IYSSE-Veranstaltung gegen die Propagierung von Eugenik an der Universität Cambridge

Am Samstag organisierten die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) in Cambridge eine öffentliche Veranstaltung, um gegen die Entscheidung der dortigen Universität zu protestieren, dem Eugeniker Noah Carl ein prestigeträchtiges Forschungsstipendium zu gewähren.

Als Carl das als Toby Jackman Newton Trust Research Fellowship bekannte Stipendium Ende 2018 erhielt, reagierten die Studenten und das akademische Personal mit breiter Ablehnung. Fast 1.500 Akademiker und Studenten unterzeichneten einen offenen Brief mit dem Titel „Nein zu rassistischer Pseudowissenschaft in Cambridge“.

An der Veranstaltung nahmen Studenten der Universität Cambridge und der Anglia Ruskin University teil. Nach dem Eröffnungsbeitrag von IYSSE-Mitglied Thomas Scripps sprach der stellvertretende Vorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) aus Deutschland, Christoph Vandreier, per Videoschaltung aus Berlin. Vandreier hat eine führende Rolle im Kampf gegen Nazi-Verteidiger und den Aufstieg des Neofaschismus in Deutschland gespielt.

Scripps erklärte: „Carls akademische Arbeiten haben zwar nach außen hin einen soziologischen Anstrich, doch sein wahres sozialdarwinistisches Gesicht zeigt sich durch seine Mitgliedschaft in dem engen Netzwerk bekennender Rassisten und Eugenik-Befürworter wie Emil Kirkegaard, Heiner Rindermann, Richard Lynn und Gerhard Meisenberg, die auch zu seinen häufigsten Mitverfassern und Herausgebern zählen.“

Weiter erklärte Scripps: „Hierbei handelt es sich um einen verschworenen Zirkel, der das Ziel hat, im Interesse rechtsextremer und offen faschistischer Politik Rassenkunde zu propagieren. Seine Arbeiten haben nicht die geringste wissenschaftliche Glaubwürdigkeit.“

Scripps erläuterte die historischen Ursprünge der Eugenik im späten neunzehnten Jahrhundert als Reaktion von Teilen der herrschenden Klasse auf den Beginn der Epoche des Imperialismus: „Eugenik wurde populär, da sie eine Methode darstellte, die imperialistische Ausbeutung des Planeten durch die Überlegenheit der weißen Rasse zu rechtfertigen. Zudem konnten immense soziale Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit und Verbrechen als Ergebnis von ,minderwertigem‘ Menschenmaterial dargestellt werden, statt als Produkte des Gesellschaftssystems.“

Die Eugenik bildete ein zentrales Element des Programms der Nazis, das zum Holocaust führte. Scripps erklärte, der Nazi-Eugeniker Otmar von Verschuer sei einer der ersten Herausgeber der Zeitschrift Mankind Quarterly gewesen, in der auch Carls aktuelle Arbeit veröffentlicht wurde: „Verschuer war von 1935 bis 1942 Direktor des Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene und von 1942 bis 1948 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Zu seinen Studenten gehörte der Nazi-Kriegsverbrecher Josef Mengele, der als Lagerarzt in Auschwitz tödliche Menschenversuche durchgeführt hat.“

Dass Personen wie Carl jetzt von der Universität Cambridge und von bekannten Medien verteidigt werden, verdeutlicht den weltweiten Rechtsruck der herrschende Klasse.

Das Publikum verfolgte Christoph Vandreiers Redebeitrag zu dem Treffen mit enormem Interesse. Er erklärte, wie der Kampf an der Humboldt-Universität im Februar 2014 begann, nachdem der Professor für osteuropäische Geschichte, Jörg Baberowski, im Spiegel erklärte hatte, Adolf Hitler sei „nicht grausam“ gewesen.

Abgesehen von der SGP und der IYSSE hat kein einziger deutscher Akademiker, Journalist oder Politiker Baberowski seinerzeit für seine Verteidigung der Nazis kritisiert. Als die IYSSE Baberowskis Äußerungen kritisierte, verteidigte ihn die Humboldt-Universität und drohte der IYSSE. Vandreier erklärte: „Die Medien haben uns angegriffen und uns ,Mobbing, trotzkistisch‘ eines unschuldigen Professors vorgeworfen, gingen aber nicht darauf ein, dass Baberowski Hitler verteidigt hat.“

Die Unterstützung für Theorien aus dem Umfeld der extremen Rechten in den Universitäten sei ein „Ausdruck grundlegender gesellschaftlicher Entwicklungen. In Deutschland sitzt zum ersten Mal seit dem Ende des Naziregimes eine rechtsextreme Partei im Bundestag.“

Vandreier betonte, dass die Faschisten in Deutschland eine „verhasste Minderheit“ sind und zitierte aus dem Buch „Warum sind sie wieder da?“, das im Mehring-Verlag erschienen ist und vor Kurzem ins Englische übersetzt wurde.

In dem Buch heißt es: „Die AfD verfügt weder über eine massenhafte Anhängerschaft noch über schlagkräftige Einheiten wie einst die SA, die sich aus entwurzelten Weltkriegssoldaten, ruinierten Kleinbürgern und verzweifelten Arbeitslosen rekrutierte. Die Stärke der AfD ergibt sich ausschließlich aus der Unterstützung, die sie von Parteien, Medien, der Regierung und dem Staatsapparat erhält.“

Vandreier erklärte, Baberowski sei in Deutschland von hochrangigen Politikern der SPD und der Linkspartei verteidigt worden. Gleichzeitig habe die Große Koalition aus CDU und SPD die zentralen Elemente aus dem rechtsextremen Programm der AfD übernommen: Rassismus gegen Immigranten, die Wiederaufrüstung Deutschlands und ein autoritäres Regierungssystem.

