USA: Anzahl der Streikenden auf höchstem Stand seit 32 Jahren

2018 hat die Zahl der Streikenden in den USA den höchsten Stand seit 32 Jahren erreicht. Das gab am 8. Februar das amerikanische Amt für Arbeitsmarktstatistiken (BLS) in Washington bekannt. Im ganzen letzten Jahr nahm der Klassenkampf stetig zu. An der Spitze der Streikentwicklung standen die Lehrer öffentlicher Schulen, die gegen ihre Gewerkschaften rebellierten und landesweite Streiks in West Virginia, Oklahoma und Arizona organisierten.

Der Bericht des BLS nannte 20 große Arbeitskämpfe, die als Streiks oder Aussperrungen definiert wurden, an denen mindestens 1.000 Arbeiter beteiligt waren. Das war die größte Zahl solcher Ausstände seit dem Jahr 2007, in dem es 21 Streiks oder Aussperrungen dieser Größenordnung gab.

Mehr als 485.000 Beschäftigte organisierten letztes Jahr Streiks. Die meisten waren Lehrer und anderes Schulpersonal: In Arizona waren es 86.000, in Oklahoma 45.000, in West Virginia 35.000 und in Kentucky 26.000. Alle lieferten sich längere Auseinandersetzungen mit den Regierungen ihrer Bundesstaaten. Dazu kamen eintägige Streiks mit 123.000 Teilnehmern in North Carolina und 63.000 in Colorado.

Die Gesamtzahl der beteiligten Arbeiter war die höchste seit 1986. Damals waren 533.000 Arbeiter an großen Streiks oder Aussperrungen beteiligt. Der Verlust an Arbeitstagen durch Streiks oder Aussperrungen war letztes Jahr mit 2,8 Millionen der höchste seit 2004.

Acht der 20 großen Arbeitskämpfe gingen von den Lehrern aus, darunter die sechs bundesstaatsweiten Aktionen, sowie zwei lokale Streiks in Jersey City (New Jersey) und Tacoma (Washington). Fünf Streiks organisierten die Beschäftigten im Gesundheitswesen von Rhode Island, Vermont und Kalifornien, zwei die Hotelbeschäftigten und zwei die Bauarbeiter. Hinzu kam die Aussperrung bei dem Netzbetreiber National Grid in Neuengland. In der verarbeitenden Industrie fand kein einziger großer Streik statt.

Die Zahlen des BLS werfen wichtige historische und politische Fragen auf.

Die Zahl von 2,8 Millionen verlorenen Arbeitstagen ist zwar deutlich höher als der Durchschnitt der letzten 20 Jahre, aber deutlich weniger als in jedem einzelnen Jahr zwischen 1947 und 1999. Im Jahr 1959 stieg diese Zahl durch einen 116-tägigen Streik in der gesamten Stahlindustrie auf 60 Millionen und fiel bis 1982 nie mehr unter 10 Millionen. 1982 schlug die Reagan-Regierung den Streik der Fluglotsengewerkschaft PATCO nieder.

Für den Rest des Jahrzehnts gingen nur in den Jahren 1983, 1986 und 1989 mehr als zehn Millionen Tage durch Streiks verloren. Während der gesamten 1990er-Jahre blieb die Zahl weiter deutlich unter dieser Marke, da die Gewerkschaften die Kämpfe der Arbeiter systematisch abwürgten oder verrieten. Im Jahr 2000 gingen aufgrund eines sechsmonatigen Streiks von 135.000 Fernsehschauspielern, die meist nur unregelmäßig arbeiteten, 20 Millionen Arbeitstage durch Streiks verloren. Im Jahr 2001 ging die Zahl auf 1,1 Millionen Arbeitstage zurück, im Jahr 2002 auf 659.000. Im Jahr 2009, nach dem Wall Street-Crash, erreichte sie mit 124.000 einen Tiefststand.

Die wichtigste Tatsache, die sich in diesen Streikstatistiken offenbart, und die in der Berichterstattung der Medien völlig verschwiegen wird, ist der Widerspruch zwischen der steigenden Militanz der Arbeiter und den anhaltenden Versuchen der Gewerkschaften, den Klassenkampf abzuwürgen.

Nur einer der sechs Arbeitskämpfe, durch die letztes Jahr die meisten Arbeitstage verloren gingen, wurde von den Gewerkschaften organisiert: der Streik gegen die Hotelkette Mariott. Vier weitere waren bundesstaatsweite Lehrerstreiks, die die Lehrer selbst über soziale Netzwerke organisiert hatten. In West Virginia gingen 525.000 Arbeitstage verloren, 486.000 in Arizona, 405.000 in Oklahoma und 182.000 in Kentucky. Der fünfte war die Aussperrung der National Grid-Beschäftigten mit 156.000 verlorenen Arbeitstagen.

