Die französische Regierung von Präsident Emmanuel Macron hat letzte Woche durch eine Reihe von Schritten die Polizeistaatsmaßnahmen verschärft, um die Proteste der „Gelbwesten“ gegen soziale Ungleichheit zu unterdrücken.
Am Dienstag, dem 8. Januar wurde der 28-jährige Demonstrant Hedi Martin von einem Strafgericht im südfranzösischen Narbonne zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Sein einziges „Verbrechen“ war es, dass er am 2. Januar in einem Facebook-Post zu einer „Gelbwesten“-Blockade der Ölraffinerie bei Port-la-Nouvelle aufgerufen hatte. In den frühen Morgenstunden des 3. Januar, kurz nachdem er den Post veröffentlicht hatte, wurde er von der Polizei verhaftet.
Die Aussagen der Staatsanwältin und des Richters bei Martins Verhandlung machen deutlich, dass das Urteil darauf abzielt, andere von Aufrufen zu Protesten abzuschrecken. Richter Philippe Romanello warf ihm vor, er sei für seine Facebook Live-Videos „berüchtigt“, in denen er bei regionalen Gelbwesten-Protesten auf Kreisverkehren steht. Martin hat nach eigenen Angaben seine befristete Arbeit in einer Schokoladenfabrik gekündigt und „verbringt zwischen vier und sieben Stunden täglich“ auf Demonstrationen.
Romanello zitierte aus Martins Facebook-Posts und erklärte: „Diese Nachricht [vom 2. Januar] vermittelt den Eindruck, Sie säßen an der Informationsquelle“. Martin hatte in seinem Post dazu aufgerufen, der Bereitschaftspolizei CRS „entgegenzustreten“, die Demonstranten brutal mit Blendgranaten, Beanbag-Geschossen, Tränengas und Knüppeln angriffen. „Was meinten Sie damit?“, fragte Romanello. „Sie können verstehen, dass die Nachricht mehrdeutig ist.“
Die Staatsanwältin Marie-Agnés Joly hatte eine noch härtere Strafe von zwei Jahren Haft sowie ein Verbot der Teilnahme an Protesten an öffentlichen Plätzen für drei Jahre gefordert. Allerdings gab sie zu, dass Martin keine Gewalttaten begangen hat: „Es geht nicht darum, ihm die Schuld an einer Tat zu geben (Gewalt oder Beschädigung von öffentlichem Eigentum), sondern wegen Teilnahme an einer gewalttätigen Bewegung.“
Solche Argumente missachten auf eklatante Weise das von der Verfassung garantierte Recht auf Streik und Protest. Sie gehören nicht in das juristische Arsenal einer demokratischen Republik, sondern in das eines faschistischen Polizeistaates. Folgt man dieser Logik, könnten zehntausende Teilnehmer der Gelbwesten-Protesten ins Gefängnis gesteckt werden.
Nach einem verübergehenden Rückgang der Teilnehmerzahlen während der Weihnachtsfeiertage bis Neujahr ist die Bewegung der Gelbwesten in den letzten zwei Wochen angewachsen. Laut den Zahlen der Regierung, die allgemein als zu gering gelten, haben sich letzten Samstag 80.000 Menschen an Protesten beteiligt, am vorherigen Samstag 50.000. Darauf reagiert die Regierung mit einer Verschärfung des Vorgehens der Polizei.
In den sozialen Netzwerken sind diese Woche Bilder von Bereitschaftspolizisten aufgetaucht, die letzten Samstagnachmittag am Arc de Triomphe in Paris stationiert waren. Sie trugen halbautomatische Sturmgewehre vom Typ Heckler & Koch G36 mit scharfer Munition.
Vor Ort berichteten Demonstranten, es habe sich dabei nicht um Angehörige einer spezialisierten Einheit mit besonderer Bewaffnung gehandelt, sondern um Bereitschaftspolizisten. Ein Sprecher der französischen Polizei bestätigte gegenüber der Daily Mail, dass die Beamten mit den Feuerwaffen ausgerüstet waren, wollte aber aus „Sicherheitsgründen“ nicht weiter erläutern, wie sie eingesetzt werden.
