Der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn hat Gespräche mit der konservativen Premierministerin Theresa May aufgenommen, um ein gemeinsames Brexit-Abkommen zu finden. Dieser Schritt widerlegt entschieden alle Behauptungen, dass seine Wahl zum Vorsitzenden der Labour Party einen Weg vorwärts für die Arbeiterklasse darstelle.
Der britische Imperialismus befindet sich in seiner tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Tory-Regierung steht kurz vor dem Zusammenbruch. Inmitten der scharfen politischen und sozialen Spannungen erwartet die herrschende Klasse jetzt die Lösung von Jeremy Corbyn.
Dieser reagierte am Dienstag, 2. April, indem er sofort auf seine Forderung nach Neuwahlen verzichtete. Er stimmte Theresa Mai zu, die verzweifelt an die „nationale Einheit im Dienst des nationalen Interesses“ appellierte. Corbyn versicherte, er übernehme seinerseits die „Verantwortung, sowohl die Menschen zu repräsentieren, die Labour in der letzten Wahl unterstützt haben, als auch jene, die uns nicht gewählt haben“.
Seit mehr als drei Jahren hindert Corbyn die Tausenden von Arbeitern und Jugendlichen, die seit seinem Wahlsieg Labour beigetreten sind, daran, den rechten Blair-Flügel aus der Partei zu werfen und eine sozialistische Politik umzusetzen. Er besteht darauf, dass die Einheit der Partei unverzichtbar sei, um die Tories zu besiegen. Jetzt hat er die „Parteieinheit“ durch die „nationale Einheit“ ersetzt und zugesagt, jeden Misstrauensantrag gegen die Regierung solange „zurückzustellen“, bis die Brexit-Verhandlungen mit der EU endgültig gescheitert sind.
Corbyns Aufstieg in die Parteiführung im Jahr 2015 war auf einen Aufschwung der sozialen und politischen Opposition in der Arbeiterklasse zurückzuführen. Davor hatten die Regierungen von Tory, New Labour und Tory/Liberalen Demokraten den gesamten Reichtum jahrzehntelang von der Gesellschaft zum Großkapital verschoben. Corbyns Aufstieg war der Versuch von Arbeitern und Jugendlichen, dagegen Widerstand zu leisten, und er führte dazu, dass die Tories aus der vorgezogenen Neuwahl von 2017 (die May angesetzt hatte, um ihre Position zu stärken), als Minderheitsregierung hervorgingen. Es war der größte Umschwung zugunsten von Labour seit der Wahl Clement Attlees 1945.
Anstatt diesen Vorteil zu nutzen, ging Corbyn dazu über, sich beim rechten Parteiflügel lieb Kind zu machen. Auf der Labour-Konferenz 2018 lehnte er die Forderung nach Neuwahl der Abgeordneten ab und ließ zu, dass gegen seine engsten Anhänger eine Hexenjagd entfesselt und sie aus der Partei ausgeschlossen wurden. Sein Schattenkanzler John McDonnell traf sich mit führenden Vertretern der City of London, um sie der Loyalität Labours zu versichern.
Heute könnte genauso gut der Blair-Anhänger Tom Watson Parteichef (und nicht Corbyns Stellvertreter) sein. Als Watson dem Magazin Prospect sagte, dass er bereit sei, an einer Regierung der nationalen Einheit mit Pro-Remain Tories teilzunehmen, prangerte Corbyns Büro dies als „abgekartetes Spiel“ des Establishments an. Drei Tage später beteiligte Corbyn selbst sich an einem solchen abgekarteten Spiel, um Neuwahlen nicht zuzulassen – in einer Situation, als der Tory-Abgeordnete Johnny Mercer einräumte, dass seine Partei haushoch verlieren würde.
Corbyn zieht alles in Betracht, nur nicht, an der Spitze einer Arbeiterbewegung an die Macht zu kommen. Er hat viel zu viel Angst, die Kontrolle über eine solche Bewegung zu verlieren. Alles was er will, ist dem britischen Imperialismus zu dienen und weiterhin, wie für seine Führung bezeichnend, den Klassenkampf zu unterdrücken. Mays Charmeoffensive bestätigt, dass die herrschende Klasse Corbyn für einen wichtigen Verbündeten im Kampf gegen die Arbeiterklasse hält.
Dies sind strategische Erfahrungen, und nicht nur für die Arbeiterklasse in Großbritannien, sondern auch in ganz Europa und international. Die Pseudolinken betrachten Corbyn als ihr Vorbild, das auf der ganzen Welt nachzuahmen sei. Vor Corbyn hatten sie schon Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, dem „Linksblock“ in Portugal und Bernie Sanders in den USA ihre Reverenz erwiesen – mit immer mit den gleichen verheerenden Konsequenzen.
