht?

Lehren aus der Rebellion der Arbeiter von Matamoros: Erster Teil

Zwei Monate nach Beginn der spontanen Streiks in der mexikanischen Stadt Matamoros haben 89 maquiladora-Fabriken die Forderungen der Arbeiter erfüllt. Das heißt, sie haben einer 20-prozentige Lohnerhöhung und einen Bonus von 32.000 Pesos zugestimmt.

Die maquiladoras sind Montagefabriken im Norden Mexikos, die hauptsächlich Konzerne der Automobil-, Elektro- und Metallindustrie beliefern. Der Bonus von 32.000 Peso entspricht knapp 1.500 Euro oder der Hälfte eines durchschnittlichen Jahresgehalts für Arbeiter in Matamoros. Die Streikwelle ist nach ihrer zentralen Forderung mittlerweile in ganz Mexiko als „20/32-Bewegung“ bekannt.

In Mexiko und in den USA versucht die herrschende Klasse derweil, die in Matamoros begonnene Rebellion einzudämmen und frühere Errungenschaften wieder abzuschaffen. In Mexiko sind seit dem Streik bereits 4.700 Arbeiter entlassen worden, und die Konzernherren drohen, in Matamoros 50.000 der 85.000 maquiladora-Arbeiter zu entlassen. Mit Hilfe des Gewerkschaftsapparats versuchen sie verzweifelt, weitere Kämpfe zu verhindern. Gleichzeitig greift die Regierung die demokratischen Grundrechte an und rüstet den starken Staat und das Militär auf, um autoritäre Herrschaftsformen durchzusetzen.

Am 1. März verbreitete ein Matamoros-Arbeiter einen Artikel der World Socialist Web Site (WSWS) im Netz, der die Auswirkungen der Streiks auf die nordamerikanische Automobilindustrie und die wachsende Unterstützung für die mexikanischen Arbeiter zum Inhalt hatte. Der Arbeiter schrieb: „Wow, endlich habe ich etwas Konkretes über Arbeiter und ihre Reaktionen gelesen.“ Als der Artikel über Facebook weitherum geteilt wurde, intervenierte die Arbeitsrechtlerin Susana Prieto Terrazas (52), um die WSWS schlecht zu machen.

„Aber dieses Portal verbreitet auch Dummheiten“, schrieb Prieto. „Sie gehören auch zu meinen Kritikern. [Das ist] die Linke, die die Vorstellung propagiert, dass Arbeiter sich selbst organisieren könnten, natürlich und ohne Hilfe. Sie sind erbärmlich.“

Genau diese unabhängige Selbstorganisation der Arbeiter, die sie als „erbärmlich“ bezeichnet, hat die eigentliche Stärke der Arbeiter ausgemacht. Die Arbeiter in Matamoros unternahmen den historischen und entscheidenden Schritt, unabhängige Komitees aufzubauen und die Gewerkschaften zu umgehen. Nur so konnten sie sich auf demokratische Weise austauschen. Sie appellierten nicht an die mexikanische Regierung, sondern an die Arbeiter in der ganzen Stadt und weltweit. Damit entfesselten sie den größten Streik in Nordamerika seit mindestens dreißig Jahren.

Heute besteht der einzige Weg, um Errungenschaften zu festigen und massenhafte Strafmaßnahmen zu verhindern, darin, den Kampf auf der Grundlage eines internationalen und sozialistischen Programms fortzusetzen und auszuweiten.

Was das „linke“ Geschwätz von Susana Prieto betrifft: Sie ist eine langjährige Partnerin des US-amerikanischen Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO, der so reaktionär ist, dass die mexikanischen Betriebsgewerkschaften oder der so genannte Charrismo daneben fast radikal wirken.

Prieto kam als selbsternannte „Kapitalistin“ nach Matamoros. In unredlicher Weise verbarg sie ihre Verbindung zum Gewerkschaftsapparat und der regierenden bürgerlichen Partei Bewegung der Nationalen Erneuerung (Morena). Es ging ihr von Anfang an darum, den spontanen Streik zu beenden.

