Am Samstag demonstrierten in Frankreich Zehntausende „Gelbwesten“, während gleichzeitig die Streikwelle in den Nachbarstaaten Spanien und Portugal weiter anwuchs. Auch dort trugen Demonstranten gelbe Warnwesten. Tausende Menschen brachten bei Protesten in Frankreichs wichtigsten Städten oder bei Blockaden von Autobahnkreuzungen und an den Grenzen zu Spanien, Italien und Deutschland ihren Widerstand gegen Macron und die Europäische Union (EU) zum Ausdruck.
Laut dem Innenministerium nahmen in Paris 2.000 Gelbwesten an Demonstrationen teil. Sie ließen die Polizei zuerst in dem Glauben, sie würden auf Versailles zumarschieren, verteilten sich dann aber zwischen den Champs-Élysées und Montmartre. Die Behörden hatten den Versailler Palast vorsorglich abgeriegelt und dort Wasserwerfer stationiert. In den Provinzen demonstrierten laut offiziellen Zahlen Tausende in Bordeaux, Toulouse und Lille, sowie Hunderte in Nantes, Marseille und Lyon.
Die Sicherheitskräfte reagierten wie immer mit Gewalt und Unterdrückung. In Paris wurde der Lastwagenfahrer Eric Drouet verhaftet, einer der ersten Facebook-Organisatoren der „Gelbwesten“-Proteste, weil er angeblich „eine Art Schlagstock“ hatte. In einem Video, das online weit verbreitet wurde, ist zu sehen, wie ein Polizist seine Pistole auf Demonstranten richtet, auf die er bereits ohne Anlass Blendgranaten geworfen hat.
Die erneute Mobiliserung war eine Reaktion auf die Äußerungen von Innenminister Christophe Castaner, der letzte Woche erklärt hatte, es sei „genug“ mit den Protesten der Gelbwesten, und die Polizei angewiesen hatte, die Autobahnblockaden aufzulösen. Doch obwohl die Proteste schon seit einem Monat andauern und die Demonstranten die ganze Zeit über gewaltsam von der Polizei unterdrückt wurden, ist die Bewegung weiterhin äußerst populär. 70 Prozent der französischen Bevölkerung unterstützen sie; laut Umfragen wollen zwischen 54 und 62 Prozent, dass die Proteste weitergehen.
Laut Angaben des Innenministeriums nahmen am Samstag nur 40.000 Menschen an den Protesten teil und damit deutlich weniger als die 125.000, die sich an den ersten Protesten am 17. November beteiligt hatten. Die französischen Medien nahmen dies zum Anlass, das baldige Ende der Bewegung und die Rückkehr zur Ordnung vorherzusagen.
Es ist noch unklar, ob die sinkenden Teilnehmerzahlen nur eine Manipulation des Innenministeriums darstellen, ob die Demonstranten über die Weihnachtsfeiertage eine Pause einlegen oder ob es sich tatsächlich um eine längerfristige Abkehr von den Blockaden und Protestmärschen der „Gelbwesten“ handelt. Klar ist jedoch, dass in der Arbeiterklasse der politische Widerstand und die soziale Wut auf die Macron-Regierung und den französischen Staatsapparat weiter anwachsen.
Die politische Lage wird immer explosiver. Die Regierung hat keine einzige der grundlegenden Forderungen erfüllt, an denen sich die Proteste der Gelbwesten entzündeten: soziale Gleichheit, umfassende Lohnerhöhungen, Steuererhöhungen für die Reichen, Macrons Rücktritt und ein Ende der Polizeigewalt. Mittlerweile wird auch jedem klar, wie tief die Klassenkluft zwischen den Arbeitern und der Gewerkschaftsbürokratie sowie den offiziellen „linken“ Parteien ist, die auf die Proteste mit Überraschung und Schrecken reagierten.
Macron – der die Arbeiter, die seine Politik ablehnen, als „faul“ bezeichnet und einem Arbeitslosen verächtlich empfiehlt, „über die Straße zu gehen“, um einen Job zu finden – kann sich nur noch an der Macht halten, indem er sich hinter den Panzerfahrzeugen und Tränengasgranaten der Militärpolizei versteckt. Ein Helikopterteam steht bereit, um ihn aus dem Elysée-Palast zu evakuieren, falls Demonstranten seine offizielle Residenz stürmen sollten. Außerdem ist ihm laut Le Monde jeder Ausgang aus dem Elysée-Palast verboten. Selbst Kinobesuche oder ein Gang zur Bäckerei gelten als „zu gefährlich“.
