Anfang April legte die Bertelsmann-Stiftung eine neue Studie vor, die die Entwicklung der Armut in Deutschland im Zeitraum 2007 bis 2016 untersucht. Sie wirft einmal mehr ein grelles Licht auf die politisch Verantwortlichen – die SPD, die Grünen und die Gewerkschaften –, ohne sie beim Namen zu nennen. In den am stärksten betroffenen großen Ruhrgebietsstädten war bis vor wenigen Jahren fast durchgängig die SPD am Ruder.
Das Fazit der Untersuchung lautet: In den deutschen Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern ist die Armut gravierend angestiegen. Laut der Studie betrug der Anteil der Sozialleistungsempfänger im Jahr 2016 deutschlandweit 10,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. In den Großstädten lag der Anteil der Sozialleistungsempfänger jedoch bei 14 Prozent, also fast vier Prozentpunkte höher.
Die Ergebnisse der Bertelsmann-Stiftung liegen dabei noch unter denen des Armutsberichts, den der Paritätische Wohlfahrtsverband im März 2017 für das Jahr 2015 vorgelegt hatte. Demzufolge hatte die Armut in Deutschland im Jahr 2015 mit 15,7 Prozent einen neuen Höchststand erreicht, und 12,9 Millionen Menschen waren von Armut betroffen.
Der Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse kann die Art der Erhebung sein: Während der Paritätische Wohlfahrtsverband das tatsächliche Einkommen zugrunde legte, stützte sich die Bertelsmann-Stiftung auf die Zahl der Bezieher von Sozialleistungen wie Hartz IV, Sozialhilfe und Grundsicherung. Dabei fallen all diejenigen durch das Raster, die im Niedriglohnbereich arbeiten oder niedrige Renten beziehen, ohne „aufzustocken“, weil sie entweder kein Recht haben oder sich schämen, Zusatzleistungen in Anspruch zu nehmen. Dennoch sind auch die Ergebnisse der Bertelsmann-Studie verheerend.
Sie stellt für die einzelnen Großstädte eine unterschiedliche Entwicklung der Armutsquote im untersuchten Zehn-Jahres-Zeitraum fest. In 37 von insgesamt 80 untersuchten Kommunen ist der Anteil der Sozialleistungsempfänger angestiegen, in 27 ist er gesunken und in 16 ist er etwa gleich geblieben.
Besonders stark vom Anstieg der Armut betroffen sind alle Großstädte im Ruhrgebiet. Um nur einige zu nennen: In Bochum stieg die Armutsquote in dem untersuchten Zehn-Jahres-Zeitraum von 13 auf 16 Prozent, in Dortmund und Duisburg von 18 auf 20 Prozent, in Essen von 18 auf 21 Prozent und in Gelsenkirchen als Spitzenreiter von 21 auf 26 Prozent. Das bedeutet, dass in Gelsenkirchen mehr als jeder vierte Einwohner von Armut betroffen ist. In Dortmund, Duisburg und Essen lebt jeder fünfte in Armut.
In diesen besonders verarmten Städten lebt eine Schicht, die noch einmal überdurchschnittlich von Armut betroffen ist: Das sind die Kinder und Jugendlichen. Ihre Armutsquote bewegt sich in den Ruhrgebietsstädten zwischen 28 und 43,4 Prozent. In Nordrhein-Westfalen sind mindestens eine halbe Million Kinder arm. In Deutschland sind 4,4 Millionen Kinder von Armut betroffen.
Gleichzeitig ging in Berlin die Armutsquote nach dieser Erhebung minimal von 21 auf 20 Prozent zurück, in Offenbach von 20 auf 19 Prozent. In Bremerhaven „stagnierte“ die Armutsquote bei hohen 25 Prozent.
Eine parallel durchgeführte Befragung ergab, dass die Bevölkerung in den Großstädten das Armutsproblem stärker wahrnimmt. 51 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass die Armut ein großes oder sehr großes Problem sei.
