Frankreich: Bereitschaftspolizei geht gegen Massenproteste in Paris vor

Als sich am Samstag in Frankreich erneut Hunderttausende an den Protesten der „gelben Westen“ gegen Präsident Emmanuel Macron beteiligten, ging die Bereitschaftspolizei mit brutaler Gewalt gegen eine Demonstration auf den Champs-Élysées in Paris vor. Laut Angaben des Innenministeriums nahmen 106.000 Menschen an 1.600 Protestveranstaltungen in ganz Frankreich teil, alleine auf den Champs-Élysées marschierten 8.000 Demonstranten.

Die Polizei hatte Proteste am östlichen Ende der Champs-Élysées nahe dem Präsidentenpalast untersagt. Als die Demonstranten die ersten Straßensperren erreichten, wurden sie von Polizeieinheiten mit Sturmgewehren erwartet. Sie setzten Wasserwerfer, Gummigeschosse und dicke Schwaden Tränengas ein und gingen mit Knüppeln auf die Demonstranten los. Danach marschierte die Polizei mehrfach die Allee hinauf, griff Demonstranten an, versuchte sie einzukesseln oder errichtete Barrieren aus Bodenplatten und Restaurantstühlen.

Die Demonstranten warfen daraufhin Pflastersteine und Feuerwerkskörper. Die Zusammenstöße gingen den restlichen Tag über weiter, Demonstranten skandierten „Macron, tritt zurück“ oder „Macron raus“ und sangen die französische Nationalhymne, die die Bürger zu den Waffen ruft. Insgesamt wurden 103 Menschen verhaftet, 101 befanden sich am Montag noch immer in der 48-stündigen Präventionshaft.

Die Behauptungen der Polizeipräfektur, „gewaltbereite ultrarechte und ultralinke Netzwerke“ hätten die Demonstrationen infiltriert, um sich gegenseitig oder die Sicherheitskräfte anzugreifen, sind nichts als Lügen. Die Polizei hat begonnen und war für den Großteil der Gewalt verantwortlich.

Der Auslöser für die Proteste der „gelben Westen“ war Macrons geplante Erhöhung der Mineralölsteuer, von der vor allem Vororte und ländliche Gebiete betroffen sind. Es handelt sich um eine heterogene Bewegung, in der Arbeiter, Lieferanten und Kleinunternehmer zusammen kommen. Sie bezeichnen sich als „unpolitisch“ und wollen eine „populäre“ Bewegung aufbauen. Ihr zunehmender Fokus auf den Widerstand gegen soziale Ungleichheit, Militarismus und gegen Macron findet Unterstützung in der Arbeiterklasse in Frankreich und weltweit.

Reporter der WSWS sprachen mit einer Gruppe von Arbeitern aus den Pariser Vororten auf der Demonstration. Sie verurteilten das Vorgehen der Polizei verurteilten. Eine Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst erklärte: „Dass die Regierung mit Gewalt reagiert, ist nicht gut. Heute morgen sind sie auf uns losgegangen. Ich bin Mutter, ich bin ein friedlicher Mensch. Sie haben Tränengas gegen uns eingesetzt. Wir kamen auf dem Platz an, dann kamen sie und gingen mit Knüppeln auf uns los. Wir hatten Tränengas in den Augen. Niemand hat irgendetwas beschädigt, dennoch haben sie ihre Wasserwerfer eingesetzt. Das hätte ich nicht erwartet, sie haben uns mit solcher Verachtung behandelt.“

Eine andere Arbeiterin sagte: „Das Geld regiert, Macron ist ein Banker. ... Er zerstört alles. Es hat schon früher angefangen, aber jetzt haben wir die Grenze erreicht. Ich arbeite in einem Krankenhaus und sehe, dass ständig Krankenhäuser geschlossen werden.“ Zu Macrons geplanten Rentenkürzungen sagte sie: „Eine Rente ist kein Privileg, sondern der Lohn lebenslanger Arbeit. Also müssen Rentner in Würde leben, und ich glaube nicht, dass sie das heute tun können. Das muss alles aufhören ... es gibt zu viel soziale Ungleichheit.“

Ein älterer Arbeiter sagte: „Es geht immer weiter und noch weiter zurück. Unsere Eltern haben für soziale Rechte gekämpft, wir verlieren alles, was sie für uns gewonnen haben. Ich arbeite für ein Unternehmen, in dem sie jetzt nur noch Leiharbeiter einstellen. Eine falsche Bewegung und man wird entlassen. Die Arbeiter werden nicht mehr respektiert, man behandelt uns wie Objekte. Es war immer klar, dass es eines Tages zur Explosion kommen wird, und jetzt geht es los.“

Weiter erklärte er: „Wir sollten den Ministern 1.200 Euro geben und sehen, ob sie davon einen Monat lang leben können. Unsere Kinder kämpfen, sie leben mit 30 noch bei den Eltern, weil sie keine Wohnungen finden. In den meisten Berufen bekommen Einsteiger nur den Mindestlohn. Gott sei Dank sind die Alten noch da, um ihnen zu helfen, alleine würden sie es nicht schaffen. Wir haben es gründlich satt.“

Didier, von Beruf Steinmetz, erklärte gegenüber der WSWS: „Macron muss zurücktreten und verschwinden. Wir haben ihn nicht gewählt, so einfach ist das. Wir wollen den Kerl nicht mehr, und er muss weg. Er ist für die Reichen da, nicht für die Arbeiterklasse. ... Ich wurde vor drei Monaten am Rücken operiert, ich hatte einen Herzinfarkt, weil ich mein ganzes Leben lang gearbeitet habe. Er sitzt bloß da und kassiert Geld, während wir kämpfen. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer; wir gehen zurück zu einer Zeit, in der wir alle Leibeigene waren.“