Von Anfang an warnte die Socialist Equality Party: „Corbyn steht für den letzten, verzweifelten Versuch, eine Politik wiederzubeleben, die schon tausendmal versagt hat, und die für die Bourgeoisie eine wichtige Rolle spielt, um die revolutionäre Entwicklung der Arbeiterklasse zu verhindern: den Versuch, Labour nach links zu drücken.“
Als Syriza im Januar 2015 an die Macht kam, weil sie versprochen hatte, gegen den EU-Sparkurs Widerstand zu leisten, betonten wir: „Alle pseudolinken Organisationen haben es als Ereignis begrüßt, das die politische Richtung in Europa wirklich verändern werde. Stattdessen bettelte Syriza monatelang bei der EU um erbärmliche Zugeständnisse bei den Bedingungen für die EU-Sparmaßnahmen, und als das Referendum im Juli 2015 ein überwältigendes Votum dagegen ergab, wies sie es zurück und ließ es zu, dass noch härtere Kürzungen als unter ihren Vorgängern durchgesetzt wurden.“
Die Behauptungen der Pseudolinken sind völlig widersprüchlich. Die Socialist Party schrieb diese Woche von einem „ohrenbetäubenden Schweigen der Gewerkschaftsführer“, die es versäumt hätten, „die verzweifelte Situation in den Arbeitervierteln zur Sprache zu bringen“. Sie schreiben auch über die „dünne, kaum hörbare Stimme von Jeremy Corbyn“. Auf seine Gespräche mit May gehen sie überhaupt nicht ein. Die Socialist Workers Party nennt die Gespräche eine „Falle für Labour“ und „eine Tarnung für die Interessen der Bosse“. Sie schließen: „Das fehlende Element ist eine unabhängige Intervention der Arbeiterklasse in diese Krise. Deshalb ist die Regierung nicht zusammengebrochen.“ Aber sie verlieren kein Wort der Kritik über Corbyn.
Der tiefere Grund für die Brexit-Sackgasse liegt in interimperialistischen Widersprüchen, und die rivalisierenden Großmächte konkurrieren erbittert um die Kontrolle über die Weltmärkte. Unter Donald Trump haben sich die USA stark dem Protektionismus, dem Handelskrieg und verstärkten Kriegsvorbereitungen zugewandt. Die Großmächte Europas reagieren, indem sie die EU als protektionistischen Handelsblock mit eigener Militärmacht aufbauen wollen – wenn auch die Konflikte zwischen ihnen die EU zu sprengen drohen.
Die nationalen Spannungen drücken sich in jedem Land in einem Rechtsruck der großen Parteien und imperialistischen Regierungen aus. Wollen sie wettbewerbsfähig bleiben, dann müssen sie endlose Angriffe auf die Arbeitsplätze, Löhne und Existenzbedingungen der Arbeiterklasse führen, und das wiederum erfordert autoritäre Herrschaftsformen.
In Europa hat dies das Wachstum rechtsextremer und faschistischer Bewegungen beschleunigt. Sie profitieren davon, dass die Bevölkerung die Sparpolitik der EU zutiefst hasst, und als Sündenbock präsentieren sie die Migranten und Flüchtlinge. In Italien, Ungarn, Österreich und Polen sitzen sie bereits in der Regierung, und in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden bilden sie große Oppositionsparteien, die von den Medien und dem Staatsapparat als Stoßtruppen gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden.
Solange die Pseudolinken weiterhin Corbyn und Labour unterstützen, setzt sich diese gefährliche Entwicklung fort. Die Wahl von Trump, der Aufstieg von Marine Le Pen in Frankreich und die AfD im deutschen Bundestag wurden allesamt dadurch ermöglicht, dass die offiziellen „linken“ Parteien und Gewerkschaften und ihre pseudolinken Apologeten sich als käufliche Lakaien erwiesen.
Die Bedingungen für eine Gegenoffensive der Arbeiterklasse sind objektiv vorhanden. Corbyn ist politisch entlarvt, und mit ihm auch die Pseudolinken. Gleichzeitig entwickelt sich ein neuer Aufschwung von Streiks und Protesten auf internationaler Ebene, nachdem die sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien und Gewerkschaften den Klassenkampf jahrzehntelang unterdrückt haben.
In Frankreich weitet sich neben dem Protest der „Gelbwesten“ ein nationaler Lehrerstreik aus. In Portugal und Ungarn nimmt die Streikwelle zu, und in Italien gibt es Massenproteste gegen die Faschisten. In den USA sind die Streiks auf dem höchsten Stand seit 1986. In Algerien und im Sudan sind Massenstreiks und Proteste ausgebrochen, die ihre Regierungen dem Untergang weihen.
Arbeiter in Großbritannien müssen sich bewusst auf die internationale Bewegung der Arbeiterklasse stützen, die jetzt entsteht. Dazu bedarf es eines neuen Programms und einer neuen Führung. Die Antwort auf Brexit und die nationalistische Spaltung des Kontinents ist der gemeinsame Kampf der britischen und europäischen Arbeiterklasse für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Die SEP und ihre Schwesterparteien in Frankreich und Deutschland bauen in ganz Europa Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale auf, um diese strategische Wende anzuführen.