Fast zwei Drittel der 2,8 Millionen Arbeitstage, die im Jahr 2018 durch Arbeitskämpfe verloren gingen, gingen nicht auf Streiks zurück, die von den Gewerkschaften organisiert wurden. Sie entwickelten sich organisch am Arbeitsplatz aus dem Konflikt zwischen Arbeitern und Arbeitgebern. Wäre es nach den Gewerkschaften gegangen, so hätten diese Streiks nie stattgefunden.

Die Radikalisierung der Arbeiterklasse im Jahr 2018 hat die Gewerkschaften nicht wiederbelebt. Sie hat im Gegenteil die Form einer Rebellion der Arbeiterklasse gegen die Gewerkschaften angenommen. Diese Organisationen haben sich zu einer Zwangsjacke für die Arbeiter entwickelt, nicht nur im Bereich der Politik, wo sie die Arbeiterklasse seit Jahrzehnten der Demokratischen Partei unterordnen, sondern auch wenn es darum geht, grundlegendste Klasseninteressen der Arbeiter wie angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen, Gesundheits- und Rentenleistungen zu verteidigen.

Die ersten Kämpfe der Arbeiterklasse im Jahr 2019 haben diese Einschätzung jetzt schon bestätigt. Die Lehrergewerkschaften haben den wochenlangen Streik von 33.000 Lehrern in Los Angeles eklatant verraten. Sie haben die wichtigsten Forderungen schon vor Beginn des Streiks aufgegeben und innerhalb von wenigen Stunden eine Ratifizierungsabstimmung durchgeboxt. Damit die Lehrer keinen Widerstand organisieren konnten, wurden sie auf Hunderte Einzeltreffen verteilt.

Gleichzeitig wiederholt die Lehrergewerkschaft ihre Politik von 2018, als sie die Streiks gegen Etatkürzungen, niedrige Bezahlung und steigende Klassengrößen in den einzelnen Bundesstaaten monatsweise voneinander isolierte, damit es nicht zu einem nationalen Streik der Lehrkräfte kommen konnte. Als die Lehrer in Los Angeles im Januar in den Streik traten, verzögerten die Gewerkschaften Streiks in Oakland (Denver) und dem Bundesstaat Virginia. Falls diese Streiks tatsächlich stattfinden, wird man sie ebenfalls zeitlich versetzt und voneinander getrennt organisieren.

Noch unverfrorener ist der Umgang sämtlicher amerikanischer Gewerkschaften, vor allem der United Auto Workers (UAW), mit dem heldenhaften Kampf von 70.000 Autoarbeitern im mexikanischen Matamoros: Sie schweigen die Streiks, die sich unmittelbar jenseits der Grenze von Brownsville (Texas) ausbreiten, einfach tot. Die Arbeiter in Mexiko haben sich ihren Gewerkschaften widersetzt, und in den meisten Autoteilewerken haben sie mit ihren Streiks beträchtliche Lohnerhöhungen und Boni erkämpft. Damit inspirieren sie andere Arbeiter im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet, durch eigene Streiks ähnliche Erhöhungen zu erkämpfen.

Die UAW und die anderen amerikanischen Gewerkschaften, jedenfalls die millionenschweren Bürokraten, die sie anführen, haben allen Grund, jede Nachricht über den Kampf in Matamoros zu zensieren. Die Arbeiter dort haben gegen die Gewerkschaften rebelliert, sie als Handlanger der Konzerne bezeichnet und Streikkomitees aus den Belegschaften gewählt, die den Kampf anführen. Sie haben sich nicht einschüchtern lassen, als die lokalen und nationalen Behörden drohten, ihren Kampf mit Polizeigewalt zu unterdrücken.

Für die Gewerkschaftsfunktionäre wäre es der schlimmste Albtraum, wenn sich amerikanische Arbeiter den Kampf ihrer mexikanischen Kollegen zum Beispiel nehmen würden. Das gilt besonders für die UAW und ihr kanadisches Äquivalent Unifor. Sie haben anti-mexikanischen Chauvinismus zur zentralen Achse ihrer Politik gemacht. Für die drohenden Schließungen in Detroit, Lordstown (Ohio) und Oshawa (Ontario) machen sie die Arbeiter südlich des Rio Grande verantwortlich.

Am vergangenen Samstag organisierten das Leitungskomitee des Bündnisses der Aktionskomitees und der Autoworker Newsletter der WSWS eine Demonstration vor der Firmenzentrale von General Motors in Detroit, um gegen die Werksschließungen und Entlassungen zu kämpfen und die grundlegende Einheit der Kämpfe der Arbeiterklassen in den USA, Kanada, Mexiko und der ganzen Welt zu bekräftigen.

Wir rufen alle Arbeiter auf, Aktionskomitees unabhängig von den Gewerkschaften zu gründen und eine Massenbewegung der Arbeiterklasse zur Verteidigung von Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms aufzubauen.

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