Die Demonstration von 10.000 Beschäftigten des öffentlichen Diensts, die am Mittwoch in Berlin gegen niedrige Löhne und unhaltbare Zustände protestierten, hat die hohe Kampfbereitschaft von Erziehern, Lehrern und anderen Beschäftigten der Länder gezeigt.
Das hat nicht nur die Landesregierungen, sondern auch die Gewerkschaften Verdi und GEW schockiert. Diese wollen unter allen Umständen vermeiden, dass es zu einer breiteren Mobilisierung kommt. Deshalb spalten sie nicht nur die Streikbewegung, indem sie sie auf einzelne Bereiche und Regionen beschränken. Sie demobilisieren auch ganz gezielt. Im Ruhrgebiet nahm das bizarre Formen an.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) karrte Streikende aus Essen, Oberhausen, Duisburg und anderen Städten vom Duisburger Hauptbahnhof mit Bussen auf den knapp zehn Kilometer entfernten Schulhof der Sekundarschule im Stadtteil Rheinhausen. Vor der Öffentlichkeit gut versteckt fand dort eine „dezentrale Streikkundgebung“ statt, an der nur etwa 200 Personen teilnahmen. Dorothea Schäfer, die Vorsitzende der GEW in NRW, hielt eine Rede. Es sei an der Zeit, „auf die Straße zu gehen“ und ein „Signal“ zu senden, rief sie.
Es war ihr offenbar besonders wichtig zu betonen, dass es sich entgegen einzelner Pressekommentare bei den Tarifverhandlungen nicht um ein „Ritual“ handle. Auf der Arbeitgeberseite habe man es aber mit drei schwierigen Finanzministern zu tun, die „jeden Euro umdrehen“ und eine Blockadehaltung einnehmen.
Auf die Forderung, dass die Tarifverhandlung nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden, reagierte Schäfer mit der Klage: „Manchmal wäre es ganz gut, wenn viele mitkriegen würden, wie schwer das ist.“ Die Streikenden kennen diese Klagen gut. Damit bereitet die Gewerkschaft sie schon jetzt auf einen faulen Abschluss vor. Vereinzelt wurde Schäfer durch Zwischenrufe unterbrochen.
WSWS-Reporter sprachen mit den Streikenden und verteilten das Flugblatt von SGP-Europawahlkandidat Ulrich Rippert zur aktuellen Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Es ruft zur Bildung von Aktionskomitees auf, die unabhängig von den Gewerkschaften den Kampf gegen die systematische Zerstörung des Bildungs- und Sozialsystems organisieren, und tritt für eine internationale, sozialistische Perspektive ein.
Viele Streikende äußerten sich kritisch über die GEW. Dass die Kundgebung nicht direkt am Hauptbahnhof oder in der Innenstadt, sondern auf einem abgelegenen Schulgelände auf der anderen Rheinseite stattfand, sorgte bei vielen Streikenden für Kopfschütteln. „Das ist wirklich verrückt“, war häufiger zu hören.
Mehrere bezeichneten die Tarifrunde als bekanntes Ritual. GEW und Verdi fordern sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 200 Euro.
Eine Lehrerin meinte, am Ende kämen vermutlich wieder 2 bis 3 Prozent mehr Geld heraus. An der Tatsache, dass angestellte Lehrer immer noch viel weniger als ihre verbeamteten Kollegen bekommen, ändere sich rein gar nichts. „Ich bin der Meinung, die angestellten Lehrer sollten so lange streiken, bis sie genauso viel bekommen“, fügte sie hinzu. Rund 20 Prozent der Lehrkräfte in Duisburg sind laut GEW keine Beamten, sondern tarifbeschäftigt.
Ein Lehrer erklärte zum erwarteten Abschluss: „Nach meinen bisherigen Erfahrungen habe ich da auch keine großen Erwartungen mehr.“ Doch nicht nur die geringen Löhne seien ein Problem, sondern auch die Bedingungen in den Schulen selbst: „Wir arbeiten an einer Schule, der bescheinigt wurde, dass sie ‚abbruchreif‘ ist. Das wurde von der Stadt bescheinigt. Und so sehen unsere Schulen aus. So ist die Bildungswirklichkeit im Industrieland Deutschland.“
Erst letzte Woche hatten die GEW und die Elternschaft Duisburger Schulen (EDUS) Zahlen zur katastrophalen Lage an den Schulen veröffentlicht. Danach fallen aufgrund nicht besetzter Stellen in Duisburg jede Woche 5160 Unterrichtsstunden aus. Zuletzt waren in Duisburg in allen Schulformen insgesamt 506 Stellen zu besetzen, aber nur 305 konnten besetzt werden, was einer Quote von 60 Prozent entspricht. Für das Land bedeuten die ausgefallenen Stunden eine rechnerische Einsparung von rund 730.000 Euro die Woche.
Am stärksten vom Lehrkräftemangel betroffen sind die Grund- und Förderschulen sowie die Schulen in den ärmeren Stadtvierteln, den so genannten „sozialen Brennpunkten“.
Die WSWS sprach auch mit Thomas, Rika und Lea, die im akademischen Mittelbau an der Universität Duisburg-Essen arbeiten. Vor allem von befristeter Beschäftigung können sie ein Lied singen. Seit der Einführung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Jahr 2007 sei das der neue Standard. Das Gesetz ermöglicht es, die Arbeitsverträge von Wissenschaftlern, Künstlern und Dozenten bis zu sechs Jahre lang zu befristen.
Rika sagte: „Wir haben keine Perspektive außer der Professur, die man im Schnitt mit 42 Jahren bekommt, und dann auch nur, wenn man zu den obersten 3 Prozent gehört.“ Lea berichtete, dass es da oft völlig unmöglich sei, über eine Familie nachzudenken, wie sie sich viele wünschten.
Thomas fügte hinzu, dass nicht nur die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen ein Problem sei. Die Unsicherheit, die sich aus den Zeitverträgen ergebe, habe durchaus Kalkül. Das System profitiere davon, dass „man um seine Stelle bangen muss und der Konkurrenzkampf die Leute antreibt“. Interessierten Studierenden sage er oft: „Machen Sie bloß das nicht, machen Sie lieber etwas Gescheites.“
Die drei unterstützten den Aufruf, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes international zu mobilisieren und zusammenzuschließen. Gerade der Betrieb an den Hochschulen sei ohnehin bereits international organisiert.