Am Mittwoch gab Regierungssprecher Benjamin Griveaux bekannt, dass Präsident Emmanuel Macron an diesem Wochenende die Armee einsetzen werde, um den Gelbwesten-Protesten gegen Sparpolitik und soziale Ungleichheit entgegenzutreten.
Zum ersten Mal seit 60 Jahren, als das französische Militär mit Folter und Massenmord gegen den algerischen Unabhängigkeitskampf vorging, wird die Armee wieder gegen Demonstranten eingesetzt. Dieser historische Wendepunkt ist ein Alarmsignal für alle Arbeiter weltweit. Angesichts einer zunehmend militanten Opposition greift die Finanzaristokratie prompt zu militärisch-polizeilichen Herrschaftsformen.
Die offizielle Begründung Macrons lässt eine Provokation der Polizei erwarten. Die Regierung behauptet, dass in Anbetracht der Plünderung von Geschäften auf den Champs-Elysées am vergangenen Wochenende nur die Anti-Terrortruppe Opération Sentinelle personell in der Lage sei, Gebäude zu bewachen und die Bereitschaftspolizei zu entlasten, damit diese gewalttätige Gelbwesten in Schach halten könne.
In Wirklichkeit ist nach wie völlig unklar, was am vergangenen Samstag in Paris passiert ist. Den Angaben diverser Regierungsstellen zufolge hätten Hunderte von Plünderern in Paris gewütet. Die Aussagen, um wen es sich handelte, reichten allerdings von „Ultralinken“ über den „schwarzen Block“ bis hin zu „Neofaschisten“. Es wurden weder verantwortliche Organisationen benannt, noch befanden sich Plünderer unter den 250 Demonstranten, die am Samstag von der Polizei verhaftet wurden. Von diesen, so L'Express, seien den Sicherheitsdiensten nur drei bekannt gewesen, und die meisten hätten „bereits an früheren Protesten teilgenommen, ohne Gewalttaten zu begehen“.
Einer der wenigen, dem ein Ladendiebstahl nachgewiesen wurde – und zwar von Fanartikeln des Pariser Fußballvereins Saint Germain –, war ein Bereitschaftspolizist. Er wurde bei der Straftat von einem Journalisten gefilmt, der dann seinerseits von der Polizei angegangen wurde.
Unter Berufung auf diese äußerst zweifelhaften Vorkommnisse ruft die Macron-Regierung nun die Armee zu Hilfe und droht den Gelbwesten auf übelste Art und Weise. Macron hat alle, die sich den Protesten anschließen oder diese unterstützen, also 70 Prozent der französischen Bevölkerung, als „mitschuldig“ an den gewaltsamen Ausschreitungen bezeichnet. Unter Berufung auf Quellen aus dem Innenministeriums schrieb Le Parisien, dass sich alle „an den Gedanken gewöhnen sollten, dass die Sicherheitskräfte Menschen verletzen oder schlimmer“, auch wenn es „am Ende Querschnittsgelähmte gibt“.
Bei solchen Aussagen erinnert man sich daran, dass Macron seine Bewunderung für den faschistischen Diktator Philippe Pétain und für Georges Clemenceau erklärt hat. Clemenceau war einer der letzten Innenminister, unter denen die Armee im Landesinneren eingesetzt wurde, bevor dies nach der russischen Oktoberrevolution von 1917 abgeschafft wurde. Achtzehn Menschen wurden in seiner Amtszeit von der Armee ermordet – zu einer Zeit, als das Militär immer wieder bei Streiks und Maikundgebungen auf Arbeiter schoss und Tote hinterließ.
Die Regierung Frankreichs, die von der Opposition der Bevölkerung gegen den „Präsidenten der Reichen“ und den Massenprotesten für den Sturz des algerischen Militärregimes überrascht wurde, versucht nun, die Bevölkerung zu terrorisieren. Kaltblütig schafft sie die Voraussetzungen dafür, die Proteste notfalls in Blut zu ersticken. Und dies beschränkt sich nicht auf Frankreich. Überall auf der Welt sucht die Finanzaristokratie Rückhalt beim Militär und fördert autoritäre Herrschaftsformen.
Während Macron die Armee im Inland einsetzt, hat die Trump-Administration in den Vereinigten Staaten den Notstand ausgerufen und Soldaten zum Einsatz gegen Immigranten an die US-mexikanische Grenze geschickt. Ähnliche Entwicklungen gibt es ganz Europa. In Deutschland beschönigen rechtsradikale Professoren die Verbrechen Hitlers, und in Spanien verlangen Mitglieder der faschistischen Vox-Partei ein Verbot des Marxismus. In Großbritannien wird der Einsatz der Armee für den Fall eines ungeregelten Brexits vorbereitet.