Weiter erklärte er: „Der ganze unverdaute Schmutz der Vergangenheit wird wieder zum Leben erweckt. Genau wie in den 1930ern ist der Faschismus auch heute die Reaktion der herrschenden Klasse auf den Zusammenbruch des Kapitalismus. Deshalb muss der Widerstand gegen den Faschismus auf dem Kampf gegen den Kapitalismus basieren.“

Darauf folgte eine lebhafte Diskussionsrunde.

Ein Student vom St. Edmund’s College der Universität Cambridge beschrieb, wie die Verwaltung der Hochschule auf den Widerstand gegen Carls Ernennung zuerst mit Ignoranz, dann mit Zensur, Lügen, Einschüchterung und Drohung mit Disziplinarmaßnahmen reagierte. Damit Studenten nicht an einer friedlichen Protestveranstaltung teilnehmen konnten, wurde das Sicherheitspersonal eingesetzt, um die Notausgänge zu blockieren und Türen zu verschließen. Als sich die Studenten mit einer Magnetkarte Zugang zum Gebäude verschaffen konnten, behauptete die College-Leitung fälschlich, sie seien in das Gebäude eingebrochen und warfen ihnen vor, sie würden dem Personal „Angst einjagen“ und „Mobbing“ betreiben.

Der Student erklärte: „Gegen sie selbst wird ermittelt, weil sie Noah Carl das Stipendium gegeben haben, aber uns drohen sie mit Disziplinarmaßnahmen, weil wir laut geworden sind. Wir haben das Gefühl, wir haben keine Stimme.“

Vandreier wies darauf hin, dass sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland der Widerstand der Studenten gegen rechtsextreme Ansichten als „Mobbing“ verurteilt wird.

Der stellvertretende SGP-Vorsitzende betonte: „Aber noch wichtiger als die Kampagne gegen uns war die Unterstützung, die wir bekommen haben. Wir kämpfen nicht gegen Windmühlen. Im Gegenteil, wir repräsentieren im Kampf gegen den Faschismus die große Mehrheit der Bevölkerung. Wir müssen den Widerstand gegen den Faschismus eindeutig auf diesen Widerstand in der Arbeiterklasse gründen.“

Nach der Veranstaltung führten die Studenten weitere Gespräche mit Mitgliedern der IYSSE und der SEP und kauften Literatur. Elsie Linley, die am St. Edmund’s College Altphilologie studiert hat, erklärte, wie sie auf Noah Carls pseudowissenschaftliche und rechtsextreme Ansichten aufmerksam wurde: „Ich musste nur bei Google nach ihm suchen, was mich schockiert hat. Nur eine Fünf-Sekunden-Suche bei Google ... Ich dachte: Moment mal, wie kommt es, dass er aus Tausenden von Bewerbern für das doch sehr prestigeträchtige Toby-Jackson-Stipendium ausgewählt wurde? Ich dachte, das muss doch ein Fehler sein. Und als ich merkte, dass es wahr ist, dachte ich: ,Wir müssen etwas dagegen unternehmen. Das College hat ihn mehrfach befragt. Sie kennen seine Ansichten und sie machen sich mitschuldig ...‘“

Sie fügte hinzu: „Es ist wichtig, dass wir außerhalb der Uni Cambridge dafür ein Bewusstsein schaffen. Momentan werden wir an meinem College als ,dümmliche Studenten‘ und ,Studenten der Generation Snowflake‘ [psychisch fragil, übersensibel] abgetan. Es besteht die Gefahr, dass die Sache einfach begraben wird. Sie versuchen uns zum Schweigen zu bringen und zu zermürben. Deshalb hat mir die heutige Veranstaltung wirklich Mut gemacht. Es hat mich sehr gefreut, zu wissen, dass es auch außerhalb des Colleges Menschen gibt, die bereit sind, unseren Kampf zu unterstützen. Das ist ist großartig.“

Bello Mohammed studiert Architektur an der Anglia Ruskin University. Er erklärte: „Ich war ziemlich beeindruckt von dem Treffen. Es hat mir wirklich gefallen. Ich habe nie damit gerechnet, dass in der heutigen Welt so etwas noch passieren könnte. Die Leute bei dieser Veranstaltung sind jung, und sie werden nichts von Ereignissen wissen, die im letzten Jahrhundert passiert sind.“

„Als ich euer Flugblatt gelesen habe, war ich überrascht, dass das, was in der Vergangenheit in Deutschland passiert ist, heute noch passiert. Ich hoffe, diese Generation wird aus der Vergangenheit lernen. Ich wusste nichts von Noah Carl, bis ich auf eurem Flugblatt erfahren habe, dass er an Eugenik glaubt. Ich wusste von Eugenik und habe über das Eugenikprogramm recherchiert, und darüber, wie es früher benutzt wurde.“

„Wir müssen den neuen Nazis entgegentreten. Wir müssen uns ständig vor Augen halten, was in der Vergangenheit passiert ist, damit es nicht wieder passiert. Ich glaube der Kapitalismus ist eine Regierungsform, die den Armen die Luft abschneidet, und wir müssen dagegen kämpfen.“

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