Laut der Sunday Times bereitet sich die konservative britische Regierung aufgrund der zunehmenden Krise wegen Großbritanniens Austritt aus der Europäischen Union (EU) auf eine mögliche Verhängung des Kriegsrechts vor. Wie der Daily Mirror berichtete, rechnet die EU mit Straßenschlachten und jahrzehntelanger politischer Instabilität.
Der Bericht der Sunday Times basiert auf Informationen, die aus dem Cabinet Office an die Öffentlichkeit gelangt sind. Die Spitzenbeamten in Whitehall haben „den Ausnahmezustand und sogar die Einführung des Kriegsrechts im Falle von Unruhen nach einem harten Brexit [d.h ein EU-Austritt ohne Handelsabkommen] durchgespielt“.
Der stellvertretende Direktor des Sekretariats für zivile Krisensituationen, Robert MacFarlane, nimmt demnach an Diskussionen darüber teil, wie Sonderbefugnisse eingesetzt werden können, um „auf nationale Ausnahmezustände wie Kriegshandlungen und Terrorismus zu reagieren“. Diese sind Teil der Operation Yellowhammer, der Notfallplanung für den Fall eines harten Brexit.
Spitzenbeamte würden die umfassenden Befugnisse benutzen, die die Labour-Regierung von Tony Blar im Jahr 2004 mit dem Civil Contingencies Act eingeführt hatte.
Die Zeitung schrieb: „Zu den Maßnahmen, die den Ministern nach diesem Gesetz zur Verfügung stehen, gehören Ausgangssperren, Reiseverbote, Beschlagnahmungen von Eigentum und als besonders drastischer Schritt der Einsatz der Streitkräfte zur Niederschlagung von Unruhen. Sie können zudem alle Gesetze außer dem Human Rights Act für maximal 21 Tage ändern.“
Die Blair-Regierung hatte den Civil Contingencies Act unter dem Vorwand verabschiedet, dass sich die bisherigen Notstandsgesetze in Fällen wie den schweren Überschwemmungen im Jahr 2000 oder dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche im Jahr 2001 sowie für den „Krieg gegen den Terror“ nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA als unzureichend erwiesen hätten.
Das Gesetz hat der Regierung außergewöhnliche Vollmachten verliehen. Sie kann ohne Abstimmung im Parlament den Ausnahmezustand verhängen, die Minister können unter dem königlichen Hoheitsrecht nahezu unbegrenzte „Notstandsverordnungen“ erlassen. Dazu gehören die Befugnis, „Anweisungen oder Befehle“ zur Zerstörung von Eigentum zu geben, das Verbot von Versammlungen, die Stilllegung elektronischer Kommunikation, Reiseverbote und das Verbot von „bestimmten anderen Aktivitäten“ zu verhängen.
Der Verteidigungsrat aus Ministern, hohen Beamten und Militärführern kann ohne vorherige Debatte oder Erlaubnis des Parlaments die Streitkräfte einsetzen. Er kann Notfallverordnungen verabschieden, um „die Aktivitäten der Regierung Ihrer Majestät zu schützen oder wiederherzustellen“. Damit werden dem Verteidigungsrat faktisch absolute Machtbefugnisse eingeräumt, einschließlich „aller Vorkehrungen, die der Verantwortliche für die Verordnungen für angebracht hält“, um Menschenleben, Gesundheit und Sicherheit zu schützen.
Ein Informant erklärte gegenüber der Sunday Times: „Das zentrale Thema in allen Planungen für einen harten Brexit ist ziviler Ungehorsam und die Angst, dass es im Falle von Versorgungsengpässen bei Nahrung und Medikamenten zu Todesopfern kommt.“
Als Reaktion auf die Behauptungen, die Vorbereitungen für einen harten Brexit würden sich an den Auswirkungen der Aschewolken nach dem Vulkanausbruch auf Island im Jahr 2010 orientieren, erklärte ein anderer Informant der Zeitung: „Es gibt nichts, was mit dem Ausmaß des Chaos vergleichbar ist, das im Falle eines harten Brexit droht. Es wäre tausendmal schlimmer als die Krise wegen der Aschewolken, aber das ist das am ehesten vergleichbare Beispiel in der modernen britischen Geschichte.“
„Das einzige andere vergleichbare Szenario wäre so etwas wie ein großer Krieg zwischen den europäischen Staaten.“
Gesundheitsminister Matt Hancock versuchte in der BBC-Sendung The Andrew Marr Show, die Bedenken herunterzuspielen. Er erklärte, es gebe keinen „spezifischen“ Plan für die Verhängung des Kriegsrechts und fügte hinzu: „Natürlich prüft die Regierung immer alle Optionen unter allen Umständen. Es ist weiterhin Teil unserer Planungen, aber es steht nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit.“
Die Brexit-Fraktion der Tories und Labour-Chef Jeremy Corbyn haben derartige Berichte über einen geplanten Militäreinsatz bisher als Unsinn und Teil eines „Angstprojekts“ abgetan, mit dem Premierministerin Theresa May die Zustimmung für den geplanten Deal mit der EU erreichen will, der am Dienstag im Parlament debattiert wurde.
Daher ist es von Bedeutung, dass die Details eines EU-Berichts über die Krise nach dem Brexit, die dem Daily Mirror zugespielt wurden, einen harten Brexit nicht ausschließen. Die europäischen Sicherheits- und Geheimdienste gehen davon aus, dass in Großbritannien das politische Chaos ausbrechen wird, egal was in den nächsten Monaten passieren wird.