Ihr juristischer „Rat“ gipfelte darin, dass die Arbeiter sich an die Gewerkschaften wenden sollten, und dass sie dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (bekannt als AMLO) vertrauen müssten. Sie überzeugte die Arbeiter, Delegationen zu entsenden – am 5. März nach Monterrey, León, und am 13. und 15. März nach Mexiko-Stadt – um über den Beitritt zu „unabhängigen“ Gewerkschaften zu verhandeln, die an die Morena-Regierung und den US- oder europäischen Imperialismus geknüpft sind.

Bezeichnenderweise brachte das Wall Street Journal, das gerne kapitalistische Prominente hofiert, in seiner Ausgabe vom 14. März ein schmeichelhaftes Porträt von Prieto. Die Zeitung schickte ein Team mit Fotografen nach Matamoros, um Prieto als Superfrau zu porträtieren, und schwärmte in dem Bericht: „Durch ihre Bemühungen ist sie in Matamoros zur Volksheldin geworden. Arbeiter haben ihr Kuchen, Blumen und ein T-Shirt geschenkt, das ihr Konterfei und den Spruch trägt: ‚Gott hat einen Engel nach Matamoros geschickt, um der Arbeiterklasse beizustehen‘. Ihr zu Ehren werden Balladen komponiert.“

In seiner Hommage an Prieto entlarvte das führende Organ der amerikanischen Finanzaristokratie jedoch eine weitere Lüge. Es schreibt: „Ihr Einkommen verdient sie als Anwältin für unabhängige Gewerkschaften.“

Es ist wichtig, Prietos Verleumdungen gegen die WSWS zu widerlegen, denn sie stehen im Mittelpunkt des politischen Betrugs, der sich gegen die Arbeiterklasse richtet. Diese muss nun die Lehren aus dem Streik ziehen und sich über die Rolle der Protagonisten Rechenschaft ablegen. Dies erfordert eine nüchterne Untersuchung dieser gesamten strategischen Erfahrung im historischen und internationalen Kontext.

Was hat die spontanen Streiks ausgelöst und warum gerade in Matamoros?

In den 1980er Jahren schufen neue Methoden beim Transport und in der Informationstechnologie die Voraussetzung für die Globalisierung der kapitalistischen Produktion. Dies führte unter anderem dazu, dass die isolierte sowjetische Wirtschaft völlig unrentabel wurde, und die stalinistische Bürokratie in der UdSSR den ersten Arbeiterstaat auflöste. Die weltweit engere Integration der Produktion und der Untergang der UdSSR verschärften die Krise des kapitalistischen Systems. Der japanische und der europäische Imperialismus hatten sich seit dem Zweiten Weltkrieg weitgehend erholt, und nun traten sie erneut als konkurrierende Rivalen gegen den US-Imperialismus auf. Die Computervernetzung in Handel und Finanzkapital verstärkte noch den globalen Wettbewerb um billige Arbeitskräfte, Märkte und Ressourcen, und es bildeten sich konkurrierende Handelsblöcke heraus.

In einer Studie der Autonomen Universität Mexiko (UNAM) von 1992 zu den Verhandlungen über ein nordamerikanisches Freihandelsabkommen heißt es: „Der europäische Gemeinsame Markt und das Potenzial, das mit einer vermeintlichen europäischen Autarkie verbunden ist, erfordert die Integration regionaler Märkte in der Größenordnung des sogenannten gemeinsamen Marktes Nordamerika.“

Die Entwicklung dieser wirtschaftlichen Hochburg des US-amerikanischen und kanadischen Imperialismus beruhte auf der Ausbeutung der mexikanischen maquiladoras als Billiglohnplattform. Der Bericht warnte jedoch: „Wenn die Kosten für manuelle Arbeit steigen, und Mexiko aufhört, einen weltweiten Wettbewerbsvorteil zu genießen … wird das Land die Tendenz zum Verschwinden der maquiladora-Industrie verspüren.“

Direkt hinter der US-mexikanischen Grenze, wie auch in der Region Bajío in Nordmexiko entstanden nun große Industriezentren, und die Zahl der Beschäftigten in den Ausbeuterbetrieben der maquiladoras stieg von 400.000 auf drei Millionen an. Zusätzliche Millionen wurden in den Zulieferbetrieben beschäftigt. Trotz der wachsenden Nachfrage nach mexikanischer Arbeit sank der Lebensstandard.

