Vergangenen März fand im US-Verteidigungsministerium eine Konferenz zum Thema „Souveränität im Informationszeitalter“ statt. US-Spezialeinheiten diskutierten mit Polizeibeamten, unter anderem aus New York, und führenden Vertretern der Social-Media-Unternehmen, zum Beispiel Microsoft.
Über diese Konferenz hochrangiger Militär-, Polizei- und Unternehmensvertreter ist bisher nicht öffentlich berichtet worden. Der Atlantikrat hat jedoch kürzlich ein 21-seitiges Dokument veröffentlicht, das die wesentlichen Punkte zusammenfasst. Der Autor ist John T. Watts, ein ehemaliger Offizier der australischen Armee und Berater des US-Verteidigungsministeriums und des Ministeriums für Heimatschutz.
Der Atlantic Council arbeitet in Zensurfragen eng mit den höchsten staatlichen Ebenen zusammen, vor allem wenn es darum geht, linke Ansichten aus den sozialen Medien zu verbannen. Als Facebook zum Beispiel letztes Jahr die Seite einer antifaschistischen Demonstration zum Jahrestag des neonazistischen Aufmarschs in Charlottesville vom Netz nahm, da folgte es im Wesentlichen einem Wink des Atlantic Council.
Watts geht zuversichtlich davon aus, dass keiner der vielen tausend Journalisten in Washington seinen Text hinterfragen oder gar darüber berichten werde. So erklärt er durchaus aus der Sicht des repressiven Staatsapparats und der Finanzoligarchie, warum Zensur notwendig sei.
Das zentrale Thema des Dokuments ist die „Souveränität“ oder die Fähigkeit des Staates, der Bevölkerung seinen Willen aufzuzwingen. Diese „Souveränität“, schreibt Watts, steht vor „größeren Herausforderungen als je zuvor“, da die wachsende politische Opposition gegen den Staat mit der Fähigkeit des Internets zusammenfalle, politisch abweichende Meinungen schnell zu verbreiten.
Watts zitiert als Präzedenzfall die Erfindung der Druckmaschine, die zum Sturz der feudalen Weltordnung beigetragen hat. Nach Einschätzung des Atlantikrates war dies jedoch eine überwiegend negative Entwicklung, sie habe „Jahrzehnte und wohl Jahrhunderte von Konflikten und Störungen“ eingeleitet und die „Souveränität“ absolutistischer Staaten untergraben. „Die Erfindung des Internets schafft ebenfalls Konflikte und Störungen“, schreibt Watts.
„Das Vertrauen in die westliche Gesellschaft“, warnt er, „befindet sich in einer Krise. Das Edelman Trust Barometer 2018 verfolgt diese Erosion und zeigt auf, dass das Vertrauen in die Regierung in den Vereinigten Staaten im letzten Jahr um 30 Prozent gesunken ist.“
Watts stellt fest, dass dieser Einbruch der staatlichen Loyalität nicht allein durch den Aufstieg der sozialen Medien erklärt werden könne. Dieser Prozess begann schon Anfang der 2000er Jahre, „am Anfang des Social Media-Zeitalters, aber noch bevor es zum Mainstream wurde“. Er verschweigt jedoch die Hauptgründe, die einen solchen Einbruch der öffentlichen Unterstützung für Regierungsinstitutionen bewirkten: die gestohlenen Wahlen von 2000, die Lügen der Bush-Administration über Massenvernichtungswaffen, die endlose Kriegstreiberei und die Auswirkungen der Finanzkrise von 2008.
Obwohl man „kaum argumentieren kann, dass der derzeitige Vertrauensverlust ausschließlich auf das Entstehen der sozialen Medien zurückzuführen ist“, schreibt Watts, könne es „keinen Zweifel daran geben, dass sie als kritischer Verstärker breiterer Trends fungierten“.
Er fährt fort: „Die Technologie hat die demokratische Fähigkeit auch kleinerer Gruppen und Individuen ausgeweitet, ein Narrativ trotz begrenzter Ressourcen praktisch unbegrenzt auszubreiten.“ Im Gegensatz dazu „standen der Öffentlichkeit in der Vergangenheit nur begrenzte Informationsquellen zur Verfügung, über die professionelle Türhüter wachten“.
Mit anderen Worten, der Aufstieg unzensierter sozialer Medien ermöglicht es kleinen Gruppen mit Ideen, die denen der breiten Bevölkerung entsprechen, das von Eigeninteresse diktierte politische Narrativ auf gleicher Augenhöhe herauszufordern, ohne dass die „professionellen Türhüter“ der regierungs- und wirtschaftsfreundlichen Mainstreammedien das verhindern können.
Wenn „die sozialen Medien radikale und extremistische Ansichten und falsche Vorstellungen verbreiten, dann können sie sogar die Ansichten von Menschen beeinflussen, die sonst keine Sympathie für solche Perspektiven hegen würden“, warnt Watts. „Wenn ein enger Freund oder Verwandter diese falschen Informationen weiterleitet, dann sind sie noch zusätzlich legitimiert. Sobald eine Person sie akzeptiert, sind sie nur noch schwerlich zu korrigieren.“
Anders ausgedrückt, müssen die Menschen vor den „falschen“ Vorstellungen ihrer Freunde und Verwandten geschützt werden, denn wenn diese einmal in der Welt sind, kann der Staat sie nur noch „schwerlich korrigieren“.
Doch wie soll das erreicht werden? Die Zunahme oppositioneller Meinungen könne nicht mit „Fakten“ oder mit der „Wahrheit“ bekämpft werden, denn „Fakten selbst reichen nicht aus, um Desinformation zu bekämpfen“. Die „Wahrheit“ ist „zu komplex, nicht so interessant und für den Einzelnen weniger bedeutsam“.
Auch das Wachstum politischer Opposition könne vorerst nicht einfach durch „Eliminierung“ (d.h. Tötung oder Inhaftierung) politischer Dissidenten gelöst werden, da dies den Vorstellungen der Opfer nur Legitimität verleihen würde. „Die Eliminierung dieser Individuen und Organisationen wird nicht ausreichen, um ihr Narrativ zu bekämpfen, und kann tatsächlich dazu beitragen, sie noch zu verstärken.“ Watts fügt hinzu: „Dies gilt auch für die Zensur, da die Hintermänner der Erzählung versuchen können, die Unterdrückung der Botschaft als Beweis für ihre Wahrheit, Wichtigkeit oder Authentizität anzuführen.“
Hier kommen die Social Media Unternehmen ins Spiel. Der beste Mechanismus zur Unterdrückung oppositioneller Standpunkte und zur Förderung regierungsfreundlicher Narrative sei der Privatsektor, insbesondere „Social Media Riesen wie Facebook, Google, YouTube und Twitter, die bestimmen können, was Menschen sehen und was nicht“.
Watts fügt hinzu: „Glücklicherweise haben Veränderungen in der Politik von Social Media Plattformen wie Facebook einen erheblichen Einfluss auf die Art und Qualität der übertragenen Inhalte.“
Der Privatsektor muss also die Drecksarbeit für die Regierung leisten, denn die Bevölkerung betrachtet die Regierungspropaganda mit Argwohn. „Es kann sein, dass die Unternehmen und der Privatsektor die Rolle, die sie bei der Bekämpfung von Desinformationen spielen, nicht unbedingt verstehen. Sie ist jedoch besonders wichtig… Zumindest im Westen erlangten sie durch das zunehmende Vertrauen der Öffentlichkeit in sie als Institution eine zentrale Rolle.“
Aber das ist erst der Anfang. Online-Zeitungen sollten „erwägen, Kommentarsysteme zu deaktivieren, d.h. die Funktion abzuschalten, die es der breiten Öffentlichkeit erlaubt, Kommentare unter einem bestimmten Medienelement zu hinterlassen“. Um die politischen Aussagen ihrer Nutzer zu bewerten, sollten Social-Media-Unternehmen gleichzeitig „ein Bewertungssystem verwenden, das demjenigen ähnelt, das zur Bewertung der Sauberkeit von Restaurants verwendet wird“.
Aber auch die Taktik der starken Waffen hat ihre Rolle zu spielen. Am Beispiel des WikiLeaks-Herausgebers Julian Assange erklärt Watts: „Regierungen müssen Strafandrohungen für die Verbreitung von Desinformationen in der Hinterhand halten“, ähnlich denen, die „für Spionage gegen den Staat angedroht werden, die die Todesstrafe nach sich ziehen kann“.
Was Watts in seinem Dokument umreißt, ist die Vision einer totalitären Gesellschaftsordnung, in der Regierung, Medien und Technologieunternehmen gemeinsam oppositionelle Standpunkte unterdrücken.
An dem Dokument sticht jedoch besonders ins Auge, dass es nicht die Zukunft, sondern die zeitgenössische Realität beschreibt. Der ganze Text ist in der Gegenwart abgefasst. Die Maschinerie der Massenzensur ist bereits fertiggestellt.
Die Analyse des Atlantic Council, die auf hochrangigen Diskussionen innerhalb des Militärs und des Staates basiert, bestätigt alles, was die World Socialist Web Site über den Zweck von Änderungen der Algorithmen von Internet- und Social Media-Unternehmen in den letzten anderthalb Jahren geschrieben hat.
Am 25. August 2017 veröffentlichte die WSWS einen Offenen Brief an Google, in dem sie erklärte: „Google manipuliert Internet-Suchergebnisse, um den öffentlichen Bekanntheitsgrad und den Zugang zu sozialistischen, linken und Anti-Kriegs-Webseiten einzuschränken.“ Sie fügte hinzu: „Zensur in diesem Ausmaß kommt der Erstellung politischer schwarzer Listen gleich.“
Im Laufe des Folgejahres wurden die wichtigsten Details des Offenen Briefes unwiderlegbar bestätigt. Bei Anhörungen im Kongress und in anderen öffentlichen Äußerungen erklärten führende US-Internetunternehmen, sie hätten die Begünstigung politischer Ansichten und Äußerungen, die der US-Geheimdienst favorisiere, reduziert, und zwar im Geheimen, weil sie Angst vor dem Aufschrei der Öffentlichkeit hätten. Gleichzeitig erklärten sie die technischen Maßnahmen, die sie angewandt hatten, um regierungs- und kriegsfreundliche Nachrichtenportale wie die New York Times und die Washington Post zu bevorzugen.
Aber das Dokument des Atlantic Council liefert nun die klarste, offenste und ungeschönteste Bestätigung des staatlichen Zensurregimes.
Der Kampf gegen die Zensur ist die Speerspitze der Verteidigung aller demokratischen Rechte. Die dringendste Aufgabe ist die Vereinigung der Arbeiterklasse, die sich auf der ganzen Welt in sozialen Kämpfen befindet. Sie muss den Kampf gegen die Zensur als Bestandteil des Kampfes für den Sozialismus verstehen.