Der Mirror zitiert nicht direkt aus dem EU-Geheimbericht, sondern macht nur Andeutungen. Die Zeitung schreibt, EU-Vertreter „haben angeblich davor gewarnt, dass innere Unruhen und Aufstände fast unausweichlich sind, unabhängig vom Ergebnis der derzeitigen politischen Pattsituation“.
Eine Quelle aus der EU erklärt: „Momentan kursiert an der Spitze der EU eine Analyse der Bedrohungslage in Großbritannien, während wir die Politik für die kommenden Jahre formulieren. Laut dieser Einschätzung ist Gewalt nahezu unvermeidbar, egal wie sich die Lage entwickelt.“
„Sie sind besorgt, dass der rechte Flügel loslegen wird, wenn der derzeitige Deal angenommen wird. Wenn es keinen Deal gibt, werden alle protestieren und aufdrehen. Wenn es ein zweites Referendum gibt, werden die Rechten toben. Dass die Rechten aktiv werden, ruft die meisten Bedenken hervor. Es ist offensichtlich, warum diese Analyse totgeschwiegen wird.“
Der Sunday Telegraph, der den Brexit unterstützt, bestätigte die Behauptung, dass eine verstärkte staatliche Unterdrückung auf jeden Fall erwogen wird. Er berichtete, dass die Wahlkommission sich vor einem zweiten Brexit-Referendum neue „Strafverfolgungsvollmachten“ verleihen will. Die Zeitung behauptet, die neuen Vollmachten würden bedeuten, dass die Kommission gegen Parteien und Wahlkampfgruppen direkt Anklage erheben kann.
Die EU sagt außerdem das mögliche Auseinanderbrechen Großbritanniens voraus. In Schottland und Nordirland könnten innerhalb von 18 Monaten nach dem Brexit Unabhängigkeitsreferenden stattfinden.
Der irische Premierminister Leo Varadkar sprach letzte Woche beim Weltwirtschaftsforum in Davos eine ähnliche Warnung aus. Er erklärte, im Falle eines harten Brexit würden möglicherweise Soldaten an der Grenze zu Nordirland stationiert werden. Gegenüber Bloomberg erklärte er, die Rückkehr zu einer harten Grenze könnte „zum Einsatz von uniformiertem Personal führen, möglicherweise auch zum Einsatz von Kameras, physischer Infrastruktur, vielleicht der Präsenz von Polizei oder Militär, um sie zu unterstützen“.
Ein hoher britischer Regierungsbeamter erklärte dem Mirror: „Wir erleben in ganz Europa zivilen Ungehorsam und ein Anwachsen der extremen Rechten. Alles, was den Status quo ändert, auch der Brexit, gibt diesen Leuten die Möglichkeit, Zwietracht zu schüren. Es könnte zu Protesten und Straftaten während öffentlicher Unruhen kommen.“
Alle diese Behauptungen, die „extreme Rechte“ wäre das Ziel geplanter Unterdrückungsmaßnahmen, müssen zurückgewiesen werden. Zweifellos wird das noch kleine faschistische Milieu in Großbritannien versuchen, soziale Unruhen auszunutzen und die Ablehnung gegenüber der EU in eine nationalistische und reaktionäre Richtung zu lenken, wie es zuvor bereits die Rassemblement National in Frankreich (früher Front National), die italienische Lega oder ähnliche größere Gruppen getan haben. Doch die Staatsmacht wird nicht gegen solche Tendenzen eingesetzt werden. Sie werden in ganz Europa hofiert oder sogar an der Regierung beteiligt. Stattdessen wird sie gegen die wahre Quelle sozialer Unzufriedenheit eingesetzt werden: die Arbeiterklasse.
Die französischen Gelbwesten werden von der Regierung von Emmanuel Macron regelmäßig als Rechtsextremisten verleumdet, weil sie das „Verbrechen“ begehen, gegen seine brutalen Austeritätsmaßnahmen zu protestieren. Doch auf den Straßen des Landes wurden Tausende von Arbeitern verhaftet, von der Bereitschaftspolizei misshandelt, verletzt oder getötet. In Großbritannien wäre es nicht anders.
Überall entwickelt sich die Krise der bürgerlichen Herrschaft, die unweigerlich zu einer scharfen Hinwendung zu Autoritarismus und staatlicher Unterdrückung führt. Beispiele dafür sind Donald Trumps Drohung, in den USA den Ausnahmezustand auszurufen, die 20.000 Todesopfer in Rodrigo Dutertes „Krieg gegen die Drogen“ auf den Philippinen oder Jair Bolsonaros Verherrlichung der brasilianischen Militärjunta.
So reagiert die herrschende Klasse auf das explosionsartige Anwachsen der sozialen Ungleichheit, das die Aufrechterhaltung der Demokratie unmöglich macht. Die einzige Antwort auf diese Gefahr ist die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die herrschende Elite und ihren Staatsapparat. In Großbritannien bedeutet dies, jedes Bündnis mit den Brexit-Befürwortern und -Gegnern in der Kapitalistenklasse zurückzuweisen und mit den Arbeitern auf dem ganzen Kontinent, die allesamt mit demselben sozialen Ruin und derselben politischen Unterdrückung konfrontiert sind, einen gemeinsamen Kampf für ein sozialistisches Europa zu organisieren.