Wie es in einer Studie der Wirtschaftsfakultät der UNAM mit dem Titel „Mexiko 2018: Eine weitere soziale und politische Niederlage für die Arbeiterklasse“ heißt, ist die tatsächliche Kaufkraft der Mexikaner in den letzten 30 Jahren um 80 Prozent gesunken. Heute sind mehr als 24 Stunden Arbeit notwendig, um dieselben Grundnahrungsmittel zu kaufen, für die es um 1987 etwa fünf Stunden Arbeit brauchte. „Die Industrielöhne in Mexiko betragen heute etwa 50 Prozent der Industrielöhne in China. Vor zwanzig Jahren war die Beziehung umgekehrt“, berichtete die Bank HSBC im vergangenen Jahr.

Als die mexikanische Bourgeoisie und die Gewerkschaften sahen, wie sich mit dem Zufluss von ausländischem Kapital ihr Reichtum mehrte und ihre Macht zunahm, schmiedeten sie engere Beziehungen zum US-Imperialismus und waren gerne bereit, die Löhne der mexikanischen Arbeiter zu senken, um die Profitgier der globalen Finanzelite zu befriedigen.

In Matamoros hatten Streiks in den 1980er Jahren den Arbeitern der maquiladoras einzigartige Bedingungen in der Region beschert, zum Beispiel eine 40-Stunden-Woche, die 1983 mit 56 Stunden bezahlt wurde. Es bildete sich eine relativ militante Tradition heraus. Aufgrund dieser Militanz galt Agapito González Cavazos, seit vierzig Jahren an der Spitze der maquiladora-Gewerkschaft SJOIIM, als einer der wenigen Gewerkschaftsführer, die noch zu Streiks aufriefen, um den Auswirkungen des neuen NAFTA-Abkommens Stand zu halten.

Am 31. Januar 1992 verhafteten die Behörden jedoch González wegen Steuerbetrugs, und er wurde ausgerechnet während der Verhandlungen mit 42 Unternehmen, darunter dem Autokonzern General Motors, mehrere Wochen lang inhaftiert.

Unter González hatte die Gewerkschaft ihren beträchtlichen Reichtum konsolidiert, wie auch ihre finanziellen dunkeln Machenschaften, ihre prominente Stellung im Gewerkschaftsdachverband und ihre Beziehungen zu Regierungskreisen gefestigt. Im Zentrum stand ihre korporatistische Rolle als Arbeitsvermittlerin im Auftrag der Unternehmen. [Siehe dazu: Edward J. Williams und John T. Passé-Smith, 1992, „The Unionization of the Maquiladora Industry: The Tamaulipan Case in National Context“, San Diego State University.]

Die Verhaftung war für González das Signal, dass es unmöglich war, weiterhin zwischen der Verteidigung von Arbeiterinteressen und der komfortablen sozialen Stellung der Gewerkschaftsbürokratie, die auf der Verteidigung kapitalistischer Beziehungen und ihres nationalen Rahmens beruhte, zu jonglieren. Wie jede Gewerkschaft der Welt, reagierte auch die SJOIIM auf die Globalisierung, indem sie bis zu Gonzalez‘ Tod im Jahr 2001 jeden ernsthaften Widerstand aufgab.

Seither wurde zwangsweise die 48-Stunden-Woche wieder eingeführt, und das Einstiegsgehalt sank nach einem kürzlich von SomosMass99 veröffentlichten Report seit dem Jahr 1992, als der SJOIIM-Tarif 17 Euro pro Tag betrug, auf den heutigen Tageslohn von nicht einmal mehr 10 Euro (den 20-prozentigen jüngsten Lohnaufschlag eingerechnet).

