Perspektive

Razzia bei „La France insoumise“ und weltweite staatliche Repression

Die grausigen Details von Folter und Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul haben weltweit Millionen Menschen schockiert.

Tonaufnahmen aus dem Konsulat bestätigen, dass ein Team saudischer Agenten den Journalisten schlug, folterte, tötete und zerstückelte. Er war ein Gegner des Kronprinzen Mohammed bin Salman. Die Details des Mordes sind grauenhaft. Es ist unklar, schrieb die New York Times, „ob Khashoggi schon tot war, als ihm die Finger ausgerissen und die Glieder abgetrennt wurden.“ Ein saudischer Forensiker half den Agenten dabei, die Leiche zu zerstückeln und zum Abtransport zu verstauen. Der Spezialist riet den anderen, „Musik dabei anzuhören“, um das grausige Handwerk entspannt zu Ende zu bringen.

Die Tatsache, dass die saudische Öl-Monarchie auf Mord zurückgreift, um einen politischen Gegner zu vernichten und andere zu terrorisieren, ruft international Wut und Abscheu hervor. Der Mord an Khashoggi ist aber nur ein besonders abartiger Ausdruck polizeistaatlicher Repression, womit die herrschenden Eliten die wachsende politische Opposition einschüchtern wollen.

Am frühen Dienstagmorgen, den 16. Oktober, überfielen Tausende Kilometer von Istanbul entfernt mehrere bis an die Zähne bewaffnete Polizisten das Appartement von Jean Luc Mélenchon, des Führers von „La France insoumise“ (Unbeugsames Frankreich – LFI), in Paris. Sie trugen kugelsichere Westen und waren mit Sturmgewehren bewaffnet. Fünfzehn weiter Überfallkommandos brachen gleichzeitig die Wohnungen anderer LFI-Führer auf und besetzten ihre Parteizentrale. Als Mélenchon in dort eintraf, war die Polizei damit beschäftigt, Material zu beschlagnahmen und die Daten von allen LFI-Computern herunterzuladen. Sie hinderte Mélenchon und andere LFI-Mitglieder widerrechtlich daran, die Parteizentrale zu betreten.

Als Mélenchon und andere Parlamentsabgeordnete der LFI darauf eine Tür gewaltsam öffneten, um sich Zugang zu ihren eigenen Räumen zu verschaffen, standen sie einer Polizeieinheit gegenüber. Während Mélenchon verlangte, dass die Polizisten die Parteibüros verlassen, rempelte einer der Polizisten ein LFI-Mitglied an.

Am nächsten Tag begann in den Medien eine orchestrierte Hetzkampagne gegen Mélenchon, dem seither vorgeworfen wird, er habe sich als „politischer Märtyrer“ inszeniert, wie sich Libération ausdrückte. Ein Gericht ermittelte gegen ihn wegen Behinderung der Justiz und Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Die WSWS verurteilt diesen Polizeiangriff vorbehaltlos. Der Angriff auf LFI soll jeglichen Widerstand gegen die Austeritäts- und Polizeistaatspolitik des französische Präsidenten Emmanuel Macron einschüchtern. LFI ist eine Partei mit hunderttausenden Sympathisanten, die bei der Präsidentschaftswahl im letzten Jahr mehrere Millionen Stimmen aus der Linken bekommen hat. Gleichzeitig wird Macron, dem es seit zwei Wochen nicht gelingt, genügend neue Minister für sein Kabinett zu benennen, allgemein als „Präsident der Reichen“ verachtet. Verschiedene Politiker haben sich schon geweigert, in sein Kabinett einzutreten, um ihre Karriere nicht zu kompromittieren.

Die WSWS hat grundlegende politische Differenzen mit Mélenchon, die sie ausführlich dargelegt hat. Aber er ist ein führender Politiker, der große Unterstützung genießt, und sein Recht, für seine Politik einzutreten und seine Parteizentrale zu schützen, muss bedingungslos verteidigt werden.

Die Entscheidung des Innenministerium, schwer bewaffnete Polizisten in Mélenchons Wohnung zu schicken, als wäre er ein terroristischer Attentäter, der der Staatsmacht hätte ein Feuergefecht liefern können, ist eine unmissverständliche Drohung gegen breite Bevölkerungsschichten in ganz Frankreich, Europa und darüber hinaus. Zehn Jahre nach dem Wall-Street-Crash von 2008 sind sich die herrschenden Eliten darüber bewusst, dass ihr grotesker Reichtum und ihre Spar- und Kriegspolitik allgemein auf Ablehnung stoßen. Schwache Regierungen treffen verzweifelte Entscheidungen. Sie sind bereit, alle polizeistaatlichen Vollmachten, die sie sich zu Zeiten des „Kriegs gegen den Terror“ angeeignet haben, rücksichtslos gegen die politische Opposition einzusetzen.

Wie das saudische Regime schlagen auch Macron und die Regierungen ganz Europas wild um sich, sobald sie sich dem entschlossenen Widerstand der Bevölkerung gegenübersehen. Vergangenes Jahr setzte die spanische Regierung gegen zehntausende Wähler beim katalanischen Unabhängigkeitsreferendum im Oktober 2017 tausende Polizisten in Katalonien ein. Madrid suspendierte die gewählte katalanische Regionalregierung und warf dann Dutzende katalanische Politiker ins Gefängnis, weil sie das Referendum organisiert oder zu friedlichen Protesten gegen die Unterdrückung aus Madrid aufgerufen hatten.

