Am 15. November wurde in den USA ein Gerichtsdokument bekannt, das darauf schließen lässt, dass beim US-Justizministerium eine Anklage gegen Julian Assange vorliegt und ein strafrechtliches Verfahren gegen ihn betrieben wird. Der Vorgang wird offenbar unter Verschluss gehalten.
Assange, Gründer und Herausgeber von WikiLeaks, hat 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London Asyl erhalten, doch die Regierung Ecuadors verweigert ihm mittlerweile jeden Kontakt zur Außenwelt. Es steht zu befürchten, dass sie ihm das Asyl entzieht. Wenn Assange die Botschaft verlassen müsste, würde er aufgrund eines britischen Haftbefehl sofort festgenommen und an die USA ausgeliefert.
Bei dem nun bekannt gewordenen Gerichtsdokument mit Datum vom 22. August handelt es sich um einen Antrag auf Geheimhaltung einer Strafanzeige. Obwohl das Dokument in keinerlei Zusammenhang zu Assange steht, wird darin in zwei Absätzen Assanges Name genannt. Die beantragte Geheimhaltung, heißt es da, sei notwendig, „weil... ansonsten der Umstand, dass eine Anklage gegen Assange vorliegt, nicht vertraulich bleiben kann“. Die Anklagepunkte müssten „so lange unter Verschluss bleiben, bis Assange im Zusammenhang mit der Strafanzeige verhaftet wird und sich somit in dieser Angelegenheit der Verhaftung und Auslieferung nicht mehr entziehen kann“.
Das US-Justizministerium erklärte, dass Assanges Name „irrtümlich“ in das Dokument gelangt sei. In den Medien wird kolportiert, Assanges Gerichtsakte habe als Vorlage gedient: Die fraglichen Absätze seien per Copy-Paste in das jetzt bekannt gewordene Gerichtsdokument übertragen worden, und dabei sei versäumt worden, den Namen auszutauschen.
Das Ministerium bestritt jedoch nicht, dass eine Anklage gegen Assange vorliegt und bislang unter Verschluss gehalten wird – ein Sachverhalt, der von der Washington Post unter Berufung auf ihre Quellen nachdrücklich bestätigt wird.
Unabhängig von den Umständen ihres Bekanntwerdens bestätigt das Vorliegen einer Anklage alle Befürchtungen, die Assange und seine rechtlichen und politischen Verteidiger geltend gemacht haben, nachdem im November 2010 die schwedische Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen ihn erließ – angeblich, um ihn wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe zu „befragen“.
Der Vorwurf sexueller Übergriffe war frei erfunden worden, nachdem WikiLeaks explosive Beweise für US-Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak sowie imperialistische Intrigen auf der ganzen Welt ans Tageslicht gebracht hatte.
Damit wurden zwei Ziele verfolgt. Erstens sollte Assange als Person verleumdet und die öffentliche Unterstützung für WikiLeaks untergraben werden. Zweitens sollte er gezwungen werden, in Schweden einzureisen. Von dort aus wäre er an die USA ausgeliefert und wegen Spionage vor Gericht gestellt worden.
Assange konnte einer langen Haftstrafe oder womöglich sogar der Todesstrafe nur entgehen, indem er in der ecuadorianischen Botschaft um politisches Asyl nachsuchte.
Das nun aufgetauchte Gerichtsdokument bestätigt diese Sachlage. Sie ist in Wirklichkeit offenkundig, seit die schwedische Staatsanwaltschaft im Mai 2017 ihr unbegründetes Verfahren gegen Assange einstellte, ohne jemals Anklage erhoben zu haben. Die einzige weitere „Straftat“, deren Assange beschuldigt wird, ergibt sich aus dem Vorwurf, dass er mit seinem Asylgesuch gegen die Kautionsbedingungen der britischen Justiz verstoßen habe. Seither lauern die US-Behörden darauf, das der Journalist in Großbritannien inhaftiert wird, damit er an die USA ausgeliefert werden kann.
Das Bekanntwerden der Anklage gegen Assange könnte darauf hindeuten, dass sich Ecuador nun bereiterklärt hat, ihn aus der Botschaft hinauszuwerfen.
Das Gerichtsdokument gibt keinen Aufschluss darüber, welcher Straftaten Assange im Einzelnen bezichtigt wird. Wahrscheinlich wird ihm neben Spionage im Zusammenhang mit den Leaks von 2010 auch staatsfeindliche Verschwörung zur Last gelegt.
Im Jahr 2016 veröffentlichte WikiLeaks E-Mails, aus denen hervorging, wie das Nationalkomitee der Demokratischen Partei zugunsten Hillary Clintons die Kampagne von Bernie Sanders hintertrieb. Außerdem bewiesen die Mails, dass Clinton schmutzige Beziehungen zu Wall-Street-Banken unterhielt.
Im Rahmen der hysterischen Kampagne, mit der Teile des US-Establishment Clintons Wahlniederlage auf eine „Einmischung“ Russlands schieben, stellt Sonderermittler Robert Mueller – ohne jeden glaubwürdigen Beweis – die Dinge so dar, als habe WikiLeaks Informationen vom russischen Geheimdienst erhalten und diese veröffentlicht, um Donald Trump zum Wahlsieg zu verhelfen.