Die Herausgeber der Studie, Henrik Riedel und Oliver Haubner, erklärten, ihre Absicht sei gewesen, den Verwaltungschefs in den von Armut besonders betroffenen Städten noch mehr Informationen an die Hand zu geben, damit sie Armut besser bekämpfen könnten. Einige von ihnen hätten bereits vielfältige Maßnahmen gegen Armut ergriffen.
Das stellt jedoch die Wirklichkeit auf den Kopf. Die Polarisierung zwischen der immer größeren Armut auf der einen Seite und der maßlosen Bereicherung einer kleinen Minderheit an der Spitze der Gesellschaft ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger sozialer Kahlschlagpolitik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Im Ruhrgebiet und in Nordrhein-Westfalen ist sie vor allem durch sozialdemokratische Regierungen verschuldet.
Seit Jahrzehnten haben die Unternehmen in engster Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften IGBE/IGBCE und IG Metall Zehntausende gut bezahlter Industriearbeitsplätze im Bergbau und in der Stahlindustrie abgebaut und unwiederbringlich vernichtet. 2014 wurde das Opel-Werk in Bochum geschlossen, das 1960 auf dem Gelände der stillgelegten Zeche Dannenberg angesiedelt worden war. Über 20.000 Arbeiter hatten hier ursprünglich einmal gearbeitet.
Vor zwanzig Jahren übernahmen SPD und Grüne die Bundesregierung, und in ihrer Amtszeit von 1998 bis 2005 schufen sie durch Agenda 2010 und Hartz IV die Bedingungen für einen riesigen neuen Niedriglohnsektor. Als Folge davon sind im Ruhrgebiet in den letzten Jahren als neue Arbeitsplätze fast nur Niedriglohnjobs entstanden. Dies hat zu einem immer größeren Anteil von arbeitenden Armen (working poors) geführt.
Allein in Duisburg hat sich die Anzahl der Leiharbeiter laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung in den Jahren von 2003 bis 2016 fast vervierfacht. Fast 60 Prozent aller Jobs in der westlichen Ruhrgebietsstadt sind atypische Arbeitsverhältnisse, also Leih- und Teilzeitarbeit, geringfügige und befristete Beschäftigung.
In Nordrhein-Westfalen ist von 2010 bis 2017 in der Zeit der Koalitionsregierung von SPD und Grünen unter Hannelore Kraft (SPD) die Zahl der Armen stark angestiegen. Nach Angaben des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2017 hatte sich der Anteil der Menschen, der von Armut betroffen ist, im Jahr 2016 auf 17,8 Prozent erhöht.
Gerade die SPD-Oberbürgermeister, die noch in vielen Kommunen regieren, setzen die Kürzungs- und Sparmaßnahmen besonders brutal um. Gelsenkirchen wird seit 2004 von Frank Baranowski (SPD) regiert, in Dortmund wurde Ulrich Sierau (SPD) 2014 zum dritten Mal als Oberbürgermeister bestätigt, und Sören Link (SPD) steht der Duisburger Stadtverwaltung seit 2012 als Oberbürgermeister vor. (Oberhausen und Essen haben seit 2015 Oberbürgermeister von der CDU.)
Aufgrund ihrer Rotstiftpolitik gibt es in den Ruhrgebietsstädten kaum noch öffentliche Schwimmbäder oder Jugendzentren. Stadtteilbibliotheken wurden geschlossen oder werden nur noch stundenweise geöffnet, oftmals ohne qualifiziertes Personal. Auch die Schulen und Kultureinrichtungen sind infolge der jahrzehntelangen und immer neuen Sparorgien oft in einem heruntergekommen Zustand. Die Straßen, der öffentliche Nahverkehr und die ganze Infrastruktur zerfallen. Desolat ist auch die Lage auf den Ämtern. Dort sind die Wartezeiten häufig unerträglich lang, denn der erhöhte Arbeitsdruck für die verbliebenen Mitarbeiter treibt den Krankenstand zusätzlich in die Höhe. Der Personalabbau wird zum Teufelskreis.
Immer wieder argumentieren die Verantwortlichen, der Zwang zum Sparen sei „alternativlos“, und das gelte sogar für Bereiche, die für die Bevölkerung lebenswichtig sind. Die Landesregierung von NRW hat sich der Schuldenbremse verpflichtet, und sie droht den hoch verschuldeten Ruhrgebietsstädten mit Sanktionen, wenn diese nicht genügend Einsparungen im Haushalt vornehmen.