Letzte Woche forderte Luc Ferry, der ehemalige Bildungsminister des konservativen Präsidenten Jacques Chirac von 2002 bis 2004, jedoch den Einsatz von scharfer Munition gegen Gelbwesten-Demonstranten. In einem Interview mit der Sendung „Esprits Libres“ auf Radio Classique erklärte er am 7. Januar: „Ich verstehe nicht, warum man der Polizei nicht die Mittel gibt, dieser Gewalt ein Ende zu bereiten.“
Auf die Frage, ob das den Einsatz scharfer Munition erfordern würde, antwortete er: „Ja, und? Ehrlich gesagt, wenn diese Typen auf einen armen Polizisten einprügeln, der schon am Boden liegt, dann sollten sie an diesem Punkt ihre Waffen einsetzen, ein für allemal! Es reicht.“
Ferry forderte den Einsatz des Militärs und erklärte: „Wir haben die viertgrößte Armee der Welt, und sie ist in der Lage, mit diesen [Schimpfwort] aufzuräumen. ... Diese Art von Schlägern, von rechts- und linksextremen [Schimpfwort] und aus den Sozialwohnungen, die kommen, um sich mit der Polizei zu schlagen, das reicht.“
Die Arbeiterklasse in Frankreich und der Welt muss gewarnt werden: Widerstand gegen die geplante Unterdrückung, die jetzt von den höchsten Stellen des kapitalistischen Staates organisiert wird, ist eine Aufgabe von entscheidender Bedeutung.
Ferrys Angriffe auf die Gelbwesten sind nicht einzelne Tiraden eines Verrückten. In ganz Europa reagiert die Bourgeoisie mit Erschütterung und Angst auf die massive Mobilisierung der Arbeiter und Jugendlichen gegen die immer weiter steigende soziale Ungleichheit und die Politik von Macron und seinen Vorgängern: Steuersenkungen für die Reichen, höhere Militärausgaben und ein brutaler Austeritätskurs für die Arbeiterklasse. Da die herrschende Klasse nicht in der Lage ist, eine andere Politik zu entwickeln, um in der schwersten Krise des Weltkapitalismus' seit den 1930ern ihren Reichtum zu schützen, diskutiert sie öffentlich darüber, auf massive Unterdrückung zurückzugreifen.
Dass die Polizei bei Demonstrationen mit halbautomatischen Waffen ausgerüstet wird, zeigt, dass eine entsprechende Reaktion vorbereitet wird. Es wird immer klarer, dass Macrons Sympathiebekundungen für den faschistischen Diktator und Nazi-Kollaborateur Philippe Pétain im letzten November keine historischen Kommentare waren, sondern ein eindeutiger Ausdruck des Klassencharakters seiner Regierung.
Alle imperialistischen Mächte in Europa haben sich mit dem ägyptischen General und Schlächter von Kairo Abdel Fattah al-Sisi solidarisiert, der seit 2013 die revolutionären Proteste in Folge der Revolution von 2011 im Blut ertränkt hat. Die World Socialist Web Site erklärte damals, die Bereitschaft der europäischen Mächte zur Unterstützung des Diktators beweise ihre eigene Bereitschaft, die gleichen Methoden gegen Arbeiter in ihren Ländern einzusetzen.
Das Aufleben des Klassenkampfes hat eine politische Krise ausgelöst, die den wahren Charakter der kapitalistischen „Demokratie“ entlarvt. Der junge Arbeiter Hedi Martin muss sechs Monate ins Gefängnis, weil er auf Facebook dazu aufgerufen hat, der Bereitschaftspolizei „entgegenzutreten“, während ein ehemaliger Minister im staatlichen Radio auftritt und dort faschistische Hetzreden hält und zum Massaker an Demonstranten aufruft.
Gleichzeitig liegt der freiwillige Feuerwehrmann und dreifache Vater Olivier B. aus Bordeaux weiterhin im künstlichen Koma im Krankenhaus, nachdem er am vergangenen Samstag von Polizisten mit einer Blendgranate beworfen und mit einem Beanbag-Geschoss beschossen wurde, das ihn am Kopf traf. Laut den Ärzten ist sein Zustand stabil, aber er hat eine Hirnblutung erlitten und wurde bereits operiert.
Der Vorfall wurde nur bekannt, weil ein Passant ein Video in den sozialen Medien verbreitet hatte, das Olivier mit dem Gesicht nach unten am Boden liegend zeigt, nachdem eine Gruppe von Polizisten auf ihn geschossen hatte. Viele weitere Demonstranten haben Verletzungen an Händen oder Beinen erlitten, Augen verloren oder bleibende Schäden durch Beanbag-Geschosse erlitten.
Am Dienstagabend traf Präsident Macron in der Kleinstadt Grand-Bourgtherolde in der Normandie ein, um seine verlogene „nationale Debatte“ zu beginnen. Sein Ziel ist es, den Widerstand der Bevölkerung mit leeren Versprechen über einen „Dialog“ zu beschwichtigen. Da mit Protesten gerechnet wurde, sperrte die Bereitschaftspolizei Teile der Stadt ab und erhielt die Vollmacht, allen Personen in dem Gebiet das Tragen von gelben Westen zu verbieten. Für Zuwiderhandlungen wurde eine Geldstrafe von 135 Euro festgelegt.
Ein lokaler Reporter veröffentlichte auf Twitter ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie Polizisten die Ausweise von Demonstranten fotografieren. Er zitierte einen Demonstranten, laut dem die Polizei eine Datenbank von politischen Gegnern anlege.