In Wirklichkeit verglich Assange die Wahl zwischen Trump und Clinton bekanntermaßen mit der Wahl zwischen „Gonorrhoe und Syphilis“. Am Vorabend der Wahlen 2016 betonte Assange in einer Erklärung, dass WikiLeaks sich verpflichtet gefühlt habe, die ihm zugespielten E-Mails der Demokraten zu veröffentlichen, und dass deren Quelle keine Verbindungen zu Russland habe.
„Das Recht auf den Erhalt und die Weitergabe wahrer Informationen ist das Leitprinzip von WikiLeaks – einer Organisation, deren Mitarbeiter und Mission weit über meine Person hinausgehen. Unsere Organisation verteidigt das Recht der Öffentlichkeit auf Information“, schrieb Assange.
WikiLeaks, so weiter, „bleibt der Veröffentlichung von Informationen verpflichtet, die die Öffentlichkeit aufklären, auch wenn viele, insbesondere die Machthaber, es vorziehen würden, diese nicht zu sehen.... Sie müssen veröffentlicht und verurteilt werden.“
Die Verfolgung von Assange zielt nicht nur darauf ab, WikiLeaks an der Veröffentlichung wahrer Informationen zu hindern. Sie soll auch alle kritischen und unabhängigen Journalisten sowie potenzielle Whistleblower rund um die Welt einschüchtern.
Der Versuch, Assange zu kriminalisieren, ist die Speerspritze der weitreichenden Zensur und des Angriffs auf demokratische Grundrechte weltweit. Hinter dieser Vorbereitung diktatorischer Herrschaftsformen steht die Furcht der kapitalistischen Oligarchen und ihrer Regierungen, dass sich international eine Massenbewegung der Arbeiterklasse entwickelt, ausgelöst durch die zunehmende soziale Ungleichheit und die Kriegsgefahr, die sich aus den wirtschaftlichen und strategischen Interessengegensätze zwischen den Großmächten ergibt.
Die wahren Verbrecher verbergen sich unter dem Mantel der Ankläger, um eine Formulierung Trotzkis aus dem Jahr 1937 zu verwenden.
Allerdings konnten die US-Behörden sowohl unter Obama als auch unter Trump ihre Vendetta gegen Assange nur betreiben, weil sie Unterstützung von Medien und Regierungen weltweit erhielten.
Die etablierten Medien, insbesondere der Guardian und die New York Times, haben sich uneingeschränkt dem Ziel verschrieben, WikiLeaks zu zerschlagen und auch alle anderen unabhängigen Publikationen zu unterdrücken.
Mehrere aufeinanderfolgende Regierungen Australiens, sei es unter Labor oder den Konservativen, haben ihrem Staatsbürger Assange jegliche Unterstützung verweigert. Die Politik und Medien Australiens, einschließlich der Grünen, der „unabhängigen“ Abgeordneten und der Gewerkschaften, haben Assange samt und sonders den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Keiner von ihnen unterstützte die von der Socialist Equality Party organisierte Kundgebung am 17. Juni 2018, auf der der Filmemacher John Pilger die Regierung aufforderte, ihre rechtlichen und diplomatischen Möglichkeiten zu nutzen, um Assange das Recht auf Freiheit und auf Rückkehr nach Australien zu sichern.
In Großbritannien spielte der Vorsitzende der Labour Party, Jeremy Corbyn, eine besonders schäbige Rolle. Corbyn, der WikiLeaks einst in Worten unterstützte, verzichtete auf die Forderung, dass die Tory-Regierung die Kautionsvorwürfe gegen Assange fallen lässt und ihm garantiert, dass er nicht an die USA ausgeliefert wird, sondern nach freiem Ermessen sowohl die ecuadorianische Botschaft als auch das Vereinigte Königreich verlassen kann.
Die ecuadorianische Regierung unter ihrem derzeitigen Präsidenten Lenin Moreno greift Assange an, um sich bei Washington einzuschmeicheln. Im März dieses Jahres hat sie ihn von der Außenwelt abgeschnitten und weitere Maßnahmen ergriffen, um ihn zum Verlassen der Botschaft zu drängen.
Besonders auffällig ist, dass die pseudolinken Organisationen in den USA, Australien, Großbritannien und weltweit Assange nahezu ausnahmslos fallengelassen haben. Ausgehend von ihrer gender- und rassenbasierten Identitätspolitik und ihrer Unterstützung für die imperialistischen Intrigen in der Ukraine und Syrien – die Assange ablehnte und aufdeckte –schweigen sie entweder oder beteiligen an der Verleumdung des WikiLeaks-Herausgebers als „Vergewaltiger“ oder „Handlanger“ Russlands bzw. Trumps. Und dies, obwohl die US-Regierung unter Trump die Bemühungen, Assange zum Schweigen zu bringen, verstärkt hat.
Dies unterstreicht lediglich, dass die Verteidigung von Assange, WikiLeaks und demokratischen Rechten bedeutet, die internationale Arbeiterklasse gegen das politische Establishment und sein kapitalistisches System zu mobilisieren.
Es muss alles unternommen werden, um Arbeitern und Jugendlichen die immensen Implikationen der Verfolgung von Julian Assange zu verdeutlichen und klar zu machen, dass eine breit angelegte Kampagne für seine sofortige und bedingungslose Freiheit geführt werden muss.