Didier verurteilte auch Macrons Pläne für eine europäische Armee: „Diese Kriege dienen keinem nützlichen Zweck, das tun sie nie. Genau wie der Vietnamkrieg oder der Algerienkrieg. Es sind dumme Kriege von Leuten, die glauben, sie wüssten alles und die immer dieselben Menschen in den Tod schicken: uns. Es ist immer dasselbe. Was hat der Erste Weltkrieg gebracht? Nichts.“

Der Ladenbesitzer Daniel erklärte: „Ich esse Nudeln, mehr Nudeln, und dann Kartoffeln. Ich habe es satt, immer Kartoffeln zu essen. ... Die Präsidenten zuvor haben schon viel Schaden angerichtet, aber er [Macron] ist schlimmer als die anderen. Die Bevölkerung ist auf der Straße, er wird uns zuhören müssen, sonst spuckt er wirklich auf uns, als wären wir Dreck. Ganz Frankreich wird explodieren, und er weiß es. … Ich bekomme monatlich nur 480 Euro Rente, also müssen sie aufhören, uns Dinge wegzunehmen.“

Die zahlreichen Forderungen sind ein Ausdruck der Sorgen der Menschen, die nicht zu den obersten zehn Prozent der Gesellschaft gehören. Die herrschenden Eliten in Frankreich und der Welt reagieren darauf mit Angst. Die Behauptung, es handele sich bei den Protesten nur um eine Steuerrevolte, die weniger Staat fordere, ist eine Lüge. Tatsächlich äußert sich in der Kritik an sozialer Ungleichheit und Krieg der Widerstand gegen die Politik der EU geprägt von Spardiktaten und Militarismus. Arbeiter in Europa und der Welt lehnen das ab.

Macrons scheinbar unbegründeter Angriff auf die Proteste in Paris ist eine Klassenfrage. Die Finanzaristokratie verteidigt ihren Reichtum und ihre Privilegien und steht dabei den Arbeitern bewusst feindselig gegenüber. In dem Bewusstsein, dass soziale Wut und politische Opposition kurz vor dem Ausbruch stehen, bereiten sie Krieg und Militarismus vor, einschließlich der Rückkehr zum allgemeinen Militärdienst in Frankreich, um die soziale Opposition zu unterdrücken. Die Forderungen der „gelben Westen“ haben revolutionäre Implikationen, eine politische Konfrontation zwischen der Arbeiterklasse und der Finanzaristokratie bahnt sich an.

Dies entlarvt die wirtschaftsfreundlichen Gewerkschaften und die Parteien des begüterten Kleinbürgertums, die mit ihnen verbündet sind. Diese Kräfte haben die Demonstration der „gelben Westen“ boykottiert. Stattdessen nahmen die stalinistische Kommunistische Partei Frankreichs (KPF), Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) und Mitglieder der pablistischen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) an einer kleinen Protestveranstaltung gegen Gender-Gewalt auf dem Opernplatz teil.

Alexis Corbière von Jean-Luc Mélenchons Partei Unbeugsames Frankreich, die mit der Syriza-Regierung in Griechenland verbündet ist, rief Macron zu „Neuwahlen“ auf und wiederholte Mélenchons Angebot vom letzten Jahr, Macron als Premierminister zu dienen. Das ist eine politische Sackgasse für Millionen von Arbeitern in ganz Frankreich, die Macron stürzen wollen.

Es wird immer klarer, dass sich die Forderungen der „gelben Westen“ in Frankreich und der Welt nur durch einen revolutionären Kampf und die Ergreifung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse durchsetzen lassen werden.

Die Teilnehmer an den Demonstrationen der „gelben Westen“ wurden von Gewerkschaftsfunktionären mehrfach als Neofaschisten attackiert. Dafür kritisierten die Teilnehmer die französischen Gewerkschaften, die zwar kaum Mitgliedsbeiträge erhalten, aber Milliarden Euro staatliche Subventionen bekommen. Daniel sagte dazu: „Die Gewerkschaften werden vom Staat bezahlt. Sie werden alle bezahlt, damit wir Dinge schlucken. ... Dann sagen sie ein paar Sachen, die die Öffentlichkeit hören soll, aber in Wirklichkeit werden sie möglichst wenig tun, um die Regierung nicht zu schwächen.“

Didier sagte: „Ich sage euch, was ich von den Gewerkschaften halte. ... Für mich sind sie eine absolute Nullnummer. Sie machen ihre Arbeit nicht. Während des Generalstreiks im Mai und Juni haben sie ihre Arbeit 1968 gemacht. Wenn sie damals sagten: ‚wir streiken‘, dann gab es einen Streik. Aber wenn heute eine Gewerkschaft zum Streik aufruft, sagen andere: ‚Nein Jungs, lasst uns daheim bleiben.‘“ Didier, dessen Verwandte in einem Nestlé-Werk in Beauvais arbeiten, welches geschlossen werden soll, fügte hinzu: „Ich habe diese Fabrik gesehen, es wurde gestreikt. Die Hälfte der Arbeiter hat gestreikt, die andere Hälfte hat weitergearbeitet. Das ist es, was die Gewerkschaften tun.“

Er fährt fort: „Die Gewerkschaften fressen aus dem selben Trog wie die Minister. Es ist ein Teilen und Herrschen. Sie bekommen gesagt, setzt euch hier hin, wir schützen euch, aber sorgt dafür, dass die Dinge unter Kontrolle bleiben. Wir wissen, wie das abläuft.“

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