Ende 2018 war der Anteil der Erwerbstätigen, deren Einkommen unter dem von der Regierung als extreme Armut definierten liegt, bei 40 Prozent. Gleichzeitig konzentrieren sich 67 Prozent des Vermögens des Landes und über 80 Prozent des Geldvermögens in der Hand der Top 10 Prozent. Die Zahl der Dollar-Millionäre stieg allein im Jahr 2017 um 27 Prozent auf 88.000, während 57 Prozent der arbeitenden Bevölkerung laut offiziellen Zahlen keinen Zugang zu Sozialleistungen, einschließlich der Gesundheitsversorgung, haben.

Der Druck, immer größere Geldbeträge an die Börsen zu bringen, verschärfte sich nach dem Crash 2008, als China zu einem neuen wirtschaftlichen Konkurrenten auf der Weltbühne aufstieg. Seither versucht der US-Imperialismus, dessen relative Wirtschaftsmacht ständig zurückgeht, seine wirtschaftliche, politische und militärische Einflusssphäre zu konsolidieren, um sich auf die Konfrontation mit seinen globalen Konkurrenten vorzubereiten.

Diese strategischen Überlegungen waren der Grund für Trumps Neuverhandlung des NAFTA, die von der mexikanischen und der kanadischen Bourgeoisie Zugeständnisse an die USA verlangten. Zum Beispiel wurde ihnen ein Freihandelsabkommen mit China rundheraus verboten. Trumps Protektionismus beruht im Prinzip darauf, die Löhne und Bedingungen weiter abzusenken, um die Produktion aus China, Europa und Asien zurück nach Nordamerika zu holen. In geringerem Maße betrifft das auch den so genannten „Hinterhof“ des US-Imperialismus, Lateinamerika.

Das US-Handelsministerium hat kürzlich die Importe für US-amerikanische Automobilhersteller und vermutlich auch für andere Schlüsselindustrien als Frage der „nationalen Sicherheit“ eingestuft. Das neue NAFTA verlangt, dass 75 Prozent der Komponenten von Pkw und Lkw in Nordamerika hergestellt werden, was einen Anstieg von 62,5 Prozent bedeutet.

Heute stammen 45 Prozent der in die USA importierten Autoteile aus Mexiko. Dabei sind 40 Prozent der Fahrzeuge, die Mexiko in die USA exportiert, aus Autoteilen zusammengebaut, die aus den USA stammen. „Die Autoindustrie der USA und die von Mexiko sind wie siamesische Zwillinge: unzertrennlich und hochgradig verflochten“, schreibt das Branchenmagazin Mexico Now. Achtzig Prozent der mexikanischen Exporte, hauptsächlich Industrieprodukte, die in maquiladoras hergestellt werden, gehen in die USA.

Billiglohnarbeit, Steuersenkungen, Anreize für Investoren – damit bezahlt die mexikanische maquiladora-Industrie für die Strategie des US-Kapitalismus, der sich auf Handelskrieg und militärische Konfrontation mit seinen globalen Konkurrenten vorbereitet.

Die AMLO-Regierung vertritt die Interessen von Aktionären und Juniorpartnern des US-amerikanischen und ausländischen Kapitals in der herrschenden mexikanischen Elite und der oberen Mittelschicht, einschließlich der Gewerkschaftsbürokratie. Sie hat ein System entwickelt, die Arbeitskraft zu verbilligen und die Steuern abzusenken, um US-Investitionen anzuziehen, besonders, seitdem die Trump-Regierung den Spitzensteuersatz von 34 auf 21 Prozent absenkte.

Gleichzeitig drückte die überwältigende Stimmenmehrheit, die Morena bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juli 2018 erhalten hatte, die Hoffnung in der Bevölkerung aus, dass diese Partei, die sich als „links“ bezeichnet, die sozialen Bedingungen für die arbeitenden Massen verbessern würde.

AMLO reagierte darauf mit seinem Wahlversprechen, den 30 Kilometer breiten Streifen entlang der 3500 km langen Grenze zu den USA in eine Freihandelszone zu verwandeln. Der Plan trat am 1. Januar in Kraft. In der neuen Freihandelszone ist die Mehrwertsteuer von 16 auf 8 Prozent und die Gewinnsteuer von 30 auf 20 Prozent abgesenkt worden. Außerdem wurde der Mindestlohn national um 16 Prozent auf magere 102 Pesos am Tag (4,75 Euro) und innerhalb der Freihandelszone um 100 Prozent auf 176 Pesos (8,22 Euro) erhöht.