Angesichts der auf 20 Prozent gesunkenen Umfragewerte ergänzt Le Monde: „Der Elysée-Palast wird jetzt hinter verschlossenen Türen regiert“.
Es wird immer deutlicher, warum Macron im November den Diktator des Kollaborationsregime Philippe Pétain geehrt hat, nachdem ihn Passanten während seiner „Gedenkreise“ über die französischen Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs ausgebuht hatten. Macron erkennt in Pétain einen Staatschef, der genau wie er selbst Wut und Abscheu in der Bevölkerung hervorruft. Wenige Tage später, kurz vor den ersten „Gelbwesten“-Protesten, gab Macron öffentlich zu, dass er „es nicht geschafft hat, die französische Bevölkerung wieder mit ihren Eliten zu versöhnen“. Im Dezember soll er seinen politischen Beratern erklärt haben, dass er zum Ziel des „Hasses“ der französischen Bevölkerung geworden sei.
Die Erkenntnis, dass Macron verhasst ist, wird allerdings nichts an der Politik der herrschenden Elite ändern, sondern im Gegenteil dazu führen, dass sie noch gewaltsamer und repressiver vorgeht. Mit ihrem Widerstand gegen Macron haben die Demonstranten den Kampf gegen ein ganzes europäisches und internationales System aufgenommen, das den Arbeitern die Diktate der Banken und der Finanzaristokratie aufzwingt. Der einzige Ausweg im Kampf gegen die Austeritätspolitik des europäischen Kapitalismus ist es, die Arbeiter auf dem ganzen Kontinent für die Enteignung der Banken und die Übertragung der Macht an die Arbeiterklasse zu mobilisieren.
Gegen den Widerstand der überwältigenden Mehrheit der französischen Bevölkerung treibt die herrschende Klasse die Sparpolitik und den Militarismus weiter voran. Die Macron-Regierung plant drastische Kürzungen der Arbeitslosenversicherung, der Renten und der Löhne im öffentlichen Dienst. Pierre-Alexandre Anglade von Macrons Partei La Republique en Marche (LRM) erklärte unumwunden: „Wir wurden dafür gewählt, und das muss unser Kompass bleiben.“
Als Macron am Sonntag im zentralafrikanischen Tschad war, wo er über die neokoloniale Kriegsstrategie der Nato diskutierte, drohte er den Gelbwesten: „Es ist klar, dass wir darauf mit entschiedensten juristischen Maßnahmen reagieren werden. Jetzt müssen, Ordnung, Ruhe und Harmonie einkehren. Das braucht unser Land.“
Macron hat für das Jahr 2019 eine monatelange „Koordinierung“ politischer Maßnahmen mit den Demonstranten vorgeschlagen. Dieses Angebot ist genauso wertlos wie seine Versprechen, den Mindestlohn anzuheben oder auf die Erhöhung der Benzinsteuer zu verzichten. Macron hat nur Brosamen angeboten – und auch das in böser Absicht, denn es ist klar, dass er diese Zugeständnisse so schnell wie möglich zurücknehmen will.
Am Dienstag kündigte Premierminister Edouard Philippe an, er werde sämtliche Zugeständnisse Macrons an die Gelbwesten aussetzen, da sie zu teuer seien. Da eine Welle der Empörung in den sozialen Netzwerken losbrach, ruderte er einige Stunden später wieder zurück. Doch diese beiden Kehrtwenden im Lauf von nur wenigen Stunden zeigen nur, dass den Versprechen der Regierung keinerlei Vertrauen entgegengebracht werden darf.
Die Regierung fördert die sogenannten „freien Gelbwesten“ unter Führung von Jacline Mouraud, die einen Dialog mit Macron im Stil der „Sozialpartnerschaft“ zwischen den Gewerkschaftsbürokratien, Arbeitgeberverbänden und dem Staat aufbauen will. Ebenfalls gefördert wird Francis Lalanne, der eine „Gelbwesten“-Wahlliste für die Europawahl vorschlägt. Die Umfrageinstitute spekulieren bereits, ob Lalannes Liste den Einfluss von Macron und LRM im Europäischen Parlament erhöhen könnte.
Für die „Gelbwesten“ und die gesamte Arbeiterklasse gibt es nichts, worüber sie mit Macron oder der Europäischen Union verhandeln sollten. Der wachsende Klassenkampf in Europa und weltweit sowie die zunehmenden politischen Widersprüche in Frankreich selbst deuten eher auf eine rasche Entstehung und Eskalation einer politischen Konfrontation zwischen radikalisierten Arbeitern und dem reaktionären Macron-Regime hin.