US-Atomstreitkräfte „bereit, etwas Großes abzuwerfen“

Das US Strategic Command, das für das Atomarsenal der USA zuständig ist, erklärte an Silvester per Twitter seine Bereitschaft, etwas abzuwerfen, das „viel, viel größer“ sei als der „große Ball“ auf dem New Yorker Times Square.

Mit dem Tweet (der auf den Silvesterbrauch mit dem abgesenkten leuchtender Ball anspielt) besagte das Strategic Command nicht nur, dass das US-Militär in der Lage sei, zum dritten Mal Menschen mit Atomwaffen umzubringen: Es drückte gleichzeitig aus, dass das Militär sich geradezu darauf freue.

Nur wenige Stunden später wurde der Tweet gelöscht und durch die folgende Nachricht ersetzt: „Unser früherer Neujahrs-Tweet war geschmacklos und kein Ausdruck unserer Werte. Wir entschuldigen uns. Die Sicherheit Amerikas und seiner Verbündeten ist uns wichtig.“

In dem ursprünglichen Post hieß es: „Auf dem #TimesSquare wird das #Neujahr traditionell mit dem Absenken des großen Balls eingeläutet ... Sollte es je nötig sein, sind wir #bereit, etwas noch viel, viel Größeres abzuwerfen.“

Sonderbarerweise bezeichnete die Washington Post diesen Tweet, der mit der Ermordung von Millionen Menschen drohte, als „Witz über das Abwerfen von Bomben“.

An diesem Tweet ist aber nichts „witzig“. Tatsächlich entspricht er der amerikanischen Militärdoktrin und dem Tonfall, mit dem die Kommandanten ständig versichern, das Militär sei bereit, „schon heute Abend in den Krieg zu ziehen“ (auf Englisch: to „fight tonight“).

Im Gegensatz zu anderen Atommächten wie China oder Indien behalten sich die USA das Recht auf einen atomaren Erstschlag vor. Das bedeutet, würde US-Präsident Donald Trump aus einer seiner berüchtigten Launen heraus anordnen, „etwas abzuwerfen“, dann würde ihn keine interne Regel daran hindern.

Das gilt nicht nur für den Präsidenten. In einem neuen Buch enthüllt der ehemalige US-Militärforscher und Atomplaner Daniel Ellsberg, der 1971 die Pentagon Papers an die New York Times weitergegeben hatte, dass jahrzehntelang eine unbekannte Anzahl von Militärkommandanten, die weit unter dem Präsidenten standen, ebenfalls die Befugnis hatten, einen Atomangriff anzuordnen. Ellsberg schildert überzeugend, dass dies auch heute noch der Fall sei.

Ellsberg argumentiert in seinem Buch, Stanley Kubricks Film „Dr. Seltsam“ von 1964 sei tatsächlich eine „Dokumentation“ der immensen Gefahr, dass ein bewusst oder „versehentlich“ ausgelöster Atomkrieg die Menschheit zerstören könnte. In diesem Film („Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“) ordnet ein verrückter Kommandant eines Luftwaffenstützpunkts einen Atomschlag an und setzt damit die Zerstörung der Welt in Gang.

Abgesehen von Kurzmeldungen in der New York Times und der Washington Post haben die Medien den Vorfall weitgehend ignoriert. Sie schrieben nur kurz über den Tweet, dessen Rücknahme und den netten Kommentar des Pentagons, der Bomber in dem dazugehörigen Video werfe nicht-atomare Munition ab. Weiter brachten sie keinerlei Kommentare. Auch die Pressemitteilungen im Weißen Haus oder an anderer Stelle gingen nicht darauf ein.

Jeder ernsthafte Reporter würde auf einer Pressekonferenz des Pentagon mindestens die folgenden Fragen stellen:

• Wurde ein offizielles Disziplinarverfahren gegen den Autor des Tweets eingeleitet?

• Hat der Autor des Tweets gegen Befehle oder Protokolle verstoßen? Handelt es sich um Befehlsverweigerung?

• Wenn ja, könnte dies auf ein tieferliegendes Disziplinproblem in der Militärführung der Atomstreitkräfte hindeuten?

Natürlich wurden diese Fragen nicht gestellt. Stattdessen bemühten sich die Medien, den Vorfall so schnell wie möglich unter den Teppich zu kehren.

Damit gehen die Medien genauso vor wie letzten Januar, als etwa 1,5 Millionen Menschen auf Hawaii ohne jede Erklärung eine SMS mit dem Text erhielten: „Raketenangriff auf Hawaii steht bevor. Begeben Sie sich sofort in einen Schutzraum. Das ist keine Übung.“

Auch damals gingen die Medien einfach zur Tagesordnung über, und das Ereignis wurde weder in den Medienkolumnen, noch in juristischen Ermittlungen weiter unter die Lupe genommen.

Das Strategic Command hat diese Drohung in einer Situation veröffentlicht, in der die USA gerade ihre Atomarsenale für 1,3 Billionen Dollar modernisieren und ausweiten.

Ein besonderes Gewicht wird dabei auf die Entwicklung von kleineren Atomwaffen gelegt, von denen es wahrscheinlicher ist, dass sie im Kampf eingesetzt werden. Vor kurzem veröffentlichte das Weiße Haus eine Nuclear Posture Review, in der es die Bedingungen erweiterte, unter denen die USA Atomwaffen einsetzen könnten. Auch wurde betont, dass die USA sich ausdrücklich das Recht auf den Erstschlag vorbehalten.

Die Nuclear Posture Review gehört selbst in den Rahmen des „Großmächtekonflikts“, der im Dezember 2017 als Teil der Nationalen Sicherheitsstrategie bezeichnet wurde. Damals wurde der „Krieg gegen den Terror“ ausdrücklich durch den Konflikt mit den Atommächten Russland und China ersetzt, auf den seither das Hauptaugenmerk des US-Militärs gerichtet ist.

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