Die Mehrheit der Arbeiter im Grenzgebiet verdiente bereits vorher etwas mehr als 176 Pesos. In Matamoros verdienten laut einer Statistik nur 20 Prozent weniger. AMLOs Freihandelszone bedeutete im Wesentlichen, dass es den Unternehmen freistehen würde, Boni zu streichen, um den neuen Mindestlohn „auszugleichen“, auch wenn die Arbeiter gar nicht von der Erhöhung profitierten.

Während AMLO und Morena die Arbeiter betrogen, kursierten schon Mitte November Berichte darüber, dass Arbeiter in den Grenzstädten mit großer Wut auf die Abschaffung ihrer Boni reagierten.

In Matamoros war die Situation noch explosiver. Eine alte Bestimmung im SJOIIM-Vertrag sah vor, dass die Löhne zur Erhaltung der Kaufkraft relativ zu jeder Mindestlohnerhöhung steigen müssten. Für solche Änderungen müssten Arbeiter mit Boni entschädigt werden.

Den ganzen Dezember über führten der Gewerkschaftsführer Juan Villafuerte Morales und die Gewerkschaftsdelegierten von 48 Werken (die meisten davon im Besitz von US-Unternehmen) Hinterzimmer-Gespräche mit der lokalen Regierung unter dem neuen Bürgermeister von Morena, Mario López (genannt „la borrega“ oder „das Schaf“).

Während dieser Verhandlungen sagte Bürgermeister López Reportern von Central TV, dass die Lohnerhöhungen „für die maquiladoras finanziell nicht tragfähig“ seien, und dass er „in ein ‚Gespräch‘ zwischen der Gewerkschaft und den Unternehmen eingegriffen“ habe. Wie sich herausstellte, planten Gewerkschafter und Morena-Politiker zusammen mit dem Unternehmerverband Index, nicht nur die 100-prozentige Lohnerhöhung und den Bonus von 32.000 Pesos nicht zu zahlen, sondern sogar den normalen Jahresbonus von 3.000 Pesos stillschweigend zu übergehen.

Ein erster Warnschuss war am 28. Dezember ein kurzer spontaner Streik von Hunderten von Arbeitern in der maquiladora von Seisa Medical in Ciudad Juárez gegen die Halbierung ihres Bonus.

Während sich eine soziale Explosion zusammenbraute, kehrte Susana Prieto von einem Urlaub in Patagonien zurück und trat bereits am 5. Januar mit einer Videobotschaft an AMLO auf. Darin behauptete sie, sie habe Beschwerden von Arbeitern in der Grenzregion erhalten. Sie versuchte, den Widerstand auf einen Appell an die neue Regierung zu richten: Diese müsse die um sich greifenden Boni-Kürzungen verbieten.

Prieto, die sowohl einen Wohnsitz in der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez, als auch einen jenseits der Grenze, in El Paso (Texas), besitzt, erlangte 2015–2016 lokale Bekanntheit. Damals vertrat sie 56 Arbeiter, die von der maquiladora Lexmark in Ciudad Juárez entlassen worden waren. Sie hatten für bessere Bedingungen gekämpft und waren bereit, zu einer „unabhängigen“ Gewerkschaft zu wechseln.

Im Jahr 2016 schwollen Proteste gegen die Gewerkschaften, Armutslöhne und Ausbeutungsbedingungen an, und Tausende von Arbeitern von Eaton, Lear, Foxconn, Lexmark und anderen Werken nahmen an Massenmärschen teil.

Rasch gründete Prieto eine Interessenvertretung mit dem Namen Obrer@s Maquiler@s de Ciudad Juarez A.C. (maquiladora-Arbeiter von Ciudad Juárez). Seither dient diese Gewerkschaft, in der sie selbst eine führende Rolle einnimmt, dazu, spontane Streiks zu verhindern, Arbeiter in Ciudad Juárez zu isolieren und in die Sackgasse offizieller Beschwerden an die korrupte Arbeitsschlichtungsstelle zu führen. Dabei brachte der Wechsel zur selbsternannten „unabhängigen“ Gewerkschaft den Arbeitern keinerlei Erfolg, genauso wie der Versuch, eine Arbeiterin (Antonia Hinojosa Hernández) als parteilose Kandidatin für das Bürgermeisteramt aufzustellen.

Im März 2016 erhielt Prietos Organisation und Vertretung der 56 Arbeiter die offizielle Anerkennung des AFL-CIO, des wichtigsten Gewerkschaftsdachverbands der Vereinigten Staaten. Auch die mexikanischen Gewerkschaften New Workers Central (NCT), IndustriAll und mehrere lokale und internationale Organisationen unterstützten sie. In einem Schreiben des AFL-CIO wurde das Unternehmen Lexmark aufgefordert, „das Recht der Arbeiter auf Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft offiziell anzuerkennen“. Der Brief trug die Unterschrift von Catherine Feingold, der Direktorin der AFL-CIO-Abteilung für Internationales, die ihre Sporen im CIA-gestützten Solidarity Center verdient hatte.

Susana Prieto vertiefte noch ihre Beziehungen zum AFL-CIO. Im Dezember 2017 trat sie zusammen mit mehreren AFL-CIO-Funktionären als Hauptrednerin bei einer NAFTA-kritischen Konferenz in Carson (Kalifornien) auf. Die Veranstaltung wurde vom AFL-CIO und der Mexikanischen Elektrikergewerkschaft (SME) mitfinanziert. Laut Mexiko Webcast nahm Prieto im März 2018 an einer weiteren binationalen Konferenz in Tuxtla Gutiérrez (Chiapas) teil. Dort wurde eine „Vereinbarung zwischen mehreren mexikanischen und US-amerikanischen Gewerkschaften getroffen, um grenzüberschreitende Kämpfe sichtbar zu machen“.

Vom 24. bis 26. April 2018 organisierte dann Prietos Gewerkschaft Obrer@s Maquiler@s de Ciudad Juárez einen Marsch, der die Grenze überquerte. An der Demonstration beteiligte sich auch das Movement of San Quintín Workers, eine Organisation, die mit Hilfe der AFL-CIO während einer ähnlichen Rebellion im Jahr 2015 gegründet worden war. (Damals hatten Landarbeiter im mexikanischen Bundesstaat Baja California gegen die etablierte Gewerkschaft protestiert.) Die Marsch-Organisatoren erklärten, die Gründung der mexikanischen SINDJA (Unabhängige, Nationale und Demokratische Union der Arbeiter von San Quintín) sei der „wichtigste Sieg überhaupt“, obwohl diese Landarbeiterorganisation unmittelbar der Nationalen Arbeitergewerkschaft (UNT) angeschlossen ist. Dem Marsch, den Prieto mitorganisiert hatte, folgte am 27. und 28. April 2018 eine binationale Konferenz in Ciudad Juárez.

In Mexiko trat Prietos Gewerkschaft im Präsidentschaftswahlkampf vom Sommer 2018 öffentlich als Hilfstruppe für die Kandidatur AMLOs auf. Laut Berichten von El Paso vom 20. August 2018 steckte Prieto auch „hinter den Bemühungen, einen Marsch in Downtown Juárez zu organisieren“, um den Bürgermeisterkandidaten von Morena, Javier González Mocken, zu unterstützen. Er hatte den Verband Index, der die maquiladora-Besitzer vertritt, offiziell gebeten, „gemeinsam mit mir Teil der Stadtverwaltung zu sein“.

Dann, am 7. Januar 2019, kündigte Prieto in einem Video den Beginn des „Kampfs zur Verteidigung der Gehälter in diesem Land“ an. Darin äußerte sie ihre Sorge darüber, dass AMLO immer stärker auf Ablehnung stoße. Auch bedankte sie sich offiziell bei der Morena-Kongressabgeordneten Letty Ochoa Martínez dafür, dass diese ihre Videos geteilt hatte. Darauf war Prieto an der Seite des Morena-Vorsitzenden Yeidckol Polevnksy zu sehen. Schließlich forderte sie zu einer Demonstration in Ciudad Juárez am 19. Januar auf.

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