Gleichzeitig werden jedoch immer wieder Millionen Euro für Kreditzinsen an die Banken, für Vettern- und Misswirtschaft und für die Politiker und Gewerkschafter locker gemacht, die sich gegenseitig die lukrativsten Stellen in den städtischen Unternehmen zuschanzen. Auch für diese Ausgaben muss die Arbeiterklasse höhere Gebühren und Steuern und immer neue Sparmaßnahmen hinnehmen, was ihre Armut weiter verschärft.
In Nordrhein-Westfalen war die SPD seit Mitte der 1960er Jahre, als das Zechensterben begann, bis vor wenigen Jahren immer stärkste Partei. Bis Mitte der 1990er Jahre hatten ihre Landtagswahlergebnisse nie unter 45 und teilweise sogar über 50 Prozent gelegen. Doch bei der Landtagswahl im Mai 2017 erzielte sie mit 31,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1947. Bei der Bundestagwahl im September 2017 erhielt sie in NRW nur noch 26 Prozent. Sie wurde für ihre unsoziale Politik abgestraft und kollabierte regelrecht.
Tatsächlich besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der arbeiterfeindlichen Politik der SPD und dem Aufstieg der rechtsextremen AfD. Diese hat von der rechten SPD-Politik profitiert. Die Sozialdemokraten reagierten auf die Verelendung, die sie selbst mit verursacht hatten, mit offen ausländerfeindlicher Politik. Zum Beispiel hetzte der Duisburger SPD-Oberbürgermeister Sören Link in AfD-Manier gegen Flüchtlinge und Zuwanderer aus Osteuropa. Ein SPD-Ortsverein im Essener Norden plante selbst Demonstrationen gegen Flüchtlinge unter dem Motto „Genug ist genug – Integration hat Grenzen“. Und schließlich lief Guido Reil, Gewerkschafter und SPD-Ratsherr in Essen, zur AfD über.
Die SPD ist als Partei der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze, der Rente mit 67 und der Schuldenbremse für die wachsende soziale Misere verantwortlich. Gleichzeitig treibt sie heute als Teil der Bundesregierung gemeinsam mit der CDU/CSU die massive Aufrüstung der Bundeswehr voran. Die zig Milliarden Euro für die ständige Erhöhung des Verteidigungshaushalts werden wiederum der Arbeiterklasse aufgebürdet, die sie in Form weiterer brutaler Kürzungen bezahlen muss. Die SPD trägt auch die Anti-Flüchtlingspolitik der Großen Koalition mit, die der AfD Auftrieb verschafft und die Rückkehr des Faschismus begünstigt.
Der Kampf gegen diese Entwicklung macht einen scharfen Bruch mit der SPD notwendig, sowie auch mit der Linken, den Gewerkschaften und pseudolinken Organisationen, die mit ihr im Bunde stehen. Für die Arbeiterklasse ist die SPD gestorben. Während die Bereitschaft zum Kampf gegen die wachsende Verelendung rasch wächst, wäre es illusionär und kriminell, noch in irgendeiner Hinsicht auf die SPD zu hoffen.
Um dem Aufstieg der extremen Rechten, dem wachsenden Militarismus und der schreienden sozialen Ungleichheit entgegenzutreten, braucht die Arbeiterklasse eine neue Partei. Dies kann nur die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) sein, denn sie ist die einzige Partei, die sich auf ein internationales und sozialistisches Programm stützt.
Gemeinsam mit ihren Schwesterparteien in der Vierten Internationale verbindet die SPG den wachsenden Widerstand gegen Armut, steigende Mieten, Niedriglöhne und Sozialabbau mit dem Kampf gegen Militarismus und den Aufstieg des Faschismus und macht ihn zum Ausgangspunkt für eine breite Mobilisierung gegen den Kapitalismus. Um dieses Programm bekannt zu machen, beteiligt sich die SGP mit eigenen Kandidaten an der Europawahl.