Nach der Auszählung von 95 Prozent der Stimmen, die bei der ukrainischen Präsidentschaftswahl am Sonntag abgegeben wurden, steht der Komiker Wolodimir Selensky als eindeutiger Gewinner des ersten Wahlgangs fest. Laut dem zentralen Wahlkomitee der Ukraine erhielt Selensky im ersten Wahlgang 30,2 Prozent der Stimmen. Der derzeitige Präsident und „Schokoladenoligarch“ Petro Poroschenko kam mit 15,9 Prozent auf den zweiten Platz, die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko landete mit 13,4 Prozent auf dem dritten Platz.
Etwa 63,4 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimmen ab. Am 21. April werden Selensky und Poroschenko jetzt in der Stichwahl gegeneinander antreten.
Die Präsidentschaftswahl fand vor dem Hintergrund einer außergewöhnlichen politischen und sozialen Krise statt. Das Poroschenko-Regime hatte bewusst eine Atmosphäre von Kriegshysterie geschürt. Vor dem offiziellen Beginn des Wahlkampfs provozierte das Regime eine Konfrontation mit Russland im Asowschen Meer, die es dann als Vorwand benutzte, um in mehreren Teilen des Landes das Kriegsrecht zu verhängen.
In den Wochen vor der Wahl hatten rechtsextreme Schläger des Asow-Bataillons Poroschenkos Büro in Kiew überfallen und den Präsidenten gezwungen, von seiner eigenen Wahlveranstaltung zu fliehen. Die rechtsextreme Miliz spielt seit dem Putsch von 2014 eine wichtige Rolle in der ukrainischen Politik und wird mittlerweile mit Innenminister Arsen Awakow in Verbindung gebracht.
Selensky gewann die meisten Stimmen in den mittleren und südlichen Regionen des Landes, Poroschenko schnitt im Westen des Landes am besten ab, der traditionellen Hochburg des ukrainischen Nationalismus. Der Kandidat der Partei Opposition fürs Leben Juri Boiko führte in den östlichen Regionen des Landes, wo die Beziehungen zu Russland am stärksten sind, u.a. in den von Separatisten kontrollierten Provinzen Donezk und Lugansk.
Das Poroschenko-Regime will das Ergebnis offenbar akzeptieren. Das zentrale Wahlkomitee hat erklärt, es sei zu „keinen systematischen Verstößen“ gekommen. Die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko behauptete jedoch, der Wahlausgang sei manipuliert worden. Ihr Wahlkampfteam erklärte, Tymoschenko sei in Wirklichkeit mit 18,06 Prozent der Stimmen Zweite und Poroschenko mit 14,74 Prozent Dritter geworden. Tymoschenkos Stab kündigte an, man werde die projizierten Ergebnisse schneller verbreiten als das zentrale Wahlkomitee.
Es ist momentan noch unklar, ob Tymoschenko ihre Anhänger aus Protest gegen das Ergebnis zu Demonstrationen aufrufen wird. Tymoschenko gilt als enge Verbündete von Innenminister Arsen Awakow. Dieser verfügt als Chef der nationalen Polizei und der Regierungsmilizen über beträchtliche Macht und hat enge Beziehungen zu diversen rechtsextremen Organisationen. Es gab Spekulationen, Tymoschenko könnte Awakow und seine Beziehungen zu rechten Kräften aus dem Umfeld der Nationalmiliz, wie z.B. das Asow-Bataillon, benutzen, um Poroschenko zu entmachten, falls sie es nicht in die zweite Runde der Wahl schafft.
Selenskys Wahlsieg eine drastische Abfuhr für das rechte, nationalistische Regime von Poroschenko, das Anfang 2014 durch einen rechtsextremen, von den imperialistischen Mächten unterstützten Putsch an die Macht gekommen ist und mit Parolen wie „Armee, Glaube, Sprache“ einen durch und durch nationalistischen und militaristischen Wahlkampf führte. Das ist ein erster, wenn auch verzerrter Ausdruck des wachsenden Widerstands der Massen gegen den von den imperialistischen Mächten unterstützten Krieg der ukrainischen Streitkräfte in der Ostukraine und ihre anhaltenden Kriegsvorbereitungen und Provokationen gegen Russland sowie ein Ausdruck der Wut über die soziale Katastrophe im Land.
Eine überwältigende Mehrheit der Ukrainer hat in einer Umfrage nach der anderen deutlich gemacht, dass sie sich vor allem Sorgen machen um Arbeitsplätze, die Löhne, die Korruption und den endlosen Krieg in der Ostukraine, der bisher mindestens 13.000 Todesopfer gefordert hat.
In den letzten Jahren sind die Löhne und der Lebensstandard von beträchtlichen Teilen der Bevölkerung stark gesunken, während immer größere Summen für die Fortsetzung des Kriegs gegen die Separatisten in der Ostukraine ausgegeben wurden. Die Ukraine ist heute das ärmste Land Europas, der Durchschnittsverdienst liegt bei umgerechnet etwa 313 Euro im Monat. Millionen von Ukrainern haben das Land verlassen, um in Ausland zu arbeiten. Das Land muss laut den IWF-Anweisungen die Sozialausgaben kürzen, da ihm andernfalls aufgrund der milliardenschweren IWF-Kredite der Staatsbankrott droht.
Poroschenkos Wahlkampf wurde außerdem von einem Bericht erschüttert, der einen Korruptionsskandal auf höchster Ebene im Zusammenhang mit der Materialbeschaffung für das Militär enthüllt hat. Laut einer vorläufigen Umfrage zur Präsidentschaftswahl im November 2018 hatten 50 Prozent der Bevölkerung erklärt, sie würden sich „unter allen Umständen“ weigern, für Poroschenko zu stimmen.
Unter diesen Bedingungen konnte Selensky von der Unzufriedenheit über die Korruption sowie Poroschenkos Umarmung des ukrainischem Nationalismus sowie seiner Eskalation des Kriegs profitieren. Er inszenierte sich als Kandidaten, der im Gegensatz zu Poroschenko und Tymoschenko außerhalb des „Establishments“ steht.
Selensky hat den Putsch in Kiew im Februar 2014 unterstützt und die „Rückgabe“ der Krim und der separatistischen Ostprovinzen an die Ukraine gefordert. Um an die weit verbreitete Antikriegsstimmung zu appellieren, machte er jedoch auch Annäherungsversuche an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, dem er signalisierte, er sei zu Verhandlungen mit Russland über ein Ende des Kriegs bereit. Zudem forderte er einen Waffenstillstand, damit die Verhandlungen zwischen den beiden Ländern wieder aufgenommen werden können. Wladimir Putin seinerseits hat Verhandlungen mit der Ukraine ausgeschlossen, falls Poroschenko wiedergewählt werden sollte.
Doch obwohl Selensky versucht, an die Antikriegsstimmung breiter Teile der Arbeiterklasse zu appellieren, hat er sich deutlich als Unterstützer des Beitritts der Ukraine zu EU und Nato positioniert. Diese beiden Schritte würden die Spannungen mit Russland deutlich verschärfen.
Selensky hat sich auch bewusst nur vage über seine wirtschaftlichen Pläne geäußert. Er hat lediglich versprochen, die Korruption zu beenden und neue Gesetze gegen Offshore-Konten einzuführen. Trotz seiner Wahlversprechen würde Selensky nach seinem Sieg die vom IWF diktierten Austeritätsmaßnahmen fortsetzen, um die 12 Milliarden Dollar Schulden beim IWF abzutragen.
Trotz seinem Gerede über den Kampf gegen die „Korruption“ und seiner Behauptung, er gehöre nicht zum „Establishment“, wird Selensky die Interessen der ukrainischen Oligarchie verteidigen und ist bereit, das enge Bündnis mit dem US-Imperialismus fortzusetzen.
Selensky soll angeblich finanzielle Unterstützung von dem Oligarchen Igor Kolomoiski erhalten und hat zugegeben, dass er eine „Arbeitsbeziehung“ mit dem Milliardär unterhält. Laut anderen Berichten teilt er auch die Ansichten des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der derzeit das Militär gegen die Proteste der Gelbwesten mobilisiert.