Nach der Polizeirazzia gegen Mélenchon gab auch Kanzlerin Angela Merkel kurz nach der anti-faschistischen „Unteilbar“-Demonstration in Berlin bekannt, dass sie die Überwachung oppositioneller Parteien verstärken werde. Sie drohte, sie werde „Richtlinien für Parteien erlassen, die aktiv Desinformationen in ihren Wahlkämpfen verbreiten“.

Zensur und staatliche Repression richten sich hauptsächlich gegen die wachsende antikapitalistische Opposition in der internationalen Arbeiterklasse. So zitiert die Washington Post einen Diplomaten mit den Worten, das saudische Regime wisse trotz seiner Mordkampagne ganz genau, „dass es ‚verloren‘ sei, wenn es ihm nicht gelinge, sinnvolle Arbeitsplätze für seine junge, hoch gebildete Bevölkerung zu schaffen und seine ausschließlich auf Öl basierende Wirtschaft aufzufächern“.

In den hochentwickelten kapitalistischen Staaten schreitet die Radikalisierung der Arbeiterklasse rapide voran. Angesichts von Massenarbeitslosigkeit und einem Jahrzehnt tiefgreifender Austerität seit dem Zusammenbruch von 2008 hat die Europäische Union letztes Jahr eine Umfrage veröffentlicht, laut der die meisten europäischen Jugendlichen unter 35 gerne an einem Massenaufstand gegen die bestehende Gesellschaftsordnung teilnehmen würden. In Amerika zeigen ähnliche Umfragen, dass junge Arbeiter Sozialismus und Kommunismus dem Kapitalismus vorziehen.

Die Razzien bei LFI müssen als Warnung verstanden werden: Die herrschende Elite, die zum Einsatz von derart scharfen Methoden gegen einen ehemaligen Minister und eine so bekannte Persönlichkeit wie Mélenchon bereit ist, dann werden sie gegen Arbeiter und Jugendliche noch viel rücksichtsloser vorgehen.

Deshalb stellt sich als wichtigste Aufgabe jetzt der Aufbau einer internationalen Bewegung in der Arbeiterklasse gegen Militarismus und Polizeistaatsunterdrückung. Die kapitalistische Oligarchie versucht, ihre Privilegien mit Zensur, Überwachung und polizeilicher Repression zu sichern. Die Arbeiterklasse kann die demokratischen Rechte nur verteidigen, indem sie den politischen Kampf für den Sozialismus aufnimmt.

Die Tatsache, dass sich heute die französischen Medienjournalisten, von denen sich viele früher als Sozialisten verstanden, unisono gegen Mélenchon wenden, muss als Warnung aufgefasst werden. Die Schichten des begüterten Kleinbürgertums, die seit 1968 aus der Studentenbewegung erwachsen und lange Zeit als die offizielle „Linke“ galten, sind weit nach rechts gerückt und stellen sich auf die Seite des Polizeistaats. Der Kampf zur Verteidigung demokratischer Rechte erfordert vor allem den Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von anderen Klassenkräften.

Die WSWS verteidigt Mélenchon zwar bedingungslos und unmissverständlich gegen Macrons Unterdrückung, behält aber ihre Kritik an seiner Politik bei. Diese hat eine nicht unerhebliche Rolle beim Aufbau des Polizeistaatsregimes gespielt. Seine Partei propagiert unablässig französischen Nationalismus und hat nach den Terroranschlägen von 2015 für den Ausnahmezustand gestimmt, unter dem demokratische Rechte ausgesetzt und die Befugnisse der Polizei deutlich ausgeweitet worden sind. Seine jüngste Ankündigung, gemeinsam mit den Rechten die Französische Republik gegen Macron zu verteidigen, hat die Polizeikräfte nur gestärkt, die ihm jetzt gefährlich werden.

Im Kampf gegen staatliche Repression müssen folgende grundlegenden Prinzipien beachtet werden:

  • Der Kampf gegen Polizeistaatsdiktatur muss sich auf die Arbeiterklasse stützen, die große revolutionäre Kraft in der Gesellschaft. Sie muss alle progressiven Elemente der Bevölkerung hinter sich vereinen.
  • Er muss antikapitalistisch und sozialistisch sein, da eine ernsthafte Verteidigung der Demokratie nicht möglich ist ohne einen Kampf zur Beendigung der Diktatur des Finanzkapitals und der Abschaffung des Wirtschaftssystems, das die Ursache von Militarismus und Polizeistaatsherrschaft bildet.
  • Deshalb muss er notwendigerweise vollständig von allen politischen Parteien und Organisationen der Kapitalistenklasse unabhängig sein und sich gegen sie wenden.
  • Vor allem muss der Kampf international geführt werden und die immense Kraft der Arbeiterklasse in einem gemeinsamen globalen Kampf gegen den Imperialismus mobilisieren.
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