Der Drang der Finanzaristokratie nach rechtsextremen Herrschaftsformen hat sich als Reaktion auf den internationalen Aufschwung des Klassenkampfs verstärkt. Hunderttausende gehen seit vier Monaten in Frankreich gegen hohe Spritsteuern, Steuersenkungen für Reiche, Niedriglöhne, Militärausgaben und Sparpolitik auf die Straße. Die Bewegung der Gelbwesten nahm in den sozialen Medien und außerhalb der staatlich finanzierten Gewerkschaftsbürokratien ihren Ausgang. Im gleichen Zeitraum brachen überall auf der Welt unabhängig von den Gewerkschaften Massenstreiks aus: bei den Lehrern in den USA, den Krankenschwestern in Portugal, den Arbeitern von Autozulieferern in Mexiko und den Plantagenarbeitern in Sri Lanka.
Nachdem der Klassenkampf im Gefolge der Auflösung der Sowjetunion durch die Stalinisten 1991 Jahrzehnte lang unterdrückt wurde, kehrt er nun weltweit zurück, und die politische Opposition gegen den Kapitalismus nimmt zu. Die Finanzaristokratie, so die Zeitung Le Monde diplomatique, fürchtet nun „keine Wahlniederlagen, Reformstaus oder Kurseinbrüche an den Börsen, sondern Aufstand, Revolte, Elend". Dennoch liegt es ihr fern, sich von den Billionen Euro zu trennen, die seit dem Crash von 2008 durch Steuersenkungen und staatlich finanzierte Rettungsaktionen in ihre Taschen gewandert sind und mit dem Blut und Schweiß der Arbeiter bezahlt wurden.
Mit Macrons Mobilisierung der Armee gegen die Gelbwesten geht die erste Phase des zurückgekehrten Klassenkampfs zuende. Monatelang haben die Teilnehmer der Demonstrationen gehofft, durch irgendeine Taktik, beispielsweise Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild, Macron zu zwingen, auf der Grundlage einer demokratischen Reform innerhalb der bestehenden nationalen Institutionen eine Einigung mit ihnen zu erzielen. Macrons Entscheidung, stattdessen die Armee zu entsenden, ist eine Warnung an alle Arbeiter weltweit: Die Alternativen, vor denen sie stehen, sind nicht Reform oder Revolution, sondern Revolution oder Konterrevolution.
Aus der Gefahr einer Diktatur durch Militär und Polizei ergeben sich zwei wesentliche Aufgaben: die Hinwendung zur internationalen Arbeiterklasse und der Aufbau von Aktionskomitees. Solche Arbeiterkomitees müssen unabhängig von den Gewerkschaften und den mit ihnen verbündeten prokapitalistischen Parteien auf der Grundlage eines sozialistischen Programms organisiert werden.
Die Gefahr, die von der Berufsarmee und der Bereitschaftspolizei für Arbeiter ausgeht, ist real und sehr ernst. Aber reaktionäre Regime haben sich in der Geschichte immer wieder eingebildet, sie könnten komplexe gesellschaftliche Probleme durch nackte Unterdrückung und Einschüchterung lösen. Diese Rechnung ging selten auf.
Dass die Armee und die Bereitschaftspolizei in Frankreich und anderswo bis an die Zähne bewaffnet ist, ändert nichts daran, dass die Regierung und die Finanzaristokratie völlig isoliert und zutiefst verhasst sind. Der Kampf unabhängiger Aktionskomitees zur Mobilisierung und Koordination des Widerstands von Arbeitnehmern und Jugendlichen gegen staatliche Bedrohungen oder Repressionen wird im Kampf gegen Macrons Polizeistaatsmaßnahmen eine entscheidende Rolle spielen.
Macrons Schritt, die Armee gegen soziale Proteste einzusetzen, macht grundlegende Realitäten deutlich. Arbeiter in Frankreich und auf der ganzen Welt befinden sich in einem politischen Kampf gegen die herrschende Elite und den Staat mit seinen „Formationen bewaffneter Menschen“, die die Vorrechte des kapitalistischen Systems verteidigen.
Im Widerstand gegen die Spar- und Kürzungspolitik Macrons müssen die Arbeiter den Kampf für ein sozialistisches Programm aufnehmen und die Parti de l'égalité socialiste (PES